[Küchenlatein] (kurze) Urkunde übersetzen

Hallo,
mein Latein ist weitgehend autodidaktisch erworben (nur 2 Jahre Schule, lang ist’s her …) und bevor ich lange herumstümpere, frage ich mal hier und bitte um Ergänzung.

Es handelt sich um eine Schenkungsurkunde aus dem Kopialbuch des Codex Laureshamensis:

Donatio Vlfridi, in Munzaher marca.
In Christi nomine sub die VII kl. iunii, an. X Karoli regis, ego Vlfrit dono ad s. Nazarium mrem. qui requiescit in corpore in pago renensi monasterio laurish. ubi uenerabilis Helmericus abb. preesse videtur donatumque in perpetuum esse uolo et promptissima uoluntate confirmo in pago Nachgowe in Munzaher marca IIIi iurnales de terra aratoria et unam uineam in dei nomine perpetualiter ad possidendum stipulatione submixa. Actum in monasterio laurish. sub die et tempore quo supra.

So weit ging’s noch völlig problemlos:

Schenkung des Ulfrid, in der Monzinger Mark.
Im Namen Christi 7 Tage vor den Kalenden des Juni [26.05.] im 10. Jahr der Regierung Karls, schenke ich, Ulfried, dem hl. Nazarius dem Märtyrer, der körperlich im Kloster Lorsch im rheinischen Gau ruht, wo der ehrwürdige Abt Helmrich …

… im Nahegau in der Monzinger Mark 4 Tagwerk Ackerboden und einen Weinberg im Namen des Herrn …

Ausgefertigt im Kloster Lorsch …

Bitte höflich um Unterstützung.

Wen es interessiert - noch eine Anmerkung zu „X Karoli regis“: da Abt Helmrich von XI - XVI Kar. r. amtierte, kann das Jahr 10 (X) nicht stimmen, offenbar sind hier ein oder mehrere auf das X folgende Einer weggefallen. Das angegebene Jahr kann also nicht 778 sein, sondern es muss eines der Jahre 779 - 784 sein (XI, XII, XIII oder XIIII Kar. r.). Am wahrscheinlichsten dürfte 779 (XI) sein.

Diese Erkenntnis stammt freilich nicht von mir, sondern vom Editor Karl Glöckner.

Freundliche Grüße,
Ralf

Und nein …
… ich wollte keine Expertenanfrage in der Weltgeschichte verschicken, schon gar nicht an Experten in Hindi oder Volapük. Ich wollte meine Frage nur im Forum einstellen. Herr, wirf Hirn vom Himmel!

Schwer refit-genervt,
Ralf

Hallo Ralf,

hier mein Vorschlag:

Schenkung des Ulfrid, in der Monzinger Mark.
Im Namen Christi 7 Tage vor den Kalenden des Juni [26.05.] im
10. Jahr der Regierung Karls, schenke ich, Ulfried, dem hl.
Nazarius dem Märtyrer, der körperlich im Kloster Lorsch im
rheinischen Gau ruht, …

wo der ehrwürdige Helmrich Abt ist. Ich möchte, dass diese Schenkung ewig (= dauerhaft, nicht dem Heimfall unterworfen) ist und bekräftige in voller Entschlossenheit, dass er (St Nazarius, vertreten durch die Abtei Lorsch)

… im Nahegau in der Monzinger Mark 4 Tagwerk Ackerboden und
einen Weinberg im Namen des Herrn …

besitzen soll, was durch eine Stipulation (= einseitiges Schuldversprechen) gestützt wird.

Ausgefertigt im Kloster Lorsch …

zum oben angegebenen Datum.

Mich stört allerdings die Endung in submixta: Könnte Neutrum Plural sein, sozusagen zusammenfassend für alle genannten Akte, oder ein Attribut zu „stipulatio“ im Ablativ Singular, dann müsste es anders wiedergegeben werden - eventuell gab es das Rechtsinstitut der „stipulatio submixta“.

Schöne Grüße

MM

Hallo Ralf,
so weil reicht mein Wissen auch nicht.
Tut mir leid kann nicht weiter helfen.
Grüße Reauli

Hallo Martin,

herzlichen Dank für die prompte Hilfe und Entschuldigung wegen einer irreführenden Schlampigkeit von mir: es muss natürlich sub n ixa heißen, nicht sub m ixa. „Gestützt durch ein Schuldversprechen“ ist also mE völlig korrekt. Die Formulierung (es ist eine Standardformulierung in den Lorscher Urkunden) verdeutlicht, dass es sich um eine Stipulationsurkunde (cautio) handelt - also ein einseitiges Schuldversprechen (ohne Gegenforderung).

Mal schauen - vielleicht hat Hannes noch eine Anmerkung / einen Hinweis.

Gruß und Dank,
Ralf

Hallo Ralf,

dabei habe ich etwas unterschlagen, allerdings - nämlich:

„… in dei nomine perpetualiter ad possidendum …“

Ob „perpetualiter possidere“ schlicht „besitzen“ heißt, im Gegensatz zur Hingabe als Lehen, die nicht auf Dauer ist, oder mit „auf Dauer besitzen“ wiedergegeben werden muss, hängt wohl davon ab, wie weit die Entwicklung vom Lehen zum Grundbesitz zu Karls Zeit in dieser Gegend bereits fortgeschritten war. Gestern schien es mir besser, wenn man das „perpetualiter“ ganz unter den Tisch fallen lässt, weil eben „Besitz“ bereits etwas Dauerhaftes anzeigt, aber heute glaube ich, das wird dann zu ungenau.

Mit „in dei nomine“ weiß ich auch nicht, ob es sich bloß um eine Art Bekräftigungsformel im Sinn von „Bism’illah ar-rahman ar-rahim“ handelt, die man halt braucht, damit die Urkunde gültig ist, oder ob es wie vielleicht auch „perpetualiter“ die Art des Besitzes näher beschreibt und etwa bezeichnet, dass damit alle eventuell bestehenden, dem Stifter nicht bekannten höheren Rechte an dem Lehen aufgehoben sind und „nomen dei“ als eine Art Kreuzdame alles abräumt bis zum Kaiser hinauf, als Gewähr für „lastenfreie Übergabe“ der Grundstücke.

Wenn Du mehr Urkunden der Epoche aus Lorsch in den Händen hast, wirst Du vergleichen können, ob die beiden Formulierungen universell oder bloß manchmal vorkommen.

Schöne Grüße

Martin

Guten Abend!

Ob „perpetualiter possidere“ schlicht „besitzen“ heißt, im
Gegensatz zur Hingabe als Lehen, die nicht auf Dauer ist, oder
mit „auf Dauer besitzen“ wiedergegeben werden muss […]

Mit diesen Formulierungen „possidere in perpetuum“ u. ä. ist gewöhnlich ausgedrückt, dass es sich nicht um Besitz in unserem Rechtssinn handeln soll, sondern um Eigentum. Warum dafür nicht das Wort „proprietas“ verwendet wird, ein terminus schon im Römischen Recht, weiß ich nicht.
Für „marca“ schlage ich unseren Begriff „Gemarkung“ vor.

Freundlichen Gruß!
H.

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proprietas im Mittelalter
Hallo Hannes,

der Begriff von Eigentum an Grund und Boden im antiken und modernen Sinn ist zu karolingischer Zeit im fränkischen Sachenrecht wohl noch nicht wieder entwickelt, man war da wohl noch zu nah am „reinen“ Lehenswesen, in dem auch der Grundherr selbst mit seinen Grundstücken bloß - dauerhaft oder nicht, erblich oder nicht - belehnt war.

Ich habe grade für Spaß bei Nachbars nachgeschaut, die für die Entwicklung der Legionärsdialekte im Mittelalter öfters ganz gute Etappen erkennen lassen - auch bei denen gibt es keine durchgehende, ans Lateinische anknüpfende Verwendung von „proprietas“ während des Mittelalters; „propriété“ ist laut „Petit Robert“ erst 1174 nachgewiesen, „propriétaire“ gar erst 1263.

Von daher ist die „possessio in perpetuum“ wohl mit „Eigentum“ (bei allen notwendigen formalen Einschränkungen) wiederzugeben, weil es eben eine „proprietas“ an Grund und Boden noch nicht wieder gab.

Für „marca“ schlage ich unseren Begriff „Gemarkung“ vor.

Ja, sicher - vor 843 lag zwischen Lorsch und Autun eher das Herz als die Marken des Reichs…

Schöne Grüße

MM

Hallo Martin und Hannes,
nochmals herzlichen Dank für Eure Hilfe. Zum „perpetualiter ad possidendum“ - es ist eine Standardformel im Lorscher Codex. In der Tat ist es auffallend, dass der Begriff ‚proprietas‘ vermieden wird, einen Grund dafür weiss ich auch nicht anzugeben. Einen Zusammenhang mit dem Lehenswesen halte ich jedoch für unwahrscheinlich. Ansätze einer Feudalverfassung gibt es im 8. Jahrhundert erst schwach; erst im 9. Jahrhundert kommt es zunehmend zur Vergabe von benefica (Lehen) als Gegenleistung für die commendatio (‚Lehenseid‘). Alles im ostfränkischen Bereich deutlich langsamer und mit ebenso deutlicher Verspätung im Vergleich zur westfränkischen Entwicklung. Von einem vollentwickelten Feudalstaat kann man erst ab dem 10. Jahrhundert sprechen.

Die Aufgebots-Kapitularien Karls (die de facto auf die Einführung einer Kriegssteuer, also die materielle Ablöse der Heeresfolgepflicht) hinausliefen, sind hier einer der oben erwähnten Ansätze. Doch das gehört jetzt alles eher ins Geschichtsbrett als hierher.

Die Kapitularien kennen übrigens den Eigentumsbegrff schon - ich zitiere mal aus M. G. I. 134 (aus dem Jahr 807 - gültig für Gebiete westlich der Seine), weil da explizit auch schon ‚Lehen‘ erwähnt werden:

„In primis quicunque beneficia habere videntur omnes in hostem veniant. Quicumque liber mansos quinque de proprietate habere videtur, similiter in hostem veniat, et qui quattuor mansos habeat similiter faciat.“

Man erkennt deutlich die ursprünglich rein militärpolitische Funktion der benefica (quasi eine Soldersatzleistung) - aber auch, dass diese Vasallen zwar vorrangig, aber eben auch nur neben dem Aufgebot der Landeigentümer aufgeboten wurden. Der Übergang vom Volksheer zum Vasallenheer (bzw. die karolingische Mischform) wird hier schön deutlich.

Ach ja - ‚Gemarkung‘ statt ‚Mark‘ ist für ein besseres Verständnis natürlich sinnvoll, da ‚Mark‘ in der Regel heute auf eine Grenzmark (mit besonderen militärischen Befugnissen des Markgrafen) bzw. die daraus entstandenen Markgrafschaften bezogen wird - also eigentlich einen Spezialfall.

Freundliche Grüße,
Ralf

Guten Tag!

Wen es interessiert

Immer!

noch eine Anmerkung zu „X Karoli regis“:
da Abt Helmrich von XI - XVI Kar. r. amtierte, kann das Jahr
10 (X) nicht stimmen, offenbar sind hier ein oder mehrere auf
das X folgende Einer weggefallen.

Solche Unstimmigkeiten in der Zählung der Regierungsjahre kommen manchmal zustande, wenn deren Zählung nach indictio-Perioden vorliegt.
Das ist ein im Mittelalter nicht mehr korrekt verwendetes Verfahren aus der römischen Antike: eine Zählung nach Jahren in der Abfolge von 15-Jahr-Gruppen, erfunden zum Zweck der Besteuerung in einem Zyklus von 15 Jahren: also das so-und-sovielte Jahr innerhalb der so-und-sovielten 15-Jahr-Gruppe*.
Diese Zählung wurde im Mittelalter fortgeführt; aber bei der Datierung wurde oft nur noch das Jahr innerhalb einer 15-Jahre-indictio angegeben und nicht mehr, um die wievielte indictio überhaupt es sich handelte. (Diese komplizierte und unklare Jahreszählung wurde aufgegeben, nachdem sich die unkomplizierte Zählung der Jahre „nach Christi Geburt“ endgültig durchgesetzt hatte.)
Ich gehe aus Zeitmangel deinem Problem in dieser Hinsicht nicht nach. Aber sapienti sat.
* Mir kommt das so vor, als sei es der griechischen Zählung nach Olympiaden abgeschaut.

Diese Erkenntnis stammt freilich nicht von mir, sondern vom
Editor Karl Glöckner.

Wenn der sich dazu nicht in diesem Sinn äußert, wird die Lösung wahrscheinlich anderswo zu suchen sein. Aber vielleicht führt mein Hinweis dennoch weiter.

Beste Grüße!
H.

Hallo!

der Begriff von Eigentum an Grund und Boden im antiken und
modernen Sinn ist zu karolingischer Zeit im fränkischen
Sachenrecht wohl noch nicht wieder entwickelt,

Sicher waren ganz klar im Römischen Recht Besitz und Eigentum unterschieden; z. B. Digesten 41,2,12 § 1: Nihil commune habet proprietas cum possessione (Eigentum hat mit Besitz keine Gemeinsamkeit).
Und ebendiese Unterscheidung finde ich in einer Schenkungsurkunde Kaiser Ludwigs des Deutschen (857):
"[…] Quapropter notum sit […] qualiter nos […] quasdam res proprietatis nostre,
quas quondam Reginbertus et Reginolfus pater suus seruus noster possidens incolebat,
ad monasterium quod uocatur Altaha […]
ad proprium dedimus
datumque in perpetuum mansurum esse uolumus […]
Deshalb sei […] kundgetan […], wie/dass wir gewisse Sachen aus unserem Eigentum, die einstmals Reginbert und Reginolf, unser Knecht(Lehensmann) als Besitz bewohnte, an das Kloster namens Altaich […] zu eigen gegeben haben und wir wollen, dass das Gegebene auf immer verbleibt […].

Für bemerkenswert halte ich dabei, dass trotz der eindeutigen Aussage, es handle sich um die Schenkung als Eigentum, trotzdem noch die Zusicherung „in perpetuum“ für nötig gehalten wird. Ganz wie du oben sagst: als wäre ein durch das Lehensrecht beanspruchter Heimfall an den Schenker oder dessen Zugriff tatsächlich immer noch denkbar.

H.

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Danke für den Hinweis - der scheint hier aber nicht weiterzuführen. Wenn die Urkunden im Kopialbuch datiert sind, dann explizit nach Regierungsjahren: anno … Pippini regis (nur wenige), anno … Karoli regis (selten Karoli imperatoris), anno … Ludouuici imperatoris (selten Ludouuici iunioris). Alle drei Ären gehen natürlich auch über die 15 hinaus.

Glöckner geht bei Unstimmigkeiten mit der Äbteliste nahezu immer von einem Kopistenfehler aus. Man kann sich auch durchaus vorstellen, dass das Abschreiben von Urkunden, die nahezu schon ein halbes Jahrtausend alt waren, nicht immer ganz einfach war bzw. deren Lesbarkeit nicht immer die beste.

Freundliche Grüße,
Ralf