Lernstrategien verknüpfen = mehr behalten?

Einen wunderschönen Guten Morgen!

Wieder einmal komme ich mit einer meiner unendlich dummen Frage:

Ich bin gerade in einer kaufmännischen Maßnahme, in der wir unter anderem lernen sollen, vor einer „großen“ Menschenmenge zu reden.
Zu diesem Zweck sollte ein jeder von uns Teilnehmern einen 10 Minuten andauernden, recht oberflächlichen Vortrag vorbereiten.
Ich bekam das Thema "Lerntechniken, weil ich mich damit ein wenig auskenne (Betonung liegt auf „ein wenig“.)
Nun ist mir beim Tippen des Textes etwas aufgefallen (gar seltsam sind die Gedanken des Michael Vogl):
Wir Menschen lernen unterschiedlich. Wenn für mich zum Beispiel die Lernkartei sehr hilfreich, kann sich meine Nachbarin eher etwas merken, wenn sie etwas hört und mein Nachbar, wenn er das ganze durch durchführen erarbeitet.

Nun heißt es aber: wenn man verschiedene Kanäle gleichzeitig anspricht, dann ist die Behaltensquote um einiges höher.
Doch genau das lässt mich stutzen.
Wenn ein jeder von uns für jedes Schulfach eine individuelle Lerntechnik anwenden soll/kann/muss/darf (wie auch immer), um etwas zu erlernen bzw. zu wiederholen bzw. zu behalten, wie kann dann ein anderer Kanal dann verstärken, wenn dieser Kanal nicht wirklich zur Lernstrategie gehört?
Sprich: wenn ich geschichtliche Daten mittels Lernkartei lernen kann (und so laut einer Tabelle 20 - 30% des Stoffes behalte), wieso soll es dann möglich sein, dass ich 40 - 50% behalte, wenn ich diese Sachen nochmal höre?

Wäre lieb, wenn das einer von Ihnen weiß.
Lieben Gruß und schon einmal ein dickes Dankeschön im Voraus.
Michael Vogl

Sprich: wenn ich geschichtliche Daten mittels Lernkartei
lernen kann (und so laut einer Tabelle 20 - 30% des Stoffes
behalte), wieso soll es dann möglich sein, dass ich 40 - 50%
behalte, wenn ich diese Sachen nochmal höre?

Hallole,

wenn du 20 bis 30% des Stoffes so lernen kannst, dann ist diese Methode alleine nicht geeignet. Es bedeutet ja auch, dass du so 70 bis 80% so nicht lernen wirst.

Ein Beispiel mit dem Hören: Stell dir mal einen kräftigen Mann vor, dessen Stimme du noch nicht gehört hast. Du erwartest zu diesem Bullen von Mann eine passende kräftige Stimme.

Jetzt macht er den Mund auf und spricht und du hörst eine feine Fistelstimme, eine Stimme, die absolut nicht zu dieser Erscheinung passt. Allein dieses komische Erlebnis wird dich vielleicht schon das Gesagte nie mehr vergessen lassen.

Ich muss übrigens geschichtliche Daten immer in einem Zusammenhang lernen. Es gibt Daten, die man ganz schnell behalten kann. Z.B. ein sehr markantes Datum. Für andere Ereignisse baue ich dann einen Zusammenhang zu diesem markanten Ereignis.

Beim Lernen von Zahlen wie z.B. Telefonnummern ist für mich der Rhythmus des Sprechens sehr wichtig. Die Zahlen also nicht nur so aufsagen, sondern sehr betont sprechen.

Ein Kollege von mir kann Telefonnummern nur dann behalten, wenn er die Eingabetasten vor sich sieht und er merkt sich die Nummer als geometrische For, wie der Finger über die Eingabetasten wandert.

Schöne Grüße
PW

Guten Morgen Polweiler!

Erst einmal vielen lieben Dank für Ihre Antwort, die mir - nicht allzuverärgert sein bitte - nur bedingt weiterhilft (mag auch daran liegen, dass ich sie einfach falsch verstehe).

Es geht mir ja darum, dass es keine Lernstrategie gibt, die auf alle zutrifft. Darum gibt es ja recht viele.
Nun ist es so, dass es im Internet eine Tabelle gibt, die besagt, dass diejenigen, die „nur“ durchs visuelle Lernen 15 - 30 % des Stoffes behalten, während Lesen und Hören zusammen schon bis zu 40 % Lernerfolg mit sich bringen, dabei auch noch zu reden/aufzuschreiben sogar 50 %.

Nur wie kann es kommen, dass ich (um noch einmal das Beispiel mit der Lernkartei aufzugreifen) an die 40 % erlernen kann, wenn ich lese UND gleichzeitig höre (also zwei Kanäle aktiviert sind) wo ich doch eher der visuelle Typ bin und beim Auditiven aufnehmen der Informationen eher in der Situation stehe, dass ich das nicht unbedingt erfassen kann.
Und genau das lässt mich stutzen: einerseits sagt man: jeder muss seine Lernstrategie finden, andererseits aber sagt man: wenn man diese in Verbindung mit einer anderen (die vielleicht gar nicht passt) bringt, ist der Lernerfolg höher (lassen wir die Ebbing`hausche Vergessenskurve mal außen vor, auch wenn sie sicherlich eine Rolle spielt).

Lieben Gruß
Michael Vogl

Hallo Michael,

die Prozentzahlen, die du nennst, sind nicht das Evangelium. Sie sind bei Untersuchungen entstanden, für die man die Versuchspersonen möglichst sinnloses Zeug lernen ließ. Die Absicht dabei war, die individuelle Situation der Versuchsperson so weit wie möglich auszuschließen.

Ein Beispiel: Eine Versuchsperson kann zufällig russisch. Jetzt müssen alle Versuchspersonen Wörter lernen, zu denen auch russische Namen gehören. Der mit den Russischkenntnissen kann die Namen ohne Probleme lernen, die anderen nicht. Das Untersuchungsergebnis wäre nun verfälscht!

Deshalb wählen die Wissenschaftler möglichst sinnlose Zahlen, Wörter oder weiß ich was, womit möglichst niemand etwas anfangen kann.

Die Zahl 190455 kann ich z.B. gut behalten ohne zu lernen, das datum hat mit mir zu tun.

Also die Prozentzahlen geben nur eine grobe Orientierung über die Lernerfolge, sie geben Tendenzen wieder. Ein Geiger z.B. ist gewohnt, immer genau hinzuhören. Sein Audiokanal ist viel besser ausgebildet und er ist gewohnt, ihn zu benutzen. Jemand, der diesen Kanal den ganzen Tag mit Kopfhörern volldröhnt, der ist nicht gewohnt, über die Ohren auch etwas sinnvolles aufzunehmen. Er ist gewohnt, dass es da immer rauscht und gut ist …

Ich habe mich immer mit Sprachen beschäftigt. Da gibt es Wörter, da kann ich dir heute noch sagen, wie und bei welcher Gelegenheit ich sie gelernt habe. Es gibt eine Situation … es gibt Menschen, mit denen ich zusammen bin … ich blamiere mich vielleicht … und bekomme dann gesagt, wie es richtig heißen muss… Diese neue Wort ist dann über viele Kanäle in meinen Kopf gekommen. Die Verbindung ist: Situation, Mensch, Blamage … oder vielleicht eine besonders schöne Situation … usw.

Und nicht zuletzt: Was macht denn der Blinde, der keine visuelle Wahrnehmung hat? Wenn die Zahlen so stimmen würden, müssten ja die Blinden grundsätzlich lernbehindert sein …

Ich hoffe, meine Gedanken können dir ein wenig weiter helfen

Gruß

PW

Hallo Polweiler!

Auch dieses mal ein dickes Dankeschön für die Antwort

die Prozentzahlen, die du nennst, sind nicht das Evangelium.
Sie sind bei Untersuchungen entstanden, für die man die
Versuchspersonen möglichst sinnloses Zeug lernen ließ. Die
Absicht dabei war, die individuelle Situation der
Versuchsperson so weit wie möglich auszuschließen.

Ein Beispiel: Eine Versuchsperson kann zufällig russisch.
Jetzt müssen alle Versuchspersonen Wörter lernen, zu denen
auch russische Namen gehören. Der mit den Russischkenntnissen
kann die Namen ohne Probleme lernen, die anderen nicht. Das
Untersuchungsergebnis wäre nun verfälscht!

Deshalb wählen die Wissenschaftler möglichst sinnlose Zahlen,
Wörter oder weiß ich was, womit möglichst niemand etwas
anfangen kann.

Ah! Das wusste ich nicht. Unsere Dozentin empfahl mir, diese Zahlen 1:1 zu übernehmen, und weil sie über die Fernuni Hagen Bildungswissenschaften neben ihrem Job studiert, bin ich (in meiner unendlichen Naivität) davon ausgegangen, dass tatsächlich alles auf das „normale“ Lernen umgemünzt wird.
Das war mein Fehler.

Die Zahl 190455 kann ich z.B. gut behalten ohne zu lernen, das
datum hat mit mir zu tun.

Auch auf die Gefahr, dass ich mich jetzt arg doll vertue und somit in ein ganz dickes Fettnäpfchen trete, aber: Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag!

Also die Prozentzahlen geben nur eine grobe Orientierung über
die Lernerfolge, sie geben Tendenzen wieder. Ein Geiger z.B.
ist gewohnt, immer genau hinzuhören. Sein Audiokanal ist viel
besser ausgebildet und er ist gewohnt, ihn zu benutzen.
Jemand, der diesen Kanal den ganzen Tag mit Kopfhörern
volldröhnt, der ist nicht gewohnt, über die Ohren auch etwas
sinnvolles aufzunehmen. Er ist gewohnt, dass es da immer
rauscht und gut ist …

Macht Sinn - er „übt“ ja…

Ich habe mich immer mit Sprachen beschäftigt. Da gibt es
Wörter, da kann ich dir heute noch sagen, wie und bei welcher
Gelegenheit ich sie gelernt habe. Es gibt eine Situation …
es gibt Menschen, mit denen ich zusammen bin … ich
blamiere mich vielleicht … und bekomme dann gesagt, wie es
richtig heißen muss… Diese neue Wort ist dann über viele
Kanäle in meinen Kopf gekommen. Die Verbindung ist: Situation,
Mensch, Blamage … oder vielleicht eine besonders schöne
Situation … usw.

Ja, da bin ich mit Ihnen D`Accord. Ich hoffe, ich lehne mich nicht zu sehr aus dem Fenster, wenn ich das in die Mnemo-Technik-Schublade lege.

Und nicht zuletzt: Was macht denn der Blinde, der keine
visuelle Wahrnehmung hat? Wenn die Zahlen so stimmen würden,
müssten ja die Blinden grundsätzlich lernbehindert sein …

Äh…auch auf die Gefahr, dass Sie mir die Ohren strubbelig ziehen, aber diesem Argument schließe ich mich nicht an. Ein Blinder „hört“ ja nicht nur, ein Blinder liest ja auch (Braille-Schrift), nur dass sein Aufnahmeorgan eben nicht die Augen, sondern der Tastsinn ist.
Desweiteren (und auch in diesem Fall lehne ich mich weit aus dem Fenster) dürften durch die Behinderung (Blindheit) andere Gehirnregionen stärker ausgeprägt sein. Ich kann mir vorstellen, dass das Gedächtnis eines stark sehbehinderten bis blinden Menschen weitaus besser abspeichert als zum Beispiel meines.

Ich hoffe, meine Gedanken können dir ein wenig weiter helfen

Ja, definitiv. Und ich finde es superlieb, dass Sie sich die Zeit nehmen, mir das ganze zu erklären und auch Geduld mit mir haben :smile:

LG
Michael Vogl

Herzlichen
Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag!

Danke!

Und nicht zuletzt: Was macht denn der Blinde, der keine
visuelle Wahrnehmung hat? Wenn die Zahlen so stimmen würden,
müssten ja die Blinden grundsätzlich lernbehindert sein …

Äh…auch auf die Gefahr, dass Sie mir die Ohren strubbelig
ziehen, aber diesem Argument schließe ich mich nicht an. Ein
Blinder „hört“ ja nicht nur, ein Blinder liest ja auch
(Braille-Schrift), nur dass sein Aufnahmeorgan eben nicht die
Augen, sondern der Tastsinn ist.

Naja, immerhin ist es ein Argument gegen die absolute Richtigkeit der Prozentzahlen: Egal, wie unterschiedlich seine Hirnregionen ausgebildet sind: er hat einen Sinn (Kanal) weniger als Sehende. Den Tastsinn hat der Sehende ja auch.

Ich kann mir
vorstellen, dass das Gedächtnis eines stark sehbehinderten bis
blinden Menschen weitaus besser abspeichert als zum Beispiel
meines.

Nur vorstellen reicht aber nicht; da müsstest du auch eine Begründung haben. Wie gesagt: Wenn die visuelle Wahrnehmung die Wichtigste sein soll und die hier vollkommen fehlt, dann müsste doch die Lernfähigkeit zunächst einmal eingeschränkt sein. Ist sie das nicht, dann müssen wir diskutieren, dass die visuelle Wahrnehmung nicht unbedingt die Wichtigste ist.

Schöne Grüße (aus China … ich habe jetzt 7.20 h)

PW