Kritik am Naturrecht

Kleiner Überblick
Hi.

In einem Buch habe ich gelesen, dass ein Kritikpunkt am
Naturrecht ist, dass man „aus Seins- keine Sollensaussagen
ableiten kann“. Kann mir das bitte jemand im Zusammenhang mit
dem Naturrecht erklären?

Diese Problemstellung geht von David Hume aus, der im 18. Jhd. bemängelte, dass in den ethischen Argumentationen seiner Zeitgenossen der Unterschied zwischen Ist und Soll verwischt wurde, so dass es zu logisch unredlichen Fehlschlüssen kam. Fachlich gesagt: von deskriptiven Aussagen (Ist) kann nicht auf Normen (Soll) geschlossen werden.

Cicero unterschied drei Rechtsformen:

* lex aeterna

* lex naturalis

* lex positiva

Ersteres gründet auf kosmische bzw. göttliche Prinzipien, das zweite auf den allen Menschen bzw. Gemeinschaften gemeinsamen Rechten und das dritte auf besonderen Rechten wie z.B. das römische Recht, das nur im Bereich des römischen Reiches Geltung hatte und jederzeit auch modifiziert werden konnte, im Unterschied zu den beiden anderen Rechtsformen.

Wichtig ist, die verschiedenen historischen Erscheinungsweisen von „Naturrecht“ zu unterscheiden. Da gibt es

* das antike Naturrecht der Stoa

* das theologische Naturrecht des christlichen MA

* das rationalistische Naturrecht der Aufklärung (Vernunftrecht)

Ersteres geht auf die stoische Idee einer den Kosmos durchwaltenden Weltvernunft (pronoia) zurück, das zweite war eine Augustinische Neuinterpretation des stoischen Konzepts mit Akzent auf dem ´Willen Gottes´ bzw. der ´Vernunft Gottes´, das dritte basiert auf dem aufklärerischen Konzept der autonomen Vernunft des Menschen. Kant z.B. postulierte als einziges Naturrecht die „Freiheit“ des Menschen (= Unabhängigkeit von anderen Menschen).

Nochmal kurz zur Fragestellung:

Die Ableitung von Sollen aus Sein, die Hume kritisierte, hängt mit der Tendenz der entsprechenden Autoren zusammen, in ihr Naturrechtskonzept zentrale Ideen des christlichen Gottesglaubens einzubauen. Das war z.B. bei John Locke der Fall, der die Naturrechte mit gottgegebenen Vernunftprinzipien gleichsetzte.

Chan

Kritisches zum Naturrecht
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Hallo Fragender.

Ich hatte leicht unwillig „eingewilligt“, heute nacht etwas zu den Begriffs-Spannungen um das Naturrecht zu schreiben, obwohl es nicht mein seinerzeitiges Studiengebiet gewesen ist.

Mit Erleichterung nehm’ ich aber zur Kenntnis, daß Ch´an und VIKTOR diese Aufgabe wacker und klarer schon übernommen haben.

Ich bringe nur noch eine nachträgliche Anmerkung an:

Etliche der Schwierigkeiten in der Auseindersetzung damit ab dem 11. Jahrhundert bis heute haben auch damit zu tun, daß es eine komplexe Rekostruktionsarbeit des „Fremden“ sich vor Augen zu führen voraussetzt, was die griechischen Autoren (also nicht nur Aristoteles) sich unter einer „Natürlichen Ordnung“ versucht haben vorzustellen.

Sie hypostasierten nicht eine verdinglichte oder vergeistigte Natur als Regelwerk oder Regelwerktaktgeber , sondern versuchten ein Bild zu entwerfen, in dem Seiendes und Sollendes sich „natürlich“, das heißt wesensursprünglich, trafen, ergänzten und durchdrangen.

Jede Abweichung von diesem „wesensmäßigen ursprünglichen Gesamtsinne“ hätte dann zu tragischen Aporien geführt, wie paradigmatisch in der „Antigone“, in der gesetztes Werk und „sinnstifende ethische Gebote“ zu einer unlösbaren und „unerlösbaren“ Spannung führen, zur „Tragik“.

Daß ab dem Ende des des 17. und dem Anfang des 18. Jahrhundert diese Vorstellungen in der folgenden philosophischen Rezeption grundsätzlich zunehmend erschwerter rekonstruierbar zu werden anfingen, versteht sich von selbst.

Eine weitere heutige Schwierigkeit besteht in der verständlichen Aversion gegen spätkatholische tendentiell fundamentalistische Kategorienverhärtungen seitens der rechtphilosophischen Schulen. Auch - zum Beispiel - partiell daher der Widerstand dagegen einzuräumen, daß die Menschenrechte- und Widerstandrechte-Frage eng mit dem Verständnis und der Interpretation des Naturrecht-Komplexes (wie bei Thomas Jefferson zum Beispiel) verbunden sein könnten.

Freilich wird der reine Rekurs auf die empirische Rechtentfaltung in dieser Frage rasch ein wiederum rein zirkulärer. Das ist mit ein Grund, warum es der herrschenden chinesischen Rechtlehre nicht schwerfällt, dagegen zu argumentieren: Ihre Rechtentfaltung sei eben eine bessere, andere, der chinesischen Kultur gemäßere.

Die Spannungen um Soll/Sein wie um Sein/Soll in der Naturrecht-Frage werden höchstwahrscheinlich auch in den nächsten Jahrhunderten höchstbrisant bleiben.

Dazu wird sehr der Kern-Fokus eine wesentliche Rolle spielen, ob die zunehmende Relativierung des derzeitigen Naturverständnisses durch die Quantentheorie, auch das philosophische Verständnis von vorgeblicher objektiv isolierbaren „Natur“-Betrachtung hinreichend befruchten und erweitern wird.

abifiz

Edit
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Korrigiere nachträglich einen sinnverunklarenden Fehler:

Es heißt nicht:

„daß es eine komplexe Rekostruktionsarbeit des „Fremden“ sich vor Augen zu führen voraussetzt,…“

sondern

„daß eine so komplexe Rekostruktionsarbeit des „Fremden“ sich vor Augen zu führen voraussetzt,…“

Das _ „es“ _ zwischen "daß und „eine“ fällt weg. Gemeint war ursprünglich damit das _ „so“ _ zwischen „eine“ und „komplexe“.

Sorry.

abifiz

Metaphysische Legitimation von Recht
Hi abifiz.

Die Spannungen um Soll/Sein wie um Sein/Soll in der
Naturrecht-Frage werden höchstwahrscheinlich auch in den
nächsten Jahrhunderten höchstbrisant bleiben.

Die Spannung zwischen religiöser und pragmatischer Legitimation des Rechts reicht vielleicht schon in die Hammurabi´sche Gesetzgebung zurück. Darin begründet der König diese Gesetze mit seiner Berufung durch „die Götter“ für die Aufgabe, eine gerechte Ordnung im Reich herzustellen. Man kann nur darüber spekulieren, ob Hammurabi wirklich hundertpro von seiner göttlichen Sendung überzeugt war oder ob er dies dem Volk nur glauben machen wollte, ob er also die Gesetze lediglich als pragmatisches Instrumentarium betrachtete (im heutigen Sprachgebrauch: als positives Recht). Vermutlich mischten sich beide Überzeugungen in ihm zu einer kaum entwirrbaren Einheit.

Entsprechend sind darin - so meine ich - die Ciceronischen Kategorien „lex aeterna“ und „lex naturalis“ gemischt, also Naturrecht (im stoischen Sinne, also göttliches Recht) und universal gültiges Recht (bei Cicero „lex naturalis“ genannt) im Sinne von Regeln, die in (vermutlich) allen menschlichen Gesellschaften bestehen und wohl auch bestehen müssen, da sie für deren Erhalt notwendig oder zumindest sehr wichtig sind (Tötungs-, Diebstahlverbot usw.).

Ich glaube nicht, dass die Kategorie des lex aeterna jemals ausgedient haben wird. Denn das würde voraussetzen, dass die Menschen irgendwann ihre religiösen bzw. spirituellen Auffassungen komplett über Bord werfen. Genau das halte ich für ausgeschlossen. Im Hinduismus und Buddhismus zum Beispiel gibt es - in gewisser Weise - eine Entsprechung zum metaphysischen Naturrecht - das Karma. Egal wie man diesen schillernden Begriff auslegt, er hat Aspekte, die ihn mit der Naturrechtsidee (im Sinne der lex aeterna) in einen - logischen, nicht historischen - Zusammenhang bringen. Grundlage ist hier das - sagen wir mal - holistische Weltbild dieser Religionen, das eine Zusammengehörigkeit bzw. „natürliche“ Harmonie aller Lebewesen beinhaltet.

Chan

Hallo,

Du verstehst sicherlich, das ich auch zu Deinem Beitrag ein paar Zeilen schreiben möchte. :o)

Deine „Antwort“ geht leider in keiner Weise auf die Frage ein, obwohl sie sich direkt an den Fragenden richtet. Wenn sie als Folgeposting zu Deinen früheren Beiträgen gedacht war, ist sie falsch platziert.

Das vom Fragesteller erwähnte Buch und seine daraus resultierende Frage haben schon Partei ergriffen: Gegen ein „Naturrecht“.
Insofern sind Deine ganze Ausführung zur „Problematik des Naturrechts“ völlig am Thema vorbei.

Ob dann in einem öffentlichen Forum eine Antwort in der Form wie Du sie gewählt hast, angebracht ist möchte ich sehr stark bezweifeln.

Bei Begriffspaaren wie: „tragischen Aporien“ oder „Kern-Fokus“
bleibt sowieso die Frage ob Du Deine Fremdwort-Kaskaden überhaupt selbst verstehst oder ob sie nur vom schwachen Inhalt ablenken sollen.

Denn das es schwierig ist zu ermitteln, was und wie vergangene Autoren tatsächlich über ein bestimmtes Thema gedacht haben, ist trivial.
Genauso, das in der Antike die Welt und Natur überwiegend als Sinnvoll - da von göttlichem Plan erschaffen - gedacht wurde.

Deine weiteren Einschätzungen sind falsch.
Die von Dir sogenannte „Soll-Sein Frage“ ist weder jetzt hochbrisant" noch wird sie es aller Voraussicht nach in Zukunft werden. (Es sei denn Du sprichst ausschließlich von Deinen eigenen Befindlichkeiten in Bezug auf dieses Thema - da werde ich mir natürlich kein Urteil erlauben :o) )

Ein Konfliktpotential wird allerdings tatsächlich erhalten bleiben - und das anders als Du glaubst - völlig unabhängig von der Quantenphysik. Denn es wird immer Leute geben die sich auf „heilige Bücher“ oder sonstige „nicht-menschliche Autoritäten“ berufen werden um ihnen genehme Gesetzesphantasien legitimieren zu wollen.

Grüße
K