Hallo,
das „Problem“ ist sicherlich vielschichtig. Nicht von ungefähr gibt es seit jeher - und es wird vermutlich immer so sein - Diskussionen um einen Literaturkanon. Nur einer der vielen Gründe ist der, dass es gerade in der Literaturwissenschaft eben keine „alleingültige Wahrheit“ oder auch nur eine Gesetzmäßigkeit gibt, die vielleicht mit den Naturwissenschaften vergleichbar wäre. In der Mathematik ist klar dass man um die Grundrechenarten nicht herum kommt - bezüglich der Literatur kann aber allenfalls ein Konsens erreicht werden, was eine Mehrheit der Entscheider als wichtig erachtet.
Warum sollte man nun also doch die „alten Werke“ im Unterricht lesen?
Einerseits denke ich, dass es schlicht darum geht, Kulturgüter zu bewahren. Auf Gedankenkonstrukten aus der Literatur läßt sich nämlich durchaus auch heute noch aufbauen und Neues konstruieren. Bruce Lee schreibt beispielsweise: „knowing is not enough, we must apply - willing is not enough, we must do“. Er zitiert ihn zwar nicht, doch diesen Spruch hat er vom alten Herrn Goethe.
Darüber hinaus baut eben auch alle Literatur immer auch auf ihren Vorgängern auf. So sollten diese eben auch zumindest gekannt werden.
Coppolla’s „Apocalypse Now“ macht nur halb so viel Spaß, wenn man „Heart of darkness“ von J. Conrad nicht kennt und „The comfort of strangers“ ist witzlos ohne Manns „Tod in Venedig“
Das Buch geht extrem auf Details ein und hat
sehr wenig Tempo. Also wirklich ein ausgesprochenes
Alterswerk, das für die meisten Jugendlichen zum Gähnen ist.
Ist aber dies nicht gerade einer der Hauptgründe, warum man derartigge Literatur im Unterrciht verwenden sollte? Sozusagen als bewußt angesetztes Gegenkonzept?
Es ist doch so, dass durch die derzeitige Medienkultur dem Fernsehzuschauer wirklich jeder einzelne Verständnisprozess schon vorgekaut wird. Figuren und Umgebung werden bildlich vorgegeben, Gedankenprozesse aus dem Off kommentiert. Gepaart mit schnellen Schnitten, die die Gefahr bergen, dass das Wesentliche aus dem Blick gerät. Individuelle Eigenleistung des Rezipienten ist damit gleich Null.
Auch verstehe ich nicht, wieso man Don Carlos durchnimmt und
nicht Die Räuber. Es handelt sich doch um Jugendliche, die
sich damit beschäftigen sollen.
Den Jugendlichen soll aber im Unterricht auch die Übernahme von Perspektiven anderer Menschen vermittelt werden. Und dies setzt nun einmal voraus, dass eine solche Perspektive ungleich der eigenen ist.
Ziel ist nämlich einerseits die Erreichung einer Sozialkompetenz und Empathiefähigkeit - das Nachvollziehen der Position anderer Personen, andererseits aber auch die Vermittlung einer gewissen Abstraktionsfähigkeit. Diese ist im Berufsleben gar nicht einmal so unwichtig.
Also meine eigentliche Frage: Wieso um alles in der Welt muss
ausgerechnet die Effie Briest von allen Jugendlichen gelesen
werden? Warum nicht lieber die Buddenbrooks?
Und hier sind wir erneut beim Aspekt der Subjektivität. Ich persönlich finde die Buddenbrooks beispielsweise fürchterlich.
MFG Cleaner