Läuft mit der naturwissenschaftlichen Ausbildung an den Hochschulen etwas grundsätzlich schief?

Hi.

Ja die Verschulung der Hochschule ist sicherlich ein Teil des Problems und die Studenten verhalten sich dementsprechend auch zunehmend wie Schüler. Bulimie-Lernen ist inzwischen die Regel. Das liegt natürlich auch an der hohen Prüfungsbelastung, da alles und jedes geprüft wird. Zu meiner Studienzeit durfte man sich auch für das eine oder andere nicht interessieren und dafür eigene Schwerpunkte setzen. Man war dafür auf der anderen Seite für sein Studium hauptsächlich selbst verantwortlich. Das konnte dann leicht dazu führen, dass man im Schwimmbad statt in der Vorlesung war und so das eine oder andere Semester verplempert hat. Wenn man sein Studium dann aber schließlich geschafft hat, dann nur weil man selbstverantwortlich daran gearbeitet hat, eine Erfahrung die heute vielen Studenten fehlt.

Gruß
Grin

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Moin Moin,

ich betreue regelmäßig Studenten im Bereich Biowissenschaften bei ihren Abschlussarbeiten. Es fällt mir schon seit längeren auf, dass viele dieser Studenten erhebliche Defizite hinsichtlich einfachster methodischer Grundlagen haben. Viele können z. B. weder mit einen Mikroskop noch einer Pipette umgehen und das gegen Ende ihres Studiums. Viele scheitern z. B. auch bei der Lösung einfachster mathematischer Probleme, wie zu Beispiel das Berechnen von einfachen Mischungsverhältnissen. Nicht, dass die sich evtl. verrechnen, nein die wissen nicht wie sie das berechnen sollen und sind auch nicht in der Lage das Problem durch eigene Überlegung zu lösen.

Meine Frage ist nun: Läuft mit der naturwissenschaftlichen Ausbildung an den Hochschulen etwas grundsätzlich schief und wenn ja was muss sich ändern? Dazu sei angemerkt, dass ich in der Industrie und nicht an der Hochschule arbeite.

Gruß
Grin

Hallo

Etwas mehr Kontext wäre sicher nicht schlecht:
-wird im Studium der Umgang mit „Handwerkszeug“ (Pipette, Mikroskop,…) überhaupt gelehrt ? Wenn ja: vermitteln die Dozenten den Stoff vollständig und angemessen ?
Wenn nein: können die Studenten die Defizite als solche überhaupt erkennen und eigenständig beseitigen ?
-wie setzt sich die Studentenschaft zusammen ? („Vier gewinnt“ und „Mut zur Lücke“-Studenten ?)

Aber tendenziell geht das Problem schon bei der Schule los, auch wenn diese das wohl abstreiten würden… Das man mit den Methoden und Lerntechniken zur Studiumsberechtigung beim richtigen Studium nicht viel gewinnt, merken nicht alle Leute rechtzeitig.

mfg M.L.

Hi,

Pipette und Mikroskop sind quasi sowas wie Schraubenschlüssel für den Biologen. Damit sollte man einfach umgehen können. Während des Studiums gibt es Praktika bei denen man üblicherweise mit diesen Werkzeugen in Kontakt kommt. Es scheint aber, dass bei vielen Studenten wenig davon hängen bleibt wie man diese benutzt oder es wird ihnen nicht richtig beigebracht. Mir scheint, dass die Ausbildung an den Hochschulen zunehmend rein theoretischer Natur ist. Ist ja auch billiger.

Wie sich die Studentenschaft zusammensetzt kann ich nicht beantworten. Wir haben Studenten von unterschiedlichen Universitäten, Fakultäten und Fachbereichen. Also nicht nur Biologen sondern auch aus verwandten Fachbereichen. Es stellt sich aber schon die Frage ob zunehmend Studenten an die Hochschulen kommen, die woanders besser aufgehoben wären. Allerdings würde bei den mathematischen Fähigkeiten von einigen unserer Studenten auch eine Berufsausbildung im technischen Bereich kaum in Frage kommen.

Gruß
Grin

Hallo!

Ich komme aus der Physik, und habe - wie viele Kollegen - auch dieses Gefühl, daß es immer schlimmer wird.

Eine grade von Physikern vorausgesetzte EIgenschaft ist, sich selbständig mit neuen Sachverhalten auseinander zu setzen, und sich neues Wissen und neue Methoden anzueignen. (Wobei das sicher auch für andere Wissenschaften gilt)

Um mal ein Beispiel zu nennen: Bei meinen ersten zwei Praktika wurden Messdaten per Hand auf Millimeterpapier aufgetragen, ne Grade durchgezogen, und deren Parameter abgelesen. Im Fortgeschrittenenpraktikum ging das nicht mehr, da mußte man mit speziellen Programmen Funktionen in die Daten fitten - beim ersten Versuch hatte ich gleich nen Sechsfach-Peak vor mir. Da hat man sich eben mit der dahinterliegenden Methode und den Programmen befasst, den Umgang geübt, und das ganze einfach benutzt. Bei den ersten Versuchen gabs zwar noch Kritik, aber es wurde mit der Zeit besser.

Später habe ich selbst Studenten in diesen Praktika betreut, und es scheint, grade diese Eigenschaften sind verloren gegangen. Statt dessen heißt es, die benötigten Methoden seien bisher nicht Stoff der Vorlesung gewesen, bzw. es gäbe keine Veranstaltung, die einem das beibringt. Mittlerweile haben wir nen 4h-Crashkurs.

Teils bekommt man das auch zu hören, obwohl das Thema nachweislich schon gelehrt wurde.

Ich habe übrigens den Übergang vom Diplom zum Ma/Ba-System mitbekommen, und genau dort hat es einen ziemlichen Knick in der Leistung der Studenten gegeben. Das Studium ist zu einer Art Fortsetzung der Schule mit einem straffen Stundenplan geworden. Kein Wunder, daß man den Studenten nicht mit Sachen kommen darf, die in der Schu Vorlesung noch nicht dran waren.

Ich muß aber auch sagen, daß ich das hohe Pensum und die zeitliche Belastung der Studenten sehe, was durchaus dazu führt, daß eine mittelmäßige Note, die zum Bestehen führt, oft akzeptabel wird.

Dennoch, man muß erwarten können, daß die Studenten sich einige (grundlegende) Dinge selbst aneignen. Daß die einfache Mischungsverhältnisse nicht berechnen können, ist schon schlimm, und Mikroskop und Pipette sind nun wirklich keine schwierigen Dinge. Das ist eher Schulstoff!

Hi,

ich denke ja. Die Hochschulen sind überfüllt, die Zeit ist knapp und die Mittel begrenzt. Gerade in der Biologie ist die Stofffülle in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Da ist die Versuchung bei den Dozenten vermutlich groß, die Studenten mit molekular- und zellbiologischer Therorie abzufüllen, statt solide Grundlagen und Arbeitstechniken zu vermitteln. Schon zu meiner Zeit gab es an der Uni auch Professoren und Doktoren, die erkennbar wenig Bock auf Lehre hatten und sich fast nur um ihre Forschungsprojekte gekümmert haben.

Mein Lösungsvorschlag: Anzahl der Studienplätze reduzieren, gerade in der Biologie wird weit über den Bedarf am Arbeitsmarkt hinaus ausgebildet. Und Dozenten einstellen, die gut und gerne unterrichten. Dann klappt’s auch wieder mit dem Mikroskopieren …

FG myrtillus

Hi.

Leider sind die steigenden Studentenzahlen politisch gewollt und das obwohl die Finanzierung der Hochschulen offensichtlich nicht mithalten kann. Da muss dann die Qualität wohl auf der Strecke bleiben.

Gruß
Grin