Theismus und Gewalt
Hi.
Die hanafitische Rechtsschule lehrt, dass es die Pflicht der Muslime sei, die „Dar al-Harb“ (Haus des Krieges), die Welt der Ungläubigen, durch kriegerische Mittel der „Dar al-Islam“ (Haus des Islam), der islamisch regierten Welt, einzugliedern. Als dritte und später hinzugekommene Kategorie gilt im islamischen Denken die „Dar al-ahd“ (Haus des Vertrags), also Vertragsschließungen zwischen Muslimen und Ungläubigen. Allerdings haben solche Verträge gemäß islamischem Verständnis nur eine Haltbarkeitsdauer von 10 Jahren; sie können zwar erneuert werden, das ´Dar al-ahd´-Konzept ist aber wegen seiner evidenten Kompromisshaftigkeit nur als künstliches Konstrukt anzusehen, das nicht zum genuin islamischen Denken passt, welches die Unterwerfung der Ungläubigen zum Ziel hat. Das Ansinnen des dar al-ahd-Konzepts zielt ja nicht auf die Tolerierung Andersgläubiger, sondern nur darauf, Muslimen in (noch!) nicht eroberten Gebieten ihre Religionsausübung zu ermöglichen. Der taktische Hintergedanke beim dar al-ahd ist also evident.
Es macht freilich keinen Sinn, die Apologeten (= Schönredner) des Islam mit solchen Argumenten oder mit aggressiven Zitaten aus dem Koran zu konfrontieren. Sie sind dagegen immunisiert, weil es ihr schöngeistiges Islam-Bild stört, ähnlich wie Raucher die Krebs-Warnhinweise auf Zigarettenschachteln wahrnehmungspsychologisch ausblenden. Ich versuche daher eine andere Argumentation, natürlich nicht, um Islam-Apologeten zu überzeugen, was aus psychologischen Gründen unmöglich ist, sondern um eine Erklärung für die intrinsische Gewaltbereitschaft des Islam - und des Monotheismus überhaupt - anzubieten.
Wem das zu offtopic erscheint, der muss es ja nicht lesen. Ich meine jedenfalls, dass es ähnlich wie bei der psychoanalytischen Rekonstruktion der individuellen Vorgeschichte einer Neurose auch für die Erklärung der Gewaltbereitschaft des Islam nützlich ist, die Vorgeschichte der islamischen (bzw. monotheistischen) Idee zu rekonstruieren.
Ein beliebtes apologetisches Argument ist, dass religiöse Gewalt in Wahrheit nur politisch, aber nicht wirklich religiös motiviert sei. Es gehe dabei ´nur um Macht´, auch wenn von den Aggressoren religiöse Motive behauptet würden. Ähnlich hat Tychiades vor einigen Wochen argumentiert und - aus unerfindlichen Gründen - ´Sex´ hinzugefügt (@Tychiades: Handlungstheorie gehört zur Soziologie). Bei Argumentationen dieser Art wird eine grundsätzliche religionshistorische Wahrheit übersehen, nämlich, dass theistische Religion (im folgenden ´Theismus´ genannt) immer eine machtpolitische, also auf Gewalt basierende Komponente beinhaltet, die Teil ihres Wesens ist. Ein Theismus ohne Gewaltbereitschaft ist von seinen Wurzeln entfremdet, er verleugnet einen wichtigen Teil seines Wesens. Er gleicht einem Tiger, der sich zu vegetarischer Kost bekennt, im Innersten aber darauf lauert, seine Zähne in saftiges Fleisch zu schlagen.
Theismus entwickelte sich historisch als Ideologie der patriarchalischen Herrscherelite (Könige und Priester) und hatte vor allem die Funktion, die Herrschaft dieser Elite zu legitimieren. Ein Spezialfall dieser Legitimation war die Rechtfertigung von Eroberungsfeldzügen als durch einen Gott beauftragt. Natürlich spielten im theistischen Denken auch andere Aspekte eine Rolle, z.B. Fruchtbarkeit und Welterklärung, doch auch diese waren in das herrschaftsideologische System integriert.
Die Etablierung theistischer Systeme geschah immer im Zuge der gewaltsamen Machtaneignung einer Minderheit über das Volk. Theistische Gesellschaften ab dem 5. Jt. vuZ basierten grundsätzlich auf Gewalt. Vormals freie Bauern wurden zu Arbeitskräften degradiert, die einen Großteil ihres Ertrags an König und Priester abführen mussten. Soziale Organisation konvergierte auf die Spitze der Pyramide, den obersten Stadt- oder Staatsgott, den der König irdisch repräsentierte.
Diese Grundstruktur polytheistischen Staatsdenkens wurde in den monotheistischen Religionen bewahrt, freilich mit Verschiebung der königlichen Vermittlerfunktion auf:
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das ´Gesetz´ (die Tora als irdische Manifestation des göttlichen Willens)
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eine göttliche Sohn-Gestalt (Christus), die den Willen Gottes an die Menschen kündet
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eine Mischung aus ´König´ und gottberufenem Mittler der göttlichen Gesetze (Mohammed)
Hier stellt sich die Frage, wie und warum es überhaupt eine Entwicklung vom Polytheismus zum abrahamistischen Monotheismus gab. Wieso entwickelte sich im israelitischen Denken die Idee der exklusiven Verehrung eines männlichen Gottes?
Die Herausbildung des jüdischen Monotheismus steht im engsten Zusammenhang mit der politischen Situation Israels zwischen dem 8. und dem 6. Jahrhundert vuZ. Im 8. Jahrhundert, zweihundert Jahre vor der Exilierung seiner Oberschicht nach Babylon, stand Israel unter massivem politischen Druck seitens der mächtigen Assyrer, deren grausame Kriegsführung alles übergipfelte, was im ohnehin grausamen Alten Orient bis dahin bekannt und üblich war. Die assyrischen Großkönige sahen sich als irdische Stellvertreter ihres Staatsgottes Assur, in dessen Auftrag sie Kriege führten, Gesetze erließen und Verträge mit unterworfenen Vasallenstaaten schlossen. Ihre imperiale Ideologie - die Expansion des assyrischen Reichs im Auftrag des Gottes Assur - war ein Erbe der akkadischen Ideologie des Sargon von Akkad (23. Jh. vuZ), der sich als ´Herrscher über die vier Weltgegenden´ bezeichnen konnte, also den Anspruch erhob, (fast) die gesamte bekannte Welt zu beherrschen. Das assyrische Reich war ab dem 12. Jh. vuZ noch wesentlich umfangreicher als das schon längst vergangene akkadische, der Machtanspruch und -hunger der assyrischen Könige noch größer. Ich zitiere aus den Annalen des Königs Sanherib (um 700):
Sanherib, der große König, der mächtige König, der König der ganzen Welt (…), der erste unter den Königen, der große König, der diejenigen verschluckt, die sich ihm nicht unterwerfen, der die Frevelhaften mit dem Blitz erschlägt - Assur hat mir (= Sanherib) ein Königtum über alle, die in Palästen wohnen, überreicht (…), er hat die Macht meiner Waffen vergrößert (…), mächtige Könige fürchten sich vor meinem Ansturm.
Hier erscheint der Gott Assur als höchste göttliche Instanz überhaupt, er verleiht seinem irdischen Stellvertreter (dem König) die Macht, über alle anderen Könige (und, implizit, über deren jeweilige Götter) sich hinwegzusetzen. Der Staatsgott Assur ist also im Begriff, sich an die Spitze eines ´internationalen´ Pantheons zu setzen und zum allmächtigen Gott aufzuschwingen.
Manche Forscher, vor allem der bekannte Assyriologe Simo Parpola, sehen im Gott Assur sogar einen proto-monotheistischen Gott im Sinne des sog. inklusiven Monotheismus (= alle fremden Götter sind nur Organe eines einzigen Gottes). Auch der neubabylonische Gott Marduk hat, einigen Gelehrten zufolge, das Gepräge eines ´inklusiv monotheistischen´ Gottes. Die Idee des Monotheismus lag also, eng verknüpft mit der Weltreichsideologie des assyrischen und neubabylonischen Reiches, bereits in der Luft, als israelitische Jahwe-Monolatristen um neue Konzepte rangen.
Ein wichtiger Protagonist der israelitischen Jahwe-allein-Bewegung in der 2. Hälfte des 8. Jh. vuZ, Jesaja, übertrug den globalpolitischen Anspruch des assyrischen Gottes auf den Staatsgott des von Assyrien massiv bedrängten Juda, Jahwe. Zu diesem Zeitpunkt war Judas Religion im ganzen noch polytheistisch, es bestand aber bei einer sich berufen fühlenden Minderheit, zu der Jesaja zählte, ein starker Hang zur Monolatrie (Alleinverehrung) des Jahwe. Gänzlich von der traditionellen Vorstellung abweichend, dass ein Gott nur so stark ist wie das Reich, dem er vorsteht, schreibt Jesaja Jahwe das Vermögen zu, die assyrischen Heerscharen zu lenken:
(Jes 5,26)
Ein Panier pflanzt er (= Jahwe) auf für ein Volk aus der Ferne (= die Assyrer) und pfeift es herbei von den Enden der Erde. Und siehe, in Eilmärschen kommt es heran.
Gemeint ist damit der Angriff der Assyrer auf das israelitische Nord- und Südreich. In einer für das israelitische Denken fortan typischen Dialektik, die dem Widerspruch zwischen Judas politischer Ohnmacht und extremer Jahwe-Verehrung entsprang, wurden die assyrischen Attacken nicht mehr dem feindlichen Gott Assur zugeschrieben, sondern dem eigenen Gott Jahwe. Als Motiv galt dessen Zorn auf das eigene Volk, das sich - in den Augen der Jahwe-Monolatristen - durch die Anbetung anderer Götter als Jahwe versündigt habe und bestraft gehört. Nur mit diesem dialektischen Kniff konnte die Jahwe-Monolatrie ´glaubwürdig´ aufrechterhalten werden.
Deuterojesaja treibt das monotheistische Denken in der Phase des babylonischen Exils (Mitte des 6. Jh. vuZ)dann auf die Spitze:
(Jes 45,21)
Es ist kein Gott außer mir! Einen rechtwaltenden und rettenden Gott gibt es nicht neben mir.
Ähnlich wie Jesaja zu Zeiten der assyrischen Übermacht stellt Deuterojesaja in Zeiten der babylonischen und persischen Übermacht Jahwe als Dirigenten der Weltgeschichte hin; diesmal hat Kyros (= Kores), der persische König und Eroberer Babylons, wo die exilierten Israeliten festsaßen, als Handlanger (sogar ´Gesalbter´) des Jahwe gedient, nunmehr als Befreier, nicht als Bestrafer:
(Jes 45,1)
So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, dem Kores, den ich bei seiner rechten Hand ergreife, dass ich die Heiden vor ihm unterwerfe und den Königen das Schwert abgürte, auf dass vor ihm die Türen geöffnet werden und die Tore nicht verschlossen bleiben…
Der jüdische Monotheismus entstand also aus dem Bedürfnis, die politische Ohnmacht Israels auf der Ebene religiöser Phantasie in eine nationenübergreifende Allmacht des Jahwe umzubiegen. Die traditionelle polytheistische Struktur Staatsgott - König - Volk wurde in die Struktur Allgott Jahwe - Volk Israel transformiert. Jahwe herrscht über die ganze Welt, sein erwähltes Volk aber sind die Juden.
Die Idee eines Gottes, der zwar unbegrenzt herrscht, aber nur von einer Minderheit verehrt wird, beinhaltet natürlich notwendig die Idee, den ungläubigen Rest der Welt von der exklusiven Wahrheit des einen Gottes zu überzeugen, und zwar mit Gewalt. Das gewaltsame Aufzwingen des eigenen Gottes und das damit verbundene Verbot von Fremdkulten ist typisch monotheistisch, wie die Geschichte des Christentums und des Islam überdeutlich zeigt, wobei die islamische Ideologie die Muslime explizit in die Pflicht nimmt, die Ungläubigen zum wahren Glauben zu bekehren - wenn es sein muss, mit Gewalt. So hielten es aber auch die Juden in der kurzen Phase weltlicher Macht (nach dem Makkabäeraufstand 166 vuZ für ca. ein Jahrhundert), als sie die umliegenden Stämme kriegerisch unterwarfen und ihnen den Jahwe-Kult aufzwangen und die eigenen Kulte verboten. Polytheistische Eroberer, z.B. die Römer, gestatteten Unterworfenen dagegen immer, ihre Kulte fortzuführen.
Ich denke, diese notgedrungen vereinfachende Darstellung des Entstehungsprozesses der monotheistischen Idee zeigt, wie sehr Macht- und Gewaltdenken ein intrinsisches Element des Theismus im allgemeinen und des Monotheismus im besonderen ist. In den letzten zwei Jahrhunderten haben sich die monotheistischen Religionen (der Islam durch den Kontakt mit dem Westen) zwangsläufig an die im Westen vorherrschenden ethischen Werte anpassen müssen, aber diese Anpassung kann nur als eine äußerliche zu verstehen sein, da das moderne Wertsystem auf einer gänzlich anderen Basis gründet (Menschenrecht, individuelle Freiheit, Demokratie) als die theistischen Systeme.
Die ideologische Basis des Islam steht im diametralen Gegensatz zu den westlichen Werten des Menschenrechts und der individuellen Freiheit. Es bedarf schon zweier zugedrückter Augen, um zu verkennen, dass Gewaltbereitschaft untrennbar zum islamischen Denken gehört; sie ist in dessen religiösen Dogmen und Texten fest verankert. Ein Islam, der sich als friedfertig ausgibt, ist kein Islam.
Chan