Servus,
in beiden Gegenden, Böhmen und Reichsitalien, waren wohl im zwölften bis dreizehnten Jahrhundert etwas weniger als die neunzig Prozent der Bevölkerung Bauern, die man sonst für ziemlich ganz Europa und ziemlich das ganze Mittelalter grob annehmen kann: Mit Weberei und Bergbau und Verhüttung gab es dort bereits im Hochmittelalter eine relativ ausgeprägte Arbeitsteilung, verbunden mit der Entwicklung von Städten als Zentren von technischem und ökonomischem Fortschritt. Es ist gut möglich, dass hier der Anteil von Bauern nicht mehr als vielleicht 85 Prozent der Bevölkerung ausmachte, aber eine Schätzung von 75 % ist außerhalb der Städte selbst ganz unrealistisch.
Leibeigene waren im zwölften Jahrhundert in Böhmen so gut wie alle Bauern, in Reichsitalien herrschte das ‚klassische‘ feudale Abhängigkeitsverhältnis der Hörigkeit bei weitem vor.
Leibeigene konnten sich freikaufen (was nicht bedeutet, dass sie irgendein verbrieftes Recht darauf mit festgelegten Gebührensätzen gehabt hätten - das sind alles moderne Ideen von nach 1789), sie konnten auch nach Gutdünken ihres Eigentümers ohne Ablösezahlung freigelassen werden, individuell oder auch als ganze Ortschaft (Dorf oder Stadt). Im dreizehnten Jahrhundert mit Aufschwung der Städte und gegendweise Entvölkerung der stadtfernen ländlichen Gebiete erkannten nicht wenige Grundherren, dass es rentabler war, einen freien Bauern oder Bürger mit allen möglichen Leistungen und Abgaben zu schröpfen, als ihn leibeigen im Eigentum zu halten, wo man ihn auch dann noch ernähren musste, wenn er überhaupt nichts produktiv zuwege brachte. Ortsnamen mit „Neu-“ weisen manchmal (nicht immer) auf freigelassene Orte hin.
In Gegenden mit hoher Rate von Leibeigenen (in der von Dir genannten Zeit in Böhmen und im Gebiet des heutigen Deutschland abgesehen vom Nordwesten so gut wie alle Bauern) wurde auch der niedere Klerus aus diesen (z.B. überzähligen Söhnen, wenn sie lange genug überlebten) rekrutiert.
Schöne Grüße
MM