Ist es einfach, eine Autokratie aufzubauen?

Hallo,
das ist jetzt eine etwas diffuse Frage, die vermutlich in die Richtung geht: „Was ist stabiler: Demokratie oder Autokratie?“

Wenn ich so gucke wie Demokratien immer wieder hart kämpfen, dass sie Demokratien bleiben, aber Politiker es erstaunlich oft schaffen, urpsprünglich (mehr oder weniger) demokratische Strukturen erfolgreich zu untergraben, kommt die Frage auf, ob das eigentlich so einfach ist?
Woher wissen die eigentlich wie man das macht? Gibt es ein Handbuch? Ruft Erdogan bei Khamenei an und holt sich Tips worauf man achten muss? In der Türkei habe ich mich damals gewundert, warum keiner versucht die Entwicklung aufzuhalten solange es noch geht.

In Polen haben wir hoffentlich vor kurzem den Anfang des Endes eines solchen Versuches gesehen, aber, sofern ich das nicht verzerrt wahrnehme, eher eine Ausnahme. Ab und an stolpern sie wie in Bolivien oder Ägypten… demokratischer wird so ein Land dadurch aber leider auch nicht.

Würde mich freuen, wenn jemand seine Gedanken teilen würde, weshalb das augenscheinlich so „einfach“ geht. Gerne auch mit dem Hinweis, was man daraus ableiten kann wie man es verhindert.
Ciao,
Malte

ps: liebe Moderatoren: Ich habe da keine Pläne für mich selbst, noch rufe ich hier auf auszuprobieren eine Demokratie abzuschaffen. :slight_smile:

Um es kurz mit dem Youtuber Torsten Heinrich frei zu zitieren (aus einem der LiveStreams oder den Clips): „… So zynisch es klingt, aber wenn die nordkoreanische Bevölkerung aufbegehrt, ist das Regime von Kim Jong-Un am Ende…“ Effektiv braucht aber jede Regierungsform eine gewisse Menge an Leuten die durch ihr (Nichts)Tun die Zustände aufrecht erhalten.

Das ist eine sehr komplexe Fragestellung. Und da es Demokratien im modernen Sinne noch nicht so lange gibt, weiß man auch nur teilweise, unter welchen Bedingungen sich wo welche Staatsform wann durchsetzt.

Moderne Demokratien existieren dann, wenn die Macht gut verteilt ist und die einzelnen Organe sich gegenseitig kontrollieren.

Eigentlich hat das Leben in einer Demokratie für den einzelnen große Vorteile (Sicherheit, Gerechtigkeit, das Eingehen auf Bedürfnisse verschiedener Gruppen).
Unbeliebt sind Demokratien, weil Entscheidungsfindungen oft kompliziert sind und Organe sich leicht gegenseitig blockieren.

Schlichte Menschen stellen sich dann schnell vor, in einer Autokratie würden wichtige Entscheidungen schneller und besser getroffen. Sie übersehen, dass unbeschränkte Machthaber natürlich nur das entscheiden, was für sie selber gut ist. Leider kann man Autokratie nicht mal eben ausprobieren, um dann mehrheitlich festzustellen, wie verheerend das ist und sich gemeinsam wieder für Demokratie zu entscheiden.
Wobei Autokratien durch ihre eindimensionale Ideologie (gut - böse) für schlichte Menschen sehr viel klarer ubd sicherer erscheinen als die Komplexität von Demokratien.

Werden Autokratien (tatsächlich oder scheinbar) von außen bedroht, gelingt es Autokraten schnell, schlichten Menschen einzureden, man sei gemeinsam auf einer Seite (siehe Russland).

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Danke für die Antwort. Ist interessant Deinen Text zu lesen. Kann ich alles gut nachvollziehen. Aber mein Fokus war wieso es augenscheinlich so einfach ist, dann gleich die Staatsform zu untergraben, die ja nun auch ganz viele Mechanismen hat um zu verhindern, dass eben genau das passiert. Aus Deinem Text kann ich vielleicht etwas rauslesen wie man sich „schlichte Menschen“ zunutze machen kann. Aber warum Institutionen und weniger schlichte Gemüter im Angesicht einer Gefahr für die ganze Staatsform nicht gegensteuern können, ist quasi die Frage und… kann man bei der Unterwanderung gar keine Fehler machen, so einfach ist das? Ich meine so viele Leute wissen, was so ein möchtegern-diktator versuchst und wollen ihn aufhalten und keiner schafft es? Alle Warnmechanismen sollten aktiviert sein, aber… man kann ohne echte Gegenwehr die Medien übernehmen, Parteimitglieder überall platzieren?

Vielleicht einen Aspekt meiner konfusen Frage auf den Punkt gebracht: Ist das eine Frage der Verfassung oder mehr wie gut die Menschen Demokratie geübt haben wie leicht man das System übernehmen kann?

Gruß,
Malte

Oder das, was sie meinen, das gut fürs Volk ist. So mancher Autokrat und Diktator hat ja wirklich an das geglaubt, was er da veranstaltet hat. Hitler, Mao, Castro, Khomeini und viele andere glaubten ja an die Sache und waren gar nicht primär auf ihren individuellen Vorteil aus.

Blöd ist halt in dem Kontext, dass Autokraten dazu neigen, quasi qua Funktion recht zu haben zu meinen und nicht etwa Leute zu befragen, die mehr Ahnung von Details und bestimmten Fachgebieten haben als sie selbst. Das führt dann in der Regel dazu, dass ganz viele unkluge Entscheidungen getroffen werden, die „der Sache“ nicht dienen. Siehe auch: Einmischung Hitlers in die Kriegsführung in Russland.

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Denk nicht so eindimensional! Historische, soziologische Fragen kann man nicht mit entweder/ oder beantworten. Es gibt immer eine Kombination verschiedener Ursachen.
Die Frage ist, ob deine Prämisse eigentlich richtig ist: Demokratien sind leicht zu zerstören. Trotz bedrohlicher Entwicklungen sind ja bisher (!) weder die USA, noch Polen, noch Österreich, noch Deutschland noch Frankreich Autokratien geworden. Russland ist in der Demokratie bisher nie angekommen.

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Servus,

weder-noch.

Die Weimarer Verfassung vom 14.08.1919 war diejenige, die bisher in D dem demokratischen und freiheitlichen bürgerlichen Ideal am nächsten kam, und der Michel hatte immerhin seit dem Jahr 945 (Gründung der Frankfurter Fischer- und Schiffer-Bruderschaft) Zeit gehabt, „Demokratie zu üben“, was auch immer man darunter verstehen soll.

Das „System“ (in diesem Zusammenhang beiläufig ein Begriff aus der NS-Propaganda) konnte (neben anderen Einflüssen) von der NSDAP so leicht „übernommen“ werden, weil diese eine so breite Unterstützung in der Bevölkerung genoss und weil sie von Deutschnationalen, Zentrum und anderen Antikommunisten aus dem konservativen Lager nicht besonders ernst genommen wurde.

Schöne Grüße
´
MM

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Das ist auch der Grund, wieso angehende Autokraten als erstes immer die Justiz umbauen.

Wie Erdogan die Justiz umbaut

Ist die Justiz aus dem Weg, kann man damit anfangen, die Gesetze zu verändern, wobei ein besonderes Augenmerk auf den Wahlgesetzen liegt. Ein schönes Beispiel dafür war auch die Regierung Trump. Der hatte das Glück, gleich drei Höchstrichter ernennen zu dürfen und hat dabei stramm rechte Kandidaten genommen, wodurch die Konservativen jetzt 6:3 führen. Das bekannteste Ergebnis war die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung, aber es gab noch viel mehr Urteile, die alle entlang der Parteilinie getroffen wurden. In den Bundesstaaten passiert genau das Gleiche und dort versucht die GOP mittels Gerrymandering, das Optimum aus ihren Wählerstimmen herauszuholen. Das sieht dann so aus:

Hier ging es 2018 um insgesamt 37 Sitze im Repräsentantenhaus und eigentlich hätte die Verteilung annähernd gleich sein müssen. Tatsächlich habe die Republikaner 27 Sitze gewonnen, also 73% und somit eine Differenz von 10 Sitzen. Im aktuellen Repräsentantenhaus hat die GOP eine Mehrheit von 9 Sitzen und kann somit erfolgreich Gesetze blockieren.

Natürlich klagen die Demokraten gegen diese Praxis, nur geht das dann halt so aus, wie eben in Ohio:

Vier der sieben Höchstrichter sind konservativ und stimmten hier brav nach Parteilinie.

Wer die Justiz kontrolliert, kontrolliert die Gesetze und kann dann machen, was er will, selbst wenn seine Partei keine absolute Mehrheit hat. Sollte Trump am 5. November gewinnen, können wir dann auch in Echtzeit miterleben, wie einfach es ist, eine Autokratie aufzubauen.

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Wobei er - von deutschen Medien nur sehr sparsam berichtet - schon in seiner ersten Amtszeit in der Justiz deutliche „Akzente“ gesetzt hat:
USA: Mit seinen Ernennungen prägt Trump die Justiz für Jahrzehnte (nzz.ch)

Richtig, und auch wenn die Höchstrichter natürlich einen besonderen Stellenwert haben, sind auch die Ernennungen in den niedrigeren Gerichten von großer Bedeutung.

Oben habe ich geschrieben, dass Trump Glück mit den Ernennungen hatte. Tatsächlich war es ja so, dass zunächst noch der republikanische Senat unter Obama die Nachfolge von Scalia gut ein Jahr lang blockierte. Das gab es bis dahin in der US Geschichte noch nie, auch wenn keine Gesetze direkt gebrochen wurde. Das Argument war, dass man im letzten Jahr der Präsidentschaft (Scalia starb am 13. Februar - also neun Monate vor der Wahl) keine so wichtige Entscheidung mehr treffen will und der nächste Präsident dann mit dem Willen der Wähler diese Entscheidung treffen soll.
Als dann die liberale Ginsburg Mitte September (also 1,5 Monate vor der Wahl) starb, war das plötzlich kein Problem mehr und Barrett wurde fünf Tage vor der Wahl ernannt.

Das Problem ist, dass in Demokratien nicht unbedingt alles im Detail in Gesetzen festgehalten wird. Da gibt es bestimmte Normen und unausgesprochene Regeln, an die man sich aus Prinzip hält. Die sind aber halt auch wichtig und wenn jemand auf die Prinzipien pfeift, kann das ebenfalls Konsequenzen haben.

Und selbst das, was in Demokratien in Regeln, Gesetzen und Verträgen festgehalten wird, muss man ja nicht zwingend einhalten. Selbst eine der obersten Dogmen unserer westlichen Ordnung, der Artikel 5 des NATO-Vertrages („Beistandsverpflichtung“) ist ja letztlich darauf angewiesen, dass die Parlamente entsprechende Beschlüsse fassen. In den USA sieht man derzeit ja sehr schön, wie die Parlamente für Machtpolitik missbraucht werden.

Auch wir erleben gerade, dass einige wenige Vertreter einer Splitterpartei mit Regierungsverantwortung einen ganzen Kontinent in Verzweiflung stürzen können. Wie wird die Sache wohl ausgehen, wenn Trump als Präsident der USA noch mehr Einfluss ausüben kann als bisher. Wie ich darauf komme:

The former president has voiced misgivings about aid to Ukraine as it defends itself from the invasion launched by Russia in February 2022 – as well as to the existence of Nato, the 31-nation alliance which the US has committed to defending when necessary.

On Saturday, Trump claimed that during an unspecified Nato meeting he told a fellow head of state that the US under his leadership would not defend any countries who were “delinquent”.

“One of the presidents of a big country stood up and said, ‘Well, sir, if we don’t pay, and we’re attacked by Russia, will you protect us?’” Trump said, adding “I said, ‘You didn’t pay, you’re delinquent?’”
Donald Trump says he would encourage Russia to attack Nato allies who pay too little | Donald Trump | The Guardian

Automatische Übersetzung des Textes:
Der ehemalige Präsident hat Bedenken hinsichtlich der Hilfe für die Ukraine geäußert, die sich gegen die von Russland im Februar 2022 begonnene Invasion verteidigt – sowie gegen die Existenz der Nato, des Bündnisses aus 31 Nationen, das die USA bei Bedarf verteidigen wollen.

Am Samstag behauptete Trump, er habe während eines nicht näher bezeichneten Nato-Treffens einem anderen Staatsoberhaupt gesagt, dass die USA unter seiner Führung keine Länder verteidigen würden, die „straffällig“ seien.

„Einer der Präsidenten eines großen Landes stand auf und sagte: ‚Nun, Sir, wenn wir nicht zahlen und wir von Russland angegriffen werden, werden Sie uns dann schützen?‘“ Trump sagte und fügte hinzu: „Ich sagte: ‚Sie haben nicht bezahlt, Sie sind säumig?‘“