Leibeigene und Geistliche im Mittelalter

Hallo zusammen,

nachdem ich gerade eine Weile vergeblich Google befragt habe, hoffe ich, dass es hier ein paar Mittelalterexperten sind, die mir meine Fragen beantworten können.

Ich habe ein paar Fragen zur Gesellschaft im Mittelalter.

  1. Ich habe gelesen, dass ca. 75% der Bevölkerung Bauern waren. Wie viele davon waren denn Leibeigene und wie viele davon waren frei?

  2. Welche realistischen Wege gab es für einen typischen unfreien Bauern, seine Freiheit zu erlangen?

  3. Wer konnte wie in den Klerus aufgenommen werden? Stand eine Karriere als Gesitlicher auch Leibeigenen offen?

Vielen Dank und schöne Grüße!

Hallo

Du solltest etwas genauer den Zeitpunkt und den Ort, die dich interessieren, umschreiben.
Das Mittelalter umfasst zeitlich gesehen beinahe 1000 Jahre und räumlich gesehen die ganze Erde. Es wird dir einleuchten, dass man dazu keine einheitlichen Aussagen treffen kann, zumal die Erde damals noch nicht annähernd in dem Maße globalisiert war wie heute, so dass sich in unterschiedlichen Gegenden völlig unterschiedliche Kulturen ohne gegenseitige Beeinflussung entwickeln konnten.

Viele Grüße

Servus,

wo gelesen?

Und auf welchen Zeitraum bezogen?

Diese Schätzung ist unsinnig niedrig, die beruht auf einer völlig unrealistischen Einschätzung der Arbeitsproduktivität im mittelalterlichen Landbau.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

zusätzlich zu dem, was dir schon geantwortet wurde, hier eine Notiz zu deiner Frage aus dem Erzbistum Köln. Leider sehr rudimentär und ohne Spezifikation von zeitlichen Epochen:
https://www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/erzbistum_im_ueberblick/geschichte_zeitstrahl/im_spaeten_mittelalter/klerus_und_geistliche_bewegungen_/

Weiter könnte dir diese Literaturangabe helfen:
Friedrich Wilhelm Oediger: Über die Bildung der Geistlichen im späten Mittelalter. Leiden, 1953

Gruß
Metapher

Ei Hallo,

wenn wir grad bei den Literaturangaben sind: Ein schönes „Lesebuch“ zu der sehr weit gefassten Thematik ist auch ‚Bauern im Mittelalter‘ von Werner Rösener, bei C.H. Beck.

Schöne Grüße

MM

Hallo zusammen,

ja, daran, dass „im Mittelalter“ als zeitliche Angabe eher vage ist und sich das unter den verschiedenen Königreichen und Fürstentümern unterschied, hatte ich auch gedacht, aber ich wollte erst einmal allgemein bleiben, bevor ich zu spezifisch werde, um hier jemanden zu finden, der sich imstande sieht, eine Antwort zu geben.

Außerdem fällt es mir selbst auch nicht ganz leicht, einen genaueren Zeitraum anzugeben. Wie wäre es mit Hochmittelalter als Eingrenzung? Sonst etwa zur Zeit des Investiturstreits.

In räumlicher Hinsicht interessieren mich vor allem Böhmen und Reichsitalien.

Könnt ihr damit etwas anfangen?

Servus,

in beiden Gegenden, Böhmen und Reichsitalien, waren wohl im zwölften bis dreizehnten Jahrhundert etwas weniger als die neunzig Prozent der Bevölkerung Bauern, die man sonst für ziemlich ganz Europa und ziemlich das ganze Mittelalter grob annehmen kann: Mit Weberei und Bergbau und Verhüttung gab es dort bereits im Hochmittelalter eine relativ ausgeprägte Arbeitsteilung, verbunden mit der Entwicklung von Städten als Zentren von technischem und ökonomischem Fortschritt. Es ist gut möglich, dass hier der Anteil von Bauern nicht mehr als vielleicht 85 Prozent der Bevölkerung ausmachte, aber eine Schätzung von 75 % ist außerhalb der Städte selbst ganz unrealistisch.

Leibeigene waren im zwölften Jahrhundert in Böhmen so gut wie alle Bauern, in Reichsitalien herrschte das ‚klassische‘ feudale Abhängigkeitsverhältnis der Hörigkeit bei weitem vor.

Leibeigene konnten sich freikaufen (was nicht bedeutet, dass sie irgendein verbrieftes Recht darauf mit festgelegten Gebührensätzen gehabt hätten - das sind alles moderne Ideen von nach 1789), sie konnten auch nach Gutdünken ihres Eigentümers ohne Ablösezahlung freigelassen werden, individuell oder auch als ganze Ortschaft (Dorf oder Stadt). Im dreizehnten Jahrhundert mit Aufschwung der Städte und gegendweise Entvölkerung der stadtfernen ländlichen Gebiete erkannten nicht wenige Grundherren, dass es rentabler war, einen freien Bauern oder Bürger mit allen möglichen Leistungen und Abgaben zu schröpfen, als ihn leibeigen im Eigentum zu halten, wo man ihn auch dann noch ernähren musste, wenn er überhaupt nichts produktiv zuwege brachte. Ortsnamen mit „Neu-“ weisen manchmal (nicht immer) auf freigelassene Orte hin.

In Gegenden mit hoher Rate von Leibeigenen (in der von Dir genannten Zeit in Böhmen und im Gebiet des heutigen Deutschland abgesehen vom Nordwesten so gut wie alle Bauern) wurde auch der niedere Klerus aus diesen (z.B. überzähligen Söhnen, wenn sie lange genug überlebten) rekrutiert.

Schöne Grüße

MM

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Danke, das hilft mir schon einmal sehr weiter.

Noch eine Fragen zu deinem letzten Punkt: Wenn also der Sohn eines Leibeigenen Kleriker wurde, war er dann quasi frei? Was waren denn solche Positionen im niederen Klerus? Heißt das dann Mönch? Oder Messdiener? Pastor?

Hallo MM,

hast du dafür:

nähere Hinweise? Denn nach meinem Wissenstand konnten generell nur Bürgerliche in den niederen Klerus (= Priester, Diakone, Subdiakone) berufen werden.

Schönen Gruß
Metapher

Ei Hallo,

ich habe in der Zwischenzeit ein wenig an den Buochen gelezen und sogar die alten Mitschriften ausgepackt, aber nirgendwo einen Hinweis darauf gefunden, woher ich das hätte haben können. Bloß grade ausgedacht hab ich es mir wohl nicht, aber ich kann keine Fährte mehr finden.

Die Vorstellung, die Nachzucht für den niederen Klerus auf dem Land hätte teils auch von Leibeigenen gestammt, ist also nicht weiter belegbar, und es kann gut sein, dass sie schlicht falsch ist.

Schöne Grüße

MM