Kafka - Interpretation ein wenig philosophisch

Hallo! Ich sitze grad an einer Interpretation zu einem Text von Kafka, der jedoch kiene Überschrift hat. Ich bin ein wenig verzweifelt, weil ich einfach nicht so richtig einen Eingang zu dem Text finden kann!

Auf dem Tisch lag ein großer Laib Brot. Der Vater kam mit einem Messer und wollte ihn in zwei Hälften schneiden. Aber trotzdem das Messer stark und scharf, das Brot nicht zu weich und nicht zu hart war konnte sich das Messer nicht einschneiden. Wir Kinder blickten verwundert zum Vater auf. Er sagte: „Warum wundert Ihr Euch? Ist es nicht merkwürdiger, daß etwas gelingt als daß es nicht gelingt. Geht schlafen, ich werde es doch vielleicht noch erreichen.“ Wir legten uns schlafen, aber hie und da, zu verschiedensten Nachtstunden, erhob sich dieser oder jener von uns im Bett und streckte den Hals um nach dem Vater zu sehn, der noch immer, der große Mann, in seinem langen Rock, das rechte Bein im Ausfall, das Messer in das Brot zu treiben suchte. Als wir früh aufwachten, legte der Vater das Messer eben nieder und sagte: "Seht, es ist mir noch nicht gelungen, so schwer ist das. " Wir wollten uns auszeichnen und selbst es versuchen, er erlaubte es uns auch, aber wir konnten das Messer, dessen Schaft übrigens vom Griff des Vaters fast glühte, kaum heben, es bäumte sich förmlich in unserer Hand. Der Vater lachte und sagte: „Laßt es liegen, jetzt gehe ich in die Stadt, abend werde ich es wieder zu zerschneiden versuchen. Von einem Brot werde ich mich nicht zum Narren halten lassen. Zerschneiden muß es sich schließlich lassen, nur wehren darf es sich, mag es sich also wehren.“ Aber als er das sagte, zog sich das Brot zusammen, so wie sich der Mund eines zu allem entschlossenen Menschen zusammenzieht und nun war es ein ganz kleines Brot.

Vielleicht hat ja jemand von euch einen guten Gedanken, der mir einen Eingang zum Text bringen kann! Was symbolisiert das Brot? Ist es Kafka selbst? Warum lässt es sich nicht zerteilen? Stellt das Brot ein Individuum dar, dass von der Gesellschaft geteilt werden will, an dem jeder zerrt, und das sich nur noch durch zusammenziehen retten kann?
Wäre super, wenn mir jemand helfen könnte!
Danke schon mal,
BlueSmily

Hallo!

Vollzitat gelöscht (MOD)

Hmmm. Beim ersten Lesen würde ich denken, das Brot
ist Gott und das Messer ist der Gottesdienst.

Diese Geschichte kannte ich noch nicht. Gefällt mir.
Wo hast Du die gefunden?

Grüße

CMБ

Hallo,
dies ist Teil einer längeren Sammlung, die als „Es war der erste Spatenstich“ Texte aus Kafkas Nachlass 1918-1922 beinhaltet.
Ich bin kein Germanist, daher nur ein paar laienhafte Gedanken dazu:
Man kann den Text vielleicht in Zusammenhang sehen mit dem 1919 geschriebenen (und niemals abgeschickten) „Brief an den Vater“ mit dem berühmten Satz „Mein Schreiben handelte von Dir (…)“. Der grobe und robuste Vater ist ein grundlegendes Thema in Kafkas Werk, er taucht auch hier auf, um das Brot (die Welt? Franz Kafka selbst?) nach seinem Willen zu formen. Aber auch die Kinder versuchen, das Brot zu zerteilen: obwohl vom Vater fast erdrückt, bemühte sich Franz Kafka um seine Anerkennung, möglicherweise bis hin zur Selbstaufgabe. Dass er hier im Plural von „den Kindern“ spricht, könnte man auf ihn und seine Schwester Ottilie beziehen, die wie Franz ein zwiespältiges Verhältnis zum Vater hatte. Franz Kafka könnte das Kind (Ottilie das zweite Kind), aber auch das Brot sein, sein realer Vater diese fiktive Vaterfigur, aber auch das Messer.
Grüße, Peter

Angenommen Kafka ist das Brot:
Kafkas Vater versuchte Kafka nach seinen Vorstellungen zu formen, doch Kafka versuchte stetig sich als Individuum zu behaupten, wollte sich nicht formen lassen, nicht teilen lassen. Kafka wollte nciht, dass weder sein Vater, noch die Gesellschaft an ihm zerren, was von ihm wollen und ihn aufteilen. Er will bleiben, als Ganzes und das schafft er nur, indem er sich klein macht, zusammenzieht. Klein kann hier einmal so fungieren, dass er sich in sich zurück zieht und sich klein macht, damit niemand mehr an ihn heran kann (also negativ). oder aber klein bedeutet, dass er somit, da er nur kleiner ist, kompakter, als Ganzes genommen/gesehen werden kann. Kleines Brot = noch mehr unangreifbar, (härter?) schwieriger zu teilen. Auch findet man hier eines der zentralen Themen Kafkas wieder: das Scheitern (hier des Vaters). Der Vater in der Rolle des Zerteilers versucht Kafka zu brechen, ihn gefügig zu machen, keiner kann/will Kafka als Ganzes sehen, alle sehen Menschen immer nur in Teilen, Einzeltielen, (Bilder?). Brot ist ein Nahrungsmittel, stet also im weitesten Sinne auch für Leben. Leben teilt man nicht, man möchte es als Ganzes für sich behalten, aber dennoch gibt man häufig anderen Teile davon ab.

Das sind ein paar Gedanken, die mir duch den Kopf gegangen sind!
Was hälst du/ haltet ihr davon?
gruß
BlueSmily

Hallo,

Man kann den Text vielleicht in Zusammenhang sehen mit dem
1919 geschriebenen (und niemals abgeschickten) „Brief an den
Vater“ mit dem berühmten Satz „Mein Schreiben handelte von Dir
(…)“. Der grobe und robuste Vater ist ein grundlegendes Thema
in Kafkas Werk,

In K.'s „Entwicklung“ ja, aber auch im Werk? Wirklich?

er taucht auch hier auf, um das Brot (die
Welt? Franz Kafka selbst?) nach seinem Willen zu formen. Aber
auch die Kinder versuchen, das Brot zu zerteilen: obwohl vom
Vater fast erdrückt, bemühte sich Franz Kafka um seine
Anerkennung, möglicherweise bis hin zur Selbstaufgabe. Dass er
hier im Plural von „den Kindern“ spricht, könnte man auf ihn
und seine Schwester Ottilie beziehen, die wie Franz ein
zwiespältiges Verhältnis zum Vater hatte. Franz Kafka könnte
das Kind (Ottilie das zweite Kind), aber auch das Brot sein,
sein realer Vater diese fiktive Vaterfigur, aber auch das
Messer.

Zu einfach nach meinem Geschmack. Nicht „indirekt“ genug
(für Kafka) und imho auch nicht schlüssig. Sorry aber
Kafka schreibt m.E. keine moralischen Kindergeschichten :wink:

Ich „vermute“, daß Kafka hier ein ganz anderes Thema
angegangen ist, nämlich den Widerspruch zwischen
analytischem modernen Judentum und deren Anspruch
auf „Werte“ in und „Analysieren“ der Religion und
z.B. den Chassiden. Ich vermute weiter es geht um
das Thema, welches auch im „Riesenmaulwurf“ (1915)
vorkommt.

Grüße & Danke

CMБ

PS.: wenn K. seinen „Vater“ meint, dann erkennt man
das imho daran, daß er das Wort „Vater“ nicht verwendet.

Hallo BlueSmily,
ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, das Brot als Symbol für Kafka selbst anzunehmen.

  1. Grundsätzlich: Gerade bei Kafka sollte man immer sehr vorsichtig sein, seine Werke direkt auf ihn selbst zu beziehen. Auch wenn in der Forschung sehr viele „Zusammenhänge“ dieser Art gesammelt wurde: ja, das mag oft mitschwingen in einem Text von Kafka, aber die Werke dieses Schriftstellers greifen immer weiter, deuten nie nur sein eigenes Leben, sondern drücken universelle Probleme und Befindlichkeiten aus. Das ist ja gerade das Faszinierende an Kafka.

  2. Wenn wir aber doch bei der Biographie bleiben: Das Brot widersteht dem Vater. Kafka selber hatte aber das Gefühl, dem Vater (in vielem) unterlegen zu sein. Die Kinder sind noch nicht einmal in der Lage, das Messer anzufassen, dass „vom Vater glühte“. Der Vater ist also den Kindern weit überlegen.
    Auf einer (sehr abstrakten!) Ebene scheint das Brot mit dem Schloss und vielen anderen Metaphern in anderen Werken zu korrespondieren: Es ist nur scheinbar überschaubar, in Wirklichkeit aber für den Menschen nicht zu fassen, nicht zu bewältigen, der Mensch (hier der Vater) versucht es dennoch immer wieder und glaubt daran, es doch irgend wann bewältigen zu können.
    Gruß!
    Karl

Hallo!
Danke für deinen Hinweis!
Anstatt das Brot als Kafka selbst zu sehen, kann ich also das Brot als Individuum allgemein sehen, als ein Mensch, der sich nicht formen lassen will!?
Was denkst du, sagt der Satz „Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, dass etwas gelingt, als dass es nicht gelingt?“ aus?

lg
BS

Hallo BlueSmily,
nein, ich glaube nicht, dass das Brot einen Menschen symbolisiert sondern die „Sache“, das „Problem“, das Kafka oder „Menschen allgemein“ nicht bewältigen, das unüberwindbar vor ihnen steht.

Die Psychologie der Geschichte erinnert doch auch an die großen Romanfragmente „der Prozess“ und „das Schloss“: Immer steht die Hauptperson vor einem „Ding“, dass auf den ersten Blick leicht zu lösen ist, sich aber als unüberwindbar herausstellt und an der die Person trotz vieler Versuche scheitert! In der kleinen Geschichte kommt natürlich noch hinzu, dass der Vater an dem „Problem“ scheitert und erst danach das Kind im noch stärkeren Maße. Die Stoßrichtung könnte sein „Das Leben ist schon für meinen Vater nicht zu bewältigen, ich, der ich viel schwächer bin als er, habe also gar keine Chance“. Das ist eine mögliche Deutung und sehr mit Vorsicht zu genießen, weil es „die“ konkrete Deutung bei Kafka vermutlich gar nicht gibt.

Kennst du die Romane? Was nun dieses „Ding“ , „Problem“ aber ist, darüber streiten sich die Gelehrten und werden es immer tun: ein allgemeines Angst- oder Schuldgefühl? Die Unmenschlichkeit der modernen Gesellschaft? Die Unerreichbarkeit Gottes?
Gruß!
Karl

Was denkst du, sagt dieser Satz aus??

" Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, dass etwas gelingt,als dass es nicht gelingt?"