Kitsch im internationalen Vergleich

Hallo Experten,
als Lehrer an einer „multikulturellen“ Schule in einem Hambuger Brennpunktstadtteil fällt mir immer wieder auf, dass Menschen z. B. aus der Türkei, aber auch aus Indien ihre Wohnungen in einer Weise einrichten oder mir kleine Dinge schenken, die nach meinem Gefühl unglaublich kitschig sind (was ich natürlich niemals sage). Knallige Bonbontöne, billigst hergestellte Imitationen … Ansichten zum Phänomen Kitsch sind sicher auch schichtbedingt, aber wie beurteilt ihr den internationalen Vergleich: Sind „wir Deutsche“ (abgesehen von unseren Gartenzwergen) in unserem künstlerischen Urteil geschulter, oder nur langweiliger, mit weniger Sinn für bunte Farben?
Gruß!
Christian

ja lustig
hallo christian,

diese feststellung habe ich schon vielmals gemacht, von ägypten, über indien, nach indonesien und thailand. kitsch kitsch und nochmals kitsch. wobei kitsch oftmals modern bedeutet, denn traditionell eingerichtete wohnungen sind total anders.

sicher ist es auch eine schichtenfrage, aber es gibt auch billigen nicht-kitsch. aber das ist halt meist traditionell und wird wohl als altmodisch abgestepelt.

am witzigsten fand ich es, dass sessel und sofas mit plastik überzogen sind. auch noch nach jahren des gebrauchs :smile:. wahrscheinlich eine frage der gewünschten lebensdauer.

liebe grüssli
coco

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hallo christian,

kitsch sind (zumeist) dekorationsgegenstände, zu denen wir keinen bezug haben. das deutsche muschelverzierte holzkästchen ist für mich horrender kitsch - es sei denn, ich habe die muscheln in lauem mondlicht selbst gesammelt und mein liebster hat das kästchen selbst gewerkelt.
meine figürchen und skulpturen zeugen von erlebtem und besonderen gegebenheiten. wer eines tages meinen nachlaß ordnet, wird all das als kitsch empfinden. die farbgebung spielt dabei nur eine untergeordnete rolle.

Sind „wir Deutsche“ (abgesehen
von unseren Gartenzwergen) in unserem künstlerischen Urteil
geschulter, oder nur langweiliger…

da könntest du allerdings recht haben.

gruß
ann

Hallo, Christian,

die mediterrane Kultur ist von hinten bis vorne, also von der Levanine bis zu den Säulen des Harakles, den Farben gegenüber viel zugänglicher.

Selbst die alten Griechen, die wir doch uns eher marmorn vorstellen, schwelgten in Farben, dass ein italienisches Madonnenbildchen dagegen gar nicht abfällt.

Knallige Bonbontöne,

Gugg einmal da: http://www.skulpturhalle.ch/de/sonderausstellung/bun…

Gruß Fritz

Hallo Christian,

zu Deutschland fallen mir ein:

  • Gartenzwerge (üppsch bunt)
  • Klorolle & Wackel-Dackel
  • sauhässliche geblümte Telefonbezüge & das obligatorische Deckchen darunter *kreeeeeisch*
  • Staubfänger in Form von Nippes jeglicher Art

zu Polen fallen mir ein:

  • Gehäkelte (!) Servietten an allen möglichen und unmöglichen Orten (vor allem auf dem Fernseher - der absolute Alptraum während der Besuche bei Granny; grauenhaft! )
  • Kristallschälchen, -vasen und sonstige Objekte
  • uuuund Staubfänger in Form von Nippes jeglicher Art.

zu den USA fallen mir ein

  • siebzigmillionen Lämpchen am Haus zu X-Mas
  • quietschbunt überdekorierte Weihnachtsbäume
  • aus aller Welt Angeschlepptes
  • es fehlt was, gelle? Nämlich Staubfänger in Form von Nippes jeglicher Art.

etc., etc., etc.

Im Klartext: die Völker der Welt nehmen sich in puncto Kitsch nicht wirklich viel… Es ist allerdings personenbezogen.

Menschen z. B. aus der Türkei, aber auch aus Indien ihre
Wohnungen in einer Weise einrichten oder mir kleine Dinge
schenken, die nach meinem Gefühl unglaublich kitschig sind
(was ich natürlich niemals sage). Knallige Bonbontöne,
billigst hergestellte Imitationen

Das hat andere Gründe… Es gibt Völker, für die Farben eine große Bedeutung haben. Weiss z. B. gilt in den meisten asiatischen Ländern als Farbe der Trauer, deswegen würde sich ein Japaner nicht freiwillig die Wände weiß streichen.

Ein Tip zu Türken, Arabern & Co.: nichts in der Wohnung zu sehr bewundern. Der Hausherr fühlt sich dann verpflichtet, Dir das ‚bewunderte‘ Objekt zu schenken…

Viele Grüße

Renee

Sind „wir Deutsche“ (abgesehen
von unseren Gartenzwergen) in unserem künstlerischen Urteil
geschulter…

das denken „die anderen“ über „euch“ aber auch. nein ich werde keine beispiele für sager bringen, weil das geradezu beleidigend wäre!

oder nur langweiliger, mit weniger Sinn für bunte Farben?

ja, freundlich ausgedrückt, ist das der eindruck „der anderen“.

gruß
dataf0x

Also, dazu fällt mir ein:

Erstens sind in vielen Kulturen materielle Dinge wichtig, während die Deutschen etwas ‚mit Liebe und viel Mühe selbstgemacht haben müssen‘. Siehe Geburtstagsgeschenke, oder Geschenke für Partner/in.

Mit materiell meine ich jetzt nicht UNBEDINGT den Geldwert eines Objekts - es kann auch einfach ‚hip‘ oder ‚in‘ sein.

Europäer sind zB immer ziemlich von Japanerinnen geschockt, die Micky Mouse und Co verehren, bunte Stofftiere zu Hause haben, etc etc.

Aber ich kann eine solche Japanerin ja nicht mit einer Deutschen vergleichen - sprich, täte die Deutsche dasselbe, hätte es eine andere Bedeutung.

Die Schicht ist m.E. aber auch sehr wichtig: Es gibt Leute, die schenken sich an Weihnachten ne Packung mit lauter Duschgels, Seifen, Parfums u.ä, welche für andere nen peinliches Notgeschenk wären.
(die Fülle an Angeboten in der Vorweihnachtszeit - guck dieses Jahr mal bewusst hin - kann einem übrigens sehr deutlich klarmachen, was viele Menschen sich schenken, auch wenn’s für einen selber vielleicht ungewohnt ist).

Dann kommt bei der Schicht noch was anderes dazu: Abgesehen von den Ursachen, die dazu führen, dass manche Menschen eben NUR Aldi und Co zu sehen kriegen, hat dies auch die Wirkung, dass eben ALLE aus der Schicht/dem Milieu/der Gruppe in bestimmten Läden (in IRL ‚Pound Shops‘, hier halt so Billigläden wie ‚Schauen und Kaufen‘, etc) einkaufen. Auf die Idee, in einen ‚Edelladen‘ wie zB Habitat zu gehen (wo man auch schon mal was für EUR2 erstehen kann) kämen sie somit gar nicht. Die Edelviertel, in denen sich solche Läden befinden, sind für sie ‚off limits‘. Da werden sie schräg angeschaut, und wohl gleich als potentieller Ladendieb verdächtigt. Also gehen sie dahin, wo sie ‚zu Hause‘ sind. Schau mal am Steindamm oder in der Strasse, die vom Hbf dahinführt (where all the Sex Shops are) in die Läden - was da in den Schaufenstern steht, steht da nicht zufällig.

Jeder übernimmt das, was er aus seiner Kultur/aus seinem Umfeld/from his peers kennt.

Du bist anderes gewohnt, aus Deinem Umfeld. Ich auch. Und auch ich empfinde viele Sachen als Kitsch, die in der ‚working class culture‘ normal sind (ich war viele Jahre in Irland, da ist der Unterschied zwischen den Klassen SEHR gross, was die Geschmäcker anbetrifft - vor allem auch Kleidung betreffend. Du kannst einem Menschen, dort und in Britain, quasi sofort ihre ‚Klassenzugehörigkeit‘ ansehen).

Martin Paar (engl. Fotograf) hatte da so ne ‚satirische‘ Ausstellung, die mich total angek****** hat: Er hatte sich über Jahre, in jedem Land in dem er war, von nem Portraitfotografen fotografieren lassen. Je nach Kultur mit mehr oder weniger Kitsch.

Diese stellte er dann also als ‚seine‘ Bilder aus (stell Dir mal vor, jmd anders würde ein Foto, welches er geschossen hat, nicht mit dem Namen Martin Parrs als Autor versehen!), die shots waren also anonym, die Fotografen waren irgendwelche ‚Knipser‘ in irgendwelchen Billig-Portrait-Studios, und sie zählten für ihn somit nicht als Fotografen.

And then he made fun of them all! Er hat das Ganze von einer europäischen Sicht als Kitsch, als lächerlich, dargestellt, mit einer unglaublichen Arroganz.

Das gleiche hat er mit Bildern von Wohnzimmern von britischen working class people gemacht - undoubtedly, für seine, meine und Deine Augen Kitsch. Er kommt aber nicht aus der working class, daher finde ich sein/e (Ver)urteil(ung) extrem anmassend.

Ich kann nicht erwarten, dass jemand aus einer anderen Kultur, und oft auch aus einer anderen Schicht, meinen Geschmack teilt. Deshalb ist’s halt nicht mehr als ne nette Geste.

I’m sorry, it’s late, also alles etwas wirr…
gruss, isabel

Hallo Christian,

hm, so ganz kann ich das mit der Ausschließlichkeit der Gartenzwerge nicht stehen lassen :wink:
Die Schwiegereltern meines Onkels z.B. hatten eine winzig kleine Wohnung, in der aber siebenmillionesechshundertvierundvierzigtausendfünfhundertsieben Puppen Asyl gefunden hatten. Alle sehr geschmackvoll farbig ausgeführt und von bester handwerklicher Qualität versteht sich.
Dann sehe ich auf den diversen Volksfesten Losbuden mit ungemein geschmackvollen Plüschtieren sowie Menschen, auch deutscher herkunft, die diese Tiere stolz nach Hause tragen. Da ich mir nicht vorstellen kann, daß diese Wesen dort sofort entsorgt werden…
Dann kenn ich ettliche Menschen, die solche Geschmackgranaten wie Schneekugeln etc. sammeln.

Alles in allem möchte ich mal sagen, daß mediteran/asiatische Menschen (allerdings auch Briten und Niederländer) einen ausgeprägteren Sinn für solche Sachen haben als der ‚Durchschnittdeutsche‘, aber so ganz resistent ist der wohl auch nicht.

Gandalf
deraucheinigedesignsündenseineigennennt

Hallo Christian:

oder nur langweiliger, mit weniger Sinn für bunte

Farben?

grauer Himmel = gedeckte Farben

Fahr in die Provence, gehe auf einen Markt, schau Dir den Himmel an und dann die typischen Provencestoffe und Du verstehst…
In einer Fernsehsendung sagte mal ein Kommentator aus Südeuropa: Deutsches Fernsehen ist, als wenn man durch ein trübes Aquarium filmt. Kitsch und Farbempfinden ist immer im kuturellen und geographischen Kontext zu sehen. Wir Deutschen tun uns als Designer nicht besonders hervor. Der einzig international bekannte ist Klaus Lagerfeld und der hat das Weite gesucht. Kein Wunder, wo doch die Mehrheit der Deutschen mit Eiche rustikal eingerichtet ist.

Gruss
Jörg

Gruß!
Christian