Inzucht bei Wildtieren, die in Herden/Rudeln leben

Wer kennt sich aus? (Ich überhaupt nicht!) Werden in einer Herde (z.B. Elefanten…) oder einem Rudel (z.B. Löwen…) männliche Nachkommen geboren, so müssen die doch nach der Geschlechtsreife Herde/Rudel verlassen, wenn mich nicht alles täuscht. Der Chef duldet natürlich keine Rivalen. (Meines Wissens nach bilden nach dem Verstoßen-Werden manche Löwen und Elefantenbullen eine Zeitlang eine Zweckgemeinschaft. Und ab einem gewissen Alter versucht ein männliches Tier dann durch Kämpfe, ein fremdes Rudel zu übernehmen.) So weit, so bekannt.

Jetzt frage ich mich aber: Wenn die weiblichen Nachkommen in der Herde bleiben dürfen, so würde der Vater doch nach der Geschlechtsreife versuchen, mit seinen Töchtern Nachkommen zu zeugen. Das heißt, es käme dann zur Inzucht. Die Natur scheint aber damit umgehen zu können, schließlich hört man nicht alle Nase lang von kranken Wildtieren, verursacht durch Inzucht.

Der Hintergrund meiner Frage ist der, dass ich drei Schafe habe (einen Bock, zwei weibliche). Jedes Schaf hat jetzt ein Lamm bekommen. (Der Bock war angeblich kastriert…!) Das Böckchen kommt in einem knappen halben Jahr weg. Aber könnte das weibliche Lamm nicht bleiben?

Zur ersten Frage bei den Wildtieren:
Bei Löwen ist es zB so, daß zwar ein Löwenkater das Rudel eine Zeit lang führt, diese Stellung aber im allgemeinen nicht lange halten kann. Rivalen lauern an allen Ecken, ein Rudel zu halten ist kräftezehrend. Er schafft also nicht allzuviele Nachkommen, und bis die alt genug sind, ist der Löwe oft schon wieder weg vom Fenster.
Bei Elefanten kommt der Bulle ohnehin nur zur Paarung zu einer Herde Weibchen, und verschwindet dann wieder, also auch kein Problem mit Inzucht.

Bei Deinen Schafen würde ich jetzt einfach einen Tierarzt zu Rate ziehen, der sich mit Schafen auskennt, und die Kastration prüfen lassen. Vermutlich ist da was schief gelaufen, also am besten nochmal prüfen lassen, ob man die Kastration nicht doch noch vervollständigen kann. Nicht nur wegen der möglichen Inzucht, sondern auch um nicht in ein oder zwei Jahren wieder Jungtiere zu haben. Könnte auf Dauer auch viel werden. Und wenn das erledigt ist, erledigt sich auch das Problem mit der möglichen Inzucht.

Hallo,

Brainstorm hat das Wesentliche erklärt.
Nat. kommt bei Wildtieren schon mal Inzucht vor, Gendefekte sind aber auch da die Ausnahme, nur häufiger. Solcher Nachwuchs wild in freier Wildbahn halt nicht alt, ist daher nicht dokumentiert.

Noch ein Tip zu Deinen Schafen: wenn Du Inzucht vermeiden willst, suche einen Schafhalter in der Umgebung der einen Bock hat und borge diesen zur Brunft oder wie immer man das bei Schafen nennt aus. Deinen eigenen Bock solltest Du entweder richtig kastrieren lassen oder in der kritischen Zeit von deinen Schafen fern halten.

Vor der künstlichen Befruchtung sind Bauern mit ihren Bullen zu den Nachbarn gezogen, mal zu diesem, mal zu jenem.

Gruß, Paran

Servus,

Vor der künstlichen Befruchtung sind Bauern mit ihren Bullen zu den Nachbarn gezogen, mal zu diesem, mal zu jenem.

das wäre zu gefährlich respektive aufwändig gewesen. Die rinderigen Kühe wurden umgekehrt in allen Milchviehregionen zum Gemeindehäge gebracht.

Den Natursprung gibt es übrigens heute noch in Herden, bei denen der Stier mit der Herde gehalten wird - er hat gegenüber der künstlichen Besamung nicht bloß Nachteile, sondern auch Vorteile; ist eine Abwägung abhängig von der konkreten Situation und den unternehmerischen Zielen.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

Servus,

Vor der künstlichen Befruchtung sind Bauern mit ihren Bullen zu den Nachbarn gezogen, mal zu diesem, mal zu jenem.

das wäre zu gefährlich respektive aufwändig gewesen. Die
rinderigen Kühe wurden umgekehrt in allen Milchviehregionen
zum Gemeindehäge gebracht.

Mein Opa ist mit seinem Bullen an der Leine (Nasenring) zu den Nachbarn gegangen. Punkt.
Er ist mit dem Vieh sogar mal zwecks Verkauf in die nächste Stadt zu Fuß zum Markt gezogen (13 Km hin und mangels Verkauf auch retour). Umgekehrt brachten andere Bauern uns schon mal ihre Bullen. Ist aber lang her.

Klar sind erwachsene Bullen unberechenbar. Deshalb der Nasenring.
100% sicher war auch das nicht, es gab entsprechend durchaus schon mal Opfer, allerdings ebenso oder ev. mehr bei der Bullenhaltung auf der Weide. Besonders, wenn der Bauer dachte: der ist so zahm, der tut mir nichts. Oft ein Trugschluss.

In anderen Regionen mag es üblich gewesen sein, 10 oder 20 Kühe hin und her zu bringen, in Ostfriesland war das m.W. nicht üblich. Aber zu mener Zeit hatten die Bauern dort auch alle schon zuviele Kühe, um mit denen zeitgerecht herumzuziehen.
Ein fremder Bulle ein paar Monate auf der Weide war einfacher.

Das Wort `Gemeindehäge´ ist mir unbekannt. Wo und wann gab es das?

Gruß, Paran

Kommunale Deckstiere
Servus,

Das Wort `Gemeindehäge´ ist mir unbekannt. Wo und wann gab es das?

ein „Häge“ ist im Südschwäbischen und im nördlichen Alemannisch ein Bulle - Hochalemannisch heißt er „Muni“ und etwa ab der Donau nördlich „Hummel“.

Ein „Gemeindehäge“ ist ein kommunal gehaltener Deckbulle - er steht bei einem Bauern und die Gemeinde bezuschusst seine Haltung. Die letzten wurden im Lauf der 1970er Jahre aufgegeben.

Bei Herdengrößen um 20 … 30 Kühe (in der Zeit bis ca. 1955, als künstliche Besamung üblich wurde), die heutigen Herden von etwa 150 entsprechen („ordentliches Mittelmaß“), nimmt es mich wunder, dass da kein eigener Bulle mit der Herde lief. In den süddeutschen Grünlandgebieten war das bei solchen Herdengrößen normal (und ist es bei Mutterkuhhaltung und bei einigen Milchbetrieben mit Weidegang, die nicht synchronisieren, bis heute). Das kann u.a. mit den Rassen zu tun haben - für einen pensionierten Fleckvieh- oder Braunviehbullen kann man noch etliches erlösen, wenn er zum Schlachten geht, aber für einen Schwarzbunten eher nicht.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

danke für die Info. Die Häge-Praxis ist mir aus meiner Heimat völlig unbekannt. Obwohl dort bis in die 70er Jahre etliche Höfe mit teils weit weniger als 30 Milchkühen üblich waren.
Möglicherweise, weil die Höfe auf dem Flachland oft weitläufiger verteilt waren. Es gab etliche alte Höfe (oft die Größten), die weit außerhalb der Dörfer lagen.

Natürlich hatten die ostfriesischen Bauern auch eigene Bullen auf der Weide, ein Tausch ab und zu sollte eben Inzucht vermeiden.
Als Schlachtvie taugten ältere Bullen nicht großartig. Der Begriff „kocht wie Bullenfleisch“, also heftig weil zäh, ist Dir ev. auch bekannt.

Die überschüssigen schwarzbunten Bullen wurden teils schon als Kälber verkauft und teils, je nach vorhandener Weidefläche, bis zum 2. Herbst gehalten und dann als Schlachtrinder verkauft, eines ev. selbst geschlachtet. Tolles Fleisch.

Aber Thema war ja Inzucht. Offenbar gab es da unterschiedliche Vermeidungsstrategieen, je nachdem, was unter den gegebenen Umständen am sinnvollsten war.

Gruß, Paran

Inzuchteffekte bei Rindvieh
Servus,

ja, in der Tat war das Thema Inzucht, und das war in den 1980er Jahren ein Riesenproblem in allen Herdbüchern, weil beim Einkreuzen von „Amerikanerbullen“ („Holstein Frisian“ in Schwarzbunt, „Brown Suisse“ in Braunvieh usw.) nicht bekannt gewesen und nicht berücksichtigt worden war, dass sämtliches nordamerikanische Rindvieh von einer relativ kleinen Anzahl an ursprünglich eingeführten Tieren abstammt und daher schon von vornherein mit einem ziemlich hohen „Inbreed-Koeffizienten“ ausgestattet ist. Zusammen mit der sehr großen Zahl von Nachkommen eines einzigen Zuchtbullen bei künstlicher Besamung und Einfuhr von Sperma von nur ein ganz paar einzelnen „Amerikanerbullen“ führte dies zwei Generationen nach der Einkreuzung der „Amerikaner“ zu einer großen Zahl an Missbildungen und Verkalbungen; Gegensteuern war schwierig, weil bereits eine ganze Generation von Bullenmüttern zu nahe miteinander verwandt war: Die Folgen von Inzucht zeigen sich erst mit einer Generation Verzögerung, wenn man nicht mehr zurück kann.

Wenn ich richtig weiß, konnte das im Vergleich zu den Schwarzbunten kleinere Herdbuch beim Braunvieh nur gerettet werden, weil man in Bessarabien Nachkommen von Braunvieh fand, das seinerzeit durch deutsche Siedler mitgebracht worden und kaum mit den amerikanischen „Brown Suisse“ - Bullen verwandt war.

Kurzer Sinn, zurück zur vorgelegten Frage: In der ersten Generation Inzucht wird da nicht viel passieren, aber es muss dringend darauf geachtet werden, dass die Tiere dieser ersten Nachkommengeneration nicht selbst zur Zucht verwendet werden, weil sich erst bei Zucht mit den Nachkommen rezessiv vererbte Defekte auswirken.

Schöne Grüße

MM

2 Like