Hallo ich habe mich spaßeshalber mal gefragt,
ob man ein schlechter Mensch ist sollte man beispielsweise die Handlung von Julia und Romeo nicht kennen.
Inwieweit ist (um am Beispiel zu bleiben) Julia und Romeo wertvoller als ein Tatortkrimi im Abendfernsehen (nennen wir einmal Kommissarin Lund; weil die Serie derzeit so gelobt wird).
Ist es nicht vielleicht so (?) Das bestimmte Inhalte zu dem Allgemeinwissen gezählt werden gewohnheitsmäßig und ganz Stereotyp von einer breiten Masse reflexartig als wertvoll erachtet werden?
Und weiter, dass damit teilweise größere (scheinbar einfach gestrickte) Gruppen etwas diskriminiert werden?
Mir ist das neulich aufgefallen und vermute nun das man sowas einigermaßen verallgemeinern kann.
Daher die (leicht provokante) Frage.
Gruß W.
Ist es nicht vielleicht so (?) Das bestimmte Inhalte zu dem
Allgemeinwissen gezählt werden gewohnheitsmäßig und ganz
Stereotyp von einer breiten Masse reflexartig als wertvoll
erachtet werden?
Und weiter, dass damit teilweise größere (scheinbar einfach
gestrickte) Gruppen etwas diskriminiert werden?
Hallo W.!
Die erstere ist eine Frage, wie sie mir ähnlich auch des Öfteren von meinen Schülern gestellt wird und ich habe da nach langem Nachdenken eine - wie ich finde - plausible Antwort gefunden.
Literarische oder sonstige Werke, deren inhaltliche Kenntnis weitläufig zur Allgemeinbildung zählen, haben in irgendeiner Weise unsere gesamte Kultur beeinflusst. Oder aber sind zumindest in dieser verwoben.
Das einfachste und zugleich grundlegendste Beispiel ist die Bibel. Kaum einer kennt die Geschichten und Gleichnisse heutzutage mehr, doch überall in unserer Kultur finden sich Querverweise. Viele Anspielungen in der Literatur lassen sich nur verstehen, wenn man zumindest eine Grundkenntnis der Bibelinhalte besitzt. Bei vielen kulturellen Entwicklungen ist es das Gleiche. Sogar in unsere Gesetze sind Teile der Bibel eingegangen(10 Gebote).
Nun ist die Bibel sicherlich an Einfluss nicht zu vergleichen mit Romeo und Julia, dennoch ist das Prinzip das selbe: ohne Kenntnis allgemeiner Kulturgüter wie z.B. derjenigen Literatur, die teils über Jahrhunderte hinweg gelesen wurde und in unterschiedlichster Form in die jeweilige Kultur eingegangen ist, versteht man die eigene Kultur nur zum Teil.
Zur zweiten Frage (Diskriminierung): Es kann durchaus sein, dass sich irgendwelche Snobs für was Besseres halten, nur weil sie Romeo und Julia rückwärts auswendig aufsagen können.Finde ich auch dämlich und überflüssig. Andererseits, nach meiner These von oben, kann man solch ein Verhalten auch interpretieren als eine Angst vor dem Niedergang der eigenen Kultur, weil die nachkommende Generation die Überlieferung des kulturellen Wissens nicht mehr mitträgt. Wenn alles, was die Kultur mitgeprägt hat, in Vergessenheit gerät, was passiert dann mit der Kultur selbst?
My2cents, Gruß
Dine
Hallo Dine,
das mit der Änderung der Kultur, also Angst vor Änderung der Kultur, ist für mich ein völlig neuer Aspekt.
Interessant interessant.
Gut dein weiteres Beispiel mit der Bibel beleuchtet mir teilweise ein. Fairerweise müsste man (mittlerweile) auch andere Religionen, insbesondere dem Koran erwähnen. Weil wir ein Großteil unserer Gesellschaft mittlerweile einen kulturellen Hintergrund teilt in dem der Koran eine große Rolle spielt.
Nur damit kein Missverständnis entsteht: ich bin kein Fehlen von Koran. Auch keine Fan von der Bibel.
Und ich glaube auch nicht das für mein Bibel oder Koran oder Menschenrechte oder Ähnliches nicht wirklich kennt, dann automatisch ein Massenmörder oder so etwas ist oder wird.
Zu folgern dass wenn man seine Ursprünge nicht vollständig kennt (Du meintest die 10 Gebote wären sehr wesentlich um die eigenen Ursprünge zu verstehen), dass man dann sich falsch verhält hinkt etwas.
Ich möchte den Blickpunkt etwas mehr auf den Aspekt der Logik, Gewohnheit und einer angeborenen Menschlichkeit reduzieren.
Vieles tun wir weil die vernünftig halten und nicht weil wir es auswendig gelernt haben. Natürlich halten wir vieles für vernünftig, weil die unbewusst Kulturgut aufgenommen haben. Das ist vielleicht auch ausreichend. Ich finde es schon wichtig das Themen des Miteinanders diskutiert werden und man sich überlegt wie man leben möchte - sowohl in kleineren Gruppen, in größeren Gruppen oder auch global gesehen.
Dennoch bezweifle ich sehr, dass das explizite Wissen von „Romeo und Julia“ oder meinetwegen auch von der Bibel wesentlich bei diesem Abstimmungsverhalten, den Regeln des Miteinanders beziehungsweise finden der eigenen Prinzipien, Vorstellungen, wesentlich (für jeden) eine Rolle spielen muss.
Ich habe gerade ein Bild im Kopf, von sehr ärmlichen Familien, die nicht so eine tolle Bildung genossen haben wie wir, ja die nicht einmal schreiben können und auch nicht gelesen. Ich persönlich hatte einmal die Ehre kurz so eine Familie kennen zu lernen. Ich war schwer beeindruckt von der Freundlichkeit und Großherzigkeit von diesen Leuten! Da kann sich mancher aus unserer hoch gebildeten Gesellschaft eine Scheibe abschneiden!
Zu behaupten dass Bildung grundsätzlich Voraussetzung (um hier meine ich explizite Bildung in Schriftform oder so) für ein herzliches vernünftiges Miteinander ist halte ich sehr für fragwürdig.
Für noch fragwürdiger halte ich es wenn man ganz bestimmte Werke aus der Vergangenheit (dazu meist noch unbegründet beziehungsweise nur weil sie berühmt sind) für wertvoll für alle oder sogar für notwendig hält (für alle). Ich bin nicht dagegen, dass man Romeo und Julia liest.
Ich weiß um dessen Inhalt nicht allzu viel. Ich weiß nicht ob es ein beispielsweise humanistisch gesehen sehr wertvoller Roman ist. Genauso gut könnten Romane aus der Neuzeit, also ganz aktuelle, in diesem Jahr geschriebene Romane wertvoll oder wertvoller sein. Der Unterschied liegt in der Bekanntheit.
Romeo und Julia ist bekannter. Und manche Leute wollen damit angeben. Ein Urlaub, oder eine Erfahrung in der Straßenbahn oder U-Bahn, ein Gespräch mit einem Obdachlosen, oder eigene Überlegungen aus dem Wochenende, sind für manche weniger wertvoll oder ehrenwert als die Kenntnis von dem Roman Romeo und Julia. Das ist möglicherweise arrogant und dumm.
Vielleicht ist Romeo und Julia wertvoll. Aber wenn jemand darauf besteht das dieses wertvoll ist wünsche ich mir von diesem das er begründen kann warum dieser Roman (beispielsweise für mich) gerade für mich, meine Lebenssituation, wichtig ist, beziehungsweise was wir/ich draus lernen können.
Und wenn er mir das gut rüber bringen kann ist es unter Umständen gar nicht mehr notwendig (vorausgesetzt der Romanist wertvoll) dass man den Roman kennt beziehungsweise noch kennen lernt, weil man die Weisheit daraus schon gezogen hat.
Einen anderen sehr guten Aspekt, wie ich finde hast Du auch schon eingebracht mit dem Stichwort Kultur.
Es gab eine Zeit da haben viele die Lindenstraße angeschaut. Und kannte man sie selbst auch hatte man die Möglichkeit sich über viele Themen anhand von Szenen in der Lindenstraße auszutauschen und zu besprechen.
Man hätte jetzt in der Schule sagen können: Ihr müsst alle die Lindenstraße anschauen, weil es schon so viele anschauen und die damit zusammen einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund schaffen. Das gleiche kann man natürlich auch mit Romeo und Julia machen. Ich gehe mal davon aus, dass du vermutest das Romeo und Julia wertvoller ist als die Lindenstraße (kann sein und vielleicht bin ich auch der Meinung) - aber das tut nichts zur Sache. Man könnte auch andere Beispiele wählen (zum Beispiel die Sendungen von philosophischen Quartett im ZDF et cetera).
Nun, mein Schlusssatz. Ich glaube wir sind uns bis hierher im Grunde genommen weit gehend einig.
Wenn alles, was die
Kultur mitgeprägt hat, in Vergessenheit gerät, was passiert
dann mit der Kultur selbst?
ich höre eine Angst um Integrität, eine Angst um den Verlust von Gemeinsamkeit heraus. Ich finde diese Angst ist berechtigt und es auch wichtig dass wir etwas gegen den Verlust von Gemeinsamkeit tun. Ich meine es ist wichtig dass sie einander zuhören und herausfinden was anderen wichtig ist. Ein Weg ist konservativ und traditionell zu sein. Damit kriegt man aber Probleme mit Leuten die so nicht sein wollen, so nicht sein können aus verschiedenen Gründen. Wichtig ist das gemeinsame und nicht das Festhalten an alten.
Das vergessen ist normal. Warum soll man in 2000 Jahren immer noch Romeo und Julia lesen? Vielleicht wird man es tun. Aber darf niemand ein besseres Buch schreiben? Ich glaube nicht das die Kultur einfach ersatzlos vergessen wird. Es kommen einfach neue Inhalte, andere Dinge die den Menschen wichtig sind. Und das gilt es herauszufinden und darüber zu diskutieren und festzustellen, Gemeinsamkeiten hat, welche Lösungen es gibt, herauszufinden wo man zusammen Spaß haben kann.
Besten Gruß w
Hallo w.!
Nur ein paar Ergänzungen, denn du hast recht: wir sind uns im Grunde weitgehend einig!
Zu folgern dass wenn man seine Ursprünge nicht vollständig
kennt (Du meintest die 10 Gebote wären sehr wesentlich um die
eigenen Ursprünge zu verstehen), dass man dann sich falsch
verhält hinkt etwas.
Da missverstehst du mich. Ich sagte nicht, dass es notwendig ist, die 10 Gebote zu kennen, um zu wissen, wie man sich zu verhalten hat. Ich sagte lediglich, dass die Kenntnis jedem Menschen helfen kann, die Hintergründe und Prinzipien der Kultur/Gesellschaft zu verstehen, in der er lebt. Unsere gemeinsamen Grundsätze sind aus einer jahrhunderte- (wenn nicht sogar jahrtausende-)langen Entwicklung entstanden, und nicht zwingend selbstverständlich. Das kannst du daran erkennen, dass in anderen Kulturkreisen Dinge als selbstverständlich gelten, die für uns niemals in Frage kämen.
Und als Ergänzung: ein bloßes Wissen ersetzt niemals die Reflexion.
Zu behaupten dass Bildung grundsätzlich Voraussetzung (um hier
meine ich explizite Bildung in Schriftform oder so) für ein
herzliches vernünftiges Miteinander ist halte ich sehr für
fragwürdig.
Ich ebenso. Wie gesagt: Wissen hat auch meiner Meinung nach primär nichts mit Verhaltensweisen zu tun. Oder anders gesagt: Handlungs wissen führt noch lange nicht zur Handlung.
Vielleicht ist Romeo und Julia wertvoll. Aber wenn jemand
darauf besteht das dieses wertvoll ist wünsche ich mir von
diesem das er begründen kann warum dieser Roman
(beispielsweise für mich) gerade für mich, meine
Lebenssituation, wichtig ist, beziehungsweise was wir/ich
draus lernen können.
An dieser Stelle geraten wir in eine eher literaturwissenschaftliche Diskussion, Stichwort wiederkehrende Motive in der Literatur als Ausdruck und Bearbeitung menschlicher Eigenheiten, Bedürfnisse und Grundthemen.
Das vergessen ist normal. Warum soll man in 2000 Jahren immer
noch Romeo und Julia lesen? Vielleicht wird man es tun. Aber
darf niemand ein besseres Buch schreiben?
Natürlich darf das jeder! Aber da sind wir wiederum im oben genannten literaturwissenschaftlichen Bereich: Wenn die menschlichen Grundthemen von Romeo und Julia in einem anderen Werk besser, eindrucksvoller o.ä. bearbeitet werden, könnte es sein, dass letzteres irgendwann als Kulturgut abgelöst wird. Auch literarisches Kulturgut ist prinzipiell ersetzbar. Und wie wertvoll es für jeden im Allgemeinen ist - das hatte ich in meinem ersten Posting ja bereits erwähnt - muss jeder für sich selbst entscheiden.
Gruß
Dine
Hallo w.!
Ich sagte lediglich, dass die Kenntnis jedem
Menschen helfen kann, die Hintergründe und Prinzipien der
Kultur/Gesellschaft zu verstehen, in der er lebt.
d’accord
primär nichts mit Verhaltensweisen zu tun. Oder anders gesagt:
Handlungs wissen führt noch lange nicht zur
Handlung.
d’accord
An dieser Stelle geraten wir in eine eher
literaturwissenschaftliche Diskussion, Stichwort
wiederkehrende Motive in der Literatur als Ausdruck und
Bearbeitung menschlicher Eigenheiten, Bedürfnisse und
Grundthemen.
aso… hmmm. ach muss jetzt nicht sein.
Natürlich darf das jeder! Aber da sind wir wiederum im oben
genannten literaturwissenschaftlichen Bereich: Wenn die
menschlichen Grundthemen von Romeo und Julia in einem anderen
Werk besser, eindrucksvoller o.ä. bearbeitet werden, könnte es
sein, dass letzteres irgendwann als Kulturgut abgelöst wird.
d’accord
LGruß w.
sehr!
Hallo!
Hallo ich habe mich spaßeshalber mal gefragt,
ob man ein schlechter Mensch ist sollte man beispielsweise die
Handlung von Julia und Romeo nicht kennen.
Nein, man wird leider kein besserer Mensch, wenn man weiß, dass Julia und Romeo bei der Bestimmung bestimmter einheimischer Singvögel Unsicherheiten zeigen.
Inwieweit ist (um am Beispiel zu bleiben) Julia und Romeo
wertvoller als ein Tatortkrimi im Abendfernsehen (nennen wir
einmal Kommissarin Lund; weil die Serie derzeit so gelobt
wird).
In vieler Hinsicht ist dieses einmalige Werk einem Tatortkrimi überlegen: Die sprachliche Komplexität versus simpler Sprache, differenzierte Ausformung der Charaktere versus simples Strickmuster zum Beispiel.
Ist es nicht vielleicht so (?) Das bestimmte Inhalte zu dem
Allgemeinwissen gezählt werden gewohnheitsmäßig und ganz
Stereotyp von einer breiten Masse reflexartig als wertvoll
erachtet werden?
Tja, ich habe den Eindruck, dass diese Zeit vorbei ist. In meinem Umkreis erlebe ich es eher umgekehrt: Wer heutzutage noch Werke von Shakespeare liest, ist ziemlich uncool!
Nachtrag: Ich lese Romeo und Julia übrigens, weil es mir Spaß macht. Es gibt wenige Werke, in denen Liebe ohne jeden Kitsch so hinreißend sprachlich dargestellt werden!
Gruß!
Christian