Kann man Goethes Farbenlehre mathematisch nachvollziehen?

Hallo!

Werneburg zielte darauf ab, Goethes Lehre mathematisch zu fassen – in einem Buch mit tausend Formeln und sieben Siegeln. […] In der neueren Forschung sind Werneburgs Formeln weder rekonstruiert noch auf Stichhaltigkeit hin überprüft worden.

Quelle:
Olaf L. Müller: Mehr Licht. Goethe mit Newton im Streit um die Farben. S. Fischer, Franfurt a. M. 2015.

Die Entstehung der physischen Farben nach Goethe:

  • Grundthese: Das weiße Licht ist unzerlegbar.
  • Es gibt „nur zwei ganz reine Farben“: Gelb und Blau. Gelb ist am nächsten am Licht. Blau ist am nächsten an der Finsternis.
  • Der gelbe bis rote Farbeindruck entsteht, wenn das weiße Licht durch ein trübes Medium gesehen wird.
  • Der blaue bis violette Farbeindruck entsteht, wenn sich vor einem dunklen Hintergrund ein beleuchtetes, trübes Medium befindet.

Moin,

Ich verstehe noch nicht einmal das Problem an sich. Denn alleine schon die Grundthese

Grundthese: Das weiße Licht ist unzerlegbar.

ist doch anschaulich so nicht haltbar. Alternativ könnte ich auch die Schildröte des Achilles nehmen und klar belegen, ein Läufer kann sie nie im Leben einholen.
Der Mathematiker (okay, einer, der den Limes nicht kennt) würde einen solchen Wettlauf nicht antreten, den jedes Kindergartenkind locker und klar für sich ohne Mathematik entscheiden wird. Aus einer pragmatischen Sicht heraus: Was spielt es für eine Rolle, wie die Farbenlehre mathematisch aussieht? Was kann ich damit anfangen? Was ist daran besser? Taugt das Rasiermesser noch was oder nicht? Oder geht es nur um das Prinzip: „Die Wahrheit muss ans Licht!“?

Gerade solche Aussagen aus
http://farbenstreit.de/mehr-ueber-das-buch/

Selbstverständlich habe ich keine definitive Antwort auf die Frage
gefunden, doch die tentative Vermutung, zu der ich gelangt bin, ist
beunruhigend genug: Möglicherweise sähe heute unsere Physik komplett
anders aus.
erscheinen mir doch sehr eigenwillig. Ob und wie die Physik aussieht, spielt doch zunächst überhaupt keine Rolle, die Dinge, die wir mit der aktuellen erreicht haben, sind doch in Ordnung, Es sei denn, seine „neue Physik“ könne Dinge besser und einfacher erklären, als die alte und - nicht vergessen - man käme zu den gleichen Vorhersagen.
-> Rasiermesser

Ich habe den Eindruck, er ist so ein „Retter der unterdrückten Menschen“ aus Prinzip heraus, ohne die Dinge weiter zu hinterfragen. Seine Ansichten aus http://farbenstreit.de/der-autor/methode/ kann ich nicht so recht nachvollziehen. Das sieht für mich nach „Ich bin dafür, dass ich dagegen bin!“ aus. Da frage ich mich doch auch noch, was will er jetzt eigentlich?

Ulrich

Da diese ‚Lehre‘ offensichtlich kompletter Unsinn ist verstehe ich nicht, was man da - mit welchen Mitteln auch immer - irgendwie nachvollziehen will. Da kann man auch versuchen, mathematisch nachzuvollziehen, warum man Hexen verbrennen muss.

Moin,

Der für mich einzig nachvollziehbare Mechanismus wäre der, dass man die Mathematik als zentralen Maßstab der Welt ansieht. Frei nach „Wenn die Mathematik nein sagt, dann gibt es das nicht.“
Man kann ja gerne beweisen, dass ab 30 km/h die Luft aus einem fahrenden Zug gedrückt wird und daher die Menschen jämmerlich streben müssen, wenn sie sich in einen Zug setzen. Wobei den Menschen, die das damals so oder so ähnlich ausgerechnet haben, hätte auffallen müssen, dass Vögel wesentlich schneller in der Luft unterwegs sind, sie aber offensichtlich gut atmen können.

Ulrich

Hallo Flaneur,

deine Frage: „Kann man Goethes Farbenlehre mathematisch nachvollziehen?“ versuchte anscheinend bereits Werneburg 1817 zu beantworten.

Wie aus deinem Zitat hervorgeht:

Das ist natürlich schade.

Über Werneburg findet man bei Wiki etwas:


darin u.a. „Ausgewählte Schriften“ von ihm:
„• Merkwürdige Phänomene an und durch verschiedene Prismen. Zur richtigen Würdigung der Newton’schen und der von Göthe’schen Farbenlehre. Schrag, Nürnberg 1817. Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek.“

Die Seiten seiner Arbeit sind digitalisiert und die einzelnen Formeln könntest doch du jetzt: " … auf Stichhaltigkeit hin …" überprüfen und uns berichten, ob Goethes Farbenlehre mathematisch - wenigstens nach Herrn Werneburg -
nachvollziehbar ist :yum: .

Ob Goethes Farbenlehre stimmt oder nicht, hast du ja nicht gefragt.

Aber auch das ergibt genau gar keinen Sinn. Ist mir viel zu nah an Numerologie.

Goethe lehnte die Idee, das Licht könne aus Farben zusammengesetzt sein, schon aus philosophischen Gründen ab.

Eines der praktischen Experimente, durch die er Newton widerlegt sah, bestand darin, dass er einen Kreisel in allen sechs Farben des Spektrums rotieren ließ. Anstelle von Weiß brachte der Kreisel aber nur ein schmutziges Grau hervor.

Moin,

Aus meiner Sicht die falsche Richtung: https://de.wikipedia.org/wiki/Zahlensymbolik Hier geht es doch um handfeste und prüfbare Dinge. Ne, das sieht mir mehr nach der Hummel aus: http://www.spektrum.de/frage/sind-hummeln-wirklich-zu-dick-zum-fliegen/1335685

Der Mythos um die Hummel, die eigentlich nicht fliegen dürfte, es aber
irgendwie doch tut, geht auf den französischen Entomologen Antoine
Magnan zurück. 1934 verwies er in seinem Buch „Der Flug der Insekten“
auf Berechnungen des Mathematiker André Sainte-Laguë. Demnach könne eine
Flugzeugtragfläche in der Größe eines Hummelflügels mit
Hummelgeschwindigkeit nicht fliegen. Die Aussage stimmt bis heute. Nur
haben Hummelflügel und Flugzeugflügel eben nicht viel miteinander
gemein, außer eines: wie sie Auftrieb erzeugen.

Daher sehe ich noch nicht einmal einen hauchdünnen Ansatz in Richtung Numerologie. Auch ein Philosoph sollte sehr gut aufpassen, wenn er fremde Baustellen betritt. Seine Kombination mit der Mathematik macht es auch nicht besser, wenn man dabei die Realität vergisst und einige andere naturwissenschaftliche Prinzipien. Nämlich die, dass Mathematik nach den gängigen Auffassungen eben keine NaWi ist, sondern eine Wissenschaft für sich.

Ulrich

Das einzige, was einen Sinn ergibt, ist die Sinnlosigkeit des ersten Beitrage, noch präziser: die Grundlagen, über die dort berichtet wird.

Moin,

Das darf er schließlich auch, kein Thema.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2016 und haben Messgeräte, Wir wissen auch, dass unser Auge und unser Gehirn so seine Eigenheiten bei der Interpretation der Welt hat. Von daher kann ich das Aufwärmen solcher Dinge von einem modernen Menschen der Wissenschaften nach wie vor nicht nachvollziehen. Es sei denn, man möchte eine geschichtliche Entwicklung darstellen.
Wie auch immer, danke, das mit dem Kreisel wusste ich noch nicht.

Ulrich

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Das Thema wäre eine Doktorarbeit wert. :wink:

Mir als ausgebildetem Kaufmann ist diese Mathematik zu hoch.

Hallo,

da es dir mutmaßlich um die Arbeit von Werneburg geht und weniger um die leicht skurrilen → Forschungsprogramme von Müller: Die 41-seitige (plus zahlreiche farbige Graphiken) Publikation des Mathemtikers J.F.C. Werneburg von 1817Merkwürdige Phänomene an und durch verschiedene Prismen. Zur richtigen Würdigung der Newton’schen und der von Göthe’schen Farbenlehre“ hatte alles andere im Sinn, als Goethes Farbenlehre „mathematisch zu fassen“. Was das wohl überhaupt heißen soll!

Werneburgs Intention kann man leicht in seinem Vorwort lesen:

„Zum höchsten Vorwurf rechnete man v. Göthe’s Farbenlehre die Vermissung der Meßkunst darin an, und vermaß sich daher dieses in der Physik Epoche beginnende Werk und die schönen Künste zu rechnen. Wie sehr hat man sich verrechnet! - Die strenge Meßkunst weilt nicht länger die Werke des Genies hier nach Gesetzen zu erweisen und zu begründen. Es gilt hier die Entscheidung der Frage: War Newton der Physiker mehr Dichter, oder der Dichter Göthe mehr Physiker in der Farbenlehre? …“

Was Werneburg dann tut, ist zunächst nichts anderes, als Berechnungen der Reflexionen von Licht in díversen Prismen. Und das mit Hilfe von Brechungindizes und den geometrischen Verhältnissen. Also dem Gedankengang nach im Grundsatz recht einfach, aber derartig umständlich und verquast, Unter meinen früheren Kollegen kenne ich keinen der Spezialisten für die Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin der Romantik, der sich den Tort angetan hätte, den Werneburg Zeile für Zeile durchzuackern.

Und im Übrigen lohnt das auch nicht im Detail: Wichtig ist nur die wissenschaftliche Argumentation von Werneburg: Die Rechnungen und geometrischen Überlegungen, sind, wie Stichproben zeigen, sicher korrekt. Aber bei der Interpretation der Resultate setzt er Goethes Argumention voraus: 1. Farben sind Resultate der Wechselbeziehung zwischen Licht und Finsternis, 2. Beim Experiment spielt der Blick des Auges, die subjektive Wahrnehmung, durch die Prismen eine entscheidende Rolle, 3. Bei der Beobachtung des Strahlenganges durch den „Raum“ des Prismas kommt dem Raum, in dem der Strahlengang nicht hergeht, eine interaktive Rolle zu (als Präsenz der Finsternis). Und besonders 4. Weiß ist keine zusammengesetzte Farbe.

Mir ist btw. auch keine zeitgenössische Rezension der mühevollen Arbeit von Werneburg bekannt. Und nicht einmal Hegel, aus ganz bestimmten dialektisch-logischen Gründen einer der leidenschaftlichsten Parteigänger in der Alternative Goethe-Newton (z.B. ausgiebig in Enz. 1830 § 320 plus Zusätze aus seinen Vorlesungen) erwähnt das Buch mit einem Wort.

Gruß
Metapher

Ähm - nein.
Was willst Du denn da mathematisch erfassen, wenn noch gar keine Zahlen beteiligt sind? Das erste wäre eine Zuordnung Zahl zu Farbe o.ä., dann das Aufstellen irgendwelcher Gleichungen. Beides ohne jegliche Entsprechung in der Realität. Und das ist Numerologie.
Grundlage einer mathematischen Beschreibung kann immer nur die Beschreibung beobachteter oder begründet vermuteter Gesetzmäßigkeiten sein. Niemals bereits widerlegte, wilde Behauptungen.

Schlag’s irgendeinem Politiker vor. Mit Wissenschaft hat das nämlich genau NICHTS zu tun.

Moin,

Okay, so herum passt das dann auch für mich.

Ulrich

Tja. Warum haben sich dann Naturwissenschaftler mit der Farbenlehre des Hobby-Forschers Goethe auseinandergesetzt (neben Werneburg u. a. auch Helmholtz und Heisenberg)? :neutral_face:

Danke für diese sehr gute Antwort! :thumbsup:

Weil sie es damals nicht besser wussten. Und vielleicht solltest Du mal nachschauen, was sie davon gehalten haben.

Goethes Farblehre ist Unsinn, sie widerspricht jeglicher Beobachtung, sie ist widerlegt und sie wird nicht besser, wenn man sie nochmal und nochmal und nochmal versucht aufzuwärmen.

Messung versus Sinneswahrnehmung

Ich dachte zuerst, deine Bemerkung

Das Thema wäre eine Doktorarbeit wert

bezöge sich auf die Abhandlung von Werneburg. Die ist es natürlich sicher nicht. Aber Goethes Farbenlehre: Ich kann dir versichern, dass allein die zeitgenössischen (d.h. Anfang 19. Jhdt) Literaturen darüber Bibliotheken füllen. Aber noch umfangreicher wurde allerdings die diesbezügliche Kontroverse Goethe-Newton kommentiert. Vor allem im Gebiet der Wissenschaftsgeschichte.

In dieser Zeit waren die harten Kriterien physikalischer Beobachtung noch sehr umkämpft. Deshalb war es nicht von vornherein deutlich, inwiefern Goethes Beobachtungsmethoden physikalisch nicht haltbar waren. Erst → H.L.F. von Helmholtz konnte später die methodischen Fehler Goethes auf den Punkt bringen, indem er dessen radikale Bevorzugung der subjektiven Wahrnehmung gegenüber wissenschaftlicher Methodik (die versucht, alle Subjektivität aus der Beobachtung zu eliminieren), herausstellte: „Seine Farbenlehre müssen wir als den Versuch betrachten, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten.

Daher ist zwar der Teil der „physikalischen“ (d.h. objektive Messungen, wie wir heute zu sagen pflegen) Farbenlehre definitiv physikalisch(!) falsch. Aber der Teil der „physiologischen“ (d.h. subjektive Wahrnehmung, wie wir heute zu sagen pflegen) Farbenlehre ist wahrnehmungsmäßig keineswegs unbrauchbar. Sie hat ja daher auch in der Malereigeschichte eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.

Zu dieser Zeit war gerade erst (1802) durch den genialen Physiker Thomas Young die Wellennatur des Lichtes nachgewiesen worden. Unter anderem mit dem raffinierten Doppelspalt-Experiment und dessen Interferenzeffekten, die allein wellentheoretisch erklärbar waren. Dadurch war Newtons Korpuskeltheorie widerlegt, zumindest partiell. Jedenfalls für radikale Newton-Gegner (zu denen Goethe zählte, ebenso wie Hegel) ein Anlaß, dessen Theorien mit Skepsis zu begegnen. Und Goethes ebenso radikale Bevorzugung der subjekiven Wahrnehmung verführte ihn zu der wahnwitzigen Hybris (einem ansonsten unbestreitbaren Genius wie ihm mag das verzeihlich sein), Newton auf dessen eigenem Terrain widerlegen zu wollen.

Es hat ja keinen Schaden angerichtet, sondern war eine wichtige wissenschaftshistorische Etappe zu der Erkenntnis, welche Fehler sich in die Beobachtungsmethode einschleichen können, wenn man nicht sorgfältig das subjektive Moment ausschließt und „metaphysische“ Präsuppositionen (z.B. „Weiß kann nicht zusammengesetzt sein“) exkommuniziert. Man bedenke, dass z.B. die Phlogiston-Theorie (Wärme sei ein materielles Substrat) 100 Jahre brauchte, bis sie endgültig widerlegt war.

Gruß
Metapher

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So etwas gibt es schon:
http://www.goetheanum.org/article/naturwissenschaftliche-sektion-rehabilitation-von-goethes-farbenlehre/

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Muß man doch gar nicht.

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