Hallo Salzmann,
das „Gesicht verlieren“ - das als Begründung dafür, dass man
in einen Krieg ziehen muss - ist das nicht die typisch alte
militaristische Macho-Denke? Der Stolz des Kriegers? Wenn ich
nicht hart zuschlage, dann hält man mich für ein Weichei?
Nein, natürlich nicht. Allerdings - nüchtern gesehen - würde man uns - nicht ganz zu unrecht - als ‚Weicheier‘ ansehen, wenn man sich nicht auf bestehende Verträge und gegebene Worte verlassen könnte. Sosehr mich der Einsatz militärischer Mittel an sich abstösst - die Entsendung von Sanitätern, Minenräumern, ABC-Abwehr-Spezialisten halte ich zumindest noch für erträglich.
Unseeligerweise wurde nunmal seitens der NATO der Bündnisfall festgestellt (was aufgrund der Erweiterung des NATO-Vertrags auf ‚terroristische Bedrohung‘ von 1999 leider durchaus legitim zu sein scheint). Dass die Bombardierung der Taliban hier nicht das geeignete Mittel ist (der Meinung bin ich allemal), steht auf einem anderen Blatt.
Fatal wäre es sicherlich, so zu tun, als ginge uns das alles nichts an. Neutralität steht leider nicht zur Disposition.
Die Frage ist, ob sich irgendein Aggressor jemals von politischem / religiösen / wirtschaftlichen „Druck“ hat aufhalten, sogar auch nur beeindrucken lassen? Wieviel Sinn macht es, wenn ein beliebiger Präsident / König / Minister / Papst dazu aufruft, man möge doch bitte wieder lieb sein? Seit Jahren sehen wir uns gerne als wichtigen politischen Faktor - in Europa und auch weltweit. Dürfen wir uns wundern, dürfen wir uns weigern, wenn uns plötzlich jemand beim Wort nimmt? Was würde uns das kosten, ‚Nein!‘ zu sagen? Im Golfkrieg von 1991 haben wir uns noch mit 17 Mrd. Dollar ‚freigekauft‘ (und hatten trotzdem Soldaten im Iran…). Wieviel sollen es diesmal sein? Was wäre unsere Stimme in der UNO, der EU noch wert? Ah, die grossmäuligen Deutschen, reden viel, tun nix… Welchen Stellenwert, welches Gewicht wird zurkünftige deutsche Außenpolitik, egal welcher politischen Färbung, haben, wenn wir zwar von Anderen Risken verlangen, selbst aber nicht bereit sind, welche einzugehen? Können wir uns ernsthaft international ausklinken und uns schlimmstenfalls isolieren? wohl kaum. Man kann jetzt sagen, dass sich durch Militäraktionen bislang auch noch kein Aggressor hat beeindrucken lassen. Das ist sicher richtig, Hussein regiert noch, Milosevic wurde von seinen eigenen Leuten rausgeworfen. Es macht andererseits, zumindest für mich, den Eindruck, dass ein militärischer Erfolg nicht wirklich gewünscht war - auch wegen der ausgegebenen No Casualities-Politik. Augenscheinlich ist die Interessenlage hier aber eine andere.
Würden wir Kampftruppen schicken, Infanterie, Panzer, Bomber, du hättest mich sofort auf deiner Seite. Peronal zur medizinischen Versorgung von Kranken und Verletzten (auch aus der Zivilbevölkerung und auch vom ‚Feind‘), Spezialisten zum Aufspüren und Unschädlichmachen von chemischen und biologischen Waffen, Spezialisten zum Räumen von Land- und Seeminen zu schicken - wie weit unterscheidet sich das ernsthaft von den bisherigen Einsätzen? Diesmal halt kein blaues Barret. Waffen haben auch Blauhelme dabei.
Hier zwar off-topic, aber dennoch in die gleiche Richtung zielend: 1977 stürmte die deutsche Spezialeinheit GSG9 in Mogadischu die ‚Landshut‘ - völlig out-of-area, ausserhalb des Geltungsbereichs deutschen Rechts und unter Einsatz von Leib und Leben von sich und auch von 80 Passagieren. Der Einsatz richtete sich auch nicht gegen deutsche Terroristen, sondern gegen die PFLP. War das gerechtfertigt? Hätte man dem Druck der Terroristen nachgeben können, dürfen?
Jetzt wieder on-topic:
Von mir aus mögen alle Menschen nach ihrer Fasson leben und glücklich werden - und sie mögen ihre Probleme weitgehend selbständig lösen. Nur, was mache ich, wenn ich aus irgendwelchen Gründen selbst als Feindbild gelte? Stillhalten? Und überhaupt, wo liegt eigentlich meine Duldungsgrenze? Werde ich es dulden, wenn z. B. Rechtsradikale mich angreifen? Oder in meiner Gegenwart Andere angegriffen werden? Wehre ich mich, gehe ich dazwischen? Ja, mach ich, habe ich gemacht, werde ich weiterhin tun. Aus diesem Grund war für mich der Kosovo-Einsatz der Bundeswehr moralisch viel schwerer zu vertreten - weder ich noch mein Umfeld waren betroffenes Feindbild. Bei bin Laden ist die latente Bedrohung um ein erhebliches potenziert.
Dass wir reagieren müssen, steht für mich ausser Frage. Und wenn es auch nur als Rückversicherung ist, dass uns im schlimmstmöglichen, aber leider nicht ausschliessbaren Fall auch irgendjemand zur Seite steht. Und wir uns auf dem schwankenden diplomatischen Parkett das Recht behalten, präsent zu sein und eigene Interessen zu vertreten.
Die wirkliche Tragödie an dieser Angelegenheit ist für mich aber eine andere: das es überhaupt soweit kommen musste. Dem glorreichen Westen waren alle islamischen Extremisten solange egal, solange sie ihre eigenen Leute abgeschlachtet haben - und die Liste der Opfer ist lang. Auch das ein Grund für die weitere Radikalisierung und des Westen-Hasses vieler Muslime.
Mein Gott, es zeigt sich heutzutage, dass die Leute wohl doch
rechthaben, die sagen, dass der Mensch sich seit Jahrtausenden
nie aus seiner Primitivität befreit hat… (ich meine nicht
dich persönlich, sollte das so verstanden werden können)
a) Letzten Satz dachte ich mir schon, kein Problem
b) Das unterschreibe ich blind.
Gruss
Feanor