Kevin Kühnerts Thesen zum Demokratischen Sozialismus

Hallo!

Das Thema kann hier natürlich nach allen möglichen Seiten diskutiert werden, wenns jemanden interessiert. Ich will das mit meiner spezifischen Frage nicht einschränken.

Ich selbst kann das Gesamtinterview in der ZEIT hinter der Abo-Schranke nicht lesen, nur die Sekundärverwertung, daher nur diese eine spezifische Frage:

Aus welchem Grund wirft Kühnert denn lt. Sekundärtexten so extrem Unterschiedliches in einen Topf?

BMW, das fast zur Hälfte zwei Personen gehört, die ein Gesamtvermögen von m.W. um die 30.000.000.000 Euro haben und das Häuschen von Oma Susi, die im EG wohnt und das OG vermietet, damit sie eine um 500 Euro bessere Rente hat?

Nur weil das Thema Vermieter-Enteignen gerade so „in“ ist?

Gruß
F.

Hi.

Das ist IMHO der einzige Erklärungsansatz. Nur hat er sich und seiner Partei, auch bezogen auf die Europawahl, ein nettes Ei ins Nest gelegt.
Ich kann mir selbst bei diesem Herrn nicht vorstellen, das er wirklich eine neue DDR kreieren will.

Ich finds halt verblüffend, weil ihm klar gewesen sein muss, was er sich und seiner Partei damit antut. Das war ja keine spontane Aussage im Rahmen irgendeiner Rede oder einer Talkshow.

Gruß
F.

Kevin mag zwar jetzt „Parteiprogramm-Versuchspilot für mögliche 2-3 %-Punkte im derzeitigen Sinkflug“ sein. Aber das nützt nur der SPD, oder auch nicht. Scheißegal.
Phantasten wie er treiben die Gesellschaft jedenfalls auseinander, einfach ignorieren und anderes wählen.

awM

Da bin ich mir aber gar nicht so sicher.

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Ich habe vorhin zwei offizielle TV-Nachrichten angesehen und gerade das hier zusätzlich gelesen:

Ob Kühnert seiner dahinsiechenden Partei damit einen Gefallen getan hat, sei dahingestellt. Die könnte der Radikalismus des Juso-Vorsitzenden unmittelbar vor der Europawahl wohl eher weitere Stimmen kosten, als dass er ihr von links neue zutreibt. Zumal der größere Teil der SPD Kühnert widersprechen dürfte. Die Sozialdemokraten werden so ein weiteres Mal als zerstritten und orientierungslos erscheinen.

Und doch hat die Debatte, die nun begonnen hat, auch ihr Gutes, langfristig vielleicht sogar für die SPD: Denn sie eröffnet einen neuen Denkraum.

Denkraum! Das ist sicherlich ein neuer Wert oder sowas.
Fällt da nicht mehr ein, wenn man anschließend noch schreibt:

Dass sich überhaupt jemand traut, die kapitalistische Wirtschaftsweise und die Verteilung von Besitz und Vermögen wieder grundlegend infrage zu stellen und sich Gedanken darüber zu machen, ob es vielleicht auch anders ginge, ist schon ein Wert an sich.

Erbärmlich, was da auf die nächste Generationen zukommen könnte mit Kevin und Co-Presse. Von gravierenden Enteignungen fabulieren und mit „Werten“ begründen. Und sich von was bezahlen lassen?

Die Medien pushen und hofieren den Untergang der nachfolgenden Generationen auf schon unerträgliche Weise.

awM

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Unabhängig von meiner Wertung find ich es halt strategisch ziemlich fatal, was er da von sich gegeben hat. Nicht nur führt er die SPD als Chaoshaufen vor, sondern er macht doch genau das, was den Sozialdemokraten immer vorgeworfen wurde und diese immer weit von sich gewiesen haben: er trachtet nicht nur dem Großkapital nach dem Eigentum, sondern macht expressis verbis auch vor der langjährigen SPD-Wählerin Oma Susi mit ihrem läppischen Häuschen nicht Halt.
Fatal für die SPD.

Der zweite Aspekt ist m.E. der, dass dieser „neue Denkraum“ gar nicht wirklich aufgemacht wird, denn Umverteilung ist alles andere als neu, und viel mehr schlägt er eigentlich nicht vor. Eine andere Wirtschaftsweise jedenfalls nicht.

Gruß
F.

Bei einem Kevin bin ich geneigt, Dir recht zu geben…

Vielleicht liest man besser das ganze Interview.
Ich finde das alles hoch interessant.
Er tut nichts anderes, als dem Neoliberalismus seine Grenze anzuzählen. (Ob sich das ausbreitet ist freilich die nächste Frage.) Und die Grenzen „des Vorstellbaren“ in Frage zu stellen. (So fangen echte Wandlungen an und müssen das auch.)
Darauf hat doch jeder und jede, der oder die im Kern wirklich links tickt gewartet.Weil die SPD auf der Ebene seit langem nicht mehr ernst zu nehmen war, haben auch Grün und die Linke deren Stimmen abgezogen.
(Wie sich die Grünen hier jetzt positionieren bläst ein wenig in das Horn, das mir bei denen zunehmend nicht mehr gefällt, neben vielen anderen Positionen.)
Ich sehe das durchaus als (gewagten) Versuch, die SPD wieder aufzustellen.
Inzwischen bekommt er von dort auch Unterstützung.
Es bleibt abzuwarten, wie seine Zukunft in der SPD aussieht. Dass er von seinem Kurs nicht mehr zurück rudert, halte ich für hoch wahrscheinlich und hoffe das auch.

PS: Dass eine Chaosphase durchaus Alltag in radikalen Wandlungsprozessen ist müsstest doch du aus Deinem Beruf kennen und wissen?
Wie es ist, wenn das Alte gar nicht mehr geht und erst Wege sich finden müssen, das angestrebte Neue zu etablieren?
Für nicht wenige wird die SPD wieder wählbar, das kann sehen, wer Kommentare in Spiegel und ZON liest.

Dass es an Oma Susi´s Häuschen geht, bezweifle ich. Es hat schon immer Regelungen gegeben, die die Schwachen schützen. Ich lese ihn so, dass er ans Großkapital und Spekulantentum will.

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Schon interessant, wie ein und der selber Text unterschiedlich aufgefasst werden kann.
Wäre es möglich, dass Kühnerts Vorstösse von dir negativ dargestellt werden (und wieder mal die ganze Presse dazu gleich mit) weil er eine echte Alternative öffnet für so manchen Enttäuschtwähler, der aus Dummheit und Frustration bei der AfD gelandet ist?

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Ich weiß nicht, wie sehr diese Zitate in den Sekundärtexten aus dem Kontext des Originalinterviews gerissen wurden, aber im Kern hat er es halt klar zum Ausdruck gebracht, dass Oma Susis Lebensmodell, im EG zu wohnen und mit der Vermietung des OG die Rente aufzubessern, nicht sein soll.

„Im Optimalfall gibt es überhaupt keine privaten Vermietungen mehr“
„Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“
„Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“

Ich müsste das Interview lesen (können), um mitreden zu können.
Vielleicht in der Print-Ausgabe dann, denn ein ZEIT-Abo ist das mir das nicht wert.

So wie ich es der Sekundärverarbeitung entnehmen kann, scheinen mir seine Gedanken aber ziemlich banal zu sein, denn weder kann er offenbar BMW und Oma Susi klar auseinander halten, noch gehts übers bloße Umverteilen hinaus zu den Produktionsverhältnissen.

Ich hab selbst in diesem Forum mal vor einem Jahr einen Thread aufgemacht, was denn dagegen sprechen würde, die krassen Kapitalkonzentrationen (die bekannten paar Handvoll Familien, die halb Deutschland besitzen) zu „kollektivieren“ (meinetwegen auch wieder in viele Hände re-privatisieren, ich bin ja mehr Pluralist denn Sozialist).
Da waren die BMW-Quandts/Klattens schon damit gemeint. Insofern finde ich es durchaus interessant, dass ein Spitzenpolitiker so etwas mal in den Ring wirft.

Das sehe ich auch so, dass die SPD einen großen neuen Entwurf braucht, um nicht ganz zu verschwinden.

Gruß
F.

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Hier wenigstens eine recht ausführliche und (vermutlich) „faire“ Analyse des Interviews:


Dazu der Kommentar von Klaus Staeck:

Der ursprüngliche Anlass für das »Arbeiter«-Plakat war
eine Verleumdungskampagne aus dem Umfeld der CDU gegen die SPD.
Postfachadressen sogenannter »Staatsbürgerlicher Vereinigungen«, die
sich als »Wählerinitiativen« ausgaben, schürten in zahlreichen
aufwendigen Zeitungsanzeigen mit teilweise perfiden Unterstellungen die
Angst vor einem Wahlsieg der Sozialdemokraten. Die SPD so wurde
unterstellt würde auch nicht davor zurückschrecken, den Leuten ihr
Häuschen streitig zu machen. Jede Gegenoffensive nach dem Motto »Niemand
will etwas wegnehmen« wäre kontraproduktiv gewesen, weil sie diese
offensichtliche Lüge nur weiter verbreitet hätte.
Die satirische Übertreibung bis ins Absurde schien mir
deshalb die angemessenste und effektivste Antwort auf diese bösartige
Kampagne. So kam es, dass viele mein Plakat wie einen Befreiungsschlag
empfanden, es massenweise bestellten und vor allem auch klebten.

Quelle

Genau diesen historischen Hintergrund mein ich, wenn ich mich wundere, warum Kühnert völlig ohne Not das „Häuschen-Thema“ eingebracht hat.

Btw. Ich find es auch schlicht einen veritablen Widerspruch, wenn er -und alle, die einem „Demokratischen Sozialismus“ das Wort reden- emphatisch betont, dass die für die Überwindung des Kapitalismus unabdingbaren Kollektivierungen unbedingt auf demokratischem Weg erfolgen müssten, und zugleich nicht nur nicht klar ausschließt, sondern sogar noch recht unverklausuliert vorbringt, den Kleinbürgern an die Besitz-Wäsche gehen zu wollen.
So kanns mit der nötigen demokratischen Mehrheit nie und nimmer was werden. Dann ist es aber sinnlos, überhaupt an einen demokratischen Weg zum Sozialismus zu denken.

Gruß
F.

Weil das Bild bei dir oben nicht angezeigt wird:

datess

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Das Rekurrieren Herrn Kühnerts auf den „demokratischen Sozialismus“ ist, allem Geheule der üblichen Verdächtigen zum Trotz, gute alte sozialdemokratische Tradition. Auch, wenn seit Schröders Zeiten und der Abspaltung der WASG in der Partei kaum noch jemand gerne daran erinnert wird. Immerhin überlebte der Begriff sogar den Übergang von Berliner Programm zum Hamburger Programm der SPD (2007):

Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierungder Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie

… auch, wenn ein gewisser Herr Scholz, der sich ja zu Herrn Kühnert auch sehr pointiert geäußert hat, schon 2003 als Generalsekretär der SPD meinte, zum 140. Jubiläum der SPD solle man sich doch bitteschön auch in den Sonn- und Festtagsreden davon verabschieden. Und der Partei solch altbackene Sozialromantik heute wohl insgesamt eher peinlich ist.

Dass dieser lange Abschied von der Utopie des demokratischen Sozialismus womöglich in ursächlichem Zusammenhang mit der offensichtlichen Wandlung von der Volkspartei zur Splitterpartei steht, diese Einsicht scheint Herrn Kühnert anders als der SPD-Führungsriege nicht ganz fremd zu sein. Eine wirkliche Alternative zu schwarzgelbgrünen Positionen ist da ja offensichtlich nicht mehr sichtbar - da wählt man lieber das Original oder die Linke.

Wenn Herr Kühnert - übrigens völlig konform mit dem Grundgesetz - die Sozialpflichtigkeit des Eigentums thematisiert, dann geht es da sicherlich um unser Oma ihr klein Häuschen. Eher um Firmen wie beispielsweise die LEG Immobilien AG, die ca. 93.000 Wohnungen vermietet.

Natürlich ist das nichts als eine nette Donquichotterie. Zur Feier des Tages der Arbeit gibt der Genosse Kevin dem toten Gaul Sozialdemokratie nochmal etwas die Sporen - und tatsächlich, ein wenig zuckt der Gaul noch. Aber auch nicht mehr - was zeigt, dass es überfällig ist, von diesem Gaul abzusteigen. Die alte Tante SPD ist nun einmal keine sozialdemokratische Partei mehr und wird es auch nicht mehr werden. Und die Nostalgiker, die sie noch wählen, gehen ihr halt nach und nach aus …

Ja!
Diesen Punkt halte ich auch für ganz wichtig, sonst ist an dem Ganzen gar nichts „konsequent“.
Aber das Ganze steht ja noch an einem Anfang.

Jede Wette übrigens, dass Oma Susi nicht dran glauben muss.
Wenn sie nun freilich woanders noch 3 Wohnungen hat…
Es werden Grenzen festgelegt werden, und wenn dann die Susi mit einer kleinen Durchschnittsrente nicht eben wohlhabend ist, dann wird es doch kaum an ihre Miete gehen, solange andere sich mit Leerverkäufen dumm und bratzig verdienen.

Der Kevin ist noch jung. Geben wir ihm einen Vorschuss…denn doof ist er nicht und auf dem richtigen Weg auch.

offtopic

Ich bin nun mal kein Etatist. Da ergeben sich andere Gedanken von selbst.

Mit AFD oder Linke oder Grüne oder sonst einer Partei hat das überhaupt nichts zu tun.
Eher mit liberal, Freiheit, Verantwortung, Vernunft, Gemeinschaftssinn und sowas.

Ich brauche jedenfalls diesen Kevin, der bei seinem „Kollektivierung“ nicht darüber nachdenken will, wer denn dann alles verantwortet-leitet-lenkt, nicht. Er geht davon aus, dass er im Partei- und Staats-Führungsstab sitzt, mit all seiner Ahnungslosigkeit, und andere für eventuelles Misslingen verantwortlich machen kann.

awM

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Hat Oma Susi aber nicht, und Kühnert hat das Optimum klar skizziert, dass jeder nur maximal das Wohneigentum besitzen soll, das er selbst bewohnt.

Selbst wenn er das zurücknehmen würde und deine drei Wohnungen als willkürliche Grenze festlegen würde, könnte er sich die Massen-Unterstützung komplett abschminken, weil jeder zurecht eine „Dammbruchgefahr“ und damit immer auch gleich seinen eigenen Besitz bedroht sieht.
Und das ist keine Verleumdung und kein neurotischer Reflex des (Klein)Bürgertums, sondern eine sehr realistische Sicht auf die Historie und auf das Wesen des Staates.
In Berlin ist das vielleicht wurscht mit seiner Wohneigentumsquote, die niedriger ist als an vermutlichen jedem anderen Ort in der EU, aber nicht in der BRD.

Aus meiner Sicht: eine populistische Linke, die groß enteignen und Massenzustimmung dafür will, die kann das nur schaffen, wenn sie einen Grundansatz präsentiert, in der prinzipiell unterschieden wird zwischen BMW und Oma Susi (und wofür die jeweils stehen).

Gruß
F.

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Da kann ich grundsätzlich zustimmen.
Die SPD braucht eine Art „Utopie“, und sie bräuchte auch eine gewisse „linkspopulistische“ Art, wie Kühnert das in diesem Interview offenbar auch ansatzweise gebracht hat. Dafür müsste die SPD aber auch wieder „hemdsärmeliger“ und volksnäher werden. Das hat sie nicht mehr im Kreuz.

Du hast vermutlich irgendwo ein „nicht“ vergessen.
Da muss man kein großer Freudianer sein, um das aussagekräftig zu finden :wink:

Gruß
F.

Ein zweites offtopic hier:

Hat Kevin Umverteilung vorgeschlagen???

NEIN!

  • Er spricht bislang nur von Machtverteilung. Von Industrie zu Staat durch Enteignung.
  • Und von Verboten. Für Susi. Durch Enteignung.

Umverteilung, wie sie beispielsweise eine Sahra Wagenknecht von linker Seite vorschlägt, bedeutet, die Erträge gerechter - nennen wir es neutraler nur anders - zu verteilen. Davon hat Kevin überhaupt nicht gesprochen. Er ist Teil dieses Staats(apparats), dem es lediglich darum geht, noch mehr Macht für sich zu sichern und noch weniger Demokratie anderen zu gewähren.
Was er daraus macht, wissen wir nicht, es werden vermutlich zwei Dinge sein:

  • Diktatur
  • Nichts oder möglichst wenig verteilen?!

awM

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