Ich (20 Jahre alt) denke schon seit Längerem intensiv über
mein Leben nach. … Ich stelle mir folgende Frage: Ist das Leben durch Gott vorherbestimmt? Wenn ja, warum
gibt es dann Leute, denen es psychisch total schlecht geht.
Ist das wirklich Gottes Wunsch? Dass jemand leiden muss?
Hallo Loreen!
Zunächst einmal kann ich Dich beruhigen: Das Leben ist nicht total vorherbestimmt, wir sind keine Marionetten, die an den Fäden Gottes hängen. Warum? Weil der Mensch zwar von Gott erschaffen, aber nicht sein Spielzeug ist.
Gott hat ihm von seinem eigenen Wesen etwas Göttliches mitgegeben, nämlich den freien Willen! Damit kann der Mensch grundsätzlich tun und lassen, was er will, wie Gott selbst. Er kann damit also in großer Freiheit über sich selbst und seinen Lebensweg entscheiden.
Allerdings gibt es für den Menschen Grenzen dieser Freiheit, und zwar da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Diese Grenzen sind in den Geboten Gottes abgesteckt. Gott erwartet vom Menschen, dass der sich um des Guten willen (des Guten für andere, für sich selbst, für seinen Schöpfer) an die Gebote hält. Gott nimmt aber auch eine andere Entscheidung in Kauf, sogar die, dass sich jemand gegen ihn entscheidet. Die Konsequenzen davon muss derjenige aber in voller Härte selbst tragen. Das beste Beispiel dafür sind Adam und Eva, d.h. die ersten Menschen.
Der Mensch entscheidet also durch seinen eigenen Willen über sein eigenes Leben. Manches erscheint darin zwar vorherbestimmt, ist aber in Wirklichkeit nur die Konsequenz seines eigenen Handelns. Da Gott allwissend ist, sieht er zwar das Leben des Menschen voraus, aber er bestimmt es nicht im Sinne einer Prädestination. Dann wäre unsere Freiheit dahin. Nimm das Beispiel der menschlichen Gene: Man bekommt sie, ohne gefragt zu werden. Sie entfalten ihre festgelegten Aktivitäten und bestimmen dadurch den Menschen mit, aber es kann, im Zusammenspiel der Gene, auch anders kommen, vor allem wenn der Mensch selbst eingreift (Genmanipulation!). Man muss also unterscheiden zwischen dem Plan Gottes für jeden Menschen und dem, was der Einzelne daraus macht. Dabei kann dieser sich sehr wohl irren, aber Gott lässt ihm, wie gesagt, die Freiheit.
Das andere Thema ist die Frage der Theodizee, d.h. warum lässt Gott etwas zu, was schlecht ist für den Menschen oder ihm sogar schadet, und greift nicht mit seiner Allmacht ein, um es zu verhindern?
Auf diese Fragen gibt es nur eine einzige Antwort, und die ist leider sehr unbequem. Es ist ja immer viel leichter, einen „Schuldigen“ zu finden, und wäre es Gott selbst. Die Antwort ist: Gott kann etwas nicht, was der Mensch kann, und das ist das Einzige: Gott kann nur gut sein und niemals böse. Er kann also auch für den Menschen nur Gutes wollen und niemals Böses. Sonst wäre er nicht Gott. Das Neue Testament ist voll davon.
Wenn dem Menschen also Böses widerfährt, dann hat nicht Gott die Schuld, sondern der Böse schlechthin, der Satan, der durch andere Menschen oder Dinge den Einzelnen seinerseits zum Tun des Bösen verführt (aktiv) oder ihn Böses leiden lässt. Das beste Beispiel ist wiederum das Geschehen im Paradies, wo die Menschen zunächst in vollkommener Gutheit, ohne Krankheit und Leid gelebt haben, wie Gott sie geschaffen hatte.
Durch den Aufstand gegen Gott und seine Gebote kam das Unheil in die Welt. Jesus hat uns durch seinen Tod davon erlöst (befreit), aber noch hat der Satan Macht über die Menschen und nutzt dies aus. Erst am Ende der Welt wird er endgültig besiegt, und dann wird es einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ geben ohne Not und Leid und Tod, sondern in ewiger Glückseligkeit und Gutheit.
Man muss sich also davor hüten, Gott in die Schuhe zu schieben, was sein Widersacher, der Satan, und der ihm freiwillig folgende abgeirrte Mensch zu verantworten haben.
Dass Gott dies zulässt, kann man ihm zwar vorwerfen, aber das sind nun einmal die Bedingungen, unter denen die gefallene Menschheit („Sündenfall“) leben muss. Und nicht Er hat diesen Zustand herbeigeführt, sondern der Mensch. Das Paradies gibt es nunmal auf der Erde nicht.
Trotzdem lässt Gott den Menschen nicht im Stich. Er hilft ihm durch den Glauben und die Sakramente, stark zu werden im Geist und im Willen zum Guten. Wir nennen das die Gnade Gottes. Sie wird jedem in dem Maß zuteil, wie er es braucht, um in dieser Welt den Weg zu Gott zu finden und zu gehen. Nöte, auch seelische, Krankheiten und andere Widerwärtigkeiten, die sich keiner wünscht, haben dabei in den Augen Gottes nur den Sinn, dem Menschen die Augen für Gott zu öffnen und ihn, notfalls eben durch Leiden, auf den rechten Weg zurückzubringen.
Sinn des Leidens ist also aus christlicher Sicht, wie Hiob oder Jesus zu lernen es anzunehmen und zu ertragen und dadurch Gott wieder nahezukommen. Es ist ein Weg der Bewährung und der Läuterung und eine große Chance. Wer sich in seinen Schmerz verbeißt und gar noch gegen Gott aufbegehrt, hat nichts begriffen und sucht nur einen Sündenbock, den er anklagen kann.
Auch im Leiden, sogar bis zur scheinbar trostlosen Verlassenheit und zum Tod, ist der unschuldige Gottessohn Jesus Christus uns das Vorbild, denn wir sollen werden wie er und ganz konkret seinem Beispiel in dieser Welt folgen. Dann wird aus dem vermeintlich Bösen das von Gott bewirkte Gute, aus der Niederlage der Sieg, aus der Schwäche eine Kraft. Das ist das ganze Geheimnis. Es erfordert allerdings Demut statt Hochmut, Hingabe statt Auflehnung und vor allem ein Umdenken des Menschen.
Ich hoffe, ich konnte Dir etwas helfen.
Gerd Hagedorn