Kontraststeigernde Brillengläser für Nachtfahrten?

NEIN, bitte keinesfalls getönte Gläser in der Dämmerung/ in der Nacht.

Ich muss meine Warnung hier als Frage verkleiden.
Aus gegebenem Anlass möchte ich hier mit dem Schwachsinn aufräumen, dass sog. „kontraststeigernden“, meist orangegelb oder orangebraun getönten Gläser die Sicht bei Nacht im Auto verbessern würden.

Das ist vollkommener Blödsinn, kontraproduktiv und bei Tönungen ab 20% sogar verboten (EU-Norm ISO 12312)!!

Anscheinend war letztens eine Augenärztin(!) im Morgenmagazin als „Expertin“ und riet dort allen Ernstes zum Tragen solcher Gläser, wenn man „in der Nacht“ (das ist die Zeit ab dem Einschalten der Straßenbeleuchtung) von entgegenkommenden Fahrzeugen geblendet würde.

Ich würde mich als selbständiger Augenoptiker über dieses Geschäftsfeld freuen, aber leider…!

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Hi,

Ah, ein Fachmann! Da hätte ich gleich ne Frage (ok, ist jetzt leicht OT): Gibt es eigentlich heute noch Brillen mit echten Gläsern? Also aus Glas? Sind die teurer oder billiger als Kunststoff?

GRUß T

Glas-Gläser sind billiger aber schwerer als Kunststoff.
Dafür sind sie nicht so schnell verkratzt.

Natürlich gibt es noch mineralische Gläser. Und zwar in 5 Varianten. Normales Kronglas hat eine Brechkraft von 1,5, es gibt aber auch dünnere Sorten mit Indizes von 1,6 bis 1,9.
Mineralgläser sind kratzfester, aber nicht bruchsicher und schwerer als Kunststoff. Außerdem gibt es wenig Komplettangebote bei Mineralgläsern und die selbsttönenden Ausführungen sind bei Weitem nicht so schnell und komfortabel wie aus Kunststoff. Dafür sind Mineralgläser bei der Dispersionsneigung wieder im Vorteil
Mineralgläser sind in etwa so teuer wie Kunststoffgläser, obwohl keine Hartschicht erforderlich ist. Bei Gleitsichtgläser gibt es wesentlich mehr Auswahl in Kunststoff als in Mineralglas.

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Hallo,

völlig ernst gemeinte Gegenfrage:
selbst Zeiss als Hersteller solcher Gläser (und ich hätte angenommen, dass die nich nur Umsatz „auf Teufel komm raus“ generieren wollen) bewirbt ihre positiven Effekte - vor allem die reduzierte Blendwirkung bläulich schimmernder Scheinwerfer (Xenon und LED).

Ist da wirklich nichts dran?
Gibt es irgendwo Seiten, wo das Thema wissenschaftlich korrekt angegangen wird?

Grüße
Pierre

Hab nicht daran gezweifelt, dass das eine ernstgemeinte Frage ist :wink:

Du meinst vermutlich die „draifwär“-Gläser. Das ist absoluter Schmu und nichts weiter als ein (Freiform-Gleitsicht-) Glas, das mit einer Blaublocker-Beschichtung versehen ist. Dieser Beschichtung werden ja derzeit richtige Wundertaten angedichtet. So soll sie auch helfen, vor allem bei exzessiven TFT-Nutzern den Melatonin-Pegel zu regulieren und die Netzhaut zu schonen.

Alles pillepalle, denn nichts davon ist bewiesen.

Wissenschaftliche Abhandlungen gibt es genügend, aber es setzt Basiswissen in Wellenoptik und Anatomie des Auges voraus, um die Zusammenhänge zu begreifen.
Hier nur 2 Dinge:
1.) DIREKTE BLENDUNG entsteht stets bei einem eklatanten Missverhältnis einer Lichtquelle zu ihrer Umgebung. Das packen unsere Rezeptoren in der Netzhaut nicht. Deshalb nützt auch eine wie auch immer getönte Brille nix. Das Missverhältnis bleibt.
2.) Man mag sich beim Autofahren vor das Auge setzen, was immer einem scheinbar und subjektiv gut tut…, es sollte (versicherungs-)rechtlich erlaubt und sinnvoll sein. Letzteres geht aber nicht, denn es entsteht Blendung an jedem mikroskopisch feinsten Kratzer/Staubkorn bereits an der Windschutzscheibe durch die Mie-Streuung.
Da hilft auch die geilste Technologie nicht.

Am ehesten kann man INDIREKTE Blendung noch dadurch reduzieren, dass man polarisierende Gläser trägt. Diese sind aber minimal 50% getönt und deshalb nicht nachtfahrtauglich!

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Danke für die Infos!

Danke für die ausführliche Antwort.

Noch eine Frage: und wie sieht es mit „Nachtkurzsichtigkeit“ aus? Ich hörte davon - es könnte in der selben Sendung des Morgenfernsehens gewesen sein. Demnach führe die Kurzsichtigkeit dazu, dass man sich durch die zu weite Öffnung der Pupille stärker als notwenig geblendet fühlt. Eine Brille, die die Kurzsichtigkeit bei Dunkelheit ausgleichen würde, könnte das Problem verringern.

Grüße

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Die beiden wichtigsten:

1.) durch die geweitete Pupille wird man -relativ- etwas kurzsichtiger, da ein bestimmter Abb.-Fehler zunimmt. Der Weitsichtige ist etwas weniger weitsichtig, der Kurzsichtige ist noch etwas kurzsichtiger.
Dieser Effekt ist meist bei Jüngeren stärker als bei älteren Personen und macht selten mehr als eine Viertel- bis halbe Dioptrie aus.

2.) wir sehen in der Dämmerung/Nacht nicht mehr mit den Rezeptoren der Netzhautgrube, sondern mit peripheren Bereichen um die sog. Makula, wodurch das Auflösungsvermögen deutlich reduziert und kein Farbensehen mehr möglich ist.

Als dritter Punkt ist wg 2.) die Stellung der Augen zueinander nicht wie am Tage. Die Augen nehmen eine leichte Auswärtsstellung ein. Der Effekt ist für Laien sichtbar, wenn man versucht, einen Stern am Himmel zu direkt zu fixieren. Er verschwindet dann nämlich scheinbar. Erst wenn ich die Augen so drehe, dass ich etwas neben dem Stern „vorbeischaue“, ist er wieder zu erkennen.

Was die (direkte) Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge angeht, ist eine Nachtfahrt aufgrund der besonders starken Relativkontraste auch besonders anstrengend und belastend.

Man kann für bestmögliche Sicht in der Nacht nur wenig tun: Windschutzscheibe pingeligst pflegen
und falls Brillenträger: keine Tönungen (auch nicht in der Windschutzscheibe), mineralische Gläser mit Vollentspiegelung, möglichst auf Hi-Index-Gläser.
Solche Gläser sind dann zu 99,3% transparent, ein normales Brillenglas nur zu etwas über 88%.

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Danke für die Erläuterungen.

Du hast Dein Geschäft nicht zufällig in Berlin oder in Brandenburg an der nördlichen Stadtgrenze von Berlin?!

Nein, leider nicht. Ich hätte mich gerne in Berlin angesiedelt, da meine Frau von da stammt.
Wir sind nahe der französischen Grenze am Rhein zuhause.

Schade, sonst hättet Ihr evtl. einen Kunden mehr. :wink: