Servus Experten,
Kant geht doch (verkürzt ausgedrückt) von einer „Selbstbestimmung der Vernunft“ aus, auf deren Grundlage man die „Sittlichkeit“ eines Handels erkennen können soll.
Weiterhin trennt er klar zwischen empirischer Welt und „reinem Erkenntnisvermögen“, welches eben von jeglichen äußeren Eindrücken „gesäubert“ ist.
Nun lebte Kant von 1724 bis 1804, somit vor einem anderen naturwissenschaftlichen Hintergrund, doch hätte Kant nicht dennoch erkennen müssen, dass „reines Erkenntnisvermögen“ bzw. „Vernunft“ im Kantschen Sinne, also frei von Empirie, gar nicht existieren kann?
Oder anders gefragt, steht die moderne Naturwissenschaft, insbesondere die Gesetze der Thermodynamik, dem nicht entgegen? Denn wie kann es überhaupt etwas „a priori“ geben?
Vernunft, so wie ich Kant verstehe, müsste ja völlig frei von äußeren Einwirkungen, gewissermaßen im Menschen selbst aus dem Nichts entstehen, ansonsten wären es ja lediglich die nach Kant abgelehnten Handlungstriebfedern des „Wollens“ oder der „Erfahrungen“?
Vernunft ist jedoch eine Gehirnleistung, wie jede andere auch, somit ist Vernunft letztendlich durch feuernde Neuronen „erzeugt“. Klar gibt es zufällige „Neuronenentladungen“ im Gehirn, jedoch müssten die Nervenimpulse für eine vernünftige Entscheidung schon etwas zielgerichteter sein. Jedoch ohne Anstoß von außen kann es doch solch eine zielgerichtete Entladung und somit keine Vernunft geben, oder?
(Wobei ich unter „Anstoß von außen“ z.B. genetische Faktoren, Erziehung, Erinnerung und Sozialisation nennen würde). Außerdem lehrt uns - wie gesagt - schon die Thermodynamik, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann.
Ist also der Vernunft-Gedanke nach Kant in der modernen Philosophie schon entsprechend widerlegt oder angepasst worden?
Oder gibt es Denkmodelle, die eine reine Vernunft im Sinne Kants zulässig machen, ohne die Naturwissenschaften zu verletzen?
Gruß,
Sax