- Die Bundesregierung steht vor der Wahl die
Kapitalertragsteuer zu senken (Option A)
oder zu erhöhen (Option B). Option A führt mit einer
Wahrscheinlichkeit von 50% zu
weiteren Steuereinnahmen in Höhe von 3,0 Mrd € und mit einer
Wahrscheinlichkeit
von 50% zu einem Rückgang der Steuereinnahmen um -1,0 Mrd.
Option B führt hingegen
mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% zu weiteren
Steuereinnahmen in Höhe von
2,0 Mrd € und mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% zu einem
Rückgang der Steuereinnahmen
um -0,1 Mrd €.
a) Wie sollte sich die Bunderegierung entscheiden?
Wenn es hier lediglich darum geht, zu üben bzw. zu veranschaulichen, wie Risiken bzw. Eintrittswahrscheinlichkeiten bei der wirtschaftlichen Bewertung von Handlungsalternativen zu berücksichtigen sind, es also eigentlich egal ist, ob da steht „Bundesregierung“ und „Kapitalertragssteuer senken“ oder „Industrieunternehmen“ und „neue Produktlinie auf den Markt bringen“, dann ist das eine schlichte Rechenaufgabe, für die die (Betriebs-)Wirtschaft ihre Spielregeln haben dürfte. An diese Spielregeln zu kommen, sollte für jemanden, der das studiert, ohne weiteres aus eigener Kraft möglich sein.
Wenn es aber tatsächlich darum gehen sollte, eine politische Entscheidung zu simulieren (was ich mir bei der Formulierung des Themas aber eigentlich nicht vorstellen kann), dann ist zunächst die Aufgabenstellung ausgesprochen dämlich, denn sie erweckt den Eindruck, als würde die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte gesetzgeberische Maßnahme allein mit dem Rechenschieber getroffen. Das ist aber so gut wie nie der Fall.
Tatsächlich spielen bei einer echten politischen Entscheidung noch viele weitere Dinge eine - möglicherweise entscheidende - Rolle:
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So kann die Bundesregierung z.B. nicht einfach aus eigener Machtfülle eine Steuer erhöhen; Sie muß dazu ein Gesetz vorschlagen und braucht dafür jedenfalls im Bundestag eine Mehrheit. Wenn aber die Bundestagsmehrheit aus Vertretern von Parteien besteht, die eine Klientel repräsentieren, die von einer Steuererhöhung besonders nachteilig betroffen würde, dann ist eine Erhöhung u.U. ganz schnell vom Tisch, selbst wenn sie aus Budgetperspektive die vernünftigere Entscheidung wäre.
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Außerdem gibt es neben der wirtschaftlichen Vernunft noch weitere Aspekte, die einem Gesetzgebungsvorhaben zwingende Grenzen setzen können. So kann beispielsweise eine an sich wirtschaftlich vernünftige Idee gegen Verfassungsrecht oder europäisches Recht verstoßen. Eine Besteuerung von Einkommen oberhalb eines bestimmten Freibetrags mit 100% könnte, wäre das vernünftig, z.B. so ein Fall sein.
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Desweiteren kann z.B. eine Maßnahme neben ihren unmittelbaren Auswirkungen auf die staatlichen Einnahmen mittelbar auch noch weitere Konsequenzen haben - etwa die Bereitschaft (oder gar die Fähigkeit) von Unternehmen vermindern, weiterhin in Deutschland aktiv zu sein. Die dadurch bewirkten volkswirtschaftlichen Nachteile können den unmittelbaren Vorteil für das Budget durchaus überwiegen. Das spielt z.B. bei der Verteilung der Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien eine wichtige Rolle.
usw., usw. Als Politikstudent solltest Du aber eigentlich auch auf solche Dinge von allein kommen …