Junge Leute grüßen nicht mehr - warum?

Mir fällt es seit geraumer Zeit besonders auf, da ich eine zweite Ausbildung mache und wieder eine Schule (Berufsschule) besuche. Ich bin der Älteste in der Klasse und mich verwirrt es immer wieder, dass junge Leute nicht mehr grüßen oder sich verabschieden können. Ein Guten Morgen oder Tschüss ist wohl mittlerweile zu viel verlangt. Ebenso fällt mir auf, dass das nicht nur in der Schule os ist, sonder allgemein ein negativer Trend bei jüngeren Leute (bis ca. 35 Jahren) zu sein scheint, sein Maul nicht mehr auf zu bekommen. Morgens an der Bushaltestelle gibt es ältere Leute, die einem immerg grüßen, weil man sich vom Sehen her kennt. Jüngere Leute, die auch die ganze Zeit schon mitfahren dagegen grüßen nie. Da ist z.B. eine junge Frau (ca Mitte 20) die nie grüßt und auch beim Einsteigen den Busfahrer kein Guten Morgen sagt. Ich bin so erzogen worden, dass man grüßt und sich verabschiedet, oder bin ich zu altmodisch

Ich nehme an, dass hierfür hauptsächlich zwei Gründe ursächlich sind:

1) Anonymisierung und Vergrößerung von Gemeinschaften: Heute leben mehr Leute denn je in Umfeldern, die unübersichtlich und anonym sind. In einem Viertel oder einem Dorf mit einer kleinen, engmaschigen Gemeinschaft (er)kennt man einander und grüßt einander demnach auch. In größeren Mehrparteienhäusern wissen viele Leute nicht, wer ihre Nachbarn sind (oder kennen nur einzelne). Der Lebensmittelladen oder der Bäcker von Anno dazumal wurden von wenigen Leuten betrieben, die man auch außerhalb des Ladens erkannte und grüßte. Bei Aldi oder bei Backwerk sitzt jeden Tag jemand anderes an der Kasse. Wer? Keine Ahnung. Wenn man in einem Umfeld aufwächst oder lebt, in dem man jeden Tag hunderten von Menschen begegnet, die man nicht alle auf Verdacht grüßen kann, aber auch oft nicht zuverlässig als Bekannte oder Fremde einsortieren, neigt man offenbar stärker dazu, das Grüßen generell zu reduzieren oder auf wenige enge Bekannte und Freunde zu begrenzen.

2) Veränderung sozialer Konventionen: Die Erwartung, dass man gegrüßt wird, ist – mit durch das Zunehmen von Umgebungen wie unter 1 beschrieben – schwächer geworden. Auch haben die Repressalien abgenommen, die man zu fürchten hat, wenn man sich an Grußkonventionen nicht hält. Aus der Generation meiner Großeltern habe ich erfahren, dass es ein mittleres Drama war, wenn man bestimmte Respektspersonen im Dorf oder Viertel, zum Beispiel den Lehrer, nicht grüßte. Besagte Respektspersonen hatten offenbar auch die Angewohnheit, die Eltern bei wiederholtem Nichtgrüßen vonseiten des Sprösslings auf die offenbar mit mangelhafter Konsequenz durchgezogene Erziehung anzusprechen. Auch schulische Disziplinierung war nicht undenkbar, selbst wenn man es außerhalb des Schulumfelds unterlassen hatte, Unterrichtspersonal zu grüßen. Das ist passé. Die Respektspersonen gibt es nicht mehr (in dieser Form) bzw., wo doch, wird selten schon das Nichtgrüßen geahndet.

Kurz zusammengefasst: Es ist heute weniger praktisch (wegen vervielfachter Begegnungen in anonymen Umfeldern), zu grüßen, und es wird (wegen gelockerter Konventionen im Umgang) weniger Druck ausgeübt, zu grüßen. Deswegen grüßen diejenigen, die unter diesen Bedingungen aufgewachsen sind, im Schnitt weniger als Ältere, die noch die Konventionen ihrer Jugend verinnerlicht haben und weitertragen.

Gruß
Christopher

PS: Es wird bestimmt noch jemand kommen, der darauf hinweist, dass du dich in einem grußlosen Posting darüber wunderst, dass weniger gegrüßt wird, aber das ist nicht meine Baustelle.

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Hallo,
der war gut!
ZITAT:

PS: Es wird bestimmt noch jemand kommen, der darauf hinweist, dass du dich in einem grußlosen Posting darüber wunderst, dass weniger gegrüßt wird, aber das ist nicht meine Baustelle.
LG

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Moin Grußloser,

ich arbeite an einer Hochschule, hab dort jeden Tag Kontakt zu dutzenden jungen Menschen (übers Jahr sogar hunderte) und kann diese Erfahrungen so gar nicht teilen.

Gandalf

Hallo Xperience1982,

Du grüßt doch auch nicht hier im Forum und Du verabschiedest Dich nicht mit einem Gruß, obwohl Du von den Forumsteilnehmern einen Gefallen (eine Antwort) erwartest, natürlich ohne bitte und danke.

Warum ist dieser Experience1982 so nicht-freundlich, obgleich ihn genau das bei seinem Mitmenschen stört?

Beste Grüße
Maralena

Technisch bedingte Begegnungen
Hallo Christopher,

Anonymisierung und Vergrößerung von Gemeinschaften: Heute leben mehr Leute denn je in Umfeldern, die unübersichtlich und anonym sind.

Das ist einleuchtend.

Es geht die Rede, dass es bereits ab den 1850er Jahren nach und nach üblich wurde, Fremden unterwegs zu begegnen, ohne ihnen „die Tagzeit zu bieten“, sich nach Woher und Wohin zu erkundigen usw… zusammen mit dem Aufkommen des Eisenbahnverkehrs, der erstmals Menschen in größerer Zahl zusammen auf den Weg brachte, die nichts persönlich verband und die sich dazu noch viel weniger untereinander abstimmen mussten als in den engen Postkutschen.

Wie man so eine Hypothese allerdings nachprüfen kann - ob die vorhandenen literarischen Quellen mit der Beschreibung von Reiseszenen dafür ausreichen -, entzieht sich meiner Kenntnis.

Einen Fall am Rande kenne ich, wo das Grüßen schlicht technisch bedingt aufhörte: Die Überlandstraßenbahn Mannheim - Heidelberg - Weinheim OEG war dafür bekannt, dass dort an den Stationen, an denen auf der Dreiecksfahrt zwischen den genannten Orten der Fahrer abgelöst wurde, der Abgelöste seine Sachen zusammenpackte, aufstand und sich vor dem Aussteigen bei den Fahrgästen verabschiedete, während der Ablöser diese zuerst begrüßte, bevor er auf seinem Sitz Platz nahm. Diese Geste hat mit Einsatz neuer Triebwagen, bei denen der Platz des Fahrers mit einer Trennwand zum Fahrgastraum versehen ist, aufgehört.

Schöne Grüße

MM

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Ich teile die Meinung, dass weniger gegrüßt wird als „früher“, aber nicht, dass dies ein besonderes Merkmal ausschließlich junger Leute wäre. Das ist freilich eine genau so subjektive Einschätzung wie die deine.

Darüber hinaus: Ob Dorf oder Großstadt - letztere bestehen ja auch aus (Wohn-)Vierteln - kann man Leute „erziehen“ oder wird selbst erzogen. Soll heißen: In jeder Lebensumgebung begegnet man anderen Menschen irgendwann so häufig, dass sie in der anonymen Menge auffallen. Dann ist es bis zum ersten vorsichtigen Zunicken gar nicht mehr so weit. Die Erwiderung und der dann kurze Weg bis zum richtigen Gruß ergibt sich fast von selbst.

Du bist gut :wink:
Servus
Was willst du - du grüßt ja hier auch nicht. :wink:
Nun, ich denke, es hat auch mit der Größe der Gemeinde zu tun.
Als wir 1959 in Losone (Tessin) ein kleines Haus hatten, hat man sich im Dorf mit jedem, der entgegen kam, gegrüßt. Später, als der Ort größer geworden war und industrieller, hat man sich nicht mehr gegrüßt.
Den an den Film „Crocodile Dundee“!
Gruß,
Branden

Guten Tag!

Das fiel gerade dazu ein:

Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.
Sokrates (griechischer Philosoph,* um 469 vChr - 399 vChr )

Man sieht, es handelt sich nicht um ein Problem unserer Zeit.

Gruß von der
kleinen Göre

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