Kalkulation von Infrastrukturprojekten

Hi,

http://www.spiegel.de/kultur/musik/elbphilharmonie-i…

BER, Stuttgart 21… Man hat sich ja schon dran gewöhnt dass die ersten Rechnungen nicht stimmen und es dann 3x so teuer wird wie geplant. Aber nun soll die Elbharmonie in Hamburg statt der geplanten 77 Mio 575 Mio kosten. Das ist das 7,5 fache. Kann mir mal jemand erklären was da im Hintergrund passiert dass solche Projekte soviel teurer werden? Ok, es wurde 2005 mit der Planung angefangen… alles wird teurer, und man kann eh nie auf den Cent genau planen - aber 7,5 mal so teuer? Wie kommt sowas? Sind da hochkomplexe Machnismen am Werk oder ist es einfach nur eine Kombination aus Unfähigkeit und „ich gehe eh in 2 Jahren in Pension - nach mir die Sintflut“? Oder steigen gar die Schmiergelder für die Beteiligten je mehr es kostet so dass jeder ein Interesse hat es so teuer wie möglich zu machen?

Gruss
K

Das Hauptproblem dürfte sein, dass niemand den Preis anbieten kann, den es wirklich kostet, weil der viel zu hoch ist. Das heisst alle Bieter unterbieten sich in einer ziemlich üblen Preisspirale gegenseitig.

Der Rest ist Schlamperei.

Hallo,

http://www.spiegel.de/kultur/musik/elbphilharmonie-i…

BER, Stuttgart 21… Man hat sich ja schon dran gewöhnt dass die ersten Rechnungen nicht stimmen und es dann 3x so teuer wird wie geplant.

Das liegt daran, dass nur über solche Projekte ausführlicher berichtet wird.

Aber nun soll die Elbharmonie in Hamburg statt der geplanten 77 Mio 575 Mio kosten. Das ist das 7,5fache. Kann mir mal jemand erklären was da im Hintergrund

passiert dass solche Projekte soviel teurer werden? Ok, es wurde 2005 mit der Planung angefangen… alles wird teurer, und man kann eh nie auf den Cent genau planen - aber 7,5 mal so teuer? Wie kommt sowas? Sind da hochkomplexe Mechanismen am Werk oder ist es einfach nur eine Kombination aus Unfähigkeit und „ich gehe eh in 2 Jahren in Pension - nach mir die Sintflut“? Oder steigen gar die Schmiergelder für die Beteiligten je mehr es kostet so dass jeder ein Interesse hat es so teuer wie möglich zu machen?
Bei solchen Projekten, die derart aus dem Ruder laufen, wird es wohl tatsächlich eine Mischung aus allem sein. Das eigentlich Schlimme ist dann noch ds Unvermögen solche Projekte einfach abzubrechen und stattdessen immer mehr gutes Geld schlechtem hinterhezuwerfen. So nach dem Motto: Wir können doch nicht 10 Mio. Steuergelder für nicht verbaut haben. Das können wir dem Steuerzahler nicht zumuten. Und schmeißen noch 20 hinterher.

Grüße

die Kunst der Ausschreibung
Hallo,
gleich vorweg: Wie es bei Bauprojekten funktioniert, das weiß ich nicht.

Allerdings kenne ich Ausschreibungen aus dem Logistikbereich, wo sich Einem die Fußnägel hochklappen, weil diese Verfahren von „akademischen Logistikern“ ausgedacht erträumt wurden, die selbst zu blöd sind, einen Hubwagen gerade durch die Halle zu ziehen.

Vereinfachtes überzeichnetes Beispiel:

Ein Konzern schreibt den wiederkehrenden Transport einer Standardpalette 400 kg bundesweit ab Werk aus.

Da geht dann das fleissige Unterbieten los, und Irgendjemand bekommt dann den Zuschlag, der so eine Palette bundesweit für 35.- Euro transportiert.

Das Gleiche wird dann gleich mit langfristigem Vertrag festgezurrt.

Beim ersten Transport stellt dann der Auftraggeber fest:

Das Abladen ist im Preis nicht drin
Der Einsatz des Hubwagens kostet extra, um die Palette vom LKW zum Standort zu fahren
Kleinste Transporthindernisse, wie eine Bordsteinkante, kosten mächtig extra

usw
usw

Auf diese Weise kommt der Logistikprovider dann zu einem angemessenen Entgelt für seine Leistung und mehr!
Bei einer erneuten Ausschreibung werden dann die Logistikakademiker auf solche Feinheiten achten und in den Leistungskatalog aufnehmen, aber ein kreativer Dienstleister findet immer wieder Möglichkeiten, „Value added Service“ zu verkaufen…

So ähnlich wird es im Bau funktionieren - nur noch viel komplizierter.

Gruß

Hummel

Hallo,

bis hierhin muss ich dir vollkommen recht geben, nur das bei solchen Projekten es nicht „value addes servises“ fuer ein paar EUR sind, sondern „unvorhersehbare Erschwernisse“ fuer ein paar Mio. (z.B. da ist doch tatsaechlich ein Felsbrocken in der Erde und der stoert die Aushubarbeiten fuers Fundament).

Was man aber auch nicht ausser Acht lassen darf ist die „Schoenrechnerei“ damit solch ein Projekt ueberhaupt die Huerden in den Genehmigungskremien nehmen kann. Oder denkst du der Senat in Hamburg haette dem Propjekt zugestimmt wenn von Anfang an 500Mio Baukosten zur Diskusion gestanden haetten? dito S21. Bei S21 standen zu Beginn, wenn ich mich richtig erinnere, so etwa 1,7 Mrd DM zur Diskussion.

Wenn solch ein Projekt mal genehmigt ist, dann explodieren die Kosten, was die Initatoren meist vorher schon wussten, aber verschwiegen haben. Denn es gibt viele die an solchen Grossprojekten mitverdienen und die leisten auch massiv Lobbyarbeit (? Bakschisch ?).

Tschau
Peter

Hallo,

wird wie geplant. Aber nun soll die Elbharmonie in Hamburg
statt der geplanten 77 Mio 575 Mio kosten.

das ist nicht ganz richtig. Die Baukosten lagen von vornherein bei rd. 200 Mio., nur entfielen auf die Stadt Hamburg nur die erwähnten 77 Mio. Die Differenz ergibt sich u.a. daraus, daß Wohnungen und ein Hotel in dem Gebäude entstehen sollen (=Verkaufserlöse etc.).

Nun sind die Projektkosten gestiegen aber die Erlöse aus den Verkäufen logischerweise nicht. Daraus ergibt sich dieser sehr beachtliche Anstieg der Kosten, die von Hamburg zu tragen sind.

Generell ist das Problem bei der öffentlichen Hand, daß Ausschreibungen oft nicht alle Leistungen enthalten, die erbracht werden sollen („wie? Sie wollten auch Wände haben? Das kostet aber extra.“), daß Leistungen erbracht werden, die in dieser Form nicht bestellt waren („wir haben das ganze Treppenhaus sicherheitshalber mit Marmor ausgekleidet“) und daß Mehrkosten geltend gemacht werden, die sich im Verlauf des Projektes erst ergeben haben.

Anläßlich der Empörung, die in solchen Fällen durch das Land und durch die Medien schwappt, frage ich mich immer, wie irgendjemand auf den Gedanken kommen kann, der Staat müsse viel häufiger als Unternehmer fungieren, Banken und Energieversorger verstaatlichen und Privatisierungen unterlassen.

Der Staat taugt ja nicht einmal als Bauherr.

Gruß
C.

Das Hauptproblem dürfte sein, dass niemand den Preis anbieten kann, den es wirklich kostet, weil der viel zu hoch ist. Das heisst alle Bieter unterbieten sich in einer ziemlich üblen Preisspirale gegenseitig.

Bei einem öffentlichen Bauvorhaben besteht sehr große Sorgfaltspflicht des Auftraggebers hinsichtlich Angeboten, die unter „üblichen“ Marktpreisen liegen. Völlig egal, ob alle Anbieter unter Marktpreisen oder mit ähnlich großen Kalkulationsfehlern anbieten.

Der Rest ist Schlamperei.

Nicht der Rest, sondern der Anfang. Waren die Wünsche des Bauherrn zu Beginn klar definiert? Sind diese in die Ausschreibung eingeflossen?

Bei allem Respekt, die Ursache für eine derart üble Preissteigerung würde ich zuerst beim Auftraggeber suchen. Qualifizierter Ausschreibungsfachleute, gute Vertragsgestaltung und Projektsteuerung (Terminvereinbarungen und deren Verfolgung)? Hier sind mit Sicherheit grundlegende Versäumnisse zu finden.

Ein relativ sicheres Indiz dafür ist alleine schon die Tatsache, dass man sich bei „angeblich“ * gleicher Zusatzkostenhöhe von 200 Mio für den GÜ entscheidet (anstelle Kündigung und neuen GÜ) und für sich und „die da draußen“ den früheren Fertigstellungstermin als Erfolg präsentiert.

Franz

* Eine Kündigung würde neben Terminverzügen deutlich höhere Kosten nach sich ziehen als die Fertigstellung der Arbeiten durch den ursprünglichen Auftragnehmer.

Hallo auch,

beim Berliner Fluchhafen spielte wohl die Arroganz der Bauhereen eine nicht gerade untergeordnete Rolle. Soviel ich weiss, hatte ein Baukonsortium den Airport für 1Mrd.Euro schlüsselfertig angeboten.
Das war den Bauherren wohl zu teuer (lol)…also nahmen sie die Sache selbst in die „fähigen“ Hände. Der Rest ist ja bekannt.

Ein Beispiel aus einer Doku über das Debakel:

Ein kleiner Installateurbetrieb hat einen Auftrag nach einer Ausschreibung bekommen…soweit so gut. Aber niemand hat ihm gesagt dass er mit seinen Firmenfahrzeugen nicht bis an die Baustelle fahren kann (Sicherheitsvorkehrungen)…ergo musste er 750m entfernt parken und sein Material eben schleppen…hatte er etwas vergessen musste er eben wieder zurück und das ganze holen und erneut die Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Wer soll so Arbeitszeit kalkulieren?
In der selben Doku wahr von über 4000(!) Kollisionspunkte zwischen den Gewerken die Rede.

Aber wie kommt es zu solchen Fehlkalkulationen?

Ein Beispiel aus der Praxis…
Vorhaben: Installation einer Brandmeldeanlage in einer Lagerhalle
Vorgehensweise: die technische Abteilung der Firma holt sich mehrere Angebote ein…und übergibt diese Zwecks Nachverhandlung an die Einkaufsabteilung…soweit so gut. Es kommt ein Vertrag mit Firma X zustande…Firma X liefert die Anlage…und das wars…die Installation soll laut Vertrag Kundenseitig erfolgen…der Einkauf hat einfach die Installion, ohne Rücksprache mit der Technik, aus dem Vertragsumfang nehmen lassen. Frei nach dem Motto…„unsere Elektriker machen das selber…“ haha
Was der Einkauf nicht wusste…dazu ist spezielles Fachpersonal nötig.
Und nu? also los und eine Fachfirma gesucht und jetzt darfst du raten wer den Auftrag zur Installation bekommen hat und wie der Gesamtpreis aussah.

Ich könnte dir noch dutzende solcher Beispiele nennen wenn sich Kaufleute ohne technischen Sachverstand einmischen.

Gruß Angus
„…nur reiche Leute können sich billige Lösungen leisten“

Hi,

http://www.spiegel.de/kultur/musik/elbphilharmonie-i…
nochmal-200-millionen-euro-teurer-a-873013.html

BER, Stuttgart 21… Man hat sich ja schon dran gewöhnt dass
die ersten Rechnungen nicht stimmen und es dann 3x so teuer
wird wie geplant. Aber nun soll die Elbharmonie in Hamburg
statt der geplanten 77 Mio 575 Mio kosten. Das ist das 7,5
fache. Kann mir mal jemand erklären was da im Hintergrund
passiert dass solche Projekte soviel teurer werden? Ok, es
wurde 2005 mit der Planung angefangen… alles wird teurer,
und man kann eh nie auf den Cent genau planen - aber 7,5 mal
so teuer? Wie kommt sowas? Sind da hochkomplexe Machnismen am
Werk oder ist es einfach nur eine Kombination aus Unfähigkeit
und „ich gehe eh in 2 Jahren in Pension - nach mir die
Sintflut“? Oder steigen gar die Schmiergelder für die
Beteiligten je mehr es kostet so dass jeder ein Interesse hat
es so teuer wie möglich zu machen?

Ich denke, dass bei diesen Projekten - und möchte fast ins Blaue hinein vermuten, dass das weitaus häufiger passiert als Journalisten das entdecken können, schlechte Verträge ausgehandelt sind und anschließend durch lasche Führung und schlechte Koordination das Ganze schlecht kontrolliert vor sich herläuft.

Hallo,

Ich könnte dir noch dutzende solcher Beispiele nennen wenn sich Kaufleute ohne technischen Sachverstand einmischen.

Da lassen sich bestimmt auch Beispiele finden, wenn sich Ingenieure ohne kaufmännischen Sachverstand austoben. Da fällt mir spontan der Phaeton ein. Das ist also nicht das eigentliche Problem. Das Problem sind doch die Leute, denen es an Beidem fehlt, aber die Entscheidungen fällen. Nur noch getopt von denen, die zu keiner Entscheidung in der Lage sind.
Grüße

Hallo auch,

Das Problem sind doch die Leute, denen es
an Beidem fehlt, aber die Entscheidungen fällen. Nur noch
getopt von denen, die zu keiner Entscheidung in der Lage sind.

und somit Termine nicht gehalten werden können
da stimme ich dir völlig zu…
es gibt aber auch noch jene die ihre Meinung „stündlich“ ändern und dreimal am tag ihre Entscheidungen revidieren bzw. sich selber nicht an ihre eigenen Entscheidungen halten.

Auch Einkäufer die offentsichtliche Fehler in Angebotskalkulationen ignorieren und nach Vertragsabschluß den Anbieter ins offene Messer rennen lassen sind übel.

Gruß Angus

Hi.

Nachdem ich mal einen befreundeten Architekten auf soetwas angesprochen hatte (ging um den Flughafen Berlin-Brandenburg) gab der mir ein nettes Beispiel:

Er sollte für den Besitzer einer Autowerkstatt eine Lagerhalle planen. Im Laufe der Zeit kamen diverse Sonderwünsche hinzu, wie z.B. mehrere Rolltore an der längeren Gebäudeseite, ausserdem Hebebühnen und was man sonst noch in einer Autowerkstatt braucht. Da zum Zeitpunkt dieser Änderungen bereits die Bodenplatte gegossen war, musste diese nochmal fast vollständig entfernt werden, um für die benötigten Umweltschutzmaßnahmen zu sorgen und den sicheren Betrieb der Hebebühnen gewährleisten zu können. Letztenendes kostete die Halle, ursprünglich mit 400.000 € veranschlagt, 2,4 Mio. €. Der Werkstattbesitzer kam dadurch finanziell in arge Bedrängnis (konnte sich aber retten und die Werkstatt gibt es immernoch) und wunderte sich, wie der Preis so hoch gehen konnte. Lag eben daran, dass die ursprüngliche Planung zum Schluss nichtsmehr mit dem Endergebnis zu tun hatte. Aus einer Lagehalle war eine voll eingerichtete Werkstatt für 9 PKW und 3 LKW gleichzeitig geworden.

Der Architekt meinte, dass soetwas wohl recht häufig Vorkomme, wenn er auch die nachträgliche Preisentwicklung bei Projekten wie dem Flughafen nicht wirklich nachvollziehen kann, da hier die Nutzung von Anfang an ziemlich klar sein dürfte. Eine Kostensteigerung wäre zwar zu erwarten, das Ausmaß ist dann aber doch heftig.

MfG,
TheSedated

Hallo auch,

gutes Beispiel mit der Lagerhalle…
So ähnlich hat sich gerade ein Projekt bei uns abgespielt…erst nur als „Lagerhalle“ geplant und dann kamen noch div. Sonderwünsche dazu, die allerdings „nur“ die Elektroplanung betrafen aber die Kosten für die Elektroinstallation sprengten.

Was mich dabei „beruhigt“ ist die Tatsache, dass es nicht nur bei uns so läuft…

Gruß Angus