Katalonien

Hallo,

Warum ist ein Katalonier nicht stolz, Spanier zu sein, sondern stolz, Katalonier zu sein oder der Baske…warum?
Wieso möchte sich Katalonien oder das Baskenland von Spanien trennen?
Wieso lernt man in Katalonien katalan und nur sehr mäßig spanisch?

Ich verstehe das mit Weißrussland oder Jugoslawien, denn die Verhältnisse dort waren wohl unter Gemeinsaschaftsherrschaft miserabel.
Aber ich verstehe den Unterschied zwischen Deutschland oder Amerika, wo man eigentlich für ein Gemeinsames Land kämpft, auch wenn es natürlich „Stoiberenzen“ oder „Texarenzen“ gibt, zu Katalonien nicht.
Das geht ja richtig tief rein, Sprache, Kultur, Politik und vor allem aber die Menschen. Sie geben einem das Gefühl, dass sie nicht für Spanien, sondern nur für Katalonien ihr Leben opfern würden.

Soweit ich weiß, gilt dies auch für andere Regionen Spaniens, wobei ich in San Sebastian keinen Nationalstolz gespührt habe. In Canet dafür um so mehr.

Woran liegt diese Zerstrittenheit?

mfg:smile:
rené

Hi!

Warum ist ein Katalonier nicht stolz, Spanier zu sein, sondern
stolz, Katalonier zu sein oder der Baske…warum?
Wieso möchte sich Katalonien oder das Baskenland von Spanien
trennen?
Wieso lernt man in Katalonien katalan und nur sehr mäßig
spanisch?

Vermutlich beruht das darauf, dass Katalonien gegenüber Kastilien mehrfach die Ar***karte gezogen hat.

Im Früh- und Hochmittelalter löste sich Katalonien aus der Lehnsherrschaft der Westfranken ( -> Frankreich ) und wurde als Königreich Aragon selbstständig. Im Spätmittelalter war dieses Aragon eine der führenden Mächte im westlichen Mittelmeerraum.

Der Ehebund zwischen Ferdinand von Aragon und Isabel von Kastilien führte Aragon und Kastilien zusammen. Das Machtzentrum wanderte in den folgenden Jahrzehnten von katalanische Barcelona hinüber zum kastilischen Madrid. Das Kastilisch wurde Hof- und Hochsprache auf der iberischen Halbinsel.

Der Niedergang Spaniens, insbesondere im Konflikt mit Frankreich, führte zur Teilung Kataloniens. Alle katalanischen Gebiete nördlich der Pyrenäen fielen an Frankreich (Pyrenäenfrieden von 1659). Die drei habsburgisch-kastilischen Könige Philipp III., Philipp IV. und Karl II. sorgten für den weiteren wirtschaftlichen Abschwung, bis dann mit dem Tode Karls II. die spanische Thronfrage offen war. Katalonien stellte sich in diesem Punkt auf die Seite der bisher herrschenden Habsburger - und fand sich erneut bei den Verlierern wieder. Denn König wurde der Franzose Philipp von Anjou als Philipp V. von Spanien. Als Folge der katalanischen Fürsprache für einen habsburgischen Herrscher wurde Katalonien vollständig entrechtet, die katalanische Selbstverwaltung aufgehoben und Katalonien selbst der Zentralmacht in Madrid unterstellt.

Mit den Wahlen im Frühjahr 1931 wurde Spanien Republik, und Katalonien erhielt seine Autonomie zurück. Als Franco 1936 putschte, stand Katalonien ganz auf der Seite der Republikaner, wofür die Katalanen blutig zahlen mussten. 1939 verloren die Katalanen erneut ihre Autonomie an die Kastilier in Madrid. Unter Franco war jegliche Form von Separatismus (Sprache, Kultur etc.) strikt verboten. Erst 1978 - drei Jahre nach dem Tod von Franco - wurde den Katalanen wieder ihre eigene Kultur und Sprache gestattet.

Viele alte Katalanen empfinden heute noch das Kastilisch als Sprache einer Besatzungsmacht.

Viele Katalanen betrachten sich als ein eigenes Volk mit dem Recht auf einen eigenen Staat und stehen daher dem spanischen Nationalstaat kritisch gegenüber. In einer Zeit, wo es eine wirtschaftliche und politische Einigung auf europäischer Ebene gibt, ein etwas anachronistischer Gedanken, aber aufgrund von Geschichte und Kultur durchaus nachvollziehbar (vgl. dazu etwa die Situation der Friesen in Deutschland. Friesen sind eine nationale Minderheit, mit eigener Kultur und Sprache - Friesisch ist nicht mit Plattdeutsch zu verwechseln! Nur gibt es hierzulande keine Autonomiebestrebungen, wohl auch eine Folge des Verzichtes auf ein zentralistisches Staatsgebilde nach 1945).

Grüße
Heinrich

vielen Dank für die ausführliche Erklärung. Das fand ich sehr interessant.
Vor allem, dass sich diese Probleme in Jahrhunderten aufgebaut haben. Wieso haben wir solche Probleme nicht? War Deutschland immer in fester Hand? Hatten wir nicht auch Probleme? Gerade Preußen oder Sachsen müsste dann doch auch sauer wegen Bismarck sein oder?

Ist friesisch deutsch?..wenn nicht, was ist es? …wir hatten vor ein paar Tagen eine Diskussion am Fremdsprachenbrett, wo ich mir herausnahm, zu behaupten, katalan wäre Dialekt, wie auch friesisch, obwohl ich es sehr schlecht bis miserabel verstehe.

Hi!

Vor allem, dass sich diese Probleme in Jahrhunderten aufgebaut
haben. Wieso haben wir solche Probleme nicht? War Deutschland
immer in fester Hand? Hatten wir nicht auch Probleme? Gerade
Preußen oder Sachsen müsste dann doch auch sauer wegen
Bismarck sein oder?

Die entscheidende Frage ist, ob sich eine Bevölkerungsgruppe als „deutsch“ empfindet und sich innerhalb dieses „Deutsch-Seins“ eine gewisse Regionalität erhalten hat (siehe z.B. die vier „deutschen“ Stämme im Mittelalter mit Sachsen, Franken, Schwaben und Bayern).

Einen den Katalanen ähnlich gelagerten Fall kann man evtl. bei den Österreichern sehen. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation umfasste bis 1806 auch Österreich, folglich waren die Österreicher „deutscher Nation“. Nach der Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. (danach Franz I. von Österreich) verschwand vorübergehend der Begriff „deutsche Nation“ und wurde erst wieder durch die Burschenschaften (u.a. Hambacher Fest von 1832) wiederbelebt (Folge u.a. die Revolution von 1848).

Erst mit den „deutschen Einigungskriegen“ von 1864, 1866 und 1870/71 entstand wieder ein „deutscher Staat“. Ein deutscher Nationalstaat im Sinne von „deutscher Nation“ des Alten Reiches hätte einen politischen Dualismus erfordert, da sowohl Preußen als auch Österreich Führungsanspruch in diesem Staat erhoben hätten. Bismarck bevorzugte ein „kleindeutsche Lösung“, d.h. den Ausschluss Österreichs von der deutschen Einigungsbewegung (Krieg von 1866). Die Frage bleibt, ob sich die Österreicher als Teil eines selbstständigen k.u.k.-Kaiserreiches von einem Deutschland hätten vereinnahmen lassen (es wäre wohl etwas sehr Merkwürdiges dabei herausgekommen). Schlussendlich gibt es heute zwei Staaten, Deutschland und Österreich, die zwar sprachlich näher aneinander liegen als etwa Kastilien und Katalonien, aber durch die Trennung seit 1806 unterschiedliche Wege gegangen sind, dass ich nicht annehme, ein Österreicher würde sich ohne weiteres als „Deutscher“ bezeichnen, wie es heute ein Bayer oder Sachse tut.

Ist friesisch deutsch?..wenn nicht, was ist es? …wir hatten
vor ein paar Tagen eine Diskussion am Fremdsprachenbrett, wo
ich mir herausnahm, zu behaupten, katalan wäre Dialekt, wie
auch friesisch, obwohl ich es sehr schlecht bis miserabel
verstehe.

Friesisch ist eine eigene Sprache innerhalb der germanischen Sprachfamilie.

Zu den westgermanischen Sprachen gehören Deutsch, Englisch, Niederländisch, Afrikaans, Luxemburgisch, Jiddisch und Friesisch. Das Friesische war u.a. die Sprache der Angeln im südlichen Jütland, die dann nach England umgesiedelt haben. Von daher ist Friesisch dichter am (Alt-)Englischen als am Deutschen. Wenn Friesisch also ein Dialekt des Deutschen ist, dann wäre es Niederländisch oder Englisch auch.

Als nordgermanische Sprachen gelten Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Färöisch und Isländisch.

Die ostgermanischen Sprachen sind samt und sonders verschwunden (Gotisch, Burgundisch, Vandalisch)

Näheres hierzu in der Linguistik-Literatur unter den Stichworten „Ausbausprache“ und „Abstandssprache“.

Grüße
Heinrich

Vielen Dank fuer die gute Erklaerung. Das war sehr gut.

mfg:smile:
rene