Mich hat die Bezeichnung „Komiker“, die in den Wochen vor der Wahl für den Wahlkandidaten mit Namen „Selenskyj“ in der Ukraine bei uns üblich war, erst irritiert, dann verärgert. Erst als nach dem ersten Wahlgang deutlich wurde, dass er ernsthafte Chancen auf das Präsidentenamt hat, sind einige Medien auf die Bezeichnung „Schauspieler“ umgeschwenkt.
Ich muss zugeben: Als 1980 der Schauspieler Ronald Reagan Präsidentschaftskandidat in den USA war, war ich zunächst irritiert. Ein Schauspieler als Präsident eines Staates, in diesem Fall sogar einer Weltmacht???
Aber als ich in mich ging kam ich zu der Erkenntnis: Die wenigsten Politiker weltweit haben Politik studiert, nicht einmal Geschichte, was naheliegend wäre. Die meisten sind Juristen, aber daneben sind viele andere Berufe vertreten. Warum dann also nicht jemand, dessen Beruf vorher Schauspieler war?
Ich will damit nicht sagen, dass ich ein Freund der „Reaganomics“ wäre. Sein politisches Handeln passt nicht zu meinen Erwartungen. Aber er war halt gewählt und hat die Politik gemacht, die er für richtig hielt. Und die, die ihn gewählt haben, waren offenbar mit ihm zufrieden. Sonst hätten sie ihn nicht nach vier Jahren wiedergewählt.
Auch Selenskyj ist Schauspieler. Dass sein Revier, auf das er sich nach einiger Zeit spezialisiert hat, die Komik war, vermindert seine Kompetenz für sein zukünftiges Arbeitsfeld als Politiker ebenso wenig wie es sie vermehrt. Dass seine Spezialität die politische Satire war, spricht vielleicht sogar für ihn. Er hat nicht Witze um der Witze willen gemacht, sondern das Handeln der Politiker untersucht und ironisch durch den Kakao gezogen. So wie das bei uns die viele Jahre die hochangesehene „Münchner Lach-und-Schießgesellschaft oder die „Berliner Stachelschweine“ gemacht haben.
Ich kenne Selenskyj nicht, habe nie einen seiner Auftritte erlebt und kann ihn in keiner Weise einschätzen. Das könnte ich mit seinem Vorgänger Poroschenko aber auch nicht. Ich habe mich nie intensiv mit der ukrainischen Politik beschäftigt und habe das auch nicht vor.
Ich ärgere mich nur darüber, dass man jemanden, der von der deutlichen Mehrheit des Volkes in ein Amt gewählt wurde, mit der Nennung seines vorherigen Arbeitsfeldes von vornherein als nicht ernstzunehmen hinstellt.“Schauspieler“ ist ja schon eine Abwertung, aber ein „Komiker“ ist ja jemand, den man gar nicht ernst nehmen kann. Das Wort wird ja auch (jedenfalls bei uns) für jemanden benutzt, der nicht ernst zu nehmen ist, weil er uns etwas voralbert.
Wir sind nicht in der Ukraine, aber was dort passiert, ist nicht ganz ohne Einfluss auf die Politik ganz Europas. Warten wir ab, was Selenskyj bringt.
Grüße
Carsten