Christliches Marketing à la Dostojewski
Hi Hannes.
… ist Raskolnikow (dt.= Spaltung)
eher ein Arsch, an dem die Sonne des Lebens vorbeischeint.
Man sollte ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen:
Negative Prägungen aufzulisten, dienen sicher dem intellektuellen Verständnis der Tat R.´s, machen diese aber nicht um einen Hauch akzeptabler. Es bleibt immer ein Rest an Verantwortlichkeit für eigene Taten, egal wie stark die Prägungen waren. Und sooo schlimm waren die ja auch wieder nicht. Wurde R. als Kind systematisch verprügelt, vergewaltigt usw.? Ist mir nicht erinnerlich. Es gibt viel schlimmere Schicksale als seines.
R. ist also verantwortlich für seine Tat, und ich sehe nicht, warum meine bewusst derbe Formulierung „ungerecht“ sein sollte.
…und so die Wucherin (nicht besser als eine Laus) umbringt, also
lebensunwertes Leben vernichtet um des - eigenen -
lebenswerten willen.
Dostojewski war Antisemit. Er wählte diese Figur vermutlich nicht zufällig, auch wenn diese meines Wissens nicht als Jüdin beschrieben wird.
Zum Background des Romans: die Grundidee verdankt sich den Einflüssen des Anarcho-Philosophen Max Stirner auf die russische Intelligenzia, z.B. Bakunin. R. ist ein literaturgewordener „Einziger“, der sich einbildet, ein Übermensch zu sein, der seine eigenen Gesetze aufstellen könne. Natürlich hat Dostojewksi das nicht gefallen, und er sah als einzige Alternative den christlichen Glauben, da nur dieser eine ethische Ordnung garantieren könne.
Genau diese begrenzte Wahlmöglichkeit - gesetzloser Anarchismus oder christlicher Glaube - ist das (für das 19. Jh.) Zeitgemäße an dieser Story und damit ihre große Schwäche.
Nur die zweite Hälfte der Rettung hat er Sonja zu verdanken: die Erweckung wie Lazarus im Evangelium.
Tja, was kann man zu Sonja sagen? Vielleicht das: Dostojewski wollte der Leserschaft das Christentum verkaufen, und er tat das wie ein moderner Marketingexperte: er verpackt die Ware so sexy, dass sie für den Kunden möglichst unwiderstehlich ist.
Sex sells, das schien auch Dostojewski zu wissen. Nicht eine alte Wucherin lässt er R. aus der Bibel vorlesen (nein, die ist nicht sexy genug, die wird nur gekillt), sondern eine Prostituierte, also d a s Symbol des Sexuellen.
Es ist wenig hilfreich, hierbei schlagwortartig von
Christentum zu reden, ohne sich klarzumachen, dass es sich bei
der russisch-orthodoxen Ausprägung dieser Religion um etwas in
vielerlei Hinsicht vom lateinischen Katholizismus oder (obwohl
mir da die Nähe im letzten Drittel des 19. Jh. größer zu sein
scheint) dem Protestantismus Verschiedenes handelt.
Ist die russische Orthodoxie denn kein Christentum? Allein darum geht es doch: glaubte Dostojewski an Christus und dessen erlösende Macht? Dein obige Differenzierung in Ehren, aber sie berührt nicht mein Argument.
Chan