Ist der Arbeitsmarkt ein Markt wie jeder Andere?

Hallo Allerseits,

im Brett Wirtschaftspolitik, habe ich eine These aufgestellt, dass der Arbeitsmarkt nicht ein Markt wie jeder Andere ist, weil er teilweise anderen Gesetzen folgt.
/t/mindestlohn-2-xx-euro/6435510/7

Dem wurde heftigst widersprochen. Die Essenz der Argumente war, der Arbeitsmarkt ist genauso ein Markt, weil es eben so ist.
Nun würde ich gerne ein noch ein paar Stimmen und Argumente mehr hören.
Ist der Arbeitsmarkt ein Markt wie jeder Andere?
Gibt es Besonderheiten und wenn ja Welche?

Gruß
Carlos

„Den“ Markt gibt es eh nur theoretisch, in der BWL und VWL Lehre beispielsweise. In der Realität gibt es keinen perfekten Markt, diverse Börsenmärkte kommen ihm zwar nahe, aber selbst da gibt es Einschränkungen.

Hallo,

Dem wurde heftigst widersprochen. Die Essenz der Argumente
war, der Arbeitsmarkt ist genauso ein Markt, weil es eben so
ist.

vielleicht sollten wir erst einmal klären, was die Definition von Markt ist. Auf einem Markt treffen Angebot und Nachfrage nach einem Gut bzw. einer Dienstleistung zusammen. Transaktionen finden zu einem Preis statt, der
a) sich rein aus dem Marktgeschehen ergibt (Börse),
b) vom Staat nach oben oder unten begrenzt wird (z.B. Arbeitsmarkt einerseits, Wohnungsmarkt andererseits) oder
c) vom Staat vorgegeben bzw. genehmigt wird (Briefporto).

Nachfrage und Angebot werden grafisch als gerade oder geschwungene Linien in einem kartesischen Koordinatensystem dargestellt, in dem Preis und Menge gegeneinander aufgetragen sind. Dort, wo die Linien zusammentreffen, ist der Gleichgewichtspreis.

Mit Hilfe dieses Modelles kann man nun alles darstellen und durchspielen, was für den betrachteten Markt relevant ist: Mindestpreise, Höchstpreise, elastische oder unelastische Nachfrage usw.

Daß es sich beim Arbeitsmarkt um einen Markt wie jeden anderen handelt, ist unbestritten. In den einzelnen Lagern gibt es nur unterschiedliche Meinungen dazu, wie sich Angebot und Nachfrage tatsächlich darstellen, d.h. (preis)unelastisch oder nicht usw.

Ist der Arbeitsmarkt ein Markt wie jeder Andere?
Gibt es Besonderheiten und wenn ja Welche?

Natürlich gibt es Besonderheiten (wie auf vielen anderen Märkten auch), was nichts daran ändert, daß es sich um einen Markt handelt, der mit den üblichen Methoden betrachtet und analysiert werden kann.

Einige Bbesonderheiten: das Angebot ist relativ preisunelastisch, die Nachfrage auch allerdings weniger unelastisch, die gehandelten „Güter“ sind extrem inhomogen, ein Teil der „Güter“ ist durch Kapital substituierbar.

Typisch ist der Arbeitsmarkt jedoch im Hinblick auf die Reaktion auf das Zusammenspiel von Preis, Angebt und Nachfrage: höherer Preis bedeutet höheres Angebot und niedrigere Nachfrage.

Gruß
Christian

Die Frage ist ja bekanntes Kampfumfeld für Neoliberalisten und nicht ganz einfach zu beantworten.

Meiner Meinung nach hat der Arbeits"markt" nur wenig, extrem wenig mit einem vollkommenen Markt zu tun.

Alleine schon deswegen, weil wir schon seit den 70er / 80er Jahren praktisch viel mehr Arbeitnehmer haben als wir dank Automatisierung / Computerisierung eigentlich bräuchten. Nun kann man aber nicht einfach sagen: „Pech gehabt, werde billiger, arbeite für 50 Cent die Stunde oder verschwinde vom Markt, also verhungere“, denn dann hätten wir sehr schnell eine ähnliche Situation wie 1793, bei der dann ganz schnell der „Pöbel“ mit Mistgabel und Fackeln vor dem Reichstag stünde… Mal ganz abgesehen davon, dass niedrig qualifizierte Tätigkeiten eh immer wenige nachgefragt werden.

Deswegen ist die „Mindestpreis“ =~= Mindestlohn Diskussion hier auch eine ganz andere als wenn es beispielsweise um den festgelegten Brotpreis im Sozialismus geht.

Oft hört man auch von Neoliberalisten das Argument: „Klar haben wir einen Mindestlohn, den Hartz IV Satz!“. Das stimmt aber auch nicht wirklich, denn es gibt viele Vollzeitarbeiter, die aufstockend Hartz IV bezahlt, damit ist der Mindestlohn eben kein Mindestlohn der Arbeitgeber, sondern eine staatliche Transferleistung, was eigentlich ein Unding ist.

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Alleine schon deswegen, weil wir schon seit den 70er / 80er
Jahren praktisch viel mehr Arbeitnehmer haben als wir dank
Automatisierung / Computerisierung eigentlich bräuchten.

Das ist bei vielen Lebensmitteln, Kraftfahrzeugen und Urlaubsreisen nicht anders: das Angebot übertrifft die Nachfrage.

Nun
kann man aber nicht einfach sagen: „Pech gehabt, werde
billiger, arbeite für 50 Cent die Stunde oder verschwinde vom
Markt, also verhungere“,

Das ist bei vielen Lebensmitteln, Kraftfahrzeugen und Urlaubsreisen nicht anders. An allem hängt eine Existenz.

Oft hört man auch von Neoliberalisten das Argument: „Klar
haben wir einen Mindestlohn, den Hartz IV Satz!“. Das stimmt
aber auch nicht wirklich, denn es gibt viele Vollzeitarbeiter,
die aufstockend Hartz IV bezahlt, damit ist der Mindestlohn
eben kein Mindestlohn der Arbeitgeber, sondern eine staatliche
Transferleistung, was eigentlich ein Unding ist.

Das hat mit neoliberal oder nicht nichts zu tun. Es geht um die Frage, ob Angebot und Nachfrage mit den üblichen Modellen abgebildet werden können und das ist eben möglich. Unterhalb des Mindestlohnes/der Grundsicherung flacht die Angebotskurve stark ab. Letzten Endes ist das vergleichbar mit der Situation, wenn der Marktpreis die Produktionskosten unterschreitet wie bspw. bei Milch.

Noch einmal: der Arbeitsmarkt ist ein Markt wie jeder andere. Auf ihm gibt es Besonderheiten wie auf den meisten Märkte auch. Das ändert aber nichts daran, daß auf dem Arbeitsmarkt Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen und zu einem bestimmten Preis befriedigt werden.

Die existierenden und denkbaren staatlichen Markteingriffe sowie die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer können mit den traditionellen Methoden der Volkswirtschaftslehre beschrieben und analysiert werden.

Gruß
C.

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Ok, lassen wir die Weltanschauungen mal weg, dann bleibt die Frage offen:

Bildet dieses Modell die Wirklichkeit genau genug ab um sagen zu können, dass der Arbeitsmarkt damit beschrieben werden kann? Ich denke nicht, wie ein Vergleich Realität Modell zeigt:

Fakt ist: Wir haben Arbeitslosigkeit.

Damit befänden wir uns im Modell bei einem Angebotsüberschuss, somit müssten die Löhne sinken, erst unter den Gleichgewichtspreis und dann fortlaufend um ihn herum bzw. auf ihn zu und die Arbeitslosigkeit abnehmen bzw. am Ende ganz verschwunden sein. Deswegen dürfte es, wenn das Modell passen würde, auf Dauer keine Arbeitslosigkeit geben. Es gibt sie aber, und zwar nicht in Deutschland (wo es ja teilweise Mindestlöhne sowie ebenso nur noch teilweise Sozialversicherungen gibt), sondern beispielsweise auch im sehr liberalen Arbeitsmarkt in Amerika. Noch extremer gesagt: In keinem Dritte Welt Land mit 10 Cent Tageslohn dürfte es Arbeitslosigkeit geben. Aber auch auch dort gibt es sie.

Ergo passt das Modell nicht zur Realität.

Hauptkritikpunkte, dir mir spontan einfallen wären, dass die reine Fokussierung auf „Menge“ und „Preis“ beim Arbeitsmarkt nicht so extrem wie im Modell, welches nur diese kennt, zu Tragen kommen. Der höher qualifizierte Arbeitnehmer muss nicht nur oder vielleicht auch gar nicht preiswert sein, kein Unternehmern stellt immer den billigsten ein, er muss einfach passe, menschlich, von der Motivation und seinem Wesen, seiner Bildung etc. her. Auch bei unqualifizierten Arbeitnehmern bewirkt ein geringerer Lohn nicht zwangsweise ein erhöhtes Angebot an Stellen, wenn ein Fließbandlinie mit 100 Arbeitern habe, die mich 10€ pro Stunde kosten, plötzlich aber nur noch 5€ stelle ich nicht zwangsläufig weitere Arbeitnehmer ein, da evtl. das Fließband selbst zu teuer ist oder auch die Menge gar nicht verkauft werden kann.

Man kann den Arbeitsmarkt mit den beiden Nachfrage- und Angebotskurven darstellen, aber daraus abzuleiten, dass dann alles auf den idealen Gleichgewichtspreis hinstrebt stimmt auf dem Arbeitsmarkt einfach nicht, wie übrigens auch auf vielen, vielen anderen Märkten. Es ist einfach nur das einfachste zur Verfügung stehende Modell für einen idealen Markt, den es in der Realität nie gibt.

Meiner Meinung nach hat der Arbeits"markt" nur wenig, extrem
wenig mit einem vollkommenen Markt zu tun.

Von einem vollkommenen Markt ist auch nicht die Rede.

Alleine schon deswegen, weil wir schon seit den 70er / 80er
Jahren praktisch viel mehr Arbeitnehmer haben als wir dank
Automatisierung / Computerisierung eigentlich bräuchten.

Die Aussage kann man nun gar nicht stehen lassen. Hier wird so getan, als wäre die Anzahl der Arbeitsplätze eine Konstante. Menschen sind Arbeitskräfte und Menschen schaffen Arbeitsplätze. Die sind nicht einfach da. Es liegt nicht an der Automatisierung, sondern an der sinkenden Risikobereitschaft. Das liegt wohl eher an der Mentalität (Angst).

Ergo passt das Modell nicht zur Realität.

Das Modell passt schon zur Realität, wenn man sich vor Augen hält, wer eigentlich arbeitslos ist und was Arbeitslosigkeit eigentlich heißt bzw. wie sie definiert ist.

Heute zählen zu den Arbeitslosen ausschließlich die registrierten Arbeitslosen. In diesen sind jedoch auch Personen enthalten, die sich zwar arbeitslos melden aber trotzdem nicht arbeiten wollen (z.B. weil sie ein Vermögen haben, von dem sie leben können). Nicht dazu zählt die stille Reserve, die zwar arbeiten gehen wollen, sich aber nicht arbeitslos gemeldet haben.

Das es immer Arbeitslosigkeit geben wird, liegt an den verschieden Arten. Es gibt die
reallohnbedingte
wachstumsbedingte
strukturelle
saisonale
friktionelle
technologische
demografische Arbeitslosigkeit.

Die Begriffe sind selbsterklärend.

Die Höhe wird heute zwischen 4-5% angenommen, so dass bei diesem Wert von Vollbeschäftigung die Rede ist. Dass die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren gestiegen ist, liegt auch an der Tatsache, dass Teile der stillen Reserve auf den Markt gedrängt sind (Hausfrauen z.B.). Bei gleichbleibendem Erwerbspersonen sind so die registrierten Arbeitslose angestiegen.

Preisfrage: Ein Arbeitnehmer hat daheim eine angestellte Haushälterin. Wenn er diese heiratet, wie wirkt sich das auf die Arbeitslosenquote aus?

Daran ist erkennbar, dass die AL-Q schwer definierbar ist. Es existieren X Arbeitslose. Die Erwerbspersonen setzen sich zusammen aus Arbeitnehmer (abhängig Beschäftigten) EA, Selbständigen ES und registrierten AL . Die Quote ist definiert zu X/(EA + ES + AL). Heiratet der AN seine Haushaltshilfe, reduziert sich EA um eins und damit erhöht sich die AL-Q ohne das sich an der Gesamtsituation etwas geändert hat. Die Quote gibt somit allenfalls eine Tendenz an.

Damit befänden wir uns im Modell bei einem Angebotsüberschuss,
somit müssten die Löhne sinken, erst unter den
Gleichgewichtspreis und dann fortlaufend um ihn herum bzw. auf
ihn zu und die Arbeitslosigkeit abnehmen bzw. am Ende ganz
verschwunden sein. Deswegen dürfte es, wenn das Modell passen
würde, auf Dauer keine Arbeitslosigkeit geben.

Wenn aus dem Umstand, daß es ein Angebot gibt, dem keine Nachfrage gegenübersteht, geschlossen werden kann, daß es sich beim Arbeitsmarkt nicht um einen Markt im herkömmlichen Sinne handelt, folgt daraus, daß weder der Wochenmarkt noch die Börse Märkte im herkömmlichen Sinne sind, weil es bei denen sowohl Nachfrager gibt, deren Nachfrage nicht befriedigt wird, als auch Anbieter, die ihre Ware nicht loswerden.

Das kann also offensichtlich kein Kriterium für das Vorhandensein eines Marktes sein.

Die Frage war nicht ob es ein Markt ist, sondern ob es ein Markt wie jeder andere ist, den mal eben ganz einfach mit dem neoklassischen Preistheoriemodell beschreiben kann. Und wie gesagt stelle ich mir generell die Frage, ob dieses extrem einfache Modell neben ein paar Selbstverständlichkeiten überhaupt einen realen Markt zufriedenstellend beschreibt.

Die Frage war nicht ob es ein Markt ist, sondern ob es ein
Markt wie jeder andere ist, den mal eben ganz einfach mit dem
neoklassischen Preistheoriemodell beschreiben kann.

In der Frage steht das Wort neoklassisch nicht. Davon abgesehen, sind homo oeconomicus und vollkommener Markt ohnehin out; das ändert aber nichts daran, daß auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Bedingungen gelten wie auf jedem anderen Markt auch.

Im übrigen wurde meine Frage danach, was eigentlich genau die Frage ist, nicht beantwortet. Insofern hat es keinen Sinn, wenn wir darüber diskutieren, was eigentlich die Frage ist.

Herzlichen Dank für eure interessanten Beiträge