heilige und böse Geister
Hallo Ralf,
das ist zweifellos richtig: Der Beginn der Identifikation der Gottessöhne mit mal’achim bzw aggeloi liegt (zumindest texthistorisch, denn über die mündlichen Traditionen aus dieser Zeit weiß man kaum etwas) in diesen beiden erwähnten Textsammlungen. Sefer Jubilim wird heute auf nach 150 v.Chr. angenommen, und der erste Teil des äth Hen., der zugleich der jüngste dieser Sammlung ist, auf zwischen ca 100 v.Chr. und 50 n.Chr. (der Judasbrief des NT kennt offenbar diese Schrift).
Leider liegen beide Bücher komplett nur in äthiopischen Übersetzungen vor, aber dennoch ist nicht zweifelfrei zu ermitteln, warum sie nicht in den (viel späteren) Kanon des Tanach aufgenommen wurden: Die rabbinischen Traditionen ab 70 n. Chr. sind in vieler Hinsicht sehr rigide und radikal gewesen.
Besonders in der Ausmalung von Gen. 6.1-9 im äth. Henoch (dort angefangen im Kap. 7 des ersten Teiles, in der Zählung von Andreas Gottlieb Hoffmann 1833) sind deutlich die Analogien zu awestischen Theologoumena zu erkennen. Diese sind ja die viel älteren Zeugen für die Konzeptionen von gut-böse-Antagonismen: „Söhne“ des des mazda ahura, des „höchsten Gottes“ (im Hen.) sind dort einerseits der böse Geist (angra mainyu) und der heilige Geist (spenta mainyu), andererseits alle die (in unterschiedlicher Anzahl erwähnten) „unsterblichen Heiligen“ (wörtl.: amesha spenta). Und diese amesha spenta werden bei griechischen Zeugen dieser Religion (z.B. Plutarch) als „aggeloi“ bezeichnet. So eben auch im äth. Henoch und auch schon im Jubiläenbuch. Allerdings haben die amesha spenta in ihrer Charakteristik nicht die geringste Ähnlichkeit mit den hebräischen mal’achim. Diese werden im Henoch ja mit Namen genannt, einmal als 5 an Zahl (darunter die 4 auch sonst bekannten Michael, Gabriel, Raphael, Uriel), dann wieder als sechs an Zahl.
So zumindest diejenigen „Engel“, die dem höchsten Gott treu bleiben und sich nicht, wie die riesige Zahl von anderen „Engeln“ von dem Wortführer der bösen Geister (Semjasa, später auch Satan genannt) dazu verleiten lassen, die „Werke der Schöpfung“ zu versiffen und sich geil mit den Menschentöchtern zu paaren. Deren Nachkommen, eben „Riesen“, haben dann tatsächlich, als „Herrscher der Erde“, einen ganz fiesen Charakter und bringen alles auf die Erde bzw in die Menschwelt, was an Unheil und Schweinerei aufzuzählen ist.
Das sind alles enorm phantasiereiche Ausmalungen von Vorstellungen, die als Grundstrukturen bereits in den awestischen Literaturen vorgegeben waren.
Jedenfalls war der Hinweis von dir wichtig, daß die Nichtaufnahme dieser (damals weit verbreiteten Texte) in den Kanon nichts damit zu haben, daß heute da irgendetwas „ausgelassen“ würde. Die Texte waren ja nie versteckt, haben ihren Niederschlag in den Talmudim gehabt, und haben sich später in den kabbalistischen Richtungen, angefangen im „Bahir“ (ca 9. Jhdt) ausgewirkt.
Gruß
Metapher