Interpretation der ersten Tätigkeitsstätte

Guten Abend,

ich bin Ihnen für kompetente Hinweise sehr dankbar!

Nehmen wir an, dass Herr B im Steuerjahr 2017 über zwei nachfolgende Vertretungsverträge für eine Professur an der Universität X beschäftigt war, die über 500 km von seinem Wohnort Y entfernt lag. Von der Heimuniversität Y im Ort Y wurde er via Sonderurlaub für beide Vertretungen freigestellt. Aufgrund des Vertretungsstatus hatte Herr B keine 2. Wohnung in X angemietet und pendelte. In der vorlesungsfreien Zeit war Herr B vertragsgemäß nur unregelmäßig an der Universität X – ergo, er macht steuerlich nur während der Vorlesungszeit regemäßige Reisekosten geltend.

Welche Schlussfolgerung ergibt sich hierdurch für die Einkommenssteuererklärung unter dem Stichwort „erste Tätigkeitsstätte“? Ist die Interpretation falsch, dass durch den Vertretungsstatus beider Anstellung und der Nicht-Regelmäßigkeit der Anwesendheit in der
vorlesungsfreien Zeit in X die „erste Tätigkeitssätte“ nicht in X sondern in Y liegt? Die Befragung der prognostischen Dauerhaftigkeit der Beschäftigung einerseits und der Regelmäßigkeit der Anwesendheit andererseits habe ich dem Strukturbaum nach Lohnbüro entnommen https://www.google.com/url?sa=i&rct=j&q=&esrc=s&source=images&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjQ-8zHifDeAhUM3qQKHbVLCWsQjhx6BAgBEAI&url=https%3A%2F%2Fwww.berlin.de%2Fpolitik-und-verwaltung%2Frundschreiben%2Fdownload.php%2F4322753&psig=AOvVaw2LN4hMSJYk4cnxO7KfJAY5&ust=1543253533847527)

Danke!

Servus,

mit jedem Vertretungsvertrag ist die Geschichte neu zu beurteilen - genau wie bei wechselnden Arbeitgebern bei gewöhnlichen Sterblichen auch - und wird dadurch recht einfach, man kommt ganz ohne Entscheidungsbäume aus:

bedeutet so viel wie

„Erste Tätigkeitsstätte in X“. Und das eben für die Dauer des Vertrags, vorher und nachher ist sie in Y.

Schöne Grüße

MM

Tach … und Danke! Ja, dass mit jedem Vertrag alles wieder neu zu interpretieren ist, da gehe ich mit. Unklar ist mir jedoch, warum bei einem Arbeitsvertrag unter 48 Monaten Beschäftigungsdauer (Kriterium der Dauerhaftigkeit) sich per se die erste Tätigkeitsstätte steuerrechtlich verschiebt – das kommt ja der Forderung im Sinne der Steuergebung gleich, dass man bei einem kurzfristigen Arbeitsvertrag den Wohnort mitzuverlagern hätte. Tatsächlich verstehe ich den Strukturbaum und die Gesetze dahinter anders.

Servus,

aber nicht mit mir. Ich meine nämlich, dass an dieser Stelle überhaupt nichts zu interpretieren ist - wie so oft ist auch hier Steuerrecht eine vollkommen fantasielose Angelegenheit.

Der Wortlaut von § 9 Abs 4 S 1 EStG reicht vollkommen aus, um zu wissen, worum es hier geht. Da versteckt sich nichts hinter Strukturbäumen und von einer Aufhebung des Freizügigkeitsrechts ist keine Rede. Da steht nämlich nur:

Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Und wenn Du diesen Satz gelesen hättest, würde Dir auch nicht im Kopf herumspuken, ein Dienstverhältnis müsse mindestens 48 Monate dauern, um dauerhaft zu sein - wo hast Du diesen Nonsens denn eigentlich her? Ganz bestimmt nicht aus dem EStG, den EStR oder den LStR.

Dauerhafter als vom ersten bis zum letzten Tag eines Dienstverhältnisses kann eine Arbeitsstätte überhaupt nicht sein. Und das liegt hier vor.

Schöne Grüße

MM

Tach. Kommen wir dem Ganzen nun näher, weil das ist mein Punkt: „dauerhaft zugeordnet sein“. Ab wann spricht man von einer DAUERHAFTEN Zuordnung? Hierzu sagt das Lexikon für das Lohnbüro (nutzen soweit ich weiß auch Finanzämter) das, was in dem Strukturbaum abgebildet ist. Nicht jede Beschäftigung ist automatisch ab dem 1. Arbeitstag dauerhaft, weil prognostisch nicht per eine dauerhafte Beschäftigung daraus erwächst: Wenn ein Zeitvertrag nur 6 Monate per vertraglicher Festlegung und auch im Anschluss nachweislich nicht über 48 Monate hinaus besteht? Danke für deine Argumente, aber ich bin noch nicht überzeugt :wink:
Schöne Grüße zurück

Servus,

da hab ich ja Glück, dass es auch gar nicht mein Ziel ist, Dich davon zu überzeugen, dass dieser Sachverhalt im Licht des zitierten Textes aus § 9 Abs 4 EStG trivial ist.

Wenn Du jetzt hergehst und die täglichen Fahrten auf den Vertretungsstellen wie Fahrten bei Auswärtstätigkeit nach gefahrenen Kilometern berechnest, ist es übrigens gar nicht so unwahrscheinlich, dass das veranlagt wird wie erklärt. Tu mir dann aber bitte, bitte den Gefallen und erzähle nicht, der Ansatz als Fahrtkosten bei Auswärtstätigkeit sei vom FA bei der Veranlagung „anerkannt“ worden. Wenn in diesem Fall veranlagt wird wie erklärt, hat das nämlich einen ganz anderen Grund - nämlich den, dass solche ESt-Erklärungen nur noch ganz oberflächlich und je nach FA öfter mal auch gar nicht geprüft werden, schlicht weil die Kapazität dafür fehlt und auch, weil der Aufwand größer wäre als der zusätzliche Ertrag, den man damit erzielen könnte.

Schöne Grüße

MM