Hallo lukedon
Hier meine Antwort:
„Kriminalisierung der Armut“
Kriminalisierung der Armut bedeutet für mich eine gewollte oder ungewollte gesellschaftspolitische Richtung von neoliberaler Prägung. Sie ist zutiefst menschenverachtend und dichotomisch, weil gesellschafts-spaltend. „Eure Armut kotzt mich an“. Hier wird Armut durch schärfstes Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte bestraft und dadurch kriminalisiert. Fruchtbarer Boden für diese Politik ist die Automatisierung von Arbeit, Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländer, Lohndumping, Arbeitslosigkeit, unsichere Arbeitsplätze wie Zeitarbeit, Kürzung der Sozialleistungen, Verslumung, Obdachlosigkeit etc. Nachfolgend einige Beispiele aus dem Netz, wo dieser Begriff vorkommt.
Herzliche Grüße und viel Erfolg bei der Bachelorarbeit
Nanninga
Ein beträchtlicher Teil der Brasilianer, vor allem jene in den Slums, wird wie Wegwerf-Bevölkerung behandelt
http://www.hart-brasilientexte.de/tag/kriminalisieru…
Zusammenfassung
Die Kriminalisierung, der Aktivisten vieler sozialer Bewegungen gegen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Fremdenfeindlichkeit derzeit in ganz Europa ausgesetzt sind — in extremer Form wurde dies etwa bei den willkürlichen Angriffen der Polizei auf demonstrierende Globalisierungsgegner während des G8-Gipfels im Sommer 2001 in Genua deutlich —, lässt sich nicht außerhalb eines allgemeineren politischen Rahmens begreifen, der Armut bestraft, um die Auswirkungen neoliberaler Politik auf das untere Endes der Sozialstruktur der Industrienationen in den Griff zu bekommen. Die harschen Polizeipraktiken und Gefängnisstrafen, die heute auf dem ganzen Kontinent gang und gäbe sind, sind in Wirklichkeit integraler Bestandteil einer grundsätzlicheren Umgestaltung des Staates, einer Umgestaltung, die durch den Wandel der Lohnarbeit erforderlich und durch die Zerstörung der eingespielten Machtbalance zwischen den um die Kontrolle von Arbeitsmarkt und Staat ringenden Klassen und Gruppen beschleunigt wurde. Unter dem Banner des Neoliberalismus haben transnationale Unternehmen zusammen mit den „Modernisierern“ aus Bürgertum und Staatselite in diesem Kampf die Oberhand gewonnen und eine Lateinamerika „Kriminalisierung der Armut“ massive Kampagne zum Umbau der öffentlichen Ordnung geführt. Soziale Deregulierung, die Zunahme sozial unabgesicherter Arbeitsverhältnisse (vor dem Hintergrund anhaltender Massenarbeitslosigkeit in Europa und einer stetig wachsenden „Arbeitnehmerarmut“ in den Vereinigten Staaten) und die Wiederkehr eines strafenden Staates alter Prägung gehen Hand in Hand: Die „unsichtbare Hand“ des deregulierten, ja atomisierten Arbeitsmarktes findet ihr institutionelles Pendant in der „eisernen Faust“ eines Staates, dem wieder mehr Funktionen übertragen werden, damit er die Störungen eindämmen kann, die eine wachsende soziale Unsicherheit hervorruft (Wacquant 1999a).
http://www.springerlink.com/content/h63r425778l86444/
Was sind die Gründe für die ständig wachsende Zahl von Gewalttoten in Rio de Janeiros Armenvierteln, den so genannten Favelas?
Weniger als ein Prozent der Favelabewohner haben etwas mit dem Drogenhandel zu tun. Die große Mehrheit sind arme und extrem arme ArbeiterInnen. Wenn man bedenkt, dass 60Prozent der Bevölkerung Rios in den Armenvierteln leben, wird schnell klar, dass die Politik der Kriminalisierung der Armut - nach dem Motto „jeder Favelista ist ein Drogenkurier“ - völlig falsch ist. Übrigens ist auch der Film „Cidade de Deus“ (City of God, 2002) zwiespältig, denn die Armut wird ästhetisiert und romantisch verklärt, während die einzelnen Charaktere schematisch bleiben. Beispiele sind der von Kind auf Schwerkriminelle oder der nie korrumpierte Junge, der später als Fotograf den Aufstieg aus der Favela heraus schafft.
Die übergroße Mehrzahl der Toten geht auf das Konto von Polizei und Militär, die extrem brutal vorgehen [der kürzlich in die Kinos gekommene Film „Tropa de Elite“ ist zumindest auf dieser Ebene ziemlich realistisch, AdÜ]. Sie fahren mit panzerähnlichen Fahrzeugen, den „Caverões“, in die Favelas, mit Musik aus den Lautsprechern wie „wir reißen euch die Seele aus dem Leib“ etc. Da ist es klar, dass vor allem Kinder die Leidtragenden sind, denn die wirklichen Drogendealer sind längst im sicheren Versteck. Aber der wirkliche Grund, warum der Staatsapparat so skrupellos mordet, sind die Ängste der Mittel- und Oberschichten. Anders als in São Paulo gibt es in Rio traditionell keine wirkliche Trennung von Favelas und bürgerlichen Wohnvierteln, daher sind die wenigen besser Gestellten ständig mit der Armut konfrontiert. Der Gouverneur von Rio, Cesar Cabral (der übrigens auch die Rückendeckung von Lulas PT hat), vertritt offensiv die Politik der Willkür und der extremen Repression. Ich wurde auch schon im Bus, der plötzlich von der Polizei angehalten wurde, kontrolliert - im Gegensatz zum „weißen“ Sitznachbarn.
http://www.sozialismus.info/?sid=2569
Endstation Carandiru
Der erfolgreichste brasilianische Spielfilm handelt von einem entsetzlichen Ereignis: Dem Massenmord im größten Gefängnis Lateinamerikas.
Oktober 1992: Berittene Polizisten dringen in den Hof des Gefängnisses Carandiru in Sao Paulo ein, dicht gefolgt von schwer bewaffneten Spezialeinheiten. Kurz darauf liegen Dutzende von Leichen in den Zellen und Gängen, ein Meer aus Blut fließt die Treppen herab. Die Militärpolizei kontrolliert das größte Gefängnis Lateinamerikas wieder. Der Einsatzleiter, Oberst Ubiratan Guimaraes, meldet den erfolgreichen Abschluss der Aktion: Kein einziger seiner Soldaten kommt dabei zu Schaden.
Mehr als zehn Jahre nach dem Massaker tauchen die Verantwortlichen für die blutigen Ereignisse wieder auf, diesmal auf der Leinwand. In einem aufwändigen Spielfilm hat der brasilianische Regisseur Hector Babenco das Geschehen rekonstruiert (siehe Kasten Seite 7) und zeigt, was die Staatsanwälte eines Militärtribunals später als „den bisher größten Massenmord in einem einzigen Gefängnis auf der Welt" bezeichneten: 111 Häftlinge kamen in Carandiru ums Leben, mehr als hundert wurden schwer verletzt.
Anlass für den brutalen Einsatz in dem völlig überbelegten Gefängnis war ein Streit unter Häftlingen, der außer Kontrolle geriet. Doch anstatt den Konflikt mit Hilfe der Anstaltsleitung zu schlichten, autorisierte der Gouverneur des Bundesstaates Sao Paulo die Militärpolizei unter Führung von Oberst Ubiratan, die Unruhen mit allen Mitteln niederzuschlagen. Am nächsten Tag fanden Kommunalwahlen statt, die Rebellion sollte so schnell wie möglich beendet werden.
Ein Untersuchungsbericht von amnesty international stellte fest, dass die Gefangenen unbewaffnet waren und regelrecht hingerichtet wurden. Obwohl die Militärjustiz anschließend über hundert Beamte und Soldaten der Militärpolizei wegen Mordes und schwerer Körperverletzung anklagte, gestaltete sich die Beweisführung schwierig. Die Einsatzkräfte hatten systematisch Spuren beseitigt, die Untersuchungen wurden behindert und zum Teil vertuscht.
Dennoch kam es im Sommer 2001 zu einer Verurteilung. Oberst Ubiratan erhielt eine der höchsten Strafen, die jemals in Brasilien ausgesprochen wurde. Wegen Beihilfe zum Mord in mehr als hundert Fällen erhielt er 632 Jahre Haft. Das Gefängnis wurde vor zwei Jahren geschlossen, das Gebäude gesprengt. Auf dem Gelände soll nun ein „Park der Jugend" entstehen. An der Situation in den brasilianischen Haftanstalten hat sich jedoch wenig geändert.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation „Justica Global“ (siehe Artikel Seite 8), die im vergangenen Jahr einen Untersuchungsbericht über „außergerichtliche Hinrichtungen" veröffentlicht hat, gehören 98 Prozent der Häftlinge zu den „absoluten Armen“. Sie sind jung, schwarz und sitzen wegen Diebstahl oder Raubüberfällen ein. Für die Autoren des Berichts symbolisiert das brasilianische Gefängnissystem die „vollständige Kriminalisierung der Armut". Eine Meinung, die selbst vom Gefängnisdirektor von Carandiru geteilt wurde. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Gefängnis", auf einer Plakette, die er demonstrativ in seinem Büro aufgehängt hatte.
Die Ursachen dafür liegen vor allem in den extremen sozialen Gegensätzen des Landes begründet. Jährlich sterben rund 60.000 Brasilianer durch Mord oder andere Gewaltdelikte. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Landes entspricht dies einer Quote, die nach den Kriterien der UNO ansonsten nur in kriegsführenden Ländern anzutreffen ist.
Nirgendwo greifen die Ordnungshüter so schnell zur Waffe, in kaum einem anderen Land der Welt gibt es so viel Todesopfer durch Polizeigewalt. Viele Polizisten gehören Sonderkommandos an, die bereits in den siebziger Jahren gegründet wurden. Einheiten wie die berüchtigte „Rota“, in der auch Ubiratan seine Karriere begann, wurden unter der damaligen Militärdiktatur eingerichtet, um gegen die linksgerichtete Guerilla vorzugehen. Nach dem demokratischen Übergang Mitte der achtziger Jahre wurde die Aufgabe dieser Einheiten neu definiert. Nun sollten sie Straßenkriminalität und Aufruhr bekämpfen.
Viele Mitglieder der Kommandos setzen ihre Aufgabe nach Feierabend fort. Die schlecht bezahlten Militärpolizisten arbeiten oft für private Sicherheitsdienste oder schließen sich sogenannten Todesschwadronen an. Im Auftrag lokaler Geschäftsleute „säubern" sie die Stadtviertel von vermeintlich Kriminellen oder sind selbst in illegale Aktivitäten involviert.
Nur selten werden die Auftragsmorde aufgeklärt. So reiste im vergangenen Herbst die UNO-Sonderberichterstatterin Asma Jahangir drei Wochen durch Brasilien, um außergerichtliche Hinrichtungen unter staatlicher Beteiligung und die Situation in den Gefängnissen zu untersuchen. Insbesondere ging sie den Informationen über Todesschwadrone in dem nordöstlichen Bundesstaat Bahia nach.
Die UNO-Gesandte, die ihren Abschlussbericht demnächst vorstellen will, zeigte sich am Ende ihrer Mission entsetzt: „Was ich dort sah, ist eine elende und traurige Situation, in der es keine Gerechtigkeit gibt." Sie fordert nun internationale Beobachter, die das Justizwesen und die Haftanstalten unter die Lupe nehmen sollen.
Tatsächlich ist die Situation paradox. Zwanzig Jahre nach dem Ende der Diktatur gibt es mehr Morde unter staatlicher Beteiligung als in den schlimmsten Zeiten der Militärs. Mit dem Amtsantritt von Luis Inácio da Silva vor einem Jahr steht jetzt ein Aktivist der ehemaligen linken Oppositionsbewegung an der Regierungsspitze. An der institutionell bedingten Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen wie in Carandiru hat der Machtwechsel bislang jedoch wenig geändert.
So muss auch Oberst Ubiratan nach wie vor keine Konsequenzen fürchten. Kurz nach seiner Verurteilung wurde er zum Abgeordneten des Parlaments des Bundesstaates Sao Paulo gewählt und genießt seitdem Immunität.
Anton Landgraf
http://www.amnesty.de/umleitung/2004/deu05/012?lang=…
Auf einer Wellenlänge
In der Stadtkarte ist hier nur ein grünes Dreieck markiert, nicht mal eine Freifläche. „Für manche sind wir wohl eine besonders seltsame Gemüsesorte“, grinst Nájera. Er kennt die Gegend seit fast 20 Jahren, als seine peronistische Jugendgruppe hier eine Volksküche für die Villa-Bewohner aufgebaut hat. Aus der Küche erwuchs das Bedürfnis nach Kommunikation, aus Lautsprechern und Wandzeitungen wurden ein Radiosender. Zum ersten Mal ging FM Bajo Flores im Sommer 1996 auf Sendung.
Das Radio ist längst eine Institution in Bajo Flores. Es gibt ein Aufnahme- und ein Sendestudio, etwa 20 junge Leute bestreiten das Radioprogramm, das heute viele Häuserblocks weit zu hören ist. Daneben gibt es Workshops, Kampagnen und Sozialarbeit, es geht um Alltag und um die große Politik. Die Madres der Plaza de Mayo haben eine Sendung, man macht Aufklärung für Kondome oder gegen die pasta, den billigen Koksabfall, den die Armen rauchen, der den Appetit verbrennt und die Kinder bis auf die Knochen abmagern lässt. Nájera legt Wert auf die Feststellung, dass man kein Alternativprojekt, sondern ein „Volksradio“ sei. Alternativ, so glaubt der bärtige Mann, sei „ja meist elitär, mit wenig Bezug zur Wirklichkeit“. Mit dem Staat hat man derzeit weniger Berührungsängste. Das Radio gehört zu jenen selbstverwalteten Projekten, die auf einer Wellenlänge mit der linksperonistischen Kirchner-Regierung sind. Was man von der an Zuschüssen bekommt, reicht gerade für den Betrieb, längst nicht für das, was man noch so vorhat: eine Bibliothek mit Büchern und Räumen zum Lesen, ein Internet-Café, ein Netz von „Villa-Korrespondenten“.
Paola ist eine der ganz wenigen, die hier täglich ein- und ausgehen. Seit kurzem jobbt sie im Sozialamt der Stadtregierung, seit zwei Jahren studiert sie Publizistik. Doch das Leben da draußen ist eigenartig. An der Uni falle es ihr „schwer, mit den Leuten zu reden“. Zwar ist die sozialwissenschaftliche Fakultät traditionell eher linkes Terrain. Doch es gibt so gut wie keine „Unterschichtsleute wie mich“. Wie sie es sagt, klingt es selbstbewusst. Und doch verwundert.
Für die Außenwelt gerät Bajo Flores immer mal wieder als Drogenkiez in den Blick. Kurz vor dem ersten Besuch steht eine großformatige Reportage in der Zeitung. Anlass war ein Massaker, fünf Tote auf einer großen Fiesta zu Ehren eines peruanischen Heiligen, darunter ein Baby. Es soll konkurrierende Banden geben, Capos, die sich als Schutzmacht gebären, und Bewohner, für die Drogenbosse „das notwendige Übel“ sind. Doch die Radio-Leute reagieren allergisch auf das Drogenthema. Das Bild von Bajo Flores als Miniatur-Kolumbien führe zur „Kriminalisierung der Armut“, meint Nájera. Es sei immer dasselbe Klischee der Villa als „Wilder Westen“, moniert auch seine Kollegin Mariela Pugliese. Sie ist die einzige im Team, die von außen kommt. Die studierte Historikerin war vor ein paar Jahren bei einer Recherche auf Nájeras Projekt gestoßen, war gleich begeistert und ist geblieben. Endlich nicht mehr die rebellierenden Mittelschichtkinder, die akademisch herbeidiskutierte Revolution. Die Begeisterung hat allerdings ihre Grenzen: Sie hätte, so sagt sie, durchaus mit Mann und der kleinen Tochter in die Villa ziehen können. Doch sie tat es nicht, „33 Jahre Mittelschicht streift man nicht einfach ab“. So pendelt sie wie Paola zwischen drinnen und draußen, nur umgekehrt. „Die Villeros werden in der Stadt als Invasoren gesehen“, sagt Pugliese. Und zwar selbst bei den engagierten, wohlmeinenden, aufgeklärten porteños. Wie neulich bei einer Veranstaltung der Madres im Stadtzentrum, als Leute aus der Villa bei den Büchertischen erschienen. Als allererstes, erinnert sie bitter, seien „die Handtaschen versteckt“ worden.
http://www.bpb.de/themen/T192Z7,1,0,Au%DFerirdische_…
Die Kriminalisierung der Armut gehört zum Surrealismus der brasilianischen Tragödie
Der Schwarze und der Kriminelle, das Armen-Ghetto und das Gefängnis – das sind die Zutaten, aus denen eine alles überlagernde Angst gebraut wird. Die brasilianische Gesellschaft ist davon weithin so betäubt, dass sie das Wegsperren und die Kriminalisierung der Armut, die Tötungen und Misshandlungen der Ausgegrenzten einfach akzeptiert. Auf einer Tagung in Rio de Janeiro unter dem Titel „Nach dem großen Wegsperren“ beschäftigen sich wenige Tage nach unserem Treffen in São Paulo Soziologen und Juristen aus ganz Lateinamerika mit dieser Kriminalisierung der Armut, die alle Unternehmungen der Veränderung zu untergraben droht. Das sind einige der Zahlen, die dort gehandelt wurden: In der Stadt São Paulo saßen in den letzten 10 Jahren 140.000 Menschen im Gefängnis. Der Bundesstaat verfügt über 100 Gefängnisse. In Brasilien sitzen 40 Prozent ohne Urteil, manche von ihnen jahrelang. Die Kriminologin Vera Malaguti, eine der Organisatorinnen der Konferenz, berichtet von einem Fall in Belo Horizonte. Dort saß ein Mann wegen des Diebstahls von 10 Wassermelonen 6 Jahre im Gefängnis. Die brasilianischen Zahlen sind relativ gesehen fast noch rechtsstaatlich. In Lateinamerika insgesamt liegt die Zahl der Gefängnisinsassen ohne Urteil bei 70 Prozent. Während São Paulo als Gefängnisstaat gilt, ist Rio das Zentrum von extrem gewalttätigen Polizeiaktionen. Auch 2008 könnte wieder ein Rekordjahr werden. Zur Jahresmitte gehen bereits 100 Tote auf das Konto von Polizei und „Sicherheitskräften“. Es sind diese erschütternden Zahlen, die das Seminar in Rio aus allen Nähten platzen lassen. 400 Teilnehmer, damit hatte Malaguti nicht gerechnet. Vielleicht ist der Weckruf, den sie am Beginn des Seminars getätigt hat, bei manchen angekommen: „Wir brasilianischen Linken müssen uns einer unbequemen und traurigen Realität bewusst werden: Die Demokratie, die wir miterrichtet und für die wir uns im Kampf gegen die Militärdiktatur eingesetzt haben, foltert und tötet mehr als damals die Militärs.“
Das System der kriminalisierten Ausgrenzung funktioniert nicht nur in Brasilien unter anderem deshalb, weil die Entmenschlichung der Opfer als Drogenkriminelle und Taugenichtse schon fester Bestandteil in der Realitätswahrnehmung vieler „unbescholtener Bürger“ ist. Wer da die Seiten wechselt, für den kann es unbequem werden. Luiz, Durva und Wagner könnten dazu viel erzählen. Doch lieber schlagen sie mit ihren Kursen unermüdlich kleine Löcher in die Mauer aus Ignoranz und Verdrängung.
http://www.medico.de/material/rundschreiben/2008/03/…
… und kriminalisieren
Das deutsche katholische Hilfswerk Misereor verweist auf die Gefahr, dass die Armen im Süden von den Industrieländern bloss noch als Bedrohung wahrgenommen werden. Diese Kriminalisierung der Armut ist auf nationaler Ebene in vielen Ländern schon längst Realität, etwa in den USA oder in lateinamerikanischen Staaten. Dort gelten Arme als eine der grössten Bedrohungen der inneren Sicherheit, die mit der «Null-Toleranz-Politik» und polizeilicher Repression in den Armenvierteln bekämpft wird.
http://www.gsoa.ch/gsoa/zeitung/118/zurueck_in_die_z…
Polizeiliche Gewalt gehöre zur Sicherheitspolitik des gleichnamigen Bundestaates, erklärte die Organisation Justicia Global am Donnerstag (Ortszeit). So seien allein im vergangenen Jahr bei Einsätzen in Armenvierteln 1.195 Menschen ums Leben gekommen. In den meisten Fällen habe es sich um „Hinrichtungen“ gehandelt. So sei fast die Hälfte der Opfer durch Schüsse in den Rücken oder in den Nacken getötet worden. Im selben Zeitraum seien 45 Polizisten bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben gekommen.
Insbesondere Menschen in den Armenvierteln würden vielfach als Bürger zweiter Klasse behandelt und von vornherein als Kriminelle angesehen, teilte die Organisation weiter mit. Sandra Carvalho von Justicia Global sprach von einer „Kriminalisierung der Armut“. Von den rund sechs Millionen Einwohnern Rio de Janeiros leben rund 1,1 Millionen in den so genannten Favelas. Polizei und bewaffnete Banden liefern sich in Rio de Janeiro einen regelrechten Drogenkrieg.
http://www.rp-online.de/politik/Vorwurf-Polizeigewal…
Auf dem Menschenrechtstribunal von Sao Paulo hat Maria Nacort Richter und Anwälte, aber auch langjährige Mitglieder der bischöflichen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden sowie der katholischen Sozialpastoralen an ihrer Seite. „Der brasilianische Staat fördert die Barbarei und ist verantwortlich für fortdauernde Misere und Marginalisierung eines Großteils der Bevölkerung“, erklärt Jurymitglied Waldemar Rossi, Führer der Arbeiterseelsorge in der Erzdiözese Sao Paulo. „Die Folter wird vor allem gegen arme Schwarze angewandt und hat unter der Regierung von Präsident Lula sogar zugenommen.“ Laut Tribunal-Chefankläger Plinio Sampaio, ein angesehener katholischer Bürgerrechtler und Jurist, sollten die Unterprivilegierten mittels Gewalt, Terror und Angst dazu gebracht werden, die Einschränkung ihrer Grundrechte zu akzeptieren. „Die Kriminalisierung der Armut und der Sozialbewegungen wird in der derzeitigen Finanz-und Wirtschaftskrise weiter verschärft, der Staat fördert soziale Gerechtigkeit nicht.“ Unter Lula habe sich die gesellschaftliche Ungleichheit in der zehntgrößten Wirtschaftsnation außerdentlich verstärkt. Es sei zudem unglaublich, daß Brasiliens Justizapparat 20 Jahre nach dem Erlaß einer demokratischen Verfassung sogar zahlreiche Grundrechte der Arbeitenden immer noch nicht in geltendes Recht umgesetzt habe. Sampaio plädiert daher für die moralisch-politische Verurteilung des brasilianischen Staates. Jury und Nebenkläger stimmen zu, machen die Autoritäten auch für den Terror der organisierten, hochbewaffneten Banditenkommandos gegen wehrlose Slumbewohner verantwortlich.
http://www.berliner-journalisten.com/blog/2008/12/08…
Damit sollte auch klar geworden sein, dass das hohe Maß an interner Kohärenz und externer Kongruenz, das das hier präsentierte Röntgenbild des aufkommenden Regierens mit der sozialen Unsicherheit nach dem Zusammenbruch der fordistischkeynesianischen Ordnung aufweist, teilweise auch eine Funktion der dabei verwendeten analytischen Linse ist. Es sollte den Leser nicht zu der Annahme verleiten, dass der Kriminalisierung der Armut - wie es der verschwörungstheoretisch-aktivistische Mythos vom „gefangnis-industriellen Komplex“ nahelegt - ein von übelwollenden und allmächtigen Staatsmännern verfolgter, bewusster „Plan“ zugrunde liegt.
http://www.deutschesfachbuch.de/info/detail.php?isbn… Buch anschauen&part=1&word=&:stuck_out_tongue_winking_eye:HPSESSID=ac93b2752642cf00f91288d92703f330
Häufig werden Frauen in überfüllte Männerzellen gesperrt und dann massenhaft vergewaltigt. Zgubic nennt neueste Fälle “ all dies habe Tradition. ”In Brasilien wissen wir, daß zum Beispiel im 19. Jahrhundert Frauen und Männer, also die Armen, die Bettler, die Arbeitslosen in den Gefängnissen zusammengepfercht wurden. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung der Armut an. Armut wird vom Staat, von den Oberschichten produziert, die sich nie für einen Sozialstaat geöffnet haben. Schuld ist das Wirtschafts-und Konsumsystem, für das ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schlicht überflüssig ist. Länder, die sich diesem System nicht unterwerfen, wie etwa Kuba, werden mit einem Wirtschaftsboykott überzogen. Während Brasilien als Musterland gilt. Doch absolut klar ist “ der größte Menschenrechtsverbrecher ist der Staat. Für Gesundheit, Schulwesen, für sozialpolitische Programme in den Slums, fürs Justizwesen sind keine Mittel da. Das heißt, man fragt sich dann, wer ist verantwortlich für das Ganze?”Wegen Bagatelldelikten, etwa des Diebstahls von umgerechnet drei Euro, oder von Tellern im Supermarkt, kommen laut Zgubic nach wie vor Menschen jahrelang hinter Gitter. Besonders gravierend sei die Lage in Amazonien: „Der Richter am Bistumssitz des aus Österreich stammenden Bischofs Erwin Kräutler in Altamira ist für einen Gerichtsbezirk von etwa tausend Kilometern Durchmesser zuständig. Häufig gibt es keine Rechtsanwälte, keine Aufklärungspolizei, nur die Militärpolizei. Diese steckt Leute ins Gefängnis, ohne jegliche Ermittlungen, nur nach Hörensagen oder Privatmeinung des Polizisten. Richtern wird gar nicht mitgeteilt, daß jemand eingesperrt wurde “ man weiß gar nicht, wer alles gefangen gehalten wird.” In Brasilien seien zwischen vierzig und siebzig Prozent der Eingesperrten entsetzlicherweise Untersuchungshäftlinge. „Ich kenne einen Gefangenen, der wegen Mordes bereits zehn Jahre in U-Haft sitzt. Und wenn dann herausgefunden wird, daß er unschuldig ist?”
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/11/lateina…