Kultur - ein Organismus ?

Guten Abend und geistreiches Wochenend!

Ja, weshalb soll man sowas nicht mal an den anfang eines Postings stellen!

Thema: Kulturanthropologie (das waere doch ein schoenes Unterforum ! ?)

Folgenden Gedanken las ich:

Mit dem Christentum beginnt im Abendland ein lineares Geschichtsverständnis hegemonial zu werden. Nach dem Fall des Menschen aus einem paradiesischen Urzustand bewegt sich dieser durch die Zeit auf das Reich Gottes zu > Happy End…
Untergangsprophet Spengler widerspricht diesem linearen Bild der Geschichte und jedem Fortschrittsoptimismus und erschaut einen zyklischen Geschichtsverlauf.

Kulturen sind Organismen.

Sie haben eine Seele, ein sie belebendes metaphysisches Prinzip und wie alle anderen Organismen unterliegen sie den Gesetzen von Werden, Wandel und Verfall.
Sie durchlaufen Entwicklungsstufen analog der menschlichen Kindheit, Jugend, dem Erwachsenen- und Greisenalter. Der Tod ist ihnen wie allen Lebewesen vorherbestimmt."
aus: http://www.heise.de/tp/artikel/39/39652/1.html

Was haltet Ihr von dieser „Vorstellung“ von Kultur?

Mike (MultiVista)

Toll

Das wollte ich schon immer mal sagen…
Also, Kultur ist immer was Gutes.
Und Anthropologie ist auch in Ordnung.
Dann wäre noch die Auswahlmöglichkeit Anthropologie in ihrem eigen Sinne.

Nach dem Fall des Menschen aus einem paradiesischen Urzustand

ist doch wohl klar ein Widerspruch; Fall oder Mensch?
Wie auch immer,
versuche Geschmonzes von ernsthaften Überlegungen zu trennen.
Gruß
R.

Guten Abend und geistreiches Wochenend!

N’amd

Mit dem Christentum beginnt im Abendland ein lineares
Geschichtsverständnis hegemonial zu werden.

richtiger: ein eschatologisches Geschichtsverständnis - ins rationale gewendet findet sich das noch bei Marx’ ‚Reich der Freiheit‘.

Untergangsprophet Spengler widerspricht diesem linearen Bild
der Geschichte und jedem Fortschrittsoptimismus und erschaut
einen zyklischen Geschichtsverlauf.

Spengler wird speziell in Deutschland grundlos überbewertet. Eine zyklische Geschichtstheorie entwickelte bereits Giambattista Vico mit seiner ‚Scienza Nuova‘ - 300 Jahre vor Spengler. So viel zu Spenglers vorgeblicher ‚kopernikanischen Wende‘.

Kulturen sind Organismen.

Sie haben eine Seele, ein sie belebendes metaphysisches
Prinzip

Das ist mE mystifizierender Unsinn.

und wie alle anderen Organismen unterliegen sie den
Gesetzen von Werden, Wandel und Verfall.

Alles unterliegt „Gesetzen von Werden, Wandel und Verfall“ - nicht nur Organismen. In Hinsicht auf unterschiedliche Kulturen stellt sich freilich die Frage, ob sie alle in ihrer Entwicklung den gleichen Prinzipien (also allgemeingültigen ‚Gesetzen‘) folgen - anders gesagt, ob man eine Morphologie der Kulturen erstellen kann. Zwar hat Spengler den Begriff einer ‚Morphologie der Geschichte‘ geprägt - eine geschichtswissenschaftlich ernstzunehmende morphologische Untersuchung der Kulturen (wohlgemerkt der Kulturen und nicht der ‚Geschichte‘) und der ihnen gemeinsamen Entwicklungsprinzipien (insbesondere des grundlegenden Prinzips von ‚challenge and response‘) hat allerdings erst Arnold J. Toynbee in seiner monumentalen ‚Study of History‘ geleistet.

Sie durchlaufen Entwicklungsstufen analog der menschlichen
Kindheit, Jugend, dem Erwachsenen- und Greisenalter. Der Tod
ist ihnen wie allen Lebewesen vorherbestimmt."
aus: http://www.heise.de/tp/artikel/39/39652/1.html

Das ist gar nicht so falsch - nur sollte man nicht übersehen, dass hier von einer Analogie die Rede ist.

Freundliche Grüße,
Ralf

In dem angefuehrten link beim Eingangsposting von mir steht auch:

Theodor W. Adorno widmet sich in seinem Essay Spengler Nach Dem Untergang dem konservativen Schwarzseher. Während Spengler vergessen sei, hätten sich seine Prognosen in einem erstaunlichen Maße bewahrheitet.
Spengler zählt nach Adorno zu jenen Theoretikern der extremen Reaktion, deren Kritik des Liberalismus der progressiven sich in vielen Stücken überlegen zeigte. Der Mitbegründer der Kritischen Theorie attestiert dem Rechtsdenker, dass er treffende Worte für die Entfremdung und Entgeistigung findet, die dem Massenmenschen in der Massenstadt widerfährt. Parteien und Presse in der bürgerlichen Gesellschaft entlarvt der Geschichtspessimist nach Adorno richtig als Werkzeuge des Willens zur Macht. Der Mitbegründer der Kritischen Theorie sieht bei Spengler gewisse Tendenzen der Demokratie, aus sich heraus in Diktatur und Barbarei umzuschlagen, klar diagnostiziert.
Adorno kritisiert aber die begeisterte Resignation, mit der der Dekadenzdenker auf den diktatorischen Cäsarismus fast hinfiebert. Er bejubelt damit, was man bedauern muss."

Georg Trakl:
„Wie scheint doch alles Werdende so krank“.

„Der Verfall der Kultur schafft Humus für das Neue, die Utopie.“
Adorno

Uebrigens soll auch Henry Kissinger ein grosser Fan von Spenglers Werk sein…

Mike