Kirchenbauten Architektur

Hallo,

ich hab mal gehört, dass an jedem Kirchenbau ein baulicher Makel sein soll und zwar mit dem Hintergrund, dass nichts auf dieser Welt vollkommen sei.
Stimmt das??

LG Coru

Hallo coru,

ich würde diese Aussage eher unter „urban legend“ einstufen.
Während meines ganzen Architekturstudiums - u.a. Sakralbau bei Maria Schwarz - ist mir niemals so etwas begegnet!

Moin,

Stimmt das??

wenn ich mir den Kölner Dom anschaue, brauchts da keine Absicht.

Gandalf

wenn ich mir den Kölner Dom anschaue, brauchts da keine
Absicht.

LOL
Du meinst, das ALLES kann versehentlich passieren?

ich hab mal gehört, dass an jedem Kirchenbau ein baulicher
Makel sein soll

In den 60er/70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat man es übertrieben: Die Kirchen bestanden nur noch aus solchen. Gelebte Kirchenbausünde sozusagen.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4d/K…

Gruß

Jo

Servus,

möglicherweise ist das eine volkstümliche Version des in der Hoch- und Spätgotik angewandten Prinzips, dass ein Kirchenbau nicht vollständig symmetrisch sein sollte; dahinter steckt aber kein höherer oder tieferer Sinn, sondern es geht bloß um eine Frage der Ästhetik.

Gegenprobe: Genau wegen ihrer Perfektion - vom Fundament bis zur Turmspitze aus einem Guss, und eben auch perfekt symmetrisch - wirken neugotische Bauten im Vergleich zu ihrern Vorbildern meistens schwerfällig und eher langweilig.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

Hallo!

ich hab mal gehört, dass an jedem Kirchenbau ein baulicher
Makel sein soll und zwar mit dem Hintergrund, dass nichts auf
dieser Welt vollkommen sei.
Stimmt das??

Das ist vielleicht ein weiterer Erklärungsversuch für die nur mit Vermutungen begründete Unregelmäßigkeit, die man als Achsenknick bezeichnet.

Schönen Gruß!
H.

Hallo!

Das ist vielleicht ein weiterer Erklärungsversuch für die nur
mit Vermutungen begründete Unregelmäßigkeit, die man als
Achsenknick bezeichnet.

die charmanteste Erklärung dazu (die sich so wohl nur ein Bretone einfallen lassen kann) habe ich bezüglich St. Corentin in Quimper gehört (wo der Knick in der Achse zwischen Langhaus und Chor sehr deutlich ist). Angeblich soll der abgeknickte Chor die Neigung des Hauptes des Erlösers am Kreuz widerspiegeln - der Grundriss der Kirche folgt also nicht dem Kreuz, sondern der Gestalt des Gekreuzigten …

Im allgemeinen dürften die Gründe für solche ‚Unvollkommenheiten‘ jedoch wesentlich profaner sein - nämlich bedingt durch den Bauuntergrund, Einbeziehung älter Gebäudeteile, Straßennetz usw.

Letztes Jahr hatte ich Gelegenheit, mich etwas eingehender mit St. Lazare in Autun zu befassen. Natürlich stehen dort die Kapitelle und das Typanon Gislebertus’ im Zentrum des Interesses, doch hat die Kathedrale auch sonst einige Merkwürdigkeiten. So ist sie z.B. nicht geostet, sondern von SSW nach NNO ausgerichtet - mit der Apsis in SSW! Dafür sind die Achsen genau eingehalten, Haupt- und Nebenapsiden sind in genauer Verlängerung von Mittel- und Seitenschiffen.

Grund war der beschränkte Raum im ehemaligen römischen castrum Augustodunums (die Hauptachse ist parallel zum Hauptweg des castrums) und die Ausrichtung an der älteren (nur noch archäologisch nachweisbaren) Kathedrale St. Nazaire - die Verlängerung von deren Querachse trifft mit der Achse des Querschiffs von St. Lazare zusammen, so dass beide Kirchenbauten rechtwinklig zueinander standen. Woraus sich wiederum ergibt, dass St. Nazaire, anders als der jüngere Bau aus dem frühen 12. Jahrhundert, einigermaßen ‚korrekt‘ geostet war (NWW / SOO).

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo Ralf,

die Ausrichtung an der älteren (nur noch archäologisch nachweisbaren) Kathedrale St. Nazaire - die Verlängerung von deren Querachse trifft mit der Achse des Querschiffs von St. Lazare zusammen, so dass beide Kirchenbauten rechtwinklig zueinander standen.

Ist sicher eher „… die Verlängerung von deren Längsachse …“ gemeint. Interessant ist auch der Anlaß, aus dem St. Lazare als Ausweichort von St. Nazaire gebaut wurde: Die Kathedrale war ja den ausschließlich als Legende existierenden Martyrern Nazarius und Celsus gewidmet, und barg Reliquien dieser beiden, die allein durch Ambrosius als solche definiert worden waren. Dann gab es zusätzlich ein Geschenk von angeblichen Reliquien des Lazarus (wobei niemand wußte, ob überhaupt der von Bethanien gemeint war), worauf die Kathedrale die Pilgerströme nicht mehr zu fassen vermochte. Kein Wunder in der Blütezeit des Reliquientourismus.

Für diesen Lazaruspilgerboom wurde dann die zweite Kathedrale errichtet. Immerhin ein wirtschaftlich erfolgreicheres Giga-Projekt als der Nürburgring-Schrottkasten :smile:

Gruß
Metapher

Hallo!

die charmanteste Erklärung dazu (die sich so wohl nur ein
Bretone einfallen lassen kann) habe ich bezüglich St. Corentin
in Quimper gehört (wo der Knick in der Achse zwischen Langhaus
und Chor sehr deutlich ist). Angeblich soll der abgeknickte
Chor die Neigung des Hauptes des Erlösers am Kreuz
widerspiegeln

Das erzählt man sich auch hierzulande, also ziemlich weit weg von der Bretagne. Weißt du, wo das in der Literatur behauptet wird?
Schönen Gruß!
H.

corr.
Sorry, die Richtungskorrektur war natürlich Unsinn. Nazaire liegt nördlich von Lazare. Querachse N trifft somit auf _Längs_schiff L.

Hallo!

Das erzählt man sich auch hierzulande, also ziemlich weit weg
von der Bretagne.

Ah - das war mir neu, danke für den Hinweis.

Weißt du, wo das in der Literatur behauptet
wird?

Fehlanzeige - ich habe das von einer hübschen jungen Fremdenführerin gehört, die sich in den Semesterferien ein Zubrot verdiente. Architekturgeschichtlich war sie wohl nicht so beschlagen, aber dafür konnte sie wunderschöne Geschichten vom König Gradlon, der versunkenen Stadt Ys und vom heiligen Kaourintin (Corentin) und seinem Fisch erzählen, den er jeden Tag zur Hälfte verspeiste und der doch am nächsten Tag wieder vollständig war. Den Trick von Moses, Quellen sprudeln zu lassen, beherrschte er auch …

Freundliche Grüße,
Ralf

Orientierungsschwierigkeiten

Sorry, die Richtungskorrektur war natürlich Unsinn. Nazaire
liegt nördlich von Lazare. Querachse N trifft somit auf Läng
s
schiff L.

Mais non! Deine erste Korrektur war richtig. Ich habe mal spasseshalber meine Dumont-Führer hervorgekramt, sowohl den alten von Klaus Bußmann, der mich bei meinem ersten Besuch Autuns begleitet hat als auch den jüngeren von Thorsten Droste. Beide hatten offensichtlich keinen Kompass dabei und bezeichnen das Hauptportal mit dem Weltgerichtstympanon als ‚Westportal‘ und das Seitenportal (von dem die berühmte Eva stammt) als ‚Nordportal‘. Durch eben dieses trat man in St. Lazare ein, wenn man St. Nazare durch das Hauptportal verließ. Woraus man nun schließen könnte, dass St. Nazare nördlich von St. Lazere lag. Wenn - das ‚Nordportal‘ eben nicht nach Osten und das ‚Westportal‘ nach Norden zeigen würde. Den beiden betriebsblinden Cicerones (und vielleicht auch noch anderen) war einfach nicht aufgefallen, dass diese Kirche nicht ‚orientiert‘ war. Der ehrwürdige Chanoine Denis Grivot machte es den Autoren halt auch nicht einfacher - er schreibt einfach von ‚portail principal‘ und ‚portail latéral‘ …

Was den Lazarus angeht - so war es selbstverständlich :wink: der von Bethanien, der gemeinsam mit Martha und den beiden Marien (und durchaus noch lebendig) nach Les Saintes Maries de la Mer und dann nach Marseille kam, um dessen erster Bischof zu werden. Als sich die Sarazenen dort breit machten, kamen die Reliquien nach Burgund so auch Maria Magdalena nach Vézelay. Sagt man jedenfalls. Allerdings hatten die Kanoniker von Avallon beim Lazarus zunächst die Nase vorne - die bekamen das beste Stück, den Kopf, und hatten ihren Neubau schon 1106 fertiggestellt. Die Zeit im allgemeinen sowie die Hugenotten und später die Jakobiner im besonderen sind allerdings recht tadelnswert mit der Kirche umgesprungen - sie ist heute ein echtes Muster an Assymetrie. Die beiden(!) ungleich großen Westportale sind trotz aller Zerstörungen aber immer noch ein beeindruckendes ‚Gegenprogramm‘ zu Vezelay und Autun.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo!

Das erzählt man sich auch hierzulande, also ziemlich weit weg
von der Bretagne.

Jene Erklärung mit einem Wechsel des Patroziniums während des Baus und wegen des dann anderen Lichteinfalls bei Sonnenaufgang am neuen Namenstag setzt voraus, dass man den Chor zuletzt gebaut hat. Wie mir scheint, wäre dies aber ein ganz unübliches Verfahren.

Den deutlichen Achsenknick in der Kirche, die ich gelegentlich betrete, erkläre ich mir folgendermaßen:
Sie steht auf einem von Löss überdeckten Felsen. Ich stelle vor, man hat beim Bau die Maße abgesteckt und dann den Bau mit dem Chor begonnen. Währenddessen haben Arbeiter für die Fundamente des Schiffs gegraben, und dabei hat man bemerkt, dass mit einer der hinteren Ecken der Rand des Felsens erreicht würde. Um unkalkulierbare Setzungsrisse oder den Abriss des begonnen Chors zu vermeiden, entschied man sich für den Knick (und für eine fromme Legende: Auch das Haupt Christi am Kreuz ist zur Seite geneigt).

Ähnlich könnte es sich mit dem Achsenknick im Passauer Dom verhalten. Der steht auf dem sog. Domfelsen.

Beste Grüße!
H.