Hallo Karl,
zunächst einmal ergänzend zu Metapher - Conze gibt mit „should produce“ Sanskr. ‚utpadayitavyam‘ wieder, wobei ‚utpada‘ mit sheng 生 auch adäquat übersetzt ist. Insofern passt auch das „erzeugen“ in der von mir zitierten deutschen Übersetzung von Seong Do / Graulich sowohl auf den Sanskrit- wie auch den chinesischen Text. Obwohl ich persönlich stattdessen ‚hervorbringen‘ bevorzugt hätte - das passt auch besser zur Konnotation ‚gebären‘ (Sanskr. utpada) bzw. ‚geboren werden‘ (Chin. sheng, 生).
Was nun Deine Frage angeht
Allerdings weiß ich nicht genau, was ich unter „den Geist erzeugen“ verstehen soll…
- so lässt sich diese Frage philologisch nicht wirklich erschöpfend beantworten, sondern nur durch praktischen Nachvollzug von Erfahrungen, die sich sprachlicher Vermittlung weitgehend entziehen. Dabei wiederum spielt es eine Rolle, in welchem Kontext eine solche Praxis erlernt und ausgeübt wird - vereinfacht: im Rahmen welcher speziellen Tradition oder buddhistischen Schule. Im Zusammenhang mit dem Zitat, nach dem Du letzte Woche gefragt hattest (und das durchaus in dieselbe Richtung zielt wie das hier diskutierte) hatte ich von einer „exegetischen Tradition“ gesprochen - und eben solche exegetischen Traditionen stehen in enger Wechselwirkung mit traditionell überlieferten Praktiken geistiger Schulung und den daraus resultierenden Erfahrungen.
Ein gutes Beispiel dafür ist hier der „nicht verweilende Geist“ - Conze gibt ‚apratistitham cittam‘ mit „unsupported thought“ wieder, was allerdings, so weit ich sehe, ausschließlich ‚Conze-Tradition‘ ist. Nun gibt es für diese Übersetzung natürlich gute Gründe - aber es ist nicht die einzig mögliche Übersetzung dieses vieldeutigen Terms. Conze selbst gibt 21(!) mögliche Alternativen an. Die Frage ist nun weniger, wie man ‚apratistitha‘ übersetzt als wie man es versteht. Wenn man aus Conzes ‚nicht-gestützem Denken‘ ein ‚Denken, das sich auf nichts stützt‘ macht, dann nähert man sich damit schon dem traditionellen chinesischen (und japanischen) Verständnis von ‚apratistitha‘. Ein Denken, dass sich nicht auf Objekte ‚stützt‘, haftet nicht an ihnen an und ‚verweilt‘ daher nicht bei / in ihnen.
Als jemand, der in der Traditon des Soto-Zen steht, verstehe ich für meinen Teil dieses „Hervorbringen eines nicht verweilenden Geistes“ auf der Folie von Dogens ‚hi shiryo‘ (‚Undenken‘), das keinesfalls mit ‚Nichtdenken‘ (fu shiryo) verwechselt werden sollte. Hi shiryo ist eine ‚Notationshilfe‘, die sich auf die geistige Haltung bei der Zazen-Übung (‚Sitzmeditation‘) bezieht. Dogens ‚hi shiryo‘ steht natürlich in einer sehr viel älteren Tradition, in der von Bodhidharmas ‚wuxin‘ (‚Nicht-Geist‘) und Huinengs ‚wunien‘ (‚Nicht-Denken‘). Am deutlichsten wird der Bezug zu dem 3. Zen-Patriarchen Sengcan, der in seinem bekannten Lehrgedicht Xinxinming von ‚fei siliang‘ 非思量 spricht, ‚undenkendem Ermessen‘. Wobei 非思量 Japanisch als ‚hishiryo‘ gelesen wird.
Nach diesem Verständnis wird der nicht-verweilende / nicht-anhaftende Geist auch nicht „produced“ oder „erzeugt“. Es ist derselbe Geist bzw. dasselbe Denken (citta) wie der ‚gestützte‘ oder ‚verweilende‘, nur erfüllt er hier nicht die Funktion des Ergreifens und Anhaftens (upadana). Der oben erwähnte Sengcan spricht von ‚ungeteiltem Geist‘, 契心, der die Haltung ‚fei siliang‘/ ‚hishiryo‘ einnimmt. ‚Ungeteilter Geist‘ ist ein anderer Kernbegriff im Chan / Zen, von Dogen noch um den somatischen Aspekt erweitert/ ergänzt. Dogen spricht von ungeteiltem ‚Geist-und-Körper‘, shinjin, der (als personale Geist-Körper-Einheit) sich im Prozess des hi shiryo löst und abfällt (shinjin datsuraku).
Hier wird vielleicht auch der Bezug zu dem letzte Woche diskutierten Zitat deutlich - denn ‚Erzeugen‘ ist eine Funktion des Geistes. Erzeugt werden mittels upadana (Ergreifen) die Trübungen / Befleckungen (klesha) des Geistes. Ohne klesha ist der Geist ungetrübt / lauter / klar - metaphorisch ausgedrückt „leuchtend“, „prabhasvara“.
„Erzeugt“ oder besser „hervorgebracht“(sic!) wird dieser nicht-verweilende Geist also nicht durch ein aktives Tun, sondern durch ein passives Lassen, durch Nicht-Tun - was wiederum etwas Anderes als das Einstellen geistiger Aktivität ist, das wäre ein aktives ‚Tun‘. Man kann sich das vielleicht mit dem Bild der Oberfläche eines Teiches vorstellen, die nach einem Regen wieder ihre unaufgerührte Gestalt annimmt, die ihr eigene von Einflüssen freie Form.
Hier lässt sich auch der Grund dafür vermuten, warum in Deinem Zitat von „frei fließen lassen“ die Rede ist. Wie schon gesagt, gibt eigentlich weder der Wortlaut des Sanskrittextes noch der der chinesischen Übersetzung das her - es ist eher eine Deutung aus der praktischen Umsetzung heraus. Der Geist ‚fließt‘, ohne bei irgendetwas zu verweilen oder an irgend etwas anzuhaften.
Abschließend möchte ich nochmals explizit darauf verweisen, dass diese Ausführungen selbstverständlich nicht mehr können, als eine vage Vorstellung davon zu vermitteln, was bei der Zazen-Praxis geschieht bzw. nicht geschieht. Sie sind auch nicht als eine Art Gebrauchsanleitung misszuverstehen - diese Praxis ‚erlernt‘ man, indem man sich gemeinsam mit einem Lehrer in sie einübt.
Freundliche Grüße,
Ralf