Musikersprache
Hallo,
… immer so anstrengend…
Da hat meine Stellungnahme bei dir offensichtlich eine
vorhandene Kerbe getroffen.
Ich erinnere mich da sehr an meine Studienzeit, als es quasi zu einem Eingeständnis mangelnder musikalischer Bildung oder Erkenntnis gemacht wurde, wenn man zur Musik eines Komponisten ein Adjektiv fallen ließ.
Denn natürlich reicht ein Adjektiv nie aus. Natürlich hat jeder Komponist sehr verschiedenes geschrieben.
Wenn ich also beispielsw. meinte, dass mir Verdi von den Melodien her meist zu volkstümlich ist, kam schnell eine Gegenwehr a la „nein, Verdi ist sooo tiefgründig!“ Mit dem unausgesprochenen Zusatz: „du kennst ihn eben nicht genug./du begreifst ihn halt nicht.“ Implizierend (ähnlich wie du), dass meine Auffassung ein Missverständnis, ein Irrtum sei.
Es ist so ein bisschen Klassiker- und Klassikliebhaber-Sprache: anderen schnell die Urteilsfähigkeit abzusprechen, nur weil sie mit einem Adjektiv unzureichend charakterisieren. unzureichend ist jedoch erstmal einfach nur unzureichend, es muss aber trotzdem nicht falsch sein. Wagners Musik IST zum großen Teil pompös, oder zumindest ist Bombast das, was ihn in vielen Fällen auf den ersten Blick von anderen abhebt. Und ich glaube kaum, dass Wagner mit dieser Beschreibung ein Problem gehabt hätte. Der wollte doch selbst immer alles größer, höher, weiter. Wenn das bis heute auch so empfunden wird, ist doch toll. Ich würde selbst nie auf die Idee kommen, dass das Wort pompös irgendwie qualitätsschmälernd sein könnte.
Nur weil Wagner auch verhalten sein kann, ist es doch nicht falsch, dass er bombastisch ist. Klar ist es unzureichend, aber man kann doch auch nicht davon ausgehen, dass jeder das gesamte Oevre eines Komponisten kennt.
Und mit so Sätzen wie „dann kennst du’s eben nicht genug“ hält man den anderen auch eher davon ab, mehr von dem Komponisten zu entdecken. Wenn man hingegen sagen würde „ja stimmt, Wagner ist pompös, v.a. die bekannten Stücke gehen schon krass ab, aber wenn du auch auf ruhiges stehst, dann hör mal ins Siegfried-Idyll rein, ein Traum! Da geht die Sonne auf! Muss immer heulen bei dem Stück! Und stell dir vor, wie Wagner das für Cosima als Überraschung schrieb und dann paar Musiker ins heimische Foyer setzte, und sie kommt die Treppe runter und dann hört sie diese Musik!“
Da hab ich doch gleich die ganze Aufmerksamkeit meines Gegenübers. Mit „Irrtum“ und „Missverständnis“ hab ich dagegen gleich eine Abwehrhaltung.
Tut mir leid, dass ich jetzt grade bei dir so darauf herumreite, aber das scheint mir so eine grundsätzliche Eigenschaft der Klassiker und Klassikfans zu sein: sich gerne mal beschweren, dass andere leider nicht so interessiert an Klassik sind, und dann aber jedesmal, wenn sich ein Laie dann in Richtung Klassik bewegt, ihn gleich halb abzuwatschen. Entweder indem man darauf herumreitet, dass Oper kein Musical ist, oder indem ihm nicht mal kurze, prägnante Beschreibungen der Musik zukommen lässt, einfach nur, weil sie noch unzureichend sind.
Durch all das wird im Grunde gesagt: „ach, lass es doch, du blickst es eh nicht.“ Und das ist das, was viele Laien von der Klassik abschreckt. Das Gefühl, dass sie es eh nicht blicken werden.
Gruß, Judy
(Deine Verona-Aussage unterschreib ich ubrigens gerne:smile: