Jesaja 7,15

Hallo,

angestoßen von der Buttersache im Deutschbrett stieß ich auf Jes 7,15 und frage mich, was genau das bedeutet:

חמאה ודבש יאכל לדעתו מאוס ברע ובחור בטוב׃

Ist das eine Alterangabe? Oder eher eine Erziehungsfrage?
Alle Übersetzungen, die ich auf die Schnelle nachgesehen habe (Luther, Neue Zürcher, Elberfelder) übersetzen das ל + Infinitiv + Suffix temporal: „bis er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen“ (Zürcher).

Ich bin gerade zu faul, um nachzusehen, was ל so alles kann - wenn die genannten Übersetzungen sich alle einig sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das stimmt. Ich habe es vor allem als Zweckangabe „um zu“ im Kopf.

Ist die Zeit, wenn ein Kind „versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen“ eine eher festgelegte Altersangabe, also etwas wie „wenn er verständig/ mündig wird“? Oder ist da etwas Individuelleres gemeint? Ich kann mir spontan nicht richtig gut einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Wohlergehen mit Milch und Honig und der Erkenntnisfähigkeit (Weisheit?) vorstellen.

Rahmgrüße,

Jule

Na gut, ich habe nachgesehen - und ja, klar, ich habe viel zu kurz gedacht vorhin.

Eine Grundbedeutung dürfte sein „zu etwas hin“, ein Ziel, eine Richtung, eine Zugehörigkeit, eine Absicht usw. Einleuchtend dann auch die Verwendung zur Genitivangabe.
Köhler-Baumgartner gibt als 1. und 2. eine lokale Bedeutung an („zu - hin“ bzw. Ziel einer Bewegung), gleich als 3. dann zeitlich „an, bis zu“. Als Beispiel: Dt 16,4 לבקר - „bis zum Morgen“.

Also, der ל-Teil des ganzen leuchtet mir ein: „bis hin zu seiner Einsicht(sfähigkeit)“. Bleibt noch die inhaltliche Frage…
Die דעת scheint laut Wörterbuch bei Jesaja öfter mal vorzukommen, das war mir gar nicht bewusst. Die ganze Weisheitsdiskussion können wir aber wohl außen vor lassen, das ist eine andere Zeit.

Isst der Knabe einfach nur Butter und Honig, solange er klein ist? Oder haben Butter und Honig eine Wirkung in Bezug auf seine intellektuelle und moralische Entwicklung?

(Ich habe ein Brot mit Butter und Honig gegessen in der Hoffnung, dass das meine Einsichtsfähigkeit fördert.)

Jule

Hallo Jule,

eine interessante Frage, und ein willkommener Anlaß, das vertrackte ל nochmal unter die Lupe zu nehmen. Gesenius hat dazu alleine 7 Spalten, und mehr als 15 verschiedene Bedeutungskategorien. und nur eine davon ist die Dativsignatur „hin zu“, „bis zu“, „hinsichlich“ usw.

Aber hier geht es ja vor allem um die Kombination ל + inf., und zu der führt Gesenius als erstes gerade Jes. 7.15 an: „bis zu“, „bis dass“. Und das scheint auch dem jüdischen Übersetzergremium der LXX vorgeschwebt zu haben, denn sie sagen: „πρὶν ἢ γνῶναι αὐτὸν ἢ προελέσθαι …“, also ebenfalls prin mit inf. „bis dass er versteht …“. Allerdings finde ich auch manche Übersetzung analog zu „um die Zeit, da er“, oder „zur Zeit als er“, was sich im Prinzip auch rechtfertigen läßt. Aber das verändert die Bedeutung, wenn auch nicht erheblich.

Dass es sich jedoch nicht um einen Kausalzusammenhang handelt zwischen „Butter und Honig essen“ und „verstehen, das Böse abzuwehren und das Gute zu wählen“, also in dem Sinne, dass Honig essen des Kindes zu seinem Verstehen führt, wird aus zwei folgenden Passagen deutlich: Die eine schon im Folgesatz 7.16: "כי בטרם ידע הנער מאס ברע ובחר בטוב " („Denn bevor das Kind versteht … wird das Land … verödet sein.“). Es ist also nur eine metaphorische Angabe einer Zeitspanne: Dem „Immanu El“ wird es gut gehen (und damit auch euch) … aber noch bevor das Kind gelernt hat … wird es Syrien und Israel übel ergehen. Die Frage bleibt natürlich, warum dafür extra ein von einer 'almah (zudem mit Artikel, so dass es sogar eine bestimmte sei) zu gebärendes Kind angeführt wird, das ja sonst gar nicht erwähnt wird, und dann noch mit so einem schwergewichtigen und von JHWH oktroyierten Namen.

Eine zweite Passage mit derselben Bedeutung einer metaporischen Zeitspanne findet sich in Jes. 8.4. Diesmal ist es Jesajas eigenes Kind („Und ich nahte mich der Prophetin …“) ebenfalls mit einem von JHWH befohlenen rätselhaften, bedeutungsschwangeren Namen, das „die“ Prophetin ihm gebiert: כי בטרם ידע הנער קרא אבי ואמי („Denn bevor das Kind versteht, Mama und Papa zu schreien …“. Und mir scheint in beiden Fällen zur Verdeutlichung im Deutschen da eine Einfügung sinnvoll: „Denn noch bevor …“

Soweit, was mir dazu einfällt, ebenfalls mit Rapshonigunterstützung :smile:

Schwer gesüßte Grüße
Metapher

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Willensfreiheit im Jesaja

Dass ich deinem charmanten Wink, @Jule, dir hierher zu folgen (das klassische lady’s custom, das Taschentuch fallen zu lassen, ist auf der atavistisch ausgekargten Bühne dieses Forums ja leider verwehrt gewesen) naturgemäß nicht wiederstehen konnte, hatte zu allem erwartungsgemäßen plaisir auch noch eine Erkenntnisbereicherung als Sahnehäubchen:

Nämlich dass offenbar zur Zeit des jesaja, also noch lange vor der Entführung der judäischen Oberschicht ins Babel, die Fähigkeit der „Unterscheidung von Gut und Böse“ dem Menschen nicht als ab utero gegeben verstanden wurde. Und „dem einen zu wehren und das andere zu wählen(!)“ wurde verstanden als moralische Entwicklung des Kindes, welche Lebenszeit benötigte, und war dann eine Sache der „Wahl“ (בחר), also der „freien“ Willensentscheidung.

Bisher hatte ich nur herausgefunden, dass die früheste Konzeption der freien Entscheidung in den Gaθas des Zarathustra (also im Avesta) zu finden sei. Dort wird dem Menschen naheglegt, sich zwischen dem guten/heiligen Geist (spnta mainyau) und dem lügnerischen/bösen Geist (druj mainyau) zu entscheiden, was ja auch präsupponiert, dass er zu dieser Entscheidung fähig ist. Das ist irgendwo zwischen 9. und 7. Jhdt v.u.Z. Immerhin nicht weit entfernt von der Zeit Jesajas. Aber zu dieser Zeit ist von einem kulturellen Kontakt zwischen Achämeniden und Israeliten noch nicht viel zu sehen.

Immerhin ein weiteres Tröpfchen Erkenntnishonig :wink: Danke für den Anstoß.

LG
Metapher

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Hallo Metapher,

danke für all den Honig!

Jaaaa, nun gibt Gesenius im Zweifelsfall immer die Lutherübersetzung an. Scheint in diesem Fall aber zu stimmen.

Ich finde den ganzen Jesaja-Abschnitt etwas wirr und durchschaue nicht ganz, wann es nun Butter und Honig gibt und wann das Land verödet ist. Schon in Vers 15.16 ist ja ein gewisser Widerspruch - „bis er versteht“ und „noch ehe er versteht“. Dann wird der Ackerboden תעזב, in V. 21.22 gibt’s wieder Butter und Honig für die Übriggebliebenen, in V. 23.24 wachsen nur Dornen und Disteln in den Weinbergen.

Nun ja. Mir fehlen Hintergründe, und ich verstehe auch die Symbolik nicht. Jedenfalls scheint das Verstehen und Entscheiden wirklich eher eine Altersangabe zu sein denn eine individuelle Entwicklung. Ich wüsste ja gern, welches Alter gemeint ist, aber da ist Jesaja etwas schweigsam. Parallel zu Jes 8 (danke!) schon recht früh, wenn Kinder lernen, sich an Regeln zu halten? Oder doch eher zum Erwachsenwerden und selbständigen Denken hin? Solltest Du Jesaja treffen, frag ihn doch mal, ja?

Vielen Dank, dass Du Dich aufs Rätseln eingelassen hast und für Deine Erkenntnisse! Wie schön, dass für Dich auch noch das Sahnehäubchen (spannend!) abgefallen ist, das freut mich natürlich.

Und nun brauch ich ein nicht-süßes Abendessen.

Viele Grüße!

Jule

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Hallo

Immanuel – ein Zeichen…
Jes.7,10 Weiter redete der Herr zu Ahas und sprach: 11 Erbitte ein Zeichen von dem Herrn, deinem Gott; erbitte es in der Tiefe oder droben in der Höhe! 12 Da antwortete Ahas: Ich will nichts erbitten, damit ich den Herrn nicht versuche!..
Immanuel- Gott ist mit uns, bevor der Knabe alt genug ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, werden die feindlichen Nationen vernichtet sein. Und genauso kommt es! aus der Bibel geht da nicht hervor wessen Sohn Immanuel ist …vielleicht ein Sohn des Propheten? Gott ist mit David, wird nicht zulassen daß der Bund mit Juda zunichte gemacht wird - Er hat ein Zeichen angeboten u wird ein Zeichen geben! Jesaja hatte vielleicht den Unglauben Ahas im Visier, als er erklärte: Jes. 7, 13 Darauf sprach [Jesaja], Höre doch, Haus David! Ist es euch nicht genug, daß ihr Menschen ermüdet, müßt ihr auch meinen Gott ermüden? 14 Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und wird ihm den Namen Immanuel geben. 15 Dickmilch und Wildhonig wird er essen, bis er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu erwählen. 16 Denn ehe der Knabe versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu erwählen, wird das Land, vor dessen beiden Königen dir graut, verlassen sein… 8,18 Siehe, ich und die Kinder, die mir der Herr gegeben hat, wir sind Zeichen und Wunder für Israel von dem Herrn der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt. In Matth.1,23…erscheint der Name Immanuel noch einmal…Luk.1,31-33…Schlachter Bibel 2000 speedytwo