Messung versus Sinneswahrnehmung
Ich dachte zuerst, deine Bemerkung
Das Thema wäre eine Doktorarbeit wert
bezöge sich auf die Abhandlung von Werneburg. Die ist es natürlich sicher nicht. Aber Goethes Farbenlehre: Ich kann dir versichern, dass allein die zeitgenössischen (d.h. Anfang 19. Jhdt) Literaturen darüber Bibliotheken füllen. Aber noch umfangreicher wurde allerdings die diesbezügliche Kontroverse Goethe-Newton kommentiert. Vor allem im Gebiet der Wissenschaftsgeschichte.
In dieser Zeit waren die harten Kriterien physikalischer Beobachtung noch sehr umkämpft. Deshalb war es nicht von vornherein deutlich, inwiefern Goethes Beobachtungsmethoden physikalisch nicht haltbar waren. Erst → H.L.F. von Helmholtz konnte später die methodischen Fehler Goethes auf den Punkt bringen, indem er dessen radikale Bevorzugung der subjektiven Wahrnehmung gegenüber wissenschaftlicher Methodik (die versucht, alle Subjektivität aus der Beobachtung zu eliminieren), herausstellte: „Seine Farbenlehre müssen wir als den Versuch betrachten, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten.“
Daher ist zwar der Teil der „physikalischen“ (d.h. objektive Messungen, wie wir heute zu sagen pflegen) Farbenlehre definitiv physikalisch(!) falsch. Aber der Teil der „physiologischen“ (d.h. subjektive Wahrnehmung, wie wir heute zu sagen pflegen) Farbenlehre ist wahrnehmungsmäßig keineswegs unbrauchbar. Sie hat ja daher auch in der Malereigeschichte eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.
Zu dieser Zeit war gerade erst (1802) durch den genialen Physiker Thomas Young die Wellennatur des Lichtes nachgewiesen worden. Unter anderem mit dem raffinierten Doppelspalt-Experiment und dessen Interferenzeffekten, die allein wellentheoretisch erklärbar waren. Dadurch war Newtons Korpuskeltheorie widerlegt, zumindest partiell. Jedenfalls für radikale Newton-Gegner (zu denen Goethe zählte, ebenso wie Hegel) ein Anlaß, dessen Theorien mit Skepsis zu begegnen. Und Goethes ebenso radikale Bevorzugung der subjekiven Wahrnehmung verführte ihn zu der wahnwitzigen Hybris (einem ansonsten unbestreitbaren Genius wie ihm mag das verzeihlich sein), Newton auf dessen eigenem Terrain widerlegen zu wollen.
Es hat ja keinen Schaden angerichtet, sondern war eine wichtige wissenschaftshistorische Etappe zu der Erkenntnis, welche Fehler sich in die Beobachtungsmethode einschleichen können, wenn man nicht sorgfältig das subjektive Moment ausschließt und „metaphysische“ Präsuppositionen (z.B. „Weiß kann nicht zusammengesetzt sein“) exkommuniziert. Man bedenke, dass z.B. die Phlogiston-Theorie (Wärme sei ein materielles Substrat) 100 Jahre brauchte, bis sie endgültig widerlegt war.
Gruß
Metapher