Immer wieder hört man Klagen über die negativen Folgen der Schwerelosigkeit für Menschen in Raumstationen. In jedem besseren (oder auch schlechteren) Science-Fiction-Film kennt man längst die Lösung: Man läßt die Raumstation um sich selbst rotieren und erzeugt so eine künstliche Schwerkraft.
Warum wird diese Möglichkeit in der Raumfahrt noch nicht einmal diskutiert - geschweige denn angewandt? Kann mir das mal jemand erklären?
hallo jörg
Mögliche Gründe:
1.Dann müssen die Antennen am RS ständig nachgedreht werden, bzw diese befinden sich mitunter im eigenen Funkschatten. Dann würde man einen zweiten Satz Antennen benötigen.
- Vergleichbares gilt für die Solarpaneele, die ja zur Sonne zeigen sollen.
3.Wenn die Drehfrequenz nicht zu groß sein soll, muss der Radius sehr groß werden. Damit steigt der Materialverbrauch.
weitere Gründe?
herbert
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Hallo,
alle bisher existierenden Raumschiffe und Stationen ev. ausser der ISS sind viel zu klein dazu, sonst wäre die Drehzahl unerträglich hoch, und ausserdem würden bei so kleinen Dimensionen massive Coriolis-Kräfte wirken - wahrscheinlich kriegt man beim Essen die Hand nicht zum Mund, sondern klascht sich die Mahlzeit an die Backe. Ich glaube nicht, dass ein Mensch so vernünftig arbeiten könnte.
Ein Teil der Ausrüstung (Antennen, Teleskope, Solarpanel) oder gleich ein Teil der Station müsste von der Drehung ausgenommen werden, am besten an der Nabe, da dort sowieso keine Schwerkraft erzeugt wird. Die hochzuverlässigen Dichtungen an den Übergängen dürften eine extreme technische Herausforderung sein, ihr Versagen würde zum Tod der Besatzung führen.
Wahrscheinlich müsste man auch auf Fenster verzichten, der optische Eindruck wäre ja der einer 6monatigen Karusselfahrt - ich bezweifle, dass man das bei geistiger Gesundheit übersteht.
Gruss Reinhard
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Hallo,
Warum wird diese Möglichkeit in der Raumfahrt noch nicht
einmal diskutiert - geschweige denn angewandt? Kann mir das
mal jemand erklären?
Diskutiert wird sie ja schon seit Jahren. Nur hat eine rotierende Raumstation sehr viele Nachteile, weswegen man das nicht umgesetzt hat. Kurz und gut: Zu aufwändig, zu teuer, oversized.
1.)
Wegen der auftretenden Rotationskräfte muss die ganze Station viel stabiler (schwerer) werden. Dadurch wird es wesentlich teuerer, die Station zu bauen und überhaupt ins All zu befördern. In Zeiten knapper Kassen ist dies wohl ein Totschlagargument. Hätten wir Geld wie Heu, dann hätte man sich vermutlich schon mal an einen Bau gewagt.
2.)
Soll den Leuten dort nicht dauerhaft schlecht werden (Karusell-Effekt), dann muss das Ding ausreichend groß sein. Man rechnet hier etwa, dass eine Umdrehung etwa 2-3 Minuten dauern müsste, damit dies nicht der Fall ist. Um aber bei einer so langen Rotationszeit eine Beschleunigung gleich der Erdbeschleunigung herzustellen, müsste das Raumschiff einen Durchmesser von etwa 5 km (!!) besitzen. Was das für Punkt 1) bedeutet, dürfte wohl auch klar sein.
3.)
Man fliegt ja gerade in den Weltraum, um Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Daher können diese Experimente nicht in den rotierenden Bereichen stattfinden. In der Raumstation selbst ist dies nur exakt an der Drehachse, was etwas zu wenig Platz ist, da schon bei einem Abstand von einem Meter davon die Zentrifugalkraft Auswirkungen zeigt.
Man müsste also eine zweite, nicht rotierende Labor-Raumstation bauen, in die die Wissenschaftler pendeln, um ihrer Arbeit nachzugehen. Da sie sich aber vermutlich lange im Labor aufhalten (mehr oder weniger den ganzen Tag) hätten sie das Vergnügen der Schwerkraft nur beim Schlafen. Der gesundheitsbegünstigende Effekt ist damit schon mal stark geschmälert. Auch ist der Aufwand immens, den ständigen Transport zu gewährleisten. Von den entsprechenden Andock-Manövern ganz zu schweigen (Unwucht, Treibstoff, Lenkung usw)
Ein Bau einer nicht-rotierenden Sektion im Zentrum ist ähnlich aufwändig, da das ganze nie so dicht haltbar ist und man somit ständig Sauerstoffverlust hat. Auch müssten dann die Wissenschaftler mit Aufzügen o.ä. ins Zentrum gelangen, wodurch Unwuchteffekte entstehen, die die Rotation verändern. Man müsste also ständig korrigieren, was wiederum Treibstoff erfordert. Also auch nicht so toll alles.
4.)
Die ständig notwendigen Bahnkorrekturen bei einer so großen rotierenden Raumstation sind sehr aufwändig und treibstoffintensiv.
Sicherlich lassen sich viele oder alle dieser Gründe irgendwie in den Griff bekommen. Aber wie gesagt ist der Aufwand so immens, dass das kein Mensch derzeit bezahlen könnte.
mfg
deconstruct
Warum wird diese Möglichkeit in der Raumfahrt noch nicht
einmal diskutiert - geschweige denn angewandt?
Weil das nicht erwünscht ist. Einer der wichtigsten Gründe, warum man überhaupt Raumstationen betreibt, ist die Möglichkeit unter Mikrogravitation zu arbeiten. Die Erzeugung künstlichen Schwerkraft wäre da ein grandioser Schildbürgerstreich.
Hallo,
Soll den Leuten dort nicht dauerhaft schlecht werden
(Karusell-Effekt), dann muss das Ding ausreichend groß sein.
Man rechnet hier etwa, dass eine Umdrehung etwa 2-3 Minuten
dauern müsste, damit dies nicht der Fall ist.
das kann ich nicht ganz einsehen.
Auf einem Karusell wird einem aus 2 Gründen schlecht
- ständige Querbeschleunigung
- Diskrepanz zw. Auge und Geleichgewichtsorgan
Bei einem rotierenden Raumschiff, wird man keine Querbeschl.
feststellen, weil die Wirkung je genau in Richtung
Fußboden sein soll.
In einem geschlossenen Raum gibt es dann auch keine
Diskrepanz zwischen Auge und Gleichgewichtsorgan.
Wo sollte da also ein Karusseleffekt herkommen ?
3.)
Man fliegt ja gerade in den Weltraum, um Experimente in der
Schwerelosigkeit durchzuführen.
Genau das ist der entscheidende Punkt überhaupt.
Bemannte Raumfahrt dient derzeit in erster Linie der
Forschung in annähernder Schwerelosigkeit, nicht dem
bequemen Transport von Astronauten oder Kosmonauten.
Gruß Uwi
Auf einem Karusell wird einem aus 2 Gründen schlecht
- ständige Querbeschleunigung
- Diskrepanz zw. Auge und Geleichgewichtsorgan
Wenn man in einem Karussell nicht sitzen, sondern herumlaufen würde, käme noch die Corioliskraft hinzu und genau die ist es, die das Gleichgewichtsorgan auf Dauer fertig macht.
Bei einem rotierenden Raumschiff, wird man keine Querbeschl.
feststellen, weil die Wirkung je genau in Richtung
Fußboden sein soll.
Man nimmt aber die Coriolisbeschleunigung wahr und die hängt davon ab, wie schnell und in welche Richtung man sich bewegt. Die Kräfte sind zwar sehr klein, aber das Gleichgewichtsorgan ist auch sehr empfindlich - so empfindlich, daß der Radius der Station mehrere Kilometer groß sein muß, damit man das nicht mehr spürt.
In einem geschlossenen Raum gibt es dann auch keine
Diskrepanz zwischen Auge und Gleichgewichtsorgan.
Das ist ein Irrtum.
Wo sollte da also ein Karusseleffekt herkommen ?
Es ist kein Karusselleffekt. Die Effekte, mit denen man es in einer rotierenden Raumstation zu tun bekommt, treten in einem Karussell nicht auf.
Hallo,
an Coriolis hatte ich zunächst nicht gedacht.
Wenn man in einem Karussell nicht sitzen, sondern herumlaufen
würde, käme noch die Corioliskraft hinzu und genau die ist es,
Ich denke, es kommt drauf an, wo man langläuft!
die das Gleichgewichtsorgan auf Dauer fertig macht.
Man nimmt aber die Coriolisbeschleunigung wahr und die hängt
davon ab, wie schnell und in welche Richtung man sich bewegt.
Da habe ich jetzt wieder ein Problem.
Die Corioliskraft wirkt bei Bewegung zur Rotationsachse
hin bzw. davon weg.
Bei einem Raum, dessen Boden sich in gleichmäßigem Abstand
zur Rotationsachse befindet sollte es kaum Coriliskräfte
geben (Bewegung auf einem Potential, also mit konst.
Abstand zur Rotationsachse).
Gut, wer da hüpfend durch die Gegend läuft, hat evtl.
ein Problem. Mit den Irritationen auf einem Karrusell
hat das dann aber tatsächlich gar nix mehr zu tun.
Kann mir nicht vorstellen, daß da ein Problem entsteht,
wenn der Radius z.B. 20m-30m ist.
Außerdem wird sowieso meist rel. still sitzend bearbeitet.
Gruß Uwi
Die Kräfte sind zwar sehr klein, aber das Gleichgewichtsorgan
ist auch sehr empfindlich - so empfindlich, daß der Radius der
Station mehrere Kilometer groß sein muß, damit man das nicht
mehr spürt.In einem geschlossenen Raum gibt es dann auch keine
Diskrepanz zwischen Auge und Gleichgewichtsorgan.Das ist ein Irrtum.
Wo sollte da also ein Karusseleffekt herkommen ?
Es ist kein Karusselleffekt. Die Effekte, mit denen man es in
einer rotierenden Raumstation zu tun bekommt, treten in einem
Karussell nicht auf.
Hallöchen,
Weil das nicht erwünscht ist. Einer der wichtigsten Gründe,
warum man überhaupt Raumstationen betreibt, ist die
Möglichkeit unter Mikrogravitation zu arbeiten. Die Erzeugung
künstlichen Schwerkraft wäre da ein grandioser
Schildbürgerstreich.
das muß ja nicht immer das Ziel bleiben. Denkbar wäre ja auch, daß man sich ersparen möchte, daß die Kollegen dort oben unter Muskelschwund usw. leiden und so z.B. längere Weltraumaufenthalte möglich werden.
Gruß,
Christian
Abschätzung
Hallo,
Die Corioliskraft wirkt bei Bewegung zur Rotationsachse
hin bzw. davon weg.
Nein, die Formel für die Coriolisbeschleunigung lautet:
ac = 2 v x ω
Sie wirkt also immer senkrecht zur Drehachse. Also insbesondere auch wenn man in einer reifenförmigen, rotierenden Raumstation an der Innenseite des Ringkorridors entlangläuft.
Kann mir nicht vorstellen, daß da ein Problem entsteht,
wenn der Radius z.B. 20m-30m ist.
Schaum mer mal:
Wenn r der Radius der Staion ist, dann müsste die Winkelgeschwindigkeit
ω = √(g/r)
sein, um für einen stillsitzenden Astronauten die selbe Schwerebeschleunigung wie auf der Erde zu erzeugen.
Angenommen der Radius der Station wäre jetzt 20m und die normalen alltäglichen Körperbewgungen würden ca. 2m/s erreichen, dann entstehen dabei Beschleunigungen von:
a = 2vω = 2v√(g/r) = 2v/√(rg) g = 0,3 g
Das heißt bis zu 30Prozent des Gewichts des bewegten Körperteils wirken senkrecht zur Bewegungsrichtung, was wohl ziemlich unangenehm ist.
Erst bei 15 km Radius werden die Querbeschleunigungen gemäß obiger Abschätzung auf 0,01g reduziert.
Gruß
Oliver
Hi,
Kann mir nicht vorstellen, daß da ein Problem entsteht,
wenn der Radius z.B. 20m-30m ist.
Ein weiteres problem bei so einem kleinen Radius ist, dass die gefühlte „Schwerkraft“ an deinen Füßen dann wesentlich höher ist, als an deinem Kopf. Das stelle ich mir auf Dauer auch eher unangenehm vor.
Und das Einsteigen/Andocken in/an so eine Station dürfte auch etwas kompliziert sein.
mfg
deconstruct
Hallo,
das muß ja nicht immer das Ziel bleiben.
Wenn das Ziel mal nicht mehr die Forschung in annähernder Schwerelosigkeit ist, sondern z.b. Reisen u.ä. dann wird man sich natürlich auch um künstliche Schwerkraft kümmern. Allerdings dürften bis zu diesem Zeitpunkt noch einige Jahrzehnte ins Land streichen. Und Rotation ist dann IMO vermutlich auch nicht das Mittel der Wahl, sondern einfach lineare Beschleunigung mit 1g in Richtung Ziel. Derzeit ist „künstliche Schwerkraft“ auf Raumstationen aber unerwünscht, da sie das ganze ad absurdum führen würde.
mfg
deconstruct
0.3g Querbeschleunigung?
Hmmm… Wenn ich jetzt noch daran denke, dass Blut von meinem Kopf in die Beine fließt und umgekehrt, sieht man da noch etwas verdellerter aus
Auch unangenehm wäre die Toilettenbenutzung (obwohl… mit etwas Übung…) Was vielleicht auch noch schmerzhaft wäre: Das Trinken… wenn 100ml Wasser mit einigen cm/s die Speiseröhre runterfließen dürfe das auch n dicken Hals geben.
jartUl
Hallo an alle DiskussionsteilnehmerInnen,
ich will mal versuchen, ein Facit zu ziehen:
-
Ein wichtiger Zweck von Raumstationen sind Experimente unter der Bedingung der Schwerelosigkeit. A b e r : Dazu muss sich der Experimentator doch nicht auch ständig unter Schwerelosigkeit befinden; die meiste Zeit wird er an seinem Rechner verbringen, zu dem die Messdaten übertragen werden. Und außerdem wird man diesem Menschen ja auch eine Erholungs- und Schlafphase zubilligen, die ca. 2/3 des Tages ausmacht. Facit: Das Argument überzeugt micht nicht!
-
Zu großer Durchmesser der Raumstation erforderlich? Antwort: es muss ja nicht die ganze Raumstation mit künstlicher Schwerkraft versehen werden. Es reicht ja, wenn das für die Schlaf-, Erholungs- und Arbeiträume der Astronauten geschieht. Dieses Modul könnte an einem langen Seil (das auch die nötigen Versorgungsleitungen enthält) rotieren, um den nötigen Durchmesser zu erzielen. Dazu gibt es ein kleines Labor für Schwerelosigkeit im nicht-rotierenden Teil, das vom Experimentator ja nur gelegentlich(!!!)aufgesucht werden muss (über eine Seilwinde, die an dem oben erwähnten Rotations-Seil entlang geführt wird, Raumanzug, Luftschleuse am Labor, Atemluft und Druck im Labor). Damit entfällt auch die leidige Abdichtung an der Nabe (in der Tat ein ernst zu nehmendes Problem!)
-
Von diesen Corialis-Kräften verstehe ich nichts - nehme aber an, dass die vernachlässigbar klein werden, wenn der Rotationsradius ausreichend groß ist (siehe Punkt 2).
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Dauernde Korrekturen erforderlich? Antwort: Die Störung im Rotationssystem, die entsteht, wenn sich ein Astronaut von dem Schlaf- und Aufenthaltsmodul zum Rotationszentrum ziehen lässt, hebt sich wieder auf, wenn der Astronaut den gleichen Weg wieder zurück nimmt (es sei denn, er hat in der Zwischenzeit einige Kilo zu- oder abgenommen).
Ein wichtiger Zweck von Raumstationen sind Experimente
unter der Bedingung der Schwerelosigkeit. A b e r : Dazu muss
sich der Experimentator doch nicht auch ständig unter
Schwerelosigkeit befinden;
Doch, das muß er.
die meiste Zeit wird er an seinem
Rechner verbringen, zu dem die Messdaten übertragen werden.
Dazu ist die Arbeitszeit eines Astronauten viel zu teuer. Die Daten werden werden zur Erde übertragen und dort ausgewertet. Der Astronaut hat die Aufgabe, das Experiment durchzuführen, also beispielsweise Proben wechseln, Versuchstiere und -pflanzen betreuen, Messungen durchführen, die nicht automatisierbar sind usw. Meistens sind die Astronauten sogar selbst Teil medizinischer Experimente.
Und außerdem wird man diesem Menschen ja auch eine Erholungs-
und Schlafphase zubilligen, die ca. 2/3 des Tages ausmacht.
Von welcher Zeit soll denn der Umstieg zwischen dem rotierenden und dem nicht rotierenden Teil der Station und die damit verbundende Umgewöhnungszeit abgezogen werden? Von der Arbeitszeit oder von der Erholungsphase. So oder so wird sich die Produktivität verringern.
es muss ja nicht die ganze Raumstation mit
künstlicher Schwerkraft versehen werden. Es reicht ja, wenn
das für die Schlaf-, Erholungs- und Arbeiträume der
Astronauten geschieht.
Dann würden die Labore aber mit rotieren, was viele Experimente stören würde. Die einzige Möglichkeit würde in einer mechanischen Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich bestehen und das ist in jedem Fall technisch aufwändig und umständlich.
Dieses Modul könnte an einem langen
Seil (das auch die nötigen Versorgungsleitungen enthält)
rotieren, um den nötigen Durchmesser zu erzielen.
Anders ist das in absehbarer Zeit sowieso nicht zu realisieren.