IStGH Haftbefehl gegen sudanesischen Präsidenten und die Nichtfestsetzung durch Südafrika

Hallo,

der Status als Vertragsstaat des Rom-Statuts ist bzgl. der Ausübung der Gerichtsbarkeit meiner Meinung nach nur in den Fällen a) und c) des Art. 13 zu berücksichtigen. Der Fall b) des Art. 13 des Statuts (Überweisung durch den UN-Sicherheitsrat) ermöglicht die Verfolgung von Verbrechen, die in Nicht-Vertragsstaaten begangen wurden, wenn der Nicht-Vertragsstaat sich nicht freiwillig der Gerichtsbarkeit des IStGH unterwirft (Art. 12 Abs. 3). Das läßt sich aus Art. 12 Abs. 2 des Statuts folgern.

(2) Im Fall des Artikels 13 Buchstabe a oder c kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben, wenn einer oder mehrere der folgenden Staaten Vertragspartei dieses Statuts sind oder in Übereinstimmung mit Absatz 3 die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkannt haben:

Wenn auch Art. 13 b) des Rom-Statuts nur die Ausübung der Gerichtsbarkeit für Vertragsstaaten meinen würde, dann wäre in Art. 12 Abs. 2 nicht nur von den Fällen a) und c) des Art. 13 die Rede, sondern allgemein von Art. 13: „Im Fall des Artikels 13 kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben, wenn einer oder mehrere der folgenden Staaten Vertragspartei dieses Statuts sind …“. Da aber der Vertragsstaats-Status nur für die Fälle a) und c) des Art. 13 gilt, eröffnet die Möglichkeit gem. Art. 13 b) die Ausübung der Gerichtsbarkeit unabhängig vom Vertragsstaatsstatus.

Art. 11 Abs. 2 des Statuts bezieht sich darauf, daß nur Verbrechen verfolgt werden können, die nach Beitritt eines Vertragsstaates zum Statut begangen wurden.

(2) Wird ein Staat nach Inkrafttreten dieses Statuts dessen Vertragspartei, so kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit nur in Bezug auf Verbrechen ausüben, die nach Inkrafttreten des Statuts für diesen Staat begangen wurden, es sei denn, der Staat hat eine Erklärung nach Artikel 12 Absatz 3 abgegeben.

Das ist dahingehend auszulegen, daß es für Fälle des Art. 13 a) und c) gilt, der die Ausübung der Gerichtsbarkeit an den Status als Vertragsstaat knüpft. Darüber hinaus gehende Möglichkeiten der Ausübung der Gerichtsbarkeit stellen die freiwillige Unterwerfung unter die Jurisdiktion des IStGH gem. Art. 12 Abs. 3 des Statuts oder die Überweisung des Falles durch den UN-Sicherheitsrat gem. Art. 13 Fall b) des Statuts dar.

Beste Grüße

Oliver

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Hallo,

der sudanesische Präsident wird seit Jahren international per Haftbefehl des IStGH gesucht. Er wurde kürzlich vorübergehend in Südafrika festgehalten, konnte dann aber entkommen/ausreisen. Der Sudan ist Unterzeichnerstaat des entsprechenden Vertrages über den IStGH. Der Sudan hat den Vertrag jedoch nicht raitifiziert, weswegen es kein Mitgliedsstaat des Statuts geworden ist. Dies hat zur Konsequenz, dass die Rechtskraft des Haftbefehls IMHO/IANAL sich nicht auf den Sudan erstreckt.

Aus Wiki:

Zur Rechenschaft gezogen werden kann ein Täter grundsätzlich nur dann, wenn er einem Staat angehört, der das Statut ratifiziert hat, wenn die Verbrechen auf dem Territorium eines solchen Vertragsstaates begangen wurden, oder durch einen Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.

Nun bezieht man sich auf Resolution 1593 der UNO. Ist es ausreichend, wenn der Sicherheitsrat sinngemäß alle auffordert, mitzuarbeiten ohne einen Haftbefehl speziell zu autorisieren? Soll heissen: Der Auftrag zur Untersuchung bzgl. Dafur liegt zweifelsfrei vor. Ebenso auch der Haftbefehl. Aber wäre Südafrika tatsächlich überhaupt berechtigt, ihn umzusetzen, obwohl kein Haftbefehl des Sicherheitsrates gegen den sudanesischen Präsidenten vorliegt bzw. keine Authorisierung für genau diesen Haftbefehl gegen genau diese Person?

Hat eventuell jemand nähere Informationen? Oder ist der Satz in Wiki schlicht lückenhaft?

Gruß
vdmaster

Hallo,

meiner Ansicht nach bezieht sich der IStGH in seinem Haftbefehl auf Art. 13b des ihn konstituierenden Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

37. In relation to the jurisdiction ratione loci and ratione temporis, the Chamber recalls that the 31 March 2005 referral by the Security Council pursuant to article13(b) of the Statute and the 1 June 2005 Prosecution’s decision to open an investigation pursuant to article 53(1) of the Statute define the territorial and temporal parameters of the Darfur situation encompassing the territory of the regionof Darfur in Sudan (which includes the States of Northern Darfur, Southern Darfurand Western Darfur) since 1 July 2002 (S. 13/95).

Art. 13 des Römischen Statuts besagt:

Der Gerichtshof kann in Übereinstimmung mit diesem Statut seine Gerichtsbarkeit über ein in Artikel 5 bezeichnetes Verbrechen [Verbrechen des Völkermords; Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Kriegsverbrechen; Verbrechen der Aggression; Anm. von mir] ausüben, wenn a) eine Situation, in der es den Anschein hat, dass eines oder mehrere dieser Verbrechen begangen wurden, von einem Vertragsstaat nach Artikel 14 dem Ankläger unterbreitet wird, b) eine Situation, in der es den Anschein hat, dass eines oder mehrere dieser Verbrechen begangen wurden, vom Sicherheitsrat, der nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig wird, dem Ankläger unterbreitet wird, oder c) der Ankläger nach Artikel 15 Ermittlungen in Bezug auf eines dieser Verbrechen eingeleitet hat.

https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20002381/index.html

Der UN-Sicherheitsrat hat in seiner Resolution 1593 vom 31. März 2005 die Situation in Darfur, Sudan, an den Ankläger am IStGH überwiesen:

The Security Council, […] Decides to refer the situation in Darfur since 1 July 2002 to the Prosecutor of the International Criminal Court;

so daß die Situation in Darfur gem. Art. 13b des Rom-Statuts in die Gerichtsbarkeit des IStGH fällt, obwohl der Sudan kein Vertragsstaat des Rom-Statuts ist, weil der Sudan zwar das Statut unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hat.

Art. 27 des Rom-Statuts sieht zudem vor, daß das Statut auch für Staats- und Regierungschefs gilt und daß

2. Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, […] den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person [hindern].

https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20002381/index.html

Die Rechtsgültigkeit von Art. 27 ist allerdings umstritten (bzgl. Völkergewohnheitsrecht, das Staats- und Regierungschefs Immunität verleiht).

Andreas von Arnauld

bezeichnet den Haftbefehl in seinem Buch Völkerrecht (Rn 1285) für rechtswirksam.

Südafrika ist Vertragsstaat des Rom-Statuts. Gem. Art. 59 des Rom-Statuts gilt:

1. Ein Vertragsstaat, dem ein Ersuchen um vorläufige Festnahme oder um Festnahme und Überstellung zugegangen ist, ergreift sofort Massnahmen zur Festnahme der fraglichen Person in Übereinstimmung mit seinen Rechtsvorschriften und mit Teil 9.

Artt. 86, 89 und 91 in Teil 9 des Rom-Statuts regeln die uneingeschränkte Kooperation der Vertragsstaaten mit dem IStGH, die Befugnis des IStGH, jeden Staat um Festnahme und Überstellung einer Person zu ersuchen, die sich auf ihrem Territorium befindet, daß die Vertragsstaaten einem solchen Ersuchen gemäß ihrer Rechtsordnung und dem Rom-Statut Folge zu leisten haben und wie ein solches Ersuchen auszusehen hat, wenn gegen eine Person ein Haftbefehl gem. Art. 58 des Rom-Statuts erlassen worden ist.

Ich würde sagen, daß Südafrika dazu verpflichtet gewesen wäre, Herrn al-Baschir festzunehmen und zu überstellen, wenn der IStGH Südafrika darum ersucht hatte. Und der IStGH hat alle Vertragsstaaten des Rom-Statuts nach Erlassen der Haftbefehle gegen al-Baschir darum gebeten. Das Amt des Anklägers des IStGH hat den südafrikanischen Botschafter in den Niederlanden Ende Mai 2015 noch einmal aufgefordert, al-Bashir bei der Einreise festzunehmen. Südafrika hat den IStGH dann im Juni 2015 gefragt, ob es al-Baschir auch festnehmen müsse, wenn er unter Einladung der Afrikanischen Union und mit Immunität nach Südafrika komme. Der IGStH antwortete: Ohne Zweifel ja. Immunitäten spielten keine Rolle, weil die Sicherheitsresolution 1593 die Regierung des Sudans zu voller Kooperation aufgefordert habe, damit sei auch die Aufhebung von Immunitäten gemeint gewesen, sonst wäre die Aufforderung zu „voller Kooperation“ bedeutungslos. Somit sei Art. 98 des Rom-Statuts, das den Gerichtshof verpflichtet, um die Aufhebung von Immunitäten zu ersuchen, erfüllt gewesen.

Die Regierung von Südafrika hat al-Bashir bekanntlich nicht festgenommen und an den IStGH überstellt und auch Anordnungen seiner eigenen Jurisdiktion bzgl. der Verhinderung der Ausreise von al-Baschir mißachtet. Das war eine politische Entscheidung aus Staatsräson. So wie politische Entscheidungen in der Praxis bekanntlich über Recht und Gesetz stehen.

Beste Grüße

Oliver

Hallo,

vielen Dank für diese umfangreiche Antwort. Mir persönlich wäre es eine Freude, wenn al-Bashir vom IStGH zu lebenslanger Haft verurteilt werden würde. Ich will hier aber einmal den advocatus diaboli spielen.

Unstrittig ist:

  1. Der Sicherheitsrat hat den Ankläger des IStGH aufgefordert, eine Voruntersuchung der Casa „Darfur“ einzuleiten. Ebenso hat er den Sudan per Resolution aufgefordert, den Ankläger hierbei vollumfänglich zu unterstützen.

  2. Die Immunität auch von Staatspräsidenten gilt nicht bei Anklagen des IStGH.

  3. Südafrika ist Vertragsstaat des Römischen Statuts.

  4. Sudan ist kein Vertragsstaat des Römischen Statuts.

  5. Die Voruntersuchung kam zu dem Ergebnis, dass Verbrechen begangen wurden, die vom Prinzip her unter die Jurisdiktion des IStGH für Vertragsstaaten fallen. Der IStGH hat einen Haftbefehl erlassen und ihn u.a. auch seinem Vertragsstaat Südafrika übermittelt.

Strittig hingegen ist:

  1. Deine Schlusfolgerung:

so daß die Situation in Darfur gem. Art. 13b des Rom-Statuts in die
Gerichtsbarkeit des IStGH fällt, obwohl der Sudan kein Vertragsstaat des
Rom-Statuts ist, weil der Sudan zwar das Statut unterzeichnet, aber
nicht ratifiziert hat.

http://www.un.org/depts/german/internatrecht/roemstat1.html#T211

Artikel 13

    Ausübung der Gerichtsbarkeit
    Der Gerichtshof kann in Übereinstimmung mit diesem Statut seine 
    Gerichtsbarkeit über ein in Artikel 5 bezeichnetes Verbrechen ausüben,
    wenn 
  a)    eine Situation, in der es den 
    Anschein hat, dass eines oder mehrere dieser Verbrechen begangen wurden, 
    von einem Vertragsstaat nach Artikel 14 dem Ankläger unterbreitet 
    wird,
  b)    eine Situation, in der es den 
    Anschein hat, dass eines oder mehrere dieser Verbrechen begangen wurden, 
    vom Sicherheitsrat, der nach Kapitel VII der Charta der Vereinten 
    Nationen tätig wird, dem Ankläger unterbreitet wird, oder
  c)    der Ankläger nach Artikel 15 
    Ermittlungen in Bezug auf eines dieser Verbrechen eingeleitet hat.

Entscheidend ist hierbei der Passus in Übereinstimmung mit diesem Statut.

Und der Vorgang stimmt zu meinem Bedauern eben nicht überein mit Artikel 11 (2). Bei Nicht-Vertragsstaaten kann die Gerichtsbarkeit auch dann greifen, wenn der Nicht-Vertragsstaat die Gerichtsbarkeit fallbezogen anerkennt. Das wird im Falle al-Bashirs kaum geschehen sein.

Gruß
vdmaster

Sorry wegen des miserabel dargestellten Artikels 13. In der Vorschau sah es noch einwandfrei aus.

Hallo,

nochmals vielen Dank für die umfangreiche Antwort. Diese Rückschlussthese hatte ich berücksichtigt.

Es ist aber offenbar so, dass der IStGH sehr wohl nicht aufgrund seines eigenen Statuts zuständig ist, sondern diese Lücke gelassen wurde, so dass er vom SR zuständig gemacht werden kann. Nicht aufgrund der eigenständigen Rechtsbefugnisse des IStGH, sondern aufgrund der sich unmittelbar aus Kapitel 7 der UN-Charta ergebenden Machtbefugnisse der UNO bzw. deren SRs. Sehr anschaulich wird diese Staffelung (u.a. Komplementärprinzip) hier erläutert: http://www.bpb.de/apuz/29472/die-rolle-des-internationalen-strafgerichtshofs?p=all
Ab „Zuständigkeit des IStGH“

Und in der Tat ist es so, dass Südafrika somit auch den Haftbefehl ohne wenn und aber zu vollstrecken hatte. Der SR müsste nunmehr harte Sanktionen gegen SA erlassen, um die Charta der UN und die Entscheidungen des SR durchzusetzen. Wenn denn der SR nur nicht an einem strukturellen Geburtsfehler leiden würde (Vetorecht) :unamused:. Da kann man auch gleich hoffen, dass morgen der Weltfrieden ausbricht.

Gruß
vdmaster

Dein erster Teilsatz ist etwas schräg, aber im Grunde behaupten weder der IStGH in seinem Haftbefehl noch ich in meinen Erklärungen etwas anderes. Wenn Du den von Dir selbst in Deinem UP verlinkten Haftbefehl an der entsprechenden Stelle liest, wird Dir auffallen, daß sich der IStGH auf Art. 13 Abs. 2 des Rom-Statuts bezieht. Genauso wie ich. Deshalb weiß ich nicht, warum Du darauf beharrst, daß der IStGH nicht aufgrund seines eigenen Statuts zuständig ist. Er ist in Übereinstimmung mit seinem Statut - darauf kommt es an - vom UN-Sicherheitsrat zuständig gemacht worden. Also ist er seitdem zuständig und hat in Übereinstimmung mit seinem Statut zwei Haftbefehle erlassen. Die weiteren Feinheiten magst Du Dir - wie bereits geschehen - bitte aus anderen Quellen selbst erschließen / erläutern.

Beste Grüße

Oliver