Ist Nietzsche Philosoph (und desweiteren Nationalsozialismus)

Hallo Philosophiefreunde
habe mal eine Anfängerfrage (kenne mich leider in Philosophie überhaupt nicht aus wie mein unvorteilhaft gewählter Nickname das suggeriert).

Hatte gestern ein Sylvestergespräch ob Nietzsche nun tatsächlich ein Philosoph war wie es vielerseits behauptet wird. Freund sagte eben, daß sein Wirken auf den Nationalsozialismus sehr groß war. Nach Überfliegen des spzezielleren Wikipediaartikel habe ich eigenlich nicht den Eindruck, daß überhaupt irgendein Wirken diesbezüglich vorhanden war.
Dazu habe ich folgenden Artikel überflogen:http://de.wikipedia.org/wiki/Nietzsche-Rezeption_im_…

Nun möchte ich telegrammäßig mal folgendes fragen. 1. Ist Nietzsche überhaupt Philosoph oder sollte man so besser NICHT bezeichnen ? 2. Gibt es überhaupt Kernaussagen bei Nietzsche auf die er sich etwas reduzieren läßt ? 3. Wie ist der Bezug der Nationalsozialisten zu Nietzsche ?

Zu eins; Hat sich denn Nietzsche nicht auch selber nur als Philologe gesehen ? Ist er nicht eher humanistisch gebildeter Schriftsteller (bestenfalls wie Schiller) mit etwas musikalischer Begabung ? Oder soll er tatsächlich Philosoph gewesen sein ? Er hatte doch weder Studium in Philosophie noch einen entsprechenden Lehrstuhl wie klassische Philosophen (Leibnitz, Descartes, Poincaré).
Zu zweitens: Hatten die Schriften Nietzsches denn irgendeinen zumindest geringen Einfluß auf den Lauf der Weltgeschichte (wie z.B. vergleichbar der Marxismus in der Arbeiterbewegung). Taugt denn Nietsche irgendwie zur Rechtfertigung des Nationalsozialismus (befürwortet er z.B. den Sozialdarwinismus oder kann man aus ihm irgendwie ein Herrenrassenanspruch ableiten (sowas wäre ja das eheste was man als Laie dort vermuten würde wenn auch Hitler die Bücher liest). Gibt es darüberhinaus bestimmte Kernaussagen (bis auf den abgedroschenen Auspruch das Gott tod sei wie z.B. der kategorische Imperat Kants oder des Volonte generale Rousseaus ? Dem antichristlichen Grundhaltung ist doch bestimmt nur wenig Bedeutung beizumessen das war ja ohnehin Trend der damaligen Zeit (ännlich äußern sich da ja auch alle anderen Philosophen wie ErnstBloch). Meine Meinung: Für mich stellt sich Nietsche so überhaupt nicht als Philosoph dar. Trotzdem wird er mit anderen Philosophen oder auch in Veralberungsshows (wie MontyPytons wo es ein Fußballspieler in einer Mannschaft der namhaftesten deutschen philosophen ist) in einem Atemzug genannt. 
So weit ich informiert bin waren fast alle Werke Nietzsches unverkäuflich und wollten auch von Freunden nicht mehr gelesen werden da er geistig schon als „durchgeknallt“ galt. Interessant ist er dann eher mit dem Zusammenhang zu seiner Gehirndegeneration (Neurolua). Nietzscheforscher werden wohl eher den Focus auf das neurologische/psychologische ausrichten. 
Wenn jemand was zu meiner Frage zu sagen weiß würde ich mich freuen. 
Schönen Gruß
 

Wie bei vielen Dingen, bin ich Nietzsche-GOURMET, kein Koch ! d. H. ich rede nur mit solchen Leuten über ihn, die ohnehin meiner Meinung sind. Der Zarathustra liegt stets neben meinem Kopfkissen und ich pflege ihn IRGENDWO aufzuschlagen und zu genießen. Gewissermaßen habe ich mein Leben HINTER mir und meine Lebenserfahrung zeigt mir, daß niemand in der Lage sein wird, ihn mir zu vermiesen.Ich habe durchaus auch eine Rundfunksendung mit biographischen Hinweisen gehört, die seine spätere geistige Umnachtung, Sanatoriumsaufenthalte, das abhängige Verhältnis zu seiner Mutter schilderte,

aber auch ich habe keine lebenden Freunde, die mir als Gesprächspartner etwas zu bieten hätten oder ÜBERHAUPT verbal - schriftlich oder mündlich oder halb und halb - reagieren. Was nicht heißt, daß es nicht ebenbürtige Gesprächspartner GÄBE.

Aber ich habe gerade Mitte 2013 einen neuen Lebensabschnitt (ich behaupte mal, es sei der Siebente) angefangen, der belanglose Versuche ob nicht DOCH jemand mit mir reden will - verbietet. Es geht um ein Mehr von wissen - ein Meer ! Und es gibt Ungeheuerlich-keiten, die in keinem Internet, keinem Wikipedia etc. zu finden sind - man muß diese Wissenswege GEHEN und ich habe keine Zeit o. ä. einen Guru zu suchen. Jeden Tag bin ich dankbar für die Fort-Schritte, die ich erleben darf - nur weil ich mich nicht von vornherein SPERRE. Auf der Straße staunen mich die Leute an, aber immerhin traut sich niemand zu FRAGEN - man AHNT etwas. P.S.: Mein Neues Jahr beginnt nicht am ersten Januar !

Das sind zwei ziemlich komplexe, aber sehr interessante Fragen.

ad 1: War Nietzsche Philosoph?
M. E. ja. Er hat sich intensiv mit dem Philosophen Schopenhauer auseinandergesetzt. Sein zentrales Thema Moral („Zur Genealogie der Moral“) ist ein zentrales Thema fast aller Philosophen. Schließlich wurden seine Schriften von den meisten Philosophen, die nach ihm kamen, rezipiert. Man kommt in der Philosophie kaum um ihn herum.

ad 2: Welchen Einfluss hatten seine Schriften auf die Weltgeschichte?
Einen beträchtlichen - vor allem sein Bestseller „Also sprach Zarathustra“, der sich nach seinem Tod sehr gut verkauft hat. Er hatte großen Einfluss auf die Zehntausenden von Gymnasiasten und Studenten, die sich 1914 freiwillig zum Krieg gemeldet haben und dann bei Langemarck und Ypern im Maschinengewehrfeuer verblutet sind. Das kann man z. B. an dem Roman „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex nachweisen, der ein Dokument dieses Denkens und Fühlens ist. Man übernahm aus Nietzsches „Zarathustra“ die offene Verherrlichung des Krieges und der Soldaten, die Verächtlichmachung des Friedens, der friedfertigen Bürger und ihres Wunsches, zum gegenseitigen Nutzen mit ihren Mitmenschen zu kooperieren. Dass so viele 1914 überhaupt auf den absurden Gedanken kommen konnten, dass Frieden schlecht und Krieg - also das Töten von Menschen - gut für die Menschen sei, ist ohne Nietzsches Einfluss kaum zu erklären. 

Und natürlich hat Nietzsches Philosophie den Sozialdarwinismus ihrer Zeit aufgegriffen und weiter zugespitzt. Nietzsches Konzept der Herrschsucht und der Herrenmoral ist das Konzept von Leuten, die glauben, das Recht zu haben, andere Menschen zu unterjochen und ihre eigenen persönlichen Interessen rücksichtslos gegen alle anderen Menschen durchzusetzen. Nietzsche sagte ihnen, sie hätten sogar die Pflicht dazu. Ihre einzige Rechtfertigung ist der Erfolg: Wer es schafft sich durchzusetzen, ist eben der Stärkste gewesen und hatte demnach das biologische Recht dazu. So lehrte es Nietzsche, so sah es auch Hitler.

Dazu kommt der indirekte Einfluss des I. Weltkriegs: Nietzsche hatte ihn mit befeuert, und der verlorene Krieg, die Rache für die angeblich unverdiente Niederlage war das wichtigste Mord- und Machtmotiv der Nazis.

Dona nobis pacem!
tonikal

Moin
Ja, Nietzsche ist ein Philosoph und er ist meiner Ansicht nach einer der bedeutendsten Philosophen des Abendlandes.
Natürlich kann man ihn dank seines hervorragenden Stils auch als einen bedeutenden Schriftsteller sehen.
Wie viele große Menschen bekam und bekommt Nietzsche selbstredend auch Beifall „von der falschen Seite“. Er war ein sehr differenzierter, eher leiser Mensch, der z.B. Antisemitismus dumm und lächerlich fand.
Nicht alle seine Schriften haben das gleiche Niveau. Meine Vorredner haben zurecht schon den „Zarathustra“ gewürdigt. Die meisten seiner Schriften sind grandios und nehmen zum Teil Großes vorweg, was später detaillierter herausgearbeitet wurde, z.B. Teile der Psychoanalyse, das „Es“ usw.
Eine seiner schwächeren Schriften dürfte „der Wille zur Macht sein“ und natürlich haben die etwas einfacher gestrickten Nazis dieses Buch besonders geschätzt. Ein bißchen Schuld daran ist Nietzsches Schwester, die dem aufkeimenden Nationalsozialismus näher stand. Für Nietzsche selbst wäre dieser wohl viel zu primitiv gewesen.
Gruß,
Branden

und wärst ein Philosoph geblieben.

Moin,

das N. dem Nationalsozialismus nah gestellt wird, ist ein ‚Verdienst‘ seiner Schwester, die seine Werke in einer Art redigiert hat, daß sie so gesehen werden konnten.
Er selber wäre mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf die Nazis eingegangen.
Zudem war er überzeugt davon, aus Polen abzustammen http://books.google.de/books?id=kGgBaJHvbL0C&pg=PA10…
was für Nationalsozialisten sicher kein Qualitätsmerkmal dargestellt hätte.

Gandalf

Als Sekundärliteratur empfehle ich Dir Rüdiger Safranski. Nietzsche. Eine Biographie seines Denkens. Einen weniger freundlichen Blick, der aber alle deine Fragen beantwortet, findest du von Peter Möller unter www.philolex.de.

Hallo Branden,
ich versteh ja, dass Du den „ollen Fritz“ verteidigen willst.
Aber er war doch wohl nicht einer der Unsrigen,
etwa ein

„Mensch, der z.B.
Antisemitismus dumm und lächerlich fand.“

So einfach wie wir machte er es sich nicht.
Er war „Judengegner und Antisemitenfeind“ (Thomas Mittmann).
Und klar:
für ihn wäre der Nationalsozialismus

„viel zu primitiv gewesen.“

Aber wie dächte er wohl über unsere Demokratie?

Gruß
Nescio

Hallo Nescio

Aber wie dächte er wohl über unsere Demokratie?

Ja, die wäre ihm vermutlich auch zu…naja…weichgespült gewesen.
Gruß,
Branden