…allerdings ergeben sich daraus sofort einige
naive Fragen:
- Wann wird mit der Rückverlagerung der Deiche begonnen? -
Vor oder nach dem nächsten Hochwasser?
Hallo Andreas,
es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß niemand diese Frage beantworten kann. Immerhin aber ist diese Art ministerieller Lernfähigkeit der günstigere aller möglichen Fälle. Es hätte ja auch zu einem Beschluß in Richtung Ausbau- und Deicherhöhungsprogrammen kommen können, also weitermachen wie gehabt, wie schon seit Jahrhunderten. Immerhin vertrat noch vor wenigen Wochen während des Elbe-Hochwassers der bayerische Umweltminister die Auffassung, daß man mit Flußbegradigungen und Deichbau auf dem neuesten Stand sei und sich nichts vorzuwerfen hätte.
Zum Glück sind die Schäden zu massiv, um einfach zur Tagesordnung zurück zu kehren. Jedes weitere Hochwasser wird die Entschlußfreudigkeit von Bürokraten, Bedenkenträgern, Bremsern und Uneinsichtigen fördern. Im übrigen wurden tatsächlich im Zuge von Begradigungen unbewohnte und ungenutzte Flächen in großem Umfang per Deich trocken gelegt. Es ist hauptsächlich eine Frage von Einsicht und Wollen, solche Flächen zu renaturieren und ungeschützt als Überschwemmungsflächen zu belassen. Zu Umsiedlungen muß es dabei nur im Ausnahmefall kommen. Übrigens läßt es sich mit nur wenigen Anpassungsmaßnahmen auch in einem Überschwemmungsgebiet durchaus gut leben. Zu den Anpassungsmaßnahmen in solchen Gegenden gehört der Verzicht auf Keller sowie auf Öltanks mit der Gefahr des Auslaufens oder Aufschwimmens. Es läßt sich nur nicht hinter einem gebrochenen Deich oder an einem wegen zu engen Flußbetts reißenden Strom aushalten. Ausreichend große Überschwemmungsflächen mit genügend Waldflächen schlucken neben den Wassermassen problemlos auch Schlamm und Schlick. Man kann solche Flächen einfach der Natur überlassen oder sogar eingeschränkt landwirtschaftlich nutzen.
Die Überschwemmungsflächen - ausreichende Größe und Verteilung entlang des gesamten Flusses vorausgesetzt, braucht man sich nicht als plötzlich entstehende riesige Seen vorzustellen. Es wird einfach nur richtig feucht und in nirgends versiegelter Fläche wird das Wasser im wesentlichen durch die Vegetation gebunden. Wie solche Gegend aussieht, kann man sich im Naturpark Eltalauen bei Boizenburg ansehen. Das ist so ein Überschwemmungsgebiet, aber leider bisher ziemlich einmalig. Dort vergammeln zwar die Kartoffeln auf den Äckern, weil die Erntemaschinen einfach versacken, aber ansonsten bekommt man nicht einmal nasse Füße. Wenn es entlang des Flußlaufs genügend solcher Überschwemmungsgebiete (Naturparadiese) gäbe, könnten wir das Wort „Hochwasser“ im Binnenland aus unserem Wortschatz streichen. Ein paar Leute müssen gelegentlich Gummistiefel tragen, aber Mensch und Tier ertrinken nicht und Gebäude werden nicht mehr durch reißendes Wasser zerstört.
Die schlichte Wahrheit, daß Wasser, das in die Fläche kann, nicht mehr steigt, predige nicht nur ich seit vielen Jahren. Der Unfug des Deichbaus unmittelbar am Flußbett wird von Naturschutzverbänden seit jeher beklagt, z. B. hier: http://www.umwelt.org/robin-wood/german/magazin/arti… . Bisher stieß man aber mit der Idee, dem Fluß Fläche zu lassen, oft genug auf geradezu hassige Ablehnung und auf dummerhaftige Sprüche der Art „wer nicht deichen will, muß weichen“. Deshalb finde ich die Einsichten auf politischer Ebene bemerkenswert.
Gruß
Wolfgang