Grüß Dich.
Ich kann mich bisweilen nur wundern.
Deutschland scheint wohl auf einem fernen Planeten zu liegen, daß sinnvolle, tragfähige Methoden der Zensierung ausgerechnet hier immer nie funktionierten und alles so ungerecht sei.
Komisch, daß das zu meiner Schulzeit perfekt funktioniert hat.
Wenn ich jetzt, viel, viel später, das Worturteil auf den Zeugnissen lese, läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Es ist unglaublich, wie genau der Schüler in seinen Leistungen, in seiner Psychologie und in seinem Verhalten eingeschätzt worden ist.
Das geschah zudem in verständlicher Sprache, die den Eltern ungeschönt mitteilte, wie sich das Kind benommmen hat. Überzogene erziehungswissenschaftliche Traktate Fehlanzeige.
Ist der Lehrer eigentlich berechtigt, so oberflächlich über einen Schüler zu urteilen?
Wo ist das oberflächlich?
Normalerweise führt ein Lehrer ein privates Buch, in das alle Zensuren und die Beobachtungen zu den Schülern eingetragen werden, und zwar ständig, ausführlich und detailliert. So kenne ich das zumindest.
Des weiteren werden die entsprechenden Zensuren in einer Lehrerkonferenz unter Federführung des Klassenlehrers erteilt, unterliegen demnach weiteren objektivierenden Einflüssen.
Irgendwie scheinst Du keine Richtschnur zu kennen, was der Lehrer in die Zensuren Mitarbeit, Fleiß, Ordnung und Betragen einfließen läßt.
Ich gebe Dir eine Zitation als Idee.
"[…] Es sind zu bewerten:
a) wie sich der Schüler gegenüber Lehrern, Mitschülern, dem Direktor und anderen Personen in der Unterrichtszeit, in den Pausen und in der den außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften und Interessenszirkeln des ganztägigen Bildungs- und Erziehungsprozesses verhält und welche Stellung er im Kollektiv der Klasse einnimmt;
wie der Schüler die Anordnungen des Lehrers befolgt und sich in die Klassengemeinschaft einordnet;
b) welche Anstrengungen der Schüler macht, die ihm von der Schule gestellten Aufgaben zu erüllen;
c) welchen Anteil der Schüler an der gemeinschaftlichen Arbeit im Unterricht hat und in welchem Maße er zur Lösung aller weiteren schulischen und außerschulischen Aufgaben beiträgt;
d) wie der Schüler seinen Körper pflegt und auf Sauberkeit und Ordnung seiner Kleidung achtet; wie er die Arbeitsmittel behandelt und wie er mit dem gesellschaftlichen Eigentum. dem Eigentum seiner Mitschüler und dem Eigentum anderer Menschen umgeht; ob er im Unterricht, bei schulischen Veranstaltungen und bei den außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften und Interessenszirkeln des ganztägigen Bildungs- und Erziehungsprozesses pünktlich ist.
[…]
Die Zensuren für Betragen, Ordnung, Fleiß und Mitarbeit werden in fünf Stufen erteilt: 1 - sehr gut; 2 - gut; 3 - genügend; 4 - mangelhaft; 5 - ungenügend.
[…]
Bei der Anwendung der Bewertungsrichtlinien ist immer von dem Alter der Schüler und ihrem geistigen Reifegrad auszugehen. Dieser Grundsatz ist unbedingt zu beachten, da durch eine schematische Anwendung der Bewertungsrichtlinien die objektive Einschätzung des Gesamtverhaltens der Schüler gefährdet ist.
- Betragen
Unter Betragen is zu verstehen, wie sich der Schüler Lehrern, Mitschülern, dem Direktor und anderen Menschen gegenüber verhält und welche Stellung er im Kollektiv der Klasse einnimmt.
Sehr gut
Das Betragen des Schülers ist beispielgebend für seine Mitschüler. Der Schüler erfüllt nicht nur selbst die Forderungen, die sich für ihn aus seiner Zugehörigkeit zum Klassenkollektiv ergeben, sondern wirkt auch fördernd auf das Gesamtverhalten seiner Mitschüler. Der Schüler verhält sich gegenüber Lehrern, Mitschülern, dem Direktor und anderen Menschen jederzeit diszipliniert, respektvoll und höflich.
Der Schüler grüßt stets aufmerksam und höflich alle Lehrer, den Direktor, die Erzieher und andere ihm übergeordnete Autoritäten während des Schultages.
Gut
Der Schüler zeigt in seinem Betragen keine Mängel.
Er beweist bereits Ansätze zu einem fördernden Einfluß auf das Verhalten seiner Mitschüler. Der Schüler verhält sich seinen Lehrern, Mitschülern und anderen Personen gegenüber diszipliniert, grüßt höflich und gibt nur selten zu geringfügigen Beanstandungen Anlaß.
Genügend
Der Schüler ist in seinem Betragen unbeständig.
Er wirkt nicht fördernd auf das Verhalten seiner Mitschüler ein. Der Schüler verhält sich seinen Lehrern, Mitschülern und anderen Personen gegenüber nicht immer diszipliniert und mußte deswegen den Autoritäten der Schule mehrfach zurechtgewiesen und gelegentlich bestraft werden. Der Schüler vergißt hier und da das respektvolle Grüßen der Lehrer, des Direktors und anderer und war dafür erzieherisch zu tadeln.
Mangelhaft
Der Schüler weist in seinem Betragen wesentliche Schwächen auf.
Er übt durch sein zuweilen vorlautes, streitsüchtiges oder an Hilfsbereitschaft mangelndem Verhalten negativen Einfluß aus seine Mitschüler aus. Der Schüler verhält sich seinen Lehrern, Mitschülern und anderen Personen gegenüber wiederholt undiszipliniert. Der Schüler mußte deswegen häufig zurechtgewiesen und mehrfach bestraft werden. Der Schüler unterläßt es mehrmals am Tag, die Lehrer, den Direktor, die Erzieher oder andere zu grüßen und war dafür wiederholt hart zu tadeln.
Ungenügend
Das Betragen des Schülers ist durch ständiges Verstoßen gegen die ihn erhobenen Forderungen gekennzeichnet. Dem Schüler mangelt es an geistigem Potential und Einsicht, sein Fehlverhalten einzusehen und zu unterlassen. Er widersetzt sich den gesellschaftlichen Normen und stellt sich damit außerhalb des Kollektivs.
Dem Schüler ist mit der Nichtversetzung Gelegenheit zu geben, sich charakterlich zu bessern.
- Ordnung
Unter Ordnung wird bewertet, wie der Schüler seinen Körper pflegt, und auf Angemessenheit, Sauberkeit und Ordnung seiner Kleidung achtet; wie er seine Arbeitsmittel behandelt; wie er mit dem gesellschaftlichen Eigentum, dem Eigentum seiner Mitschüler und dem Eigentum anderer Menschen umgeht; ob er den im Unterricht, in den außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften und Interessenszirkeln und bei anderen schulischen und außerschulischen Veranstaltungen pünktlich ist.
Sehr gut
Der Schüler hält sich selbst und seine Kleidung stets sauber. Er ist bei sämtlichen Verpflichtungen des schulischen, außerschulischen und gesellschaftlichen Lebens und Veranstaltungen der Einheitsschule immer pünktlich. Er geht sorgfältig mit seinen Arbeitsmitteln um und behandelt das gesellschaftliche Eigentum, das Eigentum seiner Mitschüler und das anderer Menschen stets sorgsam und wirkt in diesem Sinne auf auf seine Mitschüler ein.
Gut
Der Schüler ist bemüht, seinen Körper und seine Kleidung sauberzuhalten, mit seinen Arbeitsmitteln, dem gesellschaftlichen Eigentum, dem Eigentum seiner Mitschüler und dem anderer Menschen sorgfältig umzugehen und allen Verpflichtungen des gesellschaftlichen Lebens und der Schule tadellos und pünktlich nachzukommen.
Genügend
Der Schüler läßt in der Pflege seines Körpers und seiner Kleidung die nötige Sauberkeit vermissen. Die Auswahl seiner Kleidung zeugt nicht immer von Angemessenheit oder Respekt gegenüber der Schule, seinen Mitschülern und seinen Lehrern. Der Schüler ist nicht in der Lage, im Umgang mit seinen Arbeitsmitteln, dem gesellschaftlichen Eigentum und dem Eigentum seiner Mitschüler die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen. Er ist nicht immer pünktlich.
Mangelhaft
Der Schüler ist oft unsauber und unpünktlich. Im Umgang mit seinen Arbeitsmitteln, mit dem gesellschaftlichen Eigentum, dem Eigentum der Mitschüler und dem anderer Menschen zeigt er kaum Sorgfalt. Der Schüler muß häufiger ermahnt und erzieherisch bestraft und getadelt werden, um ihm die geforderten Normen in der individuellen und gemeinschaftlichen Ordnung bewußtzumachen.
Ungenügend
Der Schüler ist laufend unpünktlich, unsauber und unsorgfältig. Er läßt sich im Umgang mit dem gesellschaftlichen Eigentum, dem Eigentum der Mitschüler und dem Eigentum anderer Menschen schwere Verstöße zuschulden kommen. Der Schüler handelt asozial und läßt fehlendes Verständnis für die Notwendigkeit von Ordnung erkennen. Mit der Nichtversetzung ist Gelegenheit auf Besserung zu geben.
- Fleiß und Mitarbeit
Unter Fleiß und Mitarbeit werden die Anstrengungen bewertet, die der Schüler bei der Erfüllung der ihm von der Schule gestellten Aufgaben aufwendet; das bezieht sich auf den Anteil an der gemeinsamen Arbeit im Unterricht und den Anteil an der Lösung weiterer schulischer und außerschulischer Aufgaben. Seine Hilfsbereitschaft, seine Motivation und die Erfüllung von Zusatzaufträgen im Unterricht und in den außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften und Interessenszirkeln sowie sein Tatendrang zum Gelingen außerschulischer und gesellschaftlicher Veranstaltungen sind umfassend zu berücksichtigen. Seine Einsatzbereitschaft für das Kollektiv der Klasse und schwächere Mitschüler ist zu würdigen. Besonderes Augenmerk gilt der Erledigung der Hausaufgaben (Schularbeiten).
Sehr gut
Der Schüler erfüllt die ihm übertragenen Aufgaben immer gewissenschaft, zuverlässig und mit hoher Wertschätzung der äußeren Form. Er ist an der Erfüllung gemeinsamer schulischer und außerschulischer Aufgaben entscheidend beteiligt und regt seine Mitschüler zu aktiver Mitarbeit an. Der Schüler bringt sich stets voller Tatendrang in Aufträge und Veranstaltungen ein und zeigt jederzeit ein hohes instrinsisches Maß an Hilfsbereitschaft für seine Mitschüler. Seine Resultate und sein Bestreben bei der Erledigung der Hausaufgaben und Zusatzaufträgen verdient Lob.
Gut
Der Schüler ist bestrebt, die ihm gesellten Aufgaben immer gewissenhaft und zuverlässig zu erfüllen. Er beteiligt sich rege an der Lösung gemeinsamer schulischer und außerschulischen Aufgaben. Seine Hausaufgaben erledigt der Schüler vorbildhaft. Der Schüler zeigt sich hilfsbereit seinen Mitschülern gegenüber.
Genügend
Der Schüler ist bisweilen nachlässig bei der Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben. Er nimmt an der Lösung schulischer und außerschulischer Aufgaben teil. Der Schüler vergißt selten im Schuljahr seine Hausaufgaben. Der Schüler nimmt außerdem keine hervorragende Stellung bei der Erfüllung von Zusatzaufträgen oder dem Gelingen von Veranstaltungen im Kollektiv der Klasse ein. Er ist nicht immer in der Lage oder gewillt, seinen Mitschülern gegenüber hilfsbereit aufzutreten.
Mangelhaft
Der Schüler ist häufig nachlässig und unzuverlässig in der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben. Er nimmt an gemeinsamen schulischen und außerschulischen Arbeiten und Veranstaltungen nur geringen Anteil. Dem Schüler mangelt es wiederholt an Engagement und Einsatz sowie Hilfsbereitschaft für seine Mitschüler und das Kollektiv der Klasse. Seine Hausaufgaben vergißt der Schüler bisweilen.
Ungenügend
Der Schüler ist in der Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben ständig nachlässig und unzuverlässig. Seine Resultate sind oft von minderwertiger Qualität. Gemeinsamen schulischen und außerschulischen Aufgaben gegenüber verhält er sich gleichgültig. Ihm fehlt jedes Mindestmaß an Tatendrang und es mangelt ihm fortlaufend an Engagement. Der Schüler vergißt mehrmals im Schuljahr in verschiedenen Fächern seine Hausaufaben und zeigt sich außerstande, seinen Mitschülern hilfsbereit zu begegnen. Mit der Nichtversetzung ist Gelegenheit auf Besserung zu geben.
[…]"
(1.9.1956)
Viele Grüße