Man tendiert zur Verharmlosung anderer Sünden
Hallo Jenny,
es gab immer wieder einzelne kirchliche Strömungen, die sehr strikte Vorschriften hatten, das dauerte bis ins 20. Jahrhundert und ist da und dort heute noch vorhanden.
Die Durchsetzung war eben extrem unterschiedlich; es blieb (bleibt) der Autorität des Priesters vor Ort vorbehalten, zu welcher „Spiritualität“/Strömung er sich zählen wollte; vereinzelt kam es zwar seit dem Ende des Mittelalters (Tridentinum 1565) auch zu gesamtkirchlichen Richtlinien sowie im 19. Jahrhundert mit den sogenannten „Tarifbussen“ zu päpstlich akzepierten Lehrbüchern, die solche Vorschriften kannten. Der Fokus liegt seit jeher auf denjenigen sexuellen Praktiken, die eine Zeugung von vorneherein ausschliessen, z. B. gilt gemeinsame Selbstbefriedigung oder gelten Praktiken ohne eigentlichen Geschlechtsverkehr, bei denen es aber trotzdem zum Orgasmus kommt, als problematisch.
(Allerdings wird die Strenge der Vorschriften bisweilen auch überschätzt; dass z. B. nur eine Stellung zulässig wäre, ist nur wegen einzelner Gruppen behauptet worden, weil nämlich diejenigen Leute, die „ja nichts falsch“ machen wollten bzw. die Priester, die „ja keinen falschen Rat geben“ wollten, sich auf diese Praxis bzw. den Rat zu dieser Praxis beschränkten. Gesamtkirchlich vorgeschrieben war das meines Wissens nicht, ebensowenig wie das Anbehalten von Kleidungsstücken oder die Dunkelheit. Die Strömungen innerhalb der Kirche waren und sind da bis heute sehr unterschiedlich. Es gibt solche, die raten generell zum Verzicht, andere raten zur Freiheit.)
Gesamtkirchliche Lehre ist, dass es „in sich schlechte Handlungen“ gebe, wozu dann eben diejenigen Handlungen gehören, die die Zeugung verhindern (insbesondere Verhütung ohne besonders schweren Grund), sowie dass der Geschlechtsverkehr ausserhalb der Ehe verpönt ist.
Was man in diesem Zusammenhang bisweilen vergisst, ist, dass nach verbindlicher kirchlicher Lehre die Liebe die Hauptrolle spielt, und dass alle möglichen Sünden (oder Handlungen, die es evtl. sein könnten) nach ihrer Schwere in Bezug auf die Achtung, Liebe und Freiheit des Partners bemessen werden:
Die Sünde wiegt schwerer, falls man den Partner/die Partnerin mit der besagten Praxis unter Umständen herabsetzt (Beispiel: Ich verhüte, weil ich mich für die Partnerin/den Partner nicht entscheiden kann; oder: Ich übe eine bestimmte Handlung aus, weil ich mir sogar sicher bin, dass ich mich nicht wirklich mit diesem Partner langfristig zufriedengebe. Auch die strikte Beschränkung auf eine Praxis gegen den Willen des Partners kann hier problematisch werden).
Sodann ist anzumerken, dass andere Sünden ebenfalls leicht den gleichen Schweregrad erreichen wie eine schwere Sünde gegen das sechste Gebot, nur vergisst man diese anderen Sünden sehr leicht: die Sünden in Gedanken, z. B. das Schwelgen in Neid, der Hass auf einen Menschen oder die feindschaftliche Auflehnung gegen Gott.
Gruss,
Mike