Jüdische Götterwelt vor Abraham

Hallo mal wieder,
ich habe da mal eine Frage, die das Judentum vor der Zeit des Talmud betrifft. Spätestens dann wird ja der alleinige Gott, der Gott Abrahams, festgeschrieben.
Ist es richtig davon auszugehen, dass die Götzen, die die wartenden Juden im Goldenen Kalb angebetet haben, als Moses für die beiden Tafeln unterwegs war, die alten Götter der Israeliten waren? Gottlos werden sie nicht gewesen sein und die Götter der Ägypter werden sie auch nicht angebetet haben. Welche Götter hatten sie also? Gibt es davon Überlieferungen? Ist die Qabalah (der Teile davon, z.B. die vielen Namen Gottes) eventuell aus der Sicht zu sehen?

Ist es auch denkbar, dass Moses den Monotheismus von Echnaton (richtiger: Akhen Aton) abgeschaut hat, der ja kläglich damit gescheitert war, eine monotheistischen Religion einzuführen? Was hieße, dass Moses und Echnaton in etwa Zeitgenossen waren?

Danke schon jetzt für zahlreiche hilfreiche Antworten.
Achja, und Metapher darf natürlich auch :wink:

LG
Castiglio

Hallo mal wieder,
ich habe da mal eine Frage, die das Judentum vor der Zeit des
Talmud betrifft. Spätestens dann wird ja der alleinige Gott,
der Gott Abrahams, festgeschrieben.

Tach Castiglio,
da gehen wieder ganz viele Gedanken durcheinanderm, und man müsste ein Buch schreiben, um die zu ordnen und zurechtzurücken.
Darum nur ganz kurz ein paar Hinweise zur zeitlichen Einordnung: Der Talmud wurde ab dem 3. Jhdt aus mündlichen Überlieferungen fixiert, und zwar der Jerusalemer Talmud im 3. und 4. Jhdt, der Babylonische (und sehr viel umfangreichere) Talmud vom 3. bis zum 6. Jhdt.

Ist es richtig davon auszugehen, dass die Götzen, die die
wartenden Juden im Goldenen Kalb angebetet haben, als Moses
für die beiden Tafeln unterwegs war, die alten Götter der
Israeliten waren?

Nein, das ist nicht richtig, denn die Geschichte mit dem Goldenen Kalb ist so ganz bestimmt nie geschehen. Sie ist in der endgültigen Redaktion des Pentateuchs ein Teil des Erzählungskomplexes „Sinai“, aber der Aufenthalt am Sinai hat mit der Exodus- und der Landnahmetradition nichts zu tun. Zudem ist dieses Goldene Kalb sicher nicht als Gott, sondern allenfalls als „Göttersitz“ gedacht gewesen.

Gottlos werden sie nicht gewesen sein und

die Götter der Ägypter werden sie auch nicht angebetet haben.
Welche Götter hatten sie also? Gibt es davon Überlieferungen?

Konsistente Übverlieferungen gibt es nicht, wohl aber versprengte Stücke, aus denen sich erschließen lässt, dass die israeliten durchaus nicht immer Monotheisten waren und dass sie auch keineswegs immer den einen Gott angebetet haben; da gab es solche Götter mit dem Namen „der Schrecken Isaaks“ oder „der Starke Jakobs“ oder „der im Dornbusch wohnt“. Und damit war nie **** gemeint, sonern ein Familien-, Sippen- oder Stammesgott, und erst im Lauf der Geschichte, als diese Verbände in Israel aufgingen, hat man sie mit **** identifiziert.

Ist die Qabalah (der Teile davon, z.B. die vielen Namen
Gottes) eventuell aus der Sicht zu sehen?

Die Kabbalah ist als jüdische Mystik eine sehr späte Erscheinung. und erst Ende des 12. Jhdts in Nordspanien und Südfrankreich aufgetaucht; ihr berühmtestes Buch, das Buch Sohar ist gar erst gegen Ende des 13. Jhdts entstanden. Sie bringt also für Deine Frage gar nichts.

Ist es auch denkbar, dass Moses den Monotheismus von Echnaton
(richtiger: Akhen Aton) abgeschaut hat, der ja kläglich damit
gescheitert war, eine monotheistischen Religion einzuführen?
Was hieße, dass Moses und Echnaton in etwa Zeitgenossen waren?

Ob Mose überhaupt eine historische Gestalt war und wo er - wenn er denn eine war - anzusiedeln ist, wird in der Historie und der Theologie immer noch heftig diskutiert, Einig sind sich die Gelehrten allerdings darin, dass Mose keineswegs das ganze Abenteuer des „Auszugs aus Ägypten“ veranlasst oder mitgemacht hat. Manche siedeln ihn als Priester in der Oase Kadesch Barnea an. Da auch das Datum dieses „Auszugs“ - wenn es ihn denn gegeben hat - völlig ungewiss ist, muss jeder Einfluss von Echnaton auf Mose reine Spekuklation bleiben.
Aber weil sich, wenn die Belege fehlen, wunderbar spekulieren lässt (es kann einen ja niemand widerlegen!), gibt es die irrsten und abstrusesten Theorien darüber. Die gehören alle in die berühmte Tonne.

Gruß - Rolf

Hallo,

der jüdische Monotheismus ist eine im AT vergleichsweise junge Entwicklung. Jedenfalls historisch betrachtet, weniger textimmanent.
Sprich: die Zeit, von der erzählt wird, ist alt - die Texte selbst sind oft relativ jung.

Relativ sicher ist, dass Propheten, insbesondere Hosea (8.Jh. v. Chr.) dazu aufgerufen haben, nur einen Gott zu verehren.

Der Gedanke, dass es nur einen Gott gibt, gehört in die Zeit des zweiten Teils des Jesajabuchs (Deuterojesaja, 6. Jh. v. Chr.), also in die Zeit des Exils in Babylon.

In der Überarbeitung und im Aufschreiben der überlieferten Geschichten wurden diese Gedanken dann in die früheren Zeiten und Geschichten hineinprojiziert. Das heißt: Was von Abraham und Mose aufgeschrieben wurde, wurde nicht über Jahrhunderte genau gleich weitergegeben. Sondern das sind viel spätere Erzählungen, in denen möglicherweise geschichtliche Überlieferungen mit dem späteren Selbstverständnis verschmolzen wurden. Die fünf Bücher Mose stehen zwar in der Bibel vorne, sind aber größtenteils jünger als viele der Prophetenbücher.

Es sind Erzählungen zum Thema „Wer sind wir?“, keine historischen Feststellungen. Auch wenn sicher Spuren geschichtlichen Wissens darin enthalten sind, z.B. dass es wohl eine Vergangenheit der späteren Israeliten in Ägypten gab.

Ist es richtig davon auszugehen, dass die Götzen, die die
wartenden Juden im Goldenen Kalb angebetet haben, als Moses
für die beiden Tafeln unterwegs war, die alten Götter der
Israeliten waren?

Ich bin nicht ganz sicher, aber ich meine, dass es in der Zeit, in der diese Geschichten aufgeschrieben wurden, eine kanaanäische Gottheit gab, die in Stierform angebetet wurde. Man kann spekulieren, ob das Goldene Kalb eine Anspielung auf diesen Kult ist.

Ist es auch denkbar, dass Moses den Monotheismus von Echnaton
(richtiger: Akhen Aton) abgeschaut hat, der ja kläglich damit
gescheitert war, eine monotheistischen Religion einzuführen?
Was hieße, dass Moses und Echnaton in etwa Zeitgenossen waren?

Das hat Sigmund Freud vermutet und ein hübsches Büchlein darüber geschrieben. Wie Rolf schon schrieb: Denkbar ist vieles. Beweisbar so gut wie nichts.

Viele Grüße,

Jule

Die Entstehung des israelitischen Jahwe-Glaubens
Hi.

Ist es auch denkbar, dass Moses den Monotheismus von Echnaton
(richtiger: Akhen Aton) abgeschaut hat, der ja kläglich damit
gescheitert war, eine monotheistischen Religion einzuführen?
Was hieße, dass Moses und Echnaton in etwa Zeitgenossen waren?

Die Historizität von Moses ist, wie schon Rolf andeutet, sehr ungewiss. Über seine mögliche Identität (eventuell ein Pharao) gibt es viele Spekulationen, aber keine ist bisher beweisbar. Auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Monotheismus Echnatons und dem israelitischen Monotheismus ist nur spekulativ und meines Erachtens sehr unwahrscheinlich, zumal der israelitische Monotheismus erst über eine halbes Jahrtausend nach Echnaton konkretere Formen annahm. Echnatons monotheistische Privat-Religion wurde nach seinem Tod von den Amun-Priestern wieder ausgelöscht, aber die Grundidee setzte sich unterirdisch dann doch fort in der Atum- und der Ptah-Theologie (die zwei ersten alleinerzeugenden Ur-Schöpfergötter der Religionsgeschichte) fort, von denen letztere, die Ptah als „Schöpfer durch das Wort“ konzipierte, mit einiger Sicherheit einen entscheidenden Einfluss auf die israelitische Schöpfungstheologie hatte.

Zu Ptah:

Die sog. Memphitische Theologie (vermutlich 13. Jahrhundert BCE) stellt den Gott Ptah, ursprünglich ein chtonischer Gott vom Osiris-Typ und als Stadtgott von Memphis verehrt, an die Spitze des ägyptischen Pantheons und lässt ihn alle anderen Götter und die Menschen- und Tierwelt kraft seines Geistes (d.h. seiner Zunge und seinen Herzens) erschaffen. Der Pharao Shabaka (kurz vor 700 BCE) behauptete, den Text auf einem wurmzerfressenen Papyrus im Ptah-Tempel von Memphis gefunden zu haben. Er ließ den Text auf einen schwarzen Stein meißeln (Shabaka-Stein). Religionsgeschichtlich interessant ist an diesem Gott vor allem seine Schöpferkraft durch das „Wort“, denn bis dahin herrschte die Vorstellung vor, die Schöpfung der Götter sei aus dem Samen des männlichen Urgottes Amun erfolgt, ohne Beteiligung einer weiblichen Gottheit. Im Bestreben, nicht nur das Weibliche, sondern auch das Sexuelle aus den Schöpfungsmodalitäten zu entfernen, erdachten die Ptah-Priester also einen durch den Verstand (Herz) und das Wort (Zunge) schaffenden Urgott, den Ptah, und damit ein Konzept, das zweifellos Pate stand für die 700 Jahre später in der Priesterschaft geschilderten Weltschöpfung des Jahwe durch „das Wort“.

Für User, die es ganz genau wissen wollen, poste ich hier und (aus Platzgründen) in einem angehängten Fortsetzungsbeitrag einen Überblick über die sehr komplexe Entwicklung des israelitischen religiösen Denkens im Kontext des altorientalischen Polytheismus bis zum 6. Jh. BCE. Den Text habe ich zum Zeitvertreib vor ca. 2 Jahren geschrieben. Er erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Der Name „Israel“ erscheint in der überlieferten Geschichte zum ersten Mal auf einer Siegesstele des Pharao Merenptah (1213-1203), die u.a. Städte auflistet, die er 1208 in Kanaan besiegte: Askalon, Gezer und Inuam. Anschließend heißt es: „Israel ist verwüstet, es hat keinen Samen“. Abschließend wird Charu genannt, das Land der Churriter. Die drei Städtenamen sind mit dem hieroglyphischen Zeichen für „Fremdland“ gekennzeichnet, „Israel“ aber mit dem Zeichen für „Volk“, also eine Menschengruppe. Ob der Ausdruck „Samen“ für Saatgut oder Nachkommenschaft steht, kann nicht geklärt werden, auch nicht, um wen es sich bei dieser Gruppe handelt. Vermutlich setzte sie sich aus Schasu und Habiru zusammen, die sich - nach Ansicht der meisten Religionshistoriker - im 13. Jh. BCE allmählich vereinten, um dem von den Ägyptern ausgeübten Druck gewachsen zu sein. Üblicherweise wurden Kriegsgefangene in die Sklaverei übergeführt, was den Mythos über die Gefangenschaft des „Volkes Israel“ in Ägypten erklären könnte. Dass Habiru, aber auch Schasu in ägyptische Sklaverei geraten konnten, steht fest. Ein „Exodus“ in der Art und Größenordnung, wie er im Tanach geschildert wird, ist aber weder durch Quellen noch archäologisch nachweisbar.

Erst vier Jahrhunderte später ist der Name „Israel“ historisch wieder belegt, und zwar auf der Mescha-Stele im 9. Jh BCE., also im Kontext der Jahwe-Verehrung. Der von den Hebräern gebrauchte Name „Israel“ scheint einer vor-jahwistischen Verehrung des ugaritisch-kanaanitischen Gottes El entsprungen zu sein. Das folgt aus der Erwähnung auf der Merenptah-Stele und dem theophoren Element „-el“. Manche Wissenschaftler vertreten die These, dass ursprünglich El der Gott der Israeliten war und der durch einen Schasu-Stamm aus Südwest-Jordanien importierte Jahwe später an seine Stelle trat. Sollte es sich bei dem „Israel“ der Merenptah-Stele um Schasu/Habiru handeln. was wahrscheinlich ist, wären die Habiru (und Schasu) die Ahnen der Hebräer.

Zur religiös-kultischen Situation im ägyptisch besetzten Kanaan der Spätbronzezeit (also bis 1200):

Es gab neben den lokalen auch ägyptische Kulte mit vielfältigen Synkretismen: Kanaanitische Götter assimilierten ägyptische Merkmale und ägyptische Götter kanaanitische. Das konnte bis zur Verschmelzung von Göttern aus beiden Bereichen führen, vor allem bei Baal und Seth (siehe unten). Die ägyptische Göttin Hathor z.B. prägte die Ikonographie ihrer kanaanitischen Kolleginnen mit ihrer Frisur, ihrem Kopfschmuck, ihren Hörnern und und dem Sonnenscheiben-Symbol. Ikonographische Veränderungen bedeuten auch Veränderungen des religiösen Charakters der jeweiligen Gottheit, da die Vorstellung eines Gottes durch seine visuelle Darstellung wesentlich bestimmt wurde. Ganz besonders waren es aufgrund ihrer privatkultischen Verwendung die Stempelsiegelamulette, deren Gestaltung ägyptische Religiosität in das Bewusstsein der Kanaaniter transportierte.

Während in der Mitte des 2. Jt. BCE Natur und Erotik die kanaanitische Ikonographie dominierten, trat gegen Ende des 13. Jh. kriegerische Motivik in den Vordergrund, was angesichts der vielen Kriege nicht überrascht. Besonders sticht das bei Baal ins Auge, dem regionalen Äquivalent des mesopotamischen Wettergottes Hadad. Er assimilierte Attribute des Gottes Seth, der in der ägyptischen Mythologie nicht nur als Feind des Königsgottes Horus, sondern vor allem als Kämpfer für den Sonnengott Re in Erscheinung tritt. Allnächtlich besiegt er auf der Fahrt der Sonnenbarke durch die Unterwelt die Monsterschlange Apophis und sichert so den Bestand der Welt, da anders der lebenstiftende Sonnengott Re zugrunde ginge. Seth ist ein kriegerischer Gott, aber einer, der das Chaos (die Schlange) bezwingt und den Kreislauf des Lebens aufrechterhält.

Die Verschmelzung von Baal und Seth zeigt sich ikonographisch in der Übertragung von Merkmalen des ägyptischen Gottes auf den kanaanitischen. Baal wird z.B. mit Flügeln dargestellt, die typisch für Seth-Bilder auf Skarabäen sind. Alternativ ist Baal als schreitender Krieger mit erhobener Waffe zu sehen, was in deutlichem Kontrast zu Baals ursprünglichem Charakter als Wetter- und Fruchtbarkeitsgott steht. Auf manchen Darstellungen ist er noch zweifelsfrei als Baal identifizierbar, wird aber inschriftlich „Seth“ genannt. Sehr verbreitet sind Miniaturen, die Baal mit Seth-typischen Flügeln, aber auf einem Löwen stehend zeigen, welcher den kanaanitischen Wüstengott Mot symbolisiert, den Todfeind Baals. Am eindringlichsten erscheint die Götter-Synthese in Darstellungen, auf welchen der geflügelte Baal eine Schlange ersticht. Hier werden zwei Mythen synthetisiert: der Kampf des Seth gegen die Apophis-Schlange und der Kampf des Baal gegen das Meer-Monster Jam.

Der Vegetationsgott Baal hat, vermittelt über Seth, also die zusätzliche Funktion eines gegen das Böse antretenden Kriegers übernommen.

Das Wort „Baal“ (gesprochen: Ba´al) wurde im Alten Orient mehrdeutig verwendet. Es bedeutet „Herr“ oder „Besitzer“ und war der Titel des in ganz Vorderasien verbreiteten Wettergottes Hadad („Donnerer“). In Phönizien mutierte es zum Eigennamen des Wettergottes. Wegen dieser zweigleisigen Verwendung ist es nicht immer einfach zu bestimmen, ob „Baal“ als Teil eines Personen- oder Ortsnamens dem Wettergott zuzuordnen ist (und damit auf dessen Verehrung hinweist) oder als Appellativ („Herr“) fungiert, das auch auf Jahwe bezogen sein könnte.

Baals ursprüngliche Funktion ist die eines Wettergottes mit notwendigerweise kriegerischem Potential: Um die Fruchtbarkeit des Ackerlandes zu gewährleisten, muss er deren Bedrohungen, den Meergott Jam und den Wüstengott Mot, bekämpfen und überwinden. Im 13. Jh. BCE dringt er als blitzeschleudernder Donnergott in die ägyptische Vorstellungswelt ein und verändert einige Merkmale Seths, übernimmt aber im Gegenzug, wie schon beschrieben, in der kanaanitischen Ikonographie manche Seth-typischen Merkmale. Der Fruchtbarkeitsaspekt Baals bleibt in der kanaanitischen Verbindung erhalten, nicht aber in der ägyptischen.

Durch die Synthese mit Seth übernimmt Baal einen in Kanaan unvertrauten ´theologischen´ Aspekt - die Integration in eine höhere Ordnung im Dienst des Sonnengottes. Neben der Fruchtbarkeit des Landes fällt nun auch der Erhalt der Weltordnung in seine Kompetenz. Die Ikonographie belegt, dass man Baal-Seth in Kanaan bis ins 10. Jh. BCE hinein als Kämpfer für den Sonnengott und für das Königtum verehrte, welches als irdische Statthalterschaft des Sonnengottes verstanden wurde.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Entstehung der israelitischen Jahwe-Idee besser verstehen, denn Jahwe übernimmt nicht nur Merkmale des Baal-Seth, sondern wird dadurch auf die spätere Übernahme von Sonnengott-Kompetenzen vorbereitet, zu denen die Gewährleistung der Gerechtigkeit gehört. Schon der mesopotamische Sonnengott Schamas hat diese Funktion. Interessant ist, dass Schamas ursprünglich vermutlich eine Göttin war und er manchmal auch als „Mutter“ bezeichnet wird.

Zwei Schritte sind zu unterscheiden:

  1. Jahwe, zunächst ein Wettergott, assimiliert die kriegerischen Züge Baal-Seths.

  2. Aufgrund Baal-Seths Verbindung mit dem (ägyptischen) Sonnengott ist die modifizierte Jahwe-Gestalt nach der Einnahme Jerusalems in den dortigen Sonnengott-Kult integrierbar, wobei nach und nach die Funktion des lokalen Gottes auf Jahwe übertragen wird. Die ägyptische Sonnengott-Assoziation Baals verschiebt sich in Richtung eines vorderasiatischen Sonnengottes, was entscheidend zur Jahrhunderte später einsetzenden monotheistischen Karriere Jahwes beiträgt. Beispielhaft kann Ps 97 zitiert werden, der Jahwes aus Baal-Seths und des Sonnengottes Eigenschaften zusammengesetzten Charakter veranschaulicht:

Gewölk und Wolkendunkel ist um ihn herum,
Gerechtigkeit und Recht sind die Stütze seines Thrones.

V. 1 präsentiert eine Theophanie Jahwes im Stile des Baal.

V. 2 präsentiert Jahwe als Wahrer der Gerechtigkeit im Stile eines Sonnengottes.

Jahwes Integration in den Jerusalemer Sonnengott-Kult wird unten in „Zu Punkt 2“ noch ausführlicher beschrieben.

Zu 1)

Im Richterbuch und in den Berichten über David steht Jahwe als Garant für Siege da, wie es für Seth typisch ist. In Ps 16 und 2Sam 22 werden Jahwe, ähnlich wie im obigen Ps 97, Theophanien zugesprochen, wie sie typisch für Baal sind: Donner, Wasserfluten, düstere Wolken, schnaubender Zorn etc. Was weder Baal noch Seth zu eigen ist, kommt bei Jahwe als individuelles Merkmal hinzu, nämlich sein rettendes Eingreifen in Situationen wie z.B. in Ps 16. So wird der Komplex Baal-Seth zu Jahwe-Baal-Seth erweitert. Der kriegerische Charakter Jahwes ist aber bekannt genug und braucht hier nicht weiter belegt zu werden.

Zu 2)

Zur religiösen Situation im Jerusalem der vor-israelitischen Zeit:

Seit der Mittleren Bronzezeit ist Jerusalem ägyptisch beeinflusst, seit der späten Bronzezeit ägyptisch beherrscht. Der ägyptische Sonnengott-Kult kann daher in Jerusalem und im restlichen Palästina Fuß fassen. Viele vor-israelitische Ortschaften tragen Namen mit solarem Kontext. Auch der Name „Jerusalem“ weist ein theophores Element auf: „Schalem“ = Abenddämmerung bzw. Name des Gottes der Abenddämmerung. Wie „Schachar“, der Gott der Morgenröte, ist Schalem Mitglied des ugaritischen Pantheons. Beide Götter repräsentieren das Aufgehen und Untergehen der Sonne und damit den geordneten Kreislauf der Zeit.

Man kann für die vorstaatliche Zeit davon ausgehen, dass die Israeliten (Habiru/Schasu?) einen Stammesverband bildeten, der einen Großkult mit gemeinsamem Hauptgott praktizierte und auf der Ebene kleinerer Einheiten (Sippen, Familien) auch anderen Göttern huldigte. Ob El zunächst der Hauptgott war und wann es zu einem Machtwechsel von El zu Jahwe kam, darüber kann nur spekuliert werden. Als Kultorte fungierten die „Kulthöhen“, die archäologisch einigermaßen gesichert sind. Tempel wurde zunächst nicht errichtet, vermutlich weil sie an die verhassten Stadtstaaten erinnerten, deren Herrschaft man mühsam entronnen war. Die Kulthöhen waren Freiluft-Heiligtümer auf Bergen und dienten nicht nur der Jahwe-, sondern auch der Aschera-Verehrung, die ihr Symbol in den Kultbäumen („Ascheren“) auf den Kulthöhen hatte. Dass Jahwe mit der kanaanitischen Fruchtbarkeitsgöttin assoziiert war, ist durch diverse Funde belegt („Jahwe und seine Aschera“). Vermutlich hatte Aschera eine dem Jahwe untergeordnete Stellung, konnte aber aufgrund ihrer Beliebtheit zur Volksnähe des Hauptgottes beigetragen. Die Jahwe-Aschera-Relation ist ein Indiz für die Verdrängung Els als Hauptgott durch Jahwe, da in der traditionellen Mythologie El und Aschera ein Paar bilden. In der Königszeit war es in Jerusalem legitim, sich im Jahwe-Tempel der Aschera durch eine Gelübde zu weihen.

Als schließlich doch (eher bescheidene) Tempelbauten en vogue kamen, wurde der Tempel von Silo mit seiner organisierten Priesterschaft das Zentrum des Jahwe-Kults. Dort platzierte man die Bundeslade, welche die Anwesenheit Jahwes demonstrierte und zugleich als kriegerisches Symbol fungierte. Sein Kriegskompetenz hatte der Wettergott Jahwe durch seine Angleichung an Baal-Seth erlangt.

Inhaltlich lässt sich die Kulthöhen-Praxis so gliedern:

  • Ablegung von Schwüren
  • Einholung von Gottesurteilen
  • Verpflichtung von Heerführern
  • grausame, durch Pfählung erfolgende Hinrichtung von Angehörigen anderer Stämme im Zusammenhang mit Blutrache
  • Gottesbefragung durch Orakel
  • Klagerituale bei kriegsbedingten Notständen
  • drei Jahresfeste im Zusammenhang mit der ackerbäuerlichen Produktion (die Höhepunkte des Großkults)

Solche Jahresfeste hatten eine vor-jahwistische Tradition und waren auch in anderen Regionen verbreitet. Dass der Jahwe-Kult diese Baalskult-typische Praxis ins eigene kultische Zentrum stellte, belegt einmal mehr, dass Jahwe ein genuiner Wettergott war.
Als sich die Akkader im 3. Jt. die sumerische Keilschrift und andere Aspekte der Kultur Sumers aneignen, übernehmen sie auch den Sonnengott Utu und geben ihm den akkadischen Namen „Schamasch“. Genealogisch ist er der Sohn des Mondgottes Sin und der Bruder der Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar. Mit ihnen bildet er die astrale Trias Sonne-Mond-Venus. Ischtar und Sin spielen in der israelitischen Religionsentwicklung ebenfalls eine Rolle: Ischtar als Vorbild der kanaanitischen Aschera und als in Juda ikonographisch nachweisbar verehrte „Himmelskönigin“, und Sin im Zusammenhang mit der Mondgott-Monolatrie des babylonischen Königs Nabonid im 6. Jh. BCE, die man als Katalysator der monotheistischen Ideen der israelitischen Priesterschaft ansehen kann.

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Fortsetzung im angehängten Beitrag

Die Entstehung des israelitischen Jahwe-Glaubens II
Fortsetzung:

Schamasch ist in der akkadischen und babylonischen Religion unter zwei Aspekten verehrt: als Spender des lebensnotwendigen Lichts und als Wahrer der Gerechtigkeit. Recht und Rechtsprechung sind mit altorientalischen Sonnengöttern typischerweise verknüpfte Attribute. Der ägyptische Re weicht von dieser Typisierung ab, wird an wenigen Stellen aber ebenfalls mit Gerechtigkeit assoziiert.

Über den Lichtaspekt von Schamasch heißt es in der Großen Schamasch-Hymne:

Schamasch, Erleuchter des Alls, des gesamten Himmels,
Aufklärer der Dunkelheit für die Menschen oben und unten,
Dein Strahlenglanz ist wie ein Netz über die Erde ausgebreitet.

Schamaschs Richterfunktion erklärt sich aus seinem Vermögen, kraft seines Lichts die Dinge vollends zu durchschauen. Die Gesetzesstele des Hammurabi aus dem 18. Jh. BCE zeigt, wie Schamasch dem König die Herrschaftssymbole überreicht. In einem überlieferten Opferschaugebet heißt es:

Du (=Schamasch) urteilst im Fall der großen Götter, im Fall der wilden Tiere, im Fall der Menschen,
urteile heute über NN, Sohn von NN, setze die Wahrheit auf der linken und rechten Seite dieses Lamms.

Hier geht es um die Leberschau nach einem Lammopfer. „NN“ ist ein Platzhalter für konkrete Namen, die beim jeweiligen Ritual eingesetzt werden.

Schamasch hat, wie gezeigt, als assyrischer Sonnengott die Funktion, Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Sein Licht durchdringt die Finsternis und macht jedes Übel sichtbar. Wie sehr dieses Konzept die Gottesvorstellung im israelitischen 7. Jh. BCE geprägt hat, zeigt - neben vielen anderen Beispielen - der Psalm 72 (Psalm = Loblied). Ich zitiere seine ersten 7 Verse:

1 Des Salomo. Gott, gib dein Gericht dem König und deine Gerechtigkeit des Königs Sohne, 2 daß er dein Volk richte mit Gerechtigkeit und deine Elenden rette. 3 Laß die Berge den Frieden bringen unter das Volk und die Hügel die Gerechtigkeit. 4 Er wird das elende Volk bei Recht erhalten und den Armen helfen und die Lästerer zermalmen. 5 Man wird dich fürchten, solange die Sonne und der Mond währt, von Kind zu Kindeskindern. 6 Er wird herabfahren wie der Regen auf die Aue, wie die Tropfen, die das Land feuchten. 7 Zu seinen Zeiten wird erblühen der Gerechte und großer Friede, bis daß der Mond nimmer sei.

Diese Verse bilden die originale Grundschicht des Psalms. Die restlichen 10 Verse sind das Produkt redaktioneller Überarbeitung im exilischen 6. Jh. Entstanden ist der Psalm (in seiner Grundschicht) vermutlich zur Zeit der Königskrönung des 8jährigen Josia im Jahr 639, wofür die Erwähnung des Königssohns (V. 1) spricht. Der Singular „er“ im nächsten Vers bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den Königssohn. Gestützt wird die Datierung durch die ähnliche Thematik des Textes Jes 9,1-6 (Bezug auf Krönung Josias), der in die Josia-Zeit datiert wird. Der Psalm dürfte also als Krönungshymnus für den kleinen Josia gedient haben.

Das unmittelbare Vorbild für diesen Hymnus war, und das ist so gut wie gesichert, der Krönungshymnus SAA III 11 für den assyrischen König Assurbanipal, der zur Zeit der Krönung Josias noch im Amt war. Sein Vater Asarhaddon legte 672 die Thronfolge seines Sohnes durch einen Loyalitätseid fest. 669 kam es zur Thronerhebung Assurbanipals. Im Unterschied zu früheren Krönungsritualen tritt im Hymnus neben dem Reichsgott Assur zum ersten Mal der Sonnengott Schamasch als Garant für „Recht und Gerechtigkeit“ in Erscheinung, und zwar in Vorrangstellung zu Assur. Die vom Sonnengott dem König überantwortete Durchsetzung dieser Ordnung besteht vor allem in der Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit.

Die Gemeinsamkeiten von SAA III,1 und Ps 72 sind offensichtlich: Schamaschs auf den König übertragene Sonnengott-Funktion des Bewahrers der Gerechtigkeit und Helfers der Schwachen findet sich im Psalmtext unter Verwendung gleicher Begriffe wieder: „Gerechtigkeit“ und „Frieden“. Das astrale Element „Sonne“ ist zusätzliches Indiz für den solaren Kontext. Im schon erwähnten, auf Josia bezogenen Text Jes 9,1-6 erscheint Jahwe, ähnlich wie Schamasch, im Kontext von „Licht“ und „Finsternis“. V. 5f. kennzeichnet den König als Garanten von „Recht und Gerechtigkeit“.

Da mir der assyrische Krönungshymnus als Volltext nicht vorliegt, zitiere ich eine Passage aus dem assyrischen Lied KAR III 105 an Sonnengott Schamasch, das einer Orakeleinholung für König Assurbanipal diente. Diese Stellen können das solartheologische Vorbildverhältnis der assyrischen zur israelitischen Religion, wie es im Ps 72 zum Ausdruck kommt, ebenfalls verdeutlichen.

2 Erhabener Richter, Herr des Oberen und Unteren
3 … Du durchspähst mit deinem Licht die Gesamtheit der Länder
4 Die der Opferschau nicht müde werden, täglich triffst du Entscheidung über Himmel und Erde.

Schamasch tritt wie gewohnt als Spender von Licht und Gerechtigkeit auf. Während seine Gerechtigkeitsfunktion im Ps 72 voll auf Jahwe übergegangen ist, bleibt der Lichtaspekt im Psalm ein äußerlicher, nämlich in Gestalt der „Sonne“, die als Indikator der Herrschaftsdauer fungiert:

5 Man wird dich fürchten, solange die Sonne und der Mond währt, …

Hier zeigt sich die Uneinigkeit der israelitischen Priesterautoren in der Frage, wie weit die Übertragung solarer Vorstellungen auf Jahwe gehen soll. Die israelitische Theologie macht Anleihen bei der assyrischen Religion (= Synkretismus), versucht aber zugleich, ein eigenes Profil aufrechtzuerhalten. Dabei kommt es zu konzeptuellen Divergenzen. In manchen Texten erscheint Jahwe explizit als Lichtgottheit, in anderen, wie Ps 72, wird er dem Licht bzw. der Sonne übergeordnet, was auch bedeutet: Jahwe steht über Schamasch. Das hat hauptsächlich politische Gründe, denn die Macht eines Staatsgotts bestimmt die Macht des Königs, der diesen Gott repräsentiert, wenn auch nur in der Vorstellung der Gläubigen. Auf diese Weise wird der israelitische König über den assyrischen König (und alle anderen) positioniert - wiederum natürlich nur in der Vorstellung der Gläubigen. Das zeigt sich in den redaktionell angefügten Versen im Ps 72:

9 Vor ihm (dem König, Anm. Chan) werden sich neigen die in der Wüste, und seine Feinde werden Staub lecken. 10 Die Könige zu Tharsis und auf den Inseln werden Geschenke bringen; die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen.11 Alle Könige werden ihn anbeten; alle Heiden werden ihm dienen.

Auch dieses rhetorische Muster wurde dem assyrischen Hymnus SAA III 11 entlehnt und auf die israelitische Perspektive umgeschrieben.

Konkrete Hinweise für eine Solarisierung Jahwes liegen vor der 2. Hälfte des 8. Jh. BCE nicht vor. Man kann aus den solaren Ortsnamen in der Jerusalemer Region einschließlich „Jerusalem“ selbst (Schalem=Gott der Abenddämmerung) nur indirekt auf einen Jerusalemer Sonnenkult schließen. Erst ab der 2. Hälfte des 8. Jh. häufen sich eindeutige Belege für die Solarisierung. Man fand aus dieser Zeit 1200 Stempelsiegel königlicher Beamter mit Motiven, die symbolisch Sonne und Königtum (König Hiskia) verbinden. Da der König Statthalter des Staatsgottes war, bedeutet das auch eine Verbindung Jahwes mit der Sonne. Genaue Rückschlüsse auf die Art dieser Beziehung lässt die Ikonographie freilich nicht zu. Vermutlich entstand in dieser Zeit der Jerusalemer Tempel, der, sofern die biblische Beschreibung seine Rekonstruktion gestattet, nach dem Sonnenlauf ausgerichtet war.

Mit dem Psalm 72 liegt einer der ersten Textbelege für eine sonnentheologische Ausformung des Jahwe-Glaubens vor. Die Entstehung seiner Grundschicht um 639 (Josias Krönung) gilt als sehr wahrscheinlich. Damit gehört er, neben wenigen anderen Psalmen wie z.B. Ps 2 und 110, zum gesicherten vorexilischen Bestand des Psalter. Von den anderen weit über 100 Psalmen nimmt man eine exilische oder nachexilische Entstehung an. Aus dem gleichen Jahrhundert (7.) soll auch das Deuteronomium mit dem Tora-Buch stammen, das später redaktionell nachgebessert wurde. In diesem Deuteronomium finden sich in Theophanie-Texten lichtbezogene Verben wie „aufstrahlen“ und „leuchten“ Dtn 33,2), die einen Einfluss der assyrischen Schamasch-Theologie nahelegen.

Es gibt auch darüber hinaus im Tanach viele Stellen, die Jahwe als Lichterscheinung oder begleitet von Lichterscheinungen zeigen. Man nennt angebliche Erscheinungen Jahwes in einer sinnlich erfahrbaren Form, z.B. Feuer, Sturm oder Wolken, „Theophanien“ (Gotteserscheinungen). Jene Theophanien, die Jahwe mit Sturm und Wolken verbinden, reflektieren seine Herkunft aus der Baal-Wettergott-Tradition und dürften auf den archaischen Glauben an göttlichen Naturgewalten zurückgehen, sind vermutlich also Fehlinterpretationen physikalischer Phänomene. Jene Theophanien aber, die Jahwe mit Feuer und Licht verbinden, entspringen visionären Erlebnissen. Hier ist ein bekanntes Beispiel (Ez 1), eine Vision des Propheten Ezechiel während des babylonischen Exils (Luther-Übersetzung):

4 Und ich sah, und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Mitternacht her mit einer großen Wolke voll Feuer, das allenthalben umher glänzte; und mitten in dem Feuer war es lichthell. (…) 26 Und über dem Himmel, so oben über ihnen war, war es gestaltet wie ein Saphir, gleichwie ein Stuhl; und auf dem Stuhl saß einer gleichwie ein Mensch gestaltet. 27 Und ich sah, und es war lichthell, und inwendig war es gestaltet wie ein Feuer um und um. Von seinen Lenden überwärts und unterwärts sah ich’s wie Feuer glänzen um und um. 28 Gleichwie der Regenbogen sieht in den Wolken, wenn es geregnet hat, also glänzte es um und um. Dies war das Ansehen der Herrlichkeit des HERRN. Und da ich’s gesehen hatte, fiel ich auf mein Angesicht und hörte einen reden.

In der Religionswissenschaft ist man sich über die Frage, ob die visuellen Beschreibungen in Ez 1 metaphorisch oder visionär gemeint sind, nicht einig. Diejenigen Gelehrten, die (gegen alle Wahrscheinlichkeit) ein vorexilisches Bestehen des „Bilderverbots“ annehmen, neigen dazu, die Beschreibungen als Allegorien zu interpretieren, denen keine reelle visuelle Erfahrung zugrundeliegt. Vielmehr wolle der Autor dadurch seine (nicht-visuelle) Gotteserfahrung nur glaubhafter machen. Dieses Argument wirkt nicht überzeugend. Warum verwendet ein Autor eine exzessiv visuelle Sprache, wenn er etwas Nichtvisuelles ausdrücken möchte? Man kann eher davon ausgehen, dass Ezechiels Bericht tatsächlich auf einem visuellem Erlebnis basiert, das er präzise zu schildern versucht. In meinem a.a.O. geposteten Beitrag über die israelitischen Propheten war von ihren ekstatischen Zuständen und den damit verbundenen Visionen die Rede. Die Ursache dieser Zustände ist uns nicht bekannt, sie könnte aber in einer angeborenen Disposition liegen. Die israelitischen Propheten lebten weder asketisch noch kontemplativ, und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sie bewusstseinserweiternde Drogen nahmen, wie dies bei den ägyptischen Amun-Priestern (vermutlich) der Fall war und bei den Teilnehmern der griechischen Mysterien.

Zu unterscheiden ist auf jeden Fall zwischen dem sonnentheologischen und dem visionären Lichtaspekt Jahwes. Die Sonnentheologie bezieht sich auf das Licht der Sonne, während die visionäre Literatur ein übernatürliches Licht thematisiert. Vermutlich kam es bei sonnentheologischen Konzeptionen im Alten Orient aber zu einer Durchdringung beider Ebenen, wie es bei den Amun-Priestern vermutlich der Fall war.

In der Mehrzahl erscheint das Lichtmotiv im Tanach im sonnentheologischen Kontext, erkennbar entweder an der direkten Verbindung mit dem Gerechtigkeitsmotiv oder an der Opposition zur Finsternis (die für das Böse bzw. Ungerechte steht). Gelegentlich kommt es zu einer Kombination beider Kategorien, z.B. in der berühmten Szene mit dem „brennenden Dornbusch“: Hier verschmelzen Vision (Jahwe als Feuer) und Sonnentheologie (Jahwe als oberste Rechtsinstanz) zu einer Einheit. Deutlich zeigt sich die Abkunft der israelitischen von der mesopotamischen Sonnentheologie: Auf Hammurabis Stele (deren Gesetze dem Dekalog Vorbild waren) ist es Schamasch, der den König ermächtigt, auf dem Berg Sinai ist es Jahwe, der (den fiktionalen) Moses ermächtigt.

Ich füge Textbelege für jahwistische Sonnentheologie aus den Psalmen und dem Jesaja-Buch an. Man beachte die häufige Sonnengott-typische Assoziation von Licht und Gerechtigkeit.

Ps 18: 28 Denn du hilfst dem elenden Volk, und die hohen Augen erniedrigst du. 29 Denn du erleuchtest meine Leuchte; der HERR, mein Gott, macht meine Finsternis licht.
Ps 19: 11 Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen.
Ps 36: 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir Licht.
Ps 37: 6 Er wird dein Recht aufgehen lassen wie das Licht, deine Gerechtigkeit wie die Sonne am Mittag.
Ps 97: 11 Ein Licht erstrahlt dem Gerechten, …
Ps 104: 1 JHWH, mein Gott, du bist sehr groß, Pracht und Herrlichkeit hast du angezogen, der sich mit Licht umhüllt wie in einen Mantel.
Jes 2: 5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Lichte des HERRN!

Jetzt aber genug damit.

Chan

Hallo Jule,

Ist es richtig davon auszugehen, dass die Götzen, die die
wartenden Juden im Goldenen Kalb angebetet haben, als Moses
für die beiden Tafeln unterwegs war, die alten Götter der
Israeliten waren?

Ich bin nicht ganz sicher, aber ich meine, dass es in der
Zeit, in der diese Geschichten aufgeschrieben wurden, eine
kanaanäische Gottheit gab, die in Stierform angebetet wurde.
Man kann spekulieren, ob das Goldene Kalb eine Anspielung auf
diesen Kult ist.

ich hatte mir das „goldene Kalb“ immer so vorgestellt
http://nn.wikipedia.org/wiki/Guden_Apis#/media/File:…
das hätte dann Bezug auf Ägypten, wo das Volk Israel ja über 400 Jahre gelebt hatte.

Gruss Harald

Moin Moin

Ist es auch denkbar, dass Moses den Monotheismus von Echnaton
(richtiger: Akhen Aton) abgeschaut hat, der ja kläglich damit
gescheitert war, eine monotheistischen Religion einzuführen?

Beziehst du dich auf Freuds Spätwerk „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ ?
Da steht zumindest viel Kluges drin - was natürlich immer Sprengstoff für die Konservativen war und ist.
Es grüßt dich
Branden

Freud: sehr konservativ

Beziehst du dich auf Freuds Spätwerk „Der Mann Moses und die
monotheistische Religion“ ?
Da steht zumindest viel Kluges drin - was natürlich immer
Sprengstoff für die Konservativen war und ist.

Ja, gut, zugegeben. Gegenüber den konservativen religiösen Dogmatikern war Freud wahrlich revolutionär. Aber in seinem Menschenbild ist er bezüglich des Humanismus, aber doch sehr konservativ.
Penso

Hallo,

ich hatte mir das „goldene Kalb“ immer so vorgestellt
http://nn.wikipedia.org/wiki/Guden_Apis#/media/File:…
das hätte dann Bezug auf Ägypten,

denkbar ist das schon, zumal der Austausch mit Ägypten als einer der beherrschenden Großmächte Israel über Jahrhunderte beschäftigte.
Aber wie gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Auch in Kanaan und Assyrien waren Stierfiguren üblich. Vermutlich gab es in den Heiligtümern in Dan und Bethel Stierfiguren als Verbildlichungen des israelitischen Gottes.

Klaus Koenen bezieht die Erzählung vom Goldenen Kalb auf die Abschaffung dieser Art der Gottesverehrung nach dem Untergang des Nordreichs:
http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellex…

Ich finde das ziemlich plausibel.

wo das Volk Israel ja über 400 Jahre gelebt hatte.

Woher weißt Du das?

Viele Grüße,

Jule

Hallo Jule,

Aber wie gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht.

wo das Volk Israel ja über 400 Jahre gelebt hatte.

Woher weißt Du das?

wie Du selber sagst: Nichts Genaues weiß man nicht.

Aber es steht im Buch Exodus (12,40), eben in jenem Buch, das auch die Geschichte vom goldenen Kalb bringt. Und Paulus nimmt auch darauf Bezug (Gal.3,17). Somit hat zumindest er an diese Zeitrechnung geglaubt.

Gruss Harald

Hallo Harald,

Aber es steht im Buch Exodus (12,40), eben in jenem Buch, das
auch die Geschichte vom goldenen Kalb bringt.

wie gesagt: die fünf Bücher Mose sind in ihrer Endgestalt wahrscheinlich ziemlich jung. Sie enthalten mythische Erzählungen, in denen sicher auch historische Erfahrungen aufgehoben sind. Aber Zeitangaben daraus als historisch zu betrachten, wird ihnen kaum gerecht.

Man kann sich fragen, was die 400 Jahre innerhalb des Erzählzusammenhangs aussagen. Das ist aber eine völlig andere Betrachtungsweise, und man sollte sie nicht mit der Frage nach historischen Tatsachen verwechseln.

Viele Grüße,

Jule

Freud: in der Tiefe nicht konservativ
Moin

Aber in seinem
Menschenbild ist er bezüglich des Humanismus, aber doch sehr
konservativ.

Dann solltest du mal zu dem ausgezeichneten Buch von Jose Brunner: „Psyche und Macht. Freud politisch lesen“ greifen.
Gruß,
Branden