Kinderbetreuung

Hallo,

bin gerade etwas erschrocken, wenn es heißt, eine Erzieherin müsse sich mit 9 Kindern in der Kita beschäftigen und dies wäre schlimm. Und dann wird die Erzieherin interviewed und sie sagt, dass sie gerne mehr Zeit für jeden hätte.

Wollen die uns auf den Arm nehmen?

Nicht ganz
Moin,

bin gerade etwas erschrocken, wenn es heißt, eine Erzieherin
müsse sich mit 9 Kindern in der Kita beschäftigen und dies
wäre schlimm

es ging um die U3 Betreuung. Da ist der Betreuungsschlüssel ein anderer.

Gandalf

Hallo,

das ist eine komplette Unterbesetzung. In der Betreuung von Kindern unter 3 Jahren sieht das so aus:

Wickeln/Sauberkeitserziehung

  • Die Gruppe umfasst im Normalfall 12-15 Kinder
  • Jedes dieser Kinder muss ca. 5x pro Tag gewickelt werden
  • Der rein funktionale Wickelumfang beträgt dabei pro Kind ca. 10 Minuten (Ausziehen, Säubern, neue Windel, Anziehen).
  • Das bedeutet pro Kind 50 Minuten, bei nur 12 Kindern 10 Stunden reine Wickelzeit, in der die wickelnde Erzieherin nicht in der Gruppe ist.
  • In guten Krippen ist Wickeln Qualitätszeit und dient dem elementar wichtigen Bindungsaufbau. Dann dauert das Wickeln pro Kind etwa doppelt so lang.
  • Ab ca. 2 Jahren beginnt die Sauberkeitserziehung, welche ebenfalls eine häufige Begleitung von Kindern zur Toilette erfordert.
  • Dabei müssen Kinder sowohl beim Aus- und Anziehen unterstützt als auch beim Abwischen und Händewaschen angeleitet und begleitet werden.
  • Gibt es einen Magen-Darm-Virus (was in der Krippe nicht selten ist) multiplizieren sich die Zeiten für die Körperpflege explosionsartig.

Essen

  • Die Kinder müssen entweder gefüttert oder beim Essen intensiv unterstützt und begleitet werden. Sie sollen ja schließlich lernen, alleine essen zu können.
  • Wenn das kein reines „Abfüttern“ werden soll, kann sich eine Erzieherin im Durchschnitt mit 2 Kindern beschäftigen.
  • Handelt es sich um Kinder, die gefüttert werden müssen, nur um eines, sind die Kinder selbstständiger, geht es evtl. auch mit Dreien.
  • Bei diesem Training passiert es, dass die Kinder sich mit Getränken vollschütten, was ein anschließendes Umziehen erfordert.

Beschäftigung

  • In diesem Alter lernen Kinder Laufen und brauchen dabei Unterstützung und Schutz.
  • Kinder in diesem Alter beschäftigen sich noch überwiegend allein oder brauchen einen Erwachsenen als Spielpartner.
  • Das Sozialverhalten wird jetzt angebahnt und angeleitet und braucht permanente Begleitung, um Schwierigkeiten (beißende, schlagende…Kinder) angemessen zu begegnen.
  • Der Trennungsprozess von der Mutter ist schwierig und erfordert in der Eingewöhnungszeit die ausschließliche und intensive Beschäftigung mit einzelnen Kindern, wobei jeweils eine Erzieherin gebunden ist.
  • Möchte man mit den Kindern ins Freie, kann man sich ungefähr ausrechnen, was allein das An- und Ausziehen von 12 Kindern an Zeit kostet. In der kalten Jahreszeit erst recht. Hinzu kommt, dass ab ca. 2 Jahren die Kinder sich zunehmend allein anziehen können sollen, was angeleitet und begleitet werden muss und damit etwa doppelt so lang dauert, wie wenn die Erzieherin das Kind anzieht.
  • Krippenkinder bleiben dabei nicht artig in der Garderobe sitzen und warten, bis sie dran sind, sondern laufen weg oder beschäftigen sich anderweitig, was ebenfalls betreut werden will.

Aufsicht

  • Die Kinder sind in allen Lebensbereichen noch unsicher und brauchen ständige Aufsicht.
  • Während des Wickelns/ Toilettengangs fehlt permanent mindestens eine Erzieherin in der Gruppe.
  • Wird jemand krank, fehlt diese Erzieherin logischerweise ebenfalls.

Heißt: Eine Gruppe mit 12 Kindern braucht mindestens 3 Erzieherinnen in Vollzeit, um überhaupt einigermaßen über den Tag zu kommen. Qualitativ gute Betreuung ist damit noch nicht gesichert, wenn man Ausfallzeiten einberechnet.

Erschrecken sollte man also eher darüber, wie schlecht unsere Kitas personell ausgestattet sind. Zum Vergleich: In Skandinavien ist in der gesamten Vorschulbetreuung ein Schlüssel von 1:5 normaler Standard.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Jule,

unabhängig davon, dass ich einen Betreuungsschlüssel von 1:5 gut finde, weil ich „am eigenen Leib“ erfahren habe, wie meine Tochter sich zurückentwickelt hat, als sie plötzlich in der Krippe als ehemals Jüngste nicht mehr im Mittelpunkt stand (sie kam mit gut einem Jahr in die Krippe, die nächsten Kinder, Zwillinge, waren da schon 1,5 Jahre, und als sie zwei wurde, also im 2. Krippenjahr, wurden FÜNF Einjährige aufgenommen, die natürlich die ganze Aufmerksamkeit benötigten, denn meine Tochter war ja mit zwei „schon groß“), wundere ich mich dennoch über die Aussage:

  • Der rein funktionale Wickelumfang beträgt dabei pro Kind ca.
    10 Minuten (Ausziehen, Säubern, neue Windel, Anziehen).

Wird das Kind dabei noch geduscht, oder was passiert in 10 Minuten?

  • In guten Krippen ist Wickeln Qualitätszeit und dient dem
    elementar wichtigen Bindungsaufbau. Dann dauert das Wickeln
    pro Kind etwa doppelt so lang.

Das sehe ich ein, aber da würde ich die Wickelzeit von 5 auf 10 Minuten und nicht von 10 auf 20 verdoppeln.

Viele Grüße
Christa

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Hallo Christa,

Wird das Kind dabei noch geduscht, oder was passiert in 10
Minuten?

Ich würde das als Mittelwert verstehen. Man hat ja nicht nur Säuglinge in der Gruppe, sondern auch ältere Kinder, die beispielsweise alleine über die Treppe auf den Wickeltisch und wieder runter klettern (rückenschonend für die Erzieherinnen und motorisches Training für die Kinder) oder eben Kinder, die gerade sauber werden und in der Anfangszeit in Minutenabständen auf die Toilette wollen und dort auch Zeit verbringen.

Kinder, die wund sind, brauchen häufigere Wickelintervalle, Kinder, die sich gegen das Wickeln wehren, müssen sanft überzeugt werden.

Natürlich geht das alles auch ratzfatz, wenn man das will - und ist leider in vielen Einrichtungen aufgrund von Unterbesetzung und schlechter Qualität tägliche Praxis.

Schöne Grüße,
Jule

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