Kürzung/Streichung von Urlaubsgeld

Hallo Arbeitsrechtsexperten,

würde gern wissen, ob eine Kürzung bzw. Streichung von Urlaubsgeld in folgendem Fall rechtens ist:

Ein AN ist seit 34 Jahren halbtags in einer sehr kleinen Firma (4 Personen: Chef, seine Frau, seine Schwester + AN X) im Textileinzelhandel beschäftigt. Einen Arbeitsvertrag hat es nie gegeben, der AN wurde damals „per Handschlag“ eingestellt.

Bis 2004 hat der AN immer ein - laut Aussage des AG - halbes tarifliches Urlaubsgeld bekommen. 2005 wurde das Urlaubsgeld dann um ca. 30 % gekürzt (Begründung: schlechtere Umsätze/weniger Gewinn), in 2006 dann nochmal um ca. 15 % und für 2007 wurde schon die komplette Streichung des Urlaubsgelds angekündigt.

Kann der AG das Urlaubsgeld einfach so kürzen und später streichen, auch wenn die Firma noch Gewinne macht? Welcher Tarifvertrag ist hier eigentlich anwendbar, und kann man den irgendwo einsehen (AG ist nicht in der Gewerkschaft)?

Ich hoffe, jemand kann mir hierzu ein paar Auskünfte geben.

Grüße

Yvonne

Hi!

Kann der AG das Urlaubsgeld einfach so kürzen und später
streichen, auch wenn die Firma noch Gewinne macht?

Hat er vor Zahlung einen Rechtsanspruch ausgeschlossen? Ansonsten wäre nämlich nach dreimaliger Zahlun so etwas wie eine betriebliche Übung entstanden (google einfach mal danach)

Welcher
Tarifvertrag ist hier eigentlich anwendbar, und kann man den
irgendwo einsehen (AG ist nicht in der Gewerkschaft)?

Schon die FAQ:1989 gelesen?

Ich hoffe, jemand kann mir hierzu ein paar Auskünfte geben.

Ich auch :wink:

LG
guido

Nachtrag
Hi!

Hat er vor Zahlung einen Rechtsanspruch ausgeschlossen?
Ansonsten wäre nämlich nach dreimaliger Zahlung so etwas wie
eine betriebliche Übung entstanden (google einfach mal danach)

DAS KANN AUCH IN EINEM TARIFVERTRAG GEREGELT SEIN!

Hallo Guido,

danke schon mal für die Auskünfte.

Der Arbeitgeber hat vor Zahlung des ersten Urlaubsgelds (vor ca. 34 Jahren!) und auch später nichts Schriftliches hierzu abgegeben.

Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber auch schon gefragt, ob es beim Urlaubsgeld nicht sowas wie „Gewohnheitsrecht“ gibt, die Antwort war nur, wenn die Kürzung/Streichung dem Arbeitnehmer nicht passt, könne er ja kündigen (was er nach 34 Jahren bestimmt nicht von sich aus machen würde, zumal der Arbeitnehmer auch nur noch ein paar Jahre bis zur Rente hat).

Da hier wohl anscheinend dann auch kein Tarifvertrag gilt (AN hat ja keinen Arbeitsvertrag und ist auch nicht in der Gewerkschaft), bleibt dann wohl doch nur der Gang zum Anwalt (erstmal verbindliche Rechtsauskunft einholen), obwohl eine Klage dann möglicherweise zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen würde (was dann allerdings für den - bisher absolut zuverlässigen - Arbeitnehmer - weiblich, 59 Jahre alt - vielleicht mit Hinblick auf eine eventuelle Abfindung sogar eher positiv sein könnte …).

Grüße

Yvonne

Hi!

Da hier wohl anscheinend dann auch kein Tarifvertrag gilt (AN
hat ja keinen Arbeitsvertrag und ist auch nicht in der
Gewerkschaft), bleibt dann wohl doch nur der Gang zum Anwalt
(erstmal verbindliche Rechtsauskunft einholen),

Perfekt!
Ein guter Fachanwalt für Arbeitsrecht kann das besser beurteilen, als JEDER hier!
Und eine erste Beratung kostet auch nicht die Welt.

obwohl eine
Klage dann möglicherweise zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses führen würde (was dann allerdings für den

  • bisher absolut zuverlässigen - Arbeitnehmer - weiblich, 59
    Jahre alt - vielleicht mit Hinblick auf eine eventuelle
    Abfindung sogar eher positiv sein könnte …).

Vorsicht! Bei nur 4 Personen existiert kein Schutz nach dem KSchG!!!

Aber auch dazu wird ein Anwalt sicher genauere Auskunft geben.

LG und viel Erfolg (ach nee - ist ja rein fiktiv)
Guido

Stimmt ja, an die Mindestmitarbeiterzahl beim Kündigungsschutz hatte ich gar nicht gedacht. Dann hat die Arbeitnehmerin wohl noch nie Kündigungsschutz gehabt, da es in der Firma schon immer (fast) nur Halbtagsangestellte und immer höchstens 7 - 8 Personen (die anderen sind inzwischen in Rente oder verstorben) gegeben hat.

Aber nach so vielen Jahren müsste es doch trotzdem irgendeine Art von Kündigungsschutz geben (sie gehört ja schon fast zum Inventar …). Na ja, ich werde ihr (bin’s nicht selbst, ist aber eine sehr nahe Verwandte von mir …) raten, auf jeden Fall mal einen Anwalt zu fragen.

Grüße

Yvonne

Hallo,

Kündigungsschutz besteht in diesem Fall nicht. Hier gibt es nur schwarz oder weiß. Im Falle einer Kündigung müßte die Arbeitnehmerin gem. § 612a BGB beweisen, dass die Kündigung ausgesprochen worden ist, weil die Arbeitnehmerin gegen die UGeld-Streichung vorgegangen ist. Hier ist Vorsicht angeraten, denn es gilt kein Anscheinsbeweis und keine Beweiserleichterung vor Gericht. Kann die Arbeitnehmerin dennoch den Beweis erbringen, indem sich zum Beispiel der Patron bei Gericht verplappert (ich mußte ihr doch kündigen, wenn sie mich verklagt; solche Aussagen kommen bei kleinen Arbeitgebern öfter vor, als man denkt), dann ist die Kündigung unwirksam. Sicher, nach dem Bundesverfassungsgericht gibt es auch für Kleinbetriebe so etwas wie einen Mini-Kündigungsschutz. Auch der führt aber nicht dazu, dass der Arbeitgeber die Rechtfertigung der Kündigung beweisen muß, sondern der Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit der Kündigung. Viel hilft das Urteil des BVerfG in der Praxis nicht weiter.

Unabhängig von einem schriftlichen Arbeitsvertrag besteht hier meiner Meinung nach ein Rechtsanspruch auf das volle Urlaubsgeld, nicht nur die Hälfte oder weniger. Mittlerweile sind die Voraussetzungen zur Entstehung einer betrieblichen Übung enger gezogen, als vor 2004 und 2003. Sie dürfte hier dennoch unproblematisch anzunehmen sein. Allein die einmalige Kürzung der Gratifikation im Jahr 2005 führt nicht zur Beseitigung der Betrieblichen Übung. Die für solche Fälle erfundene „negative Betriebliche Übung“ kann einen zum Vertragsbestandteil gewordenen Anspruch ebenfalls beseitigen. Nach der sehr stark vereinfachten Faustregel jedoch auch erst nach dreimaliger Nichtgewährung hintereinander. Das ist aber wirklich sehr vereinfacht gesagt.

Diese Sache muß kein Anwalt machen. Ich würde damit selbst zum Arbeitsgericht gehen und das Urlaubsgeld einklagen. Spricht dann der Arbeitgeber wirklich die Kündigung aus, kann man im selben Prozeß Kündigungsschutzklage erheben und dann könnte es gut sein, dass der Arbeitgeber bei Gericht patzen wird und sich im o.g. Sinne verplappert. Ist auf Arbeitnehmerseite ein Anwalt dabei, dann wird sich der Arbeitgeber auf die Zähne beissen. Wenn das Tischtuch nicht zerschnitten ist, wird man sich wieder zusammenraufen und der Arbeitgeber wird zahlen. Wenn es zerschnitten ist, redet man über eine Abfindung, vorausgesetzt gute Aussichten in der Kündiunggschutzklage.

Wer in diesem Fall das Risiko einer Kündigung nicht eingehen möchte, der sollte nicht wegen der Kürzung klagen. Ich halte das Risiko eines Kündigungsausspruchs und die Kündigung zu verlieren für hoch.

Eine ganz andere Möglichkeit besteht auch noch darin gem. Nachweisgesetz vom Arbeitgeber die schriftliche Erteilung der wesentlichen Vertragsbedingungen zu verlangen. Darin könnte man erst einmal sehen, was er zum Thema Urlaubsgeld schreibt. Steht das Urlaubsgeld dann nicht in voller Höhe drin, könnte man auch dagegen klagen. Jedoch ist das nicht so einfach, weil man immer auf Leistung klagen muß, wenn man kann. Also könnte einem das Gericht sagen, dass man in diesem Fall das Geld selbst einklagen muß, nicht nur die Vertragsbedingung. Ein gangbarer Umweg wäre es aber doch, weil ich bei dieser Klage nicht gleich mit einer Arbeitgeberkündigung rechnen würde.

Viele Grüße

Thomas Thies

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Hallo Thomas,

vielen Dank für die ausführliche Antwort.

Ich habe gestern mit der Arbeitnehmerin gesprochen, und sie sagt, dass ihr eine Klage ohne richtigen Kündigungsschutz zu riskant ist.

Mit 59 Jahren wäre es ja nicht so einfach, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, mal abgesehen davon, dass es nach so vielen Jahren in der gleichen Firma wohl auch nicht mehr so einfach wäre, sich in einer neuen Firma einzuleben. Die AN ärgert sich zwar über die Kürzung/Streichung und die Aussage des Chefs, dass sie ja kündigen könnte, wenn ihr das nicht passt, aber sie möchte eigentlich trotzdem in der Firma bleiben.

Das mit den Vertragsbedingungen ist zwar eine gute Idee, aber ich glaube, bisher hat keiner der Mitarbeiter dort jemals einen Arbeitsvertrag bekommen (seit vielen Jahren wurden keine neuen Mitarbeiter eingestellt). Es wäre also für den Chef sehr aufwändig, diesen komplett neu zu erstellen. Und in dem Fall würde er wohl dann auch reinschreiben, dass Urlaubsgeld nur freiwillig gezahlt wird, er würde einfach vom jetzigen Stand ausgehen.

Ich glaube, da hilft wirklich nur „Augen zu und durch“ und durchhalten bis zur Rente (oder bis der Laden vielleicht irgendwann dichtgemacht wird).

Grüße

Yvonne

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Hallo Yvonne,

ist ja irgendwie auch kein befriedigendes Ergebnis. Was kommt als nächstes? Wird dann das Gehalt gekürzt? So leicht würde ich es nicht hinnehmen. Weiterhelfen könnte zunächst ein Gespräch vor Zeugen. Weiterhelfen könnte auch eine schriftliche Aufforderung mit Fristsetzung … und vielleicht anschließend ein Gespräch? Ein Ergebnis könnte sein, für diesmal die Kürzung hinzunehmen und im Gegenzug ab 2007 wieder das volle Urlaubsgeld zu vereinbaren, oder wenigstens Dreiviertel?! Dann aber schriftlich! Wenn es dem Betrieb wirklich schlecht geht, dann wissen das auch die Mitarbeiter. Niemand subventioniert gerne den großen Mercedes vom Chef, wenn an den Mitarbeitern gespart wird. Wenn aber der Chef schon bei Opel Corsa angekommen ist (nichts gegen Opel Corsa, kann auch Fiat seicento sein), dann haben doch auch die Mitarbeiter ein Einsehen. Man muß reden und der Chef muß sagen, wie es aussieht. Verzicht auf eine begrenzte Zeit ist in unseren Zeiten oft ein probates Mittel, von dem beide etwas haben. Der Mitarbeiter den Arbeitsplatz, der Chef einen motivierten Mitarbeiter und im nächsten Jahr vielleicht auch wieder einen Mercedes. Verhandeln! Alles ist möglich!

Gruß, Thomas

Irgendwie ist das alles blöd. Denn das Weihnachtsgeld wurde letztes Jahr auch schon gekürzt. Das hat die AN aber so hingenommen, hat dem AG nur gesagt, dass sie davon nicht gerade begeistert ist. Deshalb würde ich auch nicht ausschließen, dass bei nächster Gelegenheit das Gehalt dran ist …

Nur unter diesen Umständen (kein Kündigungsschutz) kann ich leider wahrscheinlich die Arbeitnehmerin auch nicht überzeugen, etwas dagegen zu machen …

Aber trotzdem Danke für die Antworten.

Grüße

Yvonne

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