Isobarische Expansion - echt isobar?

Hallo zusammen,

Ich habe immer in Büchern gelesen bzw. in der Schule gehört, dass ein Zylinder mit einem beweglichen Kolben ein gutes Beispiel (unter den folgenden Bedingungen) einer isobarischen Zustandsänderung ist. 

Bedingungen:

  • Wärme wird dem System zugeführt (der Rest des Systems sei adiabat)
  • der Kolben bewegt sich reibungslos nach oben (im Fall der Expansion)
  • Umgebungsdruck = Atmosphärischer Druck
  • der Kolben hat eine Fläche A und eine Masse M
  • Im Zylinder befindet sich irgendein ideales Gas mit einem Anfangsvolumen Vo. 

Am Anfang (also, bevor Wärme dem System hinzugefügt wird) herrscht im Zylinder der Druck P, der gleich die Summe aus dem atmosphärischen Druck und der Gewichtskraft des Kolbens/Fläche des Kolbens sein soll. 
Nachdem Wärme zugeführt wird, soll (laut des idealen Gasgestezes) sowohl das Volumen des Gases als auch die Temperatur des gesamten Systemes zunehmen, während der Druck theoretisch konstant ist (Po und die Gewichtskraft des Kolbens ändern sich nicht). 

Mir ist eigentlich nicht klar, warum der Kolben sich überhaupt bewegt, unter der Annahme, dass der Druck unverändert bleibt. Sei der Druck konstant, wirkt keine resultierende Kraft auf den Kolben und daher ist die Beschleunigung des Kolbens gleich null (F[netto]=M.b). Da der Kolben sich zu Beginn der Expansion in Ruhelage befand, hatte er auch keine Anfangsgeschwindigkeit (w=0)
Zusammenfassend könnte der Kolben (der klassischen Mechanik zufolge) nicht nach oben schieben! 
Was steckt dahinter?? Warum wird die kinetische Energie in den meisten Beispielen von isobarischen Zustandsänderungen einfach vernachlässigt? Ich habe schon ein bisschen gegoogelt aber nichts Konkretes gefunden.

Danke!!

Hallo,

also ich habe noch nie gehört, dass das ein gutes Beispiel für eine isobare Zustandsänderung wäre, aber prinzipiell kann man es damit schon beschreiben.
Wenn sich die Temperatur entsprechend erhöht, dann bleibt der Druck konstant bei der Expansion. Wenn man die Zustandsgleichung des idealen Gases annimmt, dann müsste bei einer Verdoppelung des Volumens sich  auch die Temperatur (in Kelvin, nicht °C) verdoppeln. Wenn man einfach nur den Kolben rauszieht, dann sinkt mit steigendem Volumen aber erstmal die Temperatur, weswegen man Wärme zuführen muss, um das zu kompensieren.

Der Aufbau des konkreten Experimentes ist mir nicht ganz klar, aber wenn es der Fall ist, dass der Kolben nicht durch eine äußere Kraft bewegt wird, dann wirken auf ihn nur drei Kräfte:

  1. der Druck im Inneren des Zylinders (mal die Fläche)

  2. der Umgebungsdruck (mal die Fläche)

  3. (falls er senkrecht von oben im Zylinder steht) seine Gewichtskraft

Wenn der Kolben ruht, dann herrscht Kräftegleichgewicht, d.h. die Summe aus Punkt 2 und 3 ist gleich dem ersten Punkt. Der Druck im Inneren wird also durch den Außendruck und das Gewicht des Zylinders bestimmt.Wenn man jetzt Wärme zuführt, dann bleiben Gewicht und Umgebungsdruck unverändert und damit auch der Innendruck. Deshalb dehnt sich das Gas bei Wärmezufuhr isobar ist (V1/T1 = V2/T2).

Moin,

Am Anfang (also, bevor Wärme dem System hinzugefügt wird)
herrscht im Zylinder der Druck P, der gleich die Summe aus dem
atmosphärischen Druck und der Gewichtskraft des Kolbens/Fläche
des Kolbens sein soll. 

Genau, es herrscht also Druckgleichgewicht.

Mir ist eigentlich nicht klar, warum der Kolben sich überhaupt
bewegt, unter der Annahme, dass der Druck unverändert bleibt.

Du ziehst das Pferd von hinten auf. Durch die Erwärmung erhöht sich der Druck im Gas. Dadurch wird das Gleichgewicht gestört und es resultiert eine Kraft von innen auf den Kolben. Dieser bewegt sich also so lange aufwärts, bis die resultierende Kraft wieder Null ist - und das ist genau dann der Fall, wenn der Druck innen wieder den Wert von vor der Erwärmung angenommen hat.

Der Kolben muss sich also bewegen, damit der Druck konstant bleibt.

Gruß

Kubi

Hallo,

das Beispiel mit dem Zylinder wird gerne verwendet da es gut nachvollziehbar ist. Was du sagst ergibt natürlich in gewisser weise Sinn, allerdings vergisst du dabei, das es sich in der Realität immer um dynamische Vorgänge handelt.
Die Berechnungen die durchgeführt werden und dieses Beispiel nehmen immer eine quasi-stationäre Zustandsänderung an. Das bedeutet, dass die Änderungen immer so langsam ablaufen, das alle Größen im Gleichgewicht sind.
Leichter nachvollziehbar ist vielleicht wenn der Kolben nicht als Reibungsfrei betrachtet wird, sondern als sehr leichtgängig. Wenn die Temperatur erhöht wird steigt der Druck infinitesimal an, bis die Haftreibung überwunden ist. Sagen wir z.B. um 3 Pascal. Dann rutscht der Kolben ein Stück nach oben und es herrscht wieder Gleichgewicht. Jetzt reduziert man die Reibung immer weiter und die Schritte werden immer kleiner. Irgewann wirkt es dann nach außen so, als ob sich der Druck nicht mehr verändert. Definitionsgemäß läuft der Vorgang auch unendlich langsam ab.

Die kinetische Energie ist nur vernachlässigbar wenn es sich um eine quasi-stationäre Zustandsänderung handelt. Wenn man natürlich einen 500kg schweren Kolben hat und in Bruchteilen von einer Sekunde eine Unmenge an Wärme zuführt, sodass der Kolben auf 50m/s Beschleunigt wird dann lässt sich es nicht mehr bestreiten das man die Energie mit einbeziehen muss.

Kurzfassung: Der Schlüssel ist der Begriff „quasi-stationär“

War das Verständlich? Sonst kann ich gern nochmal drauf eingehen!

Gruß

Jetzt ist alles klarer! Die Störung des Gleichgewichts am Anfang verdeutlicht warum der Kolben anfängt, sich zu bewegen. Vielen Dank!

Einfach prima! Ich habe mir auch gedacht, dass vielleicht das „Quasi-Stationarität-Konzept“ meine Frage umfassend beantworten könnte…aber ich war noch nicht 100% sicher. Vielen Dank für die Antwort, alles klipp und klar!

Hey!Also unter deinen genannten Bedingungen kommt es immer zur isobaren Expansion. Und der Grund kommt jetzt:smiley:er Kolben drückt von oben nach unten aufgrund der Schwerkraft. Diese ist für die konstante Masse gleich. Druck ist definiert als „Kraft pro Fläche“. Der Kolben mit der Fläche A erzeugt mit seiner Masse M in deinem beschriebenen Zylinder also immer den gleichen Druck. Soweit zu den physikalischen Grundlagen.Die kinetische Energie spielt bei Zustandsänderungsberechnungen keine Rolle. Mit der allgemeinen Zustandsgleichung für ideale Gase gilt immer p*V=m*R*T oder p*V/T=constant. Bei der letzten Gleichung siehst du, dass bei konstantem Druck unter einer Temperaturerhöhung auch das Volumen steigen muss. Was von dem Weg von Zustand A zu Zustand B passiert ist dabei völlig unerheblich. Also zurück zu deinem Beispiel: Der Druck im Zylinder ist aus oben beschriebenen Gründen immer konstant. Würde er höher werden, so müsste der Kolben (rein aus der Logik) ja an Masse zunehmen. Stell es dir als Gleichung vor. Links steht der Druck, mit dem Der Kolben nach unten drückt, rechts der Druck des Gases (ich stelle mal die Zustandsgleichung des idealen Gases um:m*g/A=m*R*T/V   .

Ich fang mal von links mit der Erklärung an: Masse des Kolbens mal Ortsfaktor geteilt durch Kolbenfläche ergibt den Druck auf der Kolbenseite. Rechts Ist Masse des Gases mal spezifische Gaskonstante des gewählten idealen Gases mal absolute Temperatur geteilt durch Gasvolumen. Der linke Teil der Gleichung verändert sich nicht. Rechts ist die Gasmasse und R konstant. Mit der Wärmezufuhr erhöhst du T. Damit die Gleichung weiterhin stimmt, muss V auch größer werden.Und die Temperaturerhöhung des idealen gases berechnest du mit:Q=c*m* delta T.  Die Gleichung stellst du nach Delta T um. Tut mir leid, wenn ich so einfache Sachen erwähne aber ich weiß nicht genau, wie vie Vorwissen du hast. :smile:UND um deine Frage wegen der kinetischen Energie zu klären: solange du keinen Kreisprozess berechnest, wie er z.B. in Verbrennungsmotoren stattfindet, kannst du bei deinen Beispielen mit dem kolben davon ausgehen, dass er sich sehr sehr langsam bewegt. Vernachlässigbare Geschwindigkeit, vernachlässigbare Energie. Aber wie gesagt, du berechnest verschiedene Zustände. Das hat erstmal nichts mit Kinetik zu tun. Und hier geht es ja um das Gas und nicht um den Kolben. Das Gas kann sich nicht bewegen. Es kann sich nur ausdehnen, komprimieren, erwärmen, abkühlen, Druck erhöhen oder Druck senken :wink:Hoffe das war hilfreich. :smile:

Hallo,

Nachdem Wärme zugeführt wird, soll (laut des idealen
Gasgestezes) sowohl das Volumen des Gases als auch die
Temperatur des gesamten Systemes zunehmen, während der Druck
theoretisch konstant ist (Po und die Gewichtskraft des Kolbens

wenn du schon an das „ideale Gasgesetz“ für den im UP genannten Versuchsaufbau denkst, dann würde ich mich ohne tiefschürfende Überlegungen daran halten:

pV = nRT (Zustandsgleichung des idealen Gases, ideales Gasgesetz, ideale Gasgleichung).

Für deine im UP erwähnte: „isobarische Zustandsänderung“ gilt die (umgeformte) Beziehung:
V = (nR/p) T (mit n und p = konstant),

in Worten: „Das Gasvolumen ist (bei konstantem Druck und bei gleich bleibender Masse) proportional der Temperatur.“

Was steckt dahinter?? Warum wird die kinetische Energie in den
meisten Beispielen von isobarischen Zustandsänderungen einfach
vernachlässigt? Ich habe schon ein bisschen gegoogelt aber
nichts Konkretes gefunden.

Um zu ermitteln was dahinter steckt, brauchst du gar nicht zu googeln.
Du kannst auch die von dir erwähnten gelesenen Bücher (welche?) nochmals genauer durchstudieren.
Du wirst dann sicher fündig, weil die kinetische Energie bei „isobarischen Zustandänderungen“ nicht in allen Büchern vernachlässigt wird.

Bei Werner Kuhn: „Physikalische Chemie“, Quelle & Meyer Verlag Heidelberg 4. Auflage z.B. auf Seite: 16, Kapitel: Kinetische Deutung der Gasgesetze
Oder in Martin/Swarbrick/Cammarata: „Physikalische Pharmazie“, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2. Aufl. Seite 69: „4.2.1.3 Kinetische Gastheorie“, darin z.B.: „c) … Die durchschnittliche kinetische Energie E ist direkt proportional der absoluten Temperatur des Gases, oder E = 3/2 RT.“
In Peter Atkins: „Physikalische Chemie“, VCH Verlag, 2. Aufl. ist das Kapitel: „1.1.3 Die kinetische Gastheorie“ auf Seite 34 zu empfehlen, falls das Buch nicht sowieso unter den von dir gelesenen ist.

Danke!!

Bitte