In den Comicorum Graecorum Sententiae steht auf Seite 12 die Überschrift: Tractatus Henr. Stephani de habendo delectu sententiarum, quae γνῶμαι a Graecis dicuntur.
Ich übersetze: „de habendo delectu sententiarum“ : „über eine vorliegende Auswahl der Sinnsprüche“. Es ist eine interpretierende Übersetzung. Liege ich damit richtig?
Vielen Dank für eine Antwort
saugnapf17
Sicherlich nicht.
Vor die Interpretation hat der Herr die Übersetzung gesetzt. Und die enthält kein Partizip „vorliegend“.
Der seltsame Ablativ in „delectu habere“ gehört zu einer Wendung (die ich allerdings nicht kenne). Man kann ihn nicht unter den Teppich kehren, indem man einen ganz anderen deutschen Satz bildet. Das „de“ bezieht sich auf den zunächst stehenden Ablativ, „über das … …“, anstelle von … … tritt eben jenes „delectu habere“, für das man halt ein gscheites Lexikon bräuchte (es könnte sogar sein, dass der Menge-Güthling meines Vaters bei mir in einem Karton im Keller steht, aber ich glaub eher nicht). Und dieses „delectu habere“ steht zu allem Überfluss noch mit Genitiv. Eigenartiges Geschöpf, das.
Aber wie gesagt: Man kann diese Wendung nicht umschiffen, indem man den Satz ändert.
Umgekehrt herum, passiv, heißt „delectus habetur“ übrigens „man hat Vergnügen (an etwas)“. Also an der „Auswahl“ täte ich micht nicht allzu sehr festklammern, vgl. das Verb delectare.
Schöne Grüße
MM
Hallo, Manfred!
Meine „Interpretation“ war eine Verzweiflungstat. Mir schien sie im Kontext als die logischste. In der Literatur, die mir über das Internet zugänglich ist, wird diese Wendung nirgends gebraucht. Bist Du dir sicher, dass H. Stephanus in der lat. Grammatik sattelfest war?
Ich habe Zweifel. Für Deine freundliche Antwort wie immer herzlichen Dank ! Sollte ich wider Erwarten etwas finden, melde ich mich.
Manfred
Hallo Manfred,
grammatische Schwächen täte ich dem Heinrich Stephan nicht gleich unterstellen, aber ich fände es interessant, ob im Original das -u in „delectu“ mit einem Nasalstrich versehen ist und das Wörtlein ausgeschrieben schlicht „delectum“ hieße.
Dann wäre die Überschrift nicht sehr schwer zu entschlüsseln: „Wie man sich an den Sinnsprüchen ergötzt, die von den Griechen Gnomai genannt werden“
Schöne Grüße
MM
Hallo MM,
Nein, es steht schon so da, wie im UP zitiert: De habendo delectu sententiarum …"
Aber: Warum soll sich „de“ nicht auf delectus beziehen, wobei habendo nicht Gerundium, sondern Gerundivum, also Adjektiv zu delectus ist? Also wortwörtlich „über die zu habende Auswahl …“.
Gruß
Metapher
(versehendlich zu früh abgeschickt)
„über die zu habende Auswahl …“ mit der Bedeutung „über die zu treffende Auswahl …“. Wobei delectus im hiesigen Kontext jedenfalls nichts anderes als „Auswahl“ heißen kann (und im Weiteren ja auch so verwendet wird).
Ja, recht hast Du: Warum denn eigentlich nicht?
Ich glaube, das ist eine pur subjektive Abweichung und hat damit zu tun, dass ich mich bereits früh darauf festgelegt habe, dass Gerundiva neben den Gerundia aus meiner Sicht keine rechte Daseinsberechtigung haben - das war im Alter von ungefähr einem Jahr, als ich meinen Vater aufforderte, mir das Lied „Vale Universitas“ zu singen - mit den Worten „Ando! Ando!“ Er hat damals sofort verstanden, was ich von ihm wollte, und mich also in meiner auf Gerundia beschränkten Sicht der Dinge bestätigt.
Aber ein richtiger Grund ist das im Grund keiner, und die Bedeutung des Titels aufs Ersprießlichste geklärt.
Schöne Grüße
MM
Hallo, Metapher,
ich halte die Lösung mit Gerundivum für optimal und übernehme das jetzt so. Ich hatte mich leider auf ein Gerundium versteift und mir damit selbst einen Lösungsweg verbaut. Danke für die Erleuchtung!!
Saugnapf17