Ich unterstelle dies nicht pauschal, sondern habe durchaus Verständnis für einen massiven Konflikt, in dem viele potentielle Eltern in so einer Situation stehen, in der man sie mit digitalen Aussagen konfrontiert, und von ihnen digitale Antworten erwartet. Daher ist es mir so wichtig diese digitalen Aussagen zu hinterfragen und aufzuzeigen, dass hinter dem einzelnen Gendefekt eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten existiert. Dies mag den ein oder die andere vielleicht zum Nachdenken bringen und in der Entscheidung unterstützen.
Andererseits finde ich gerade dein 1. Argument mit dem dann nicht mehr abbezahlbaren Haus einfach nur zynisch und tatsächlich massiv egoistisch. Wie schrecklich ist doch das Schicksal in Deutschland als Mieter leben zu müssen? Was ist da schon ein Menschenleben im Vergleich dazu? Muss/darf man da wirklich solche Prioritäten setzen? Ich erlebe reihum wie viele Immobilienträume aufgrund von Trennungen aus mehr oder weniger gewichtigen Gründen, Arbeitslosigkeit, Krankheit, … platzen, und sehe gerade nebenan, wie die Ex des Hauses für den tolleren Typ bereitwillig das Haus mit Garten und tollem Spielplatz für die Kinder dran gegeben hat, um mit dem neuen Typen, der ebenso bereitwillig Familie und Haus aufgegeben hat, nun in einer Mietwohnung das große Glück zu suchen. Aber für ein behindertes Kind kann man so ein Opfer nicht aufbringen?
Wie groß darf denn der finanzielle Impact eines Kindes sein, dass es „akzeptabel“ ist? Wenn es unbedingt das Wohneigentum sein muss, dann vielleicht auch der Sportwagen oder der jährliche Luxusurlaub?
Und was die älteren Geschwister angeht: Bei uns war es nicht das Geschwisterkind, sondern die pflegebedürftige Oma im Haus. Bei meiner Frau der frühe Verlust des Vaters, der sie in die Elternrolle gegenüber den klein Geschwistern zwang. Als wir uns trafen kam pünktlich die Demenz und dann der Krebs der Mutter dazu. Ja, da hätte ich es mir leicht machen können, und mir eine Frau suchen können, die nicht durch die kranke Mutter zunehmend gebunden ist. Da hätte ich es mir auch sparen können, täglich mit einer nicht mehr einsichtsfähigen Dementen zu kämpfen um sie zur Bestrahlung ins Krankenhaus bringen zu können. Aber ich habe festgestellt, dass wir daran gewachsen sind. Und das in solchen Belastungen auch viel Gutes liegt, was das Leben positiv beeinflussen kann.
Als späte Eltern sind wir bewusst das Risiko einer Trisomie 21 oder anderer Erbkrankheiten eingegangen. Ist gut gegangen. Dafür dann eine dramatische Geburt, die zum Glück ohne weitere Folgen blieb. Bei einem Verwandten ist dies nicht ganz so gut verlaufen. Aus den beiden Geschwistern sind Sonderpädagogen geworden, die dafür gesorgt haben, dass der Bruder Schulabschluss, Führerschein und einen festen Job als Bürobote in einer Behörde erreichen konnte. Ja, offensichtlich hat sie das Zusammenleben mit einem behinderten Bruder geprägt, positiv!
Ich finde es schade, dass sich in Kindergarten und Schule für meine Kinder noch keine Gelegenheit ergeben hat, mit geistig behinderten Kindern zusammen zu treffen. Und die Aussichten dafür werden angesichts aktueller Entwicklungen auch immer schlechter. Aber wir „muten ihnen zu“, oft mit meiner Frau in deren Einrichtungen zu fahren, und sich dort einzubringen, wo Menschen an ihrem Lebensende stehen, vielfach dement oder körperlich massiv geschwächt und sichtbar schwer krank sind. Wir „muten ihnen zu“, zum Sommerfest mit ins Hospiz zu kommen, und beschönigen da nichts. Und wie „muten ihnen zu“, dass all diese Dinge bei uns auch Tagesgespräch sind. All dies prägt sie. Ich sehe, dass sie soziale Kompetenz und Verantwortungsgefühl entwickeln, den Wert des Lebens schätzen, begreifen, dass das Leben nicht immer Ponyschlecken ist, und das man trotzdem ein fröhlicher Mensch sein kann.