Lesungen während der Karwoche in Griechenland

Hallo Wissende,

während eines Aufenthalts während der Karwoche auf einer griech. Insel erlebten wir, dass jeweils nachmittags in der örtl. Kirche Lesungen abgehalten und über Lautsprecher übers Land verkündet wurden. Da wir kein Griechisch sprechen verstanden wir nicht, wovon die Lesungen handelten; wir waren aber in guter Gesellschaft, denn die von uns befragten Griechen verstanden auch nicht so richtig (Kirchengriechisch, schlechte Akustik)- so erhielten wir so sinnreiche Antworten wie: über Jesus…, über Gott…!

Ein schlauer Mensch erklärte uns dann, es wird nicht die Passion verlesen, sondern Begebenheiten aus dem Leben Jesu in der Zeit zwischen seinem Einzug in Jesusalem bis zum Abendmahl, also das Wirken Jesu während der Karwoche.

Frage: Welche Begebenheiten können das sein? Unsere Evangelien geben über diesen Zeitraum nicht viel her, meines Wissens springt die Berichterstattung vom Einzug in Jerusalem am Palmsonntag zum Abendmahl am Gründonnerstag - was aber machte Jesus am Montag, Dienstag etc. der Karwoche? Welche Bücher berichten darüber?

Danke für Eure Mitteilungen.

Wolfgang D.

die Tage vor dem Pessach
Hallo,

Unsere Evangelien geben über diesen Zeitraum nicht viel her

nun ja, wenn du die Zeitspanne der Episode „Eselsritt“ bis zum „Tag der ungesäuerten Brote“ bei den Synoptikern nimmst, also
Mk 11.1 bis 14.12
Mt 21.1 bis 26.17
LK 19.28 bis 22.7
dann gibt es ein zweimaliges Hin und Her zwischen Bethphage/Bethania und Jerusalem, und in dieser Zeit eine ganze Menge an Ereignissen (der Tempelkonflikt, der Besuch im „Haus Simons“ in Bethania mit der Salbung, die Episode mit dem Feigenbaum) aber vor allem wichtige öffentliche Reden, die meisten in Form von Gleichnissen.

Joh. 12.12 und ff. erzählt die Episoden von dem „Eselsritt“ an dagegen ganz anders und hat auch einen ganz anderen „Plot“: Hier liegt Bethania mit der Salbungsszene als zweiter Besuch bei seinen Geschwister-Freunden (Lazarus, Martha, Maria) bereits in der Vergangenheit. Der Tempelkonflikt liegt sowieso schon lange vorher. Die Palmzweig-Begrüßung gab es laut Joh. gerade deshalb, weil die Kunde von der Erweckung des Lazarus ihm vorausgeeilt war. Und in Jerusalem selbst gibt es dann nur noch eine, allerdings fundamentale öffentliche Rede und dann am Tag vor der Hinrichtung das Mahl im engeren Schülerkreis mit den esoterischen Lehren.

Das sind insgesamt eine ganze Menge Text mit entscheidenden Inhalten. Von „… geben nicht viel her“ kann also kaum eine Rede sein.

Die „Palmzweige“ werden btw. nur bei Joh erwähnt und das Ereignis findet 6-1 Tage vor dem Pessach statt. Da bei Joh in dem betreffenden Jahr Pessach mit dem Sabbat zusammenfiel (also auf den Samstag), fand der „Einzug“ also am Montag statt. Am Tag vorher war er bei den Geschwistern in Bethania.

Gruß
Metapher

Guten Abend, Wolfgang!

Zusätzlich zu dem von Metapher bereits Mitgeteilten:

während eines Aufenthalts während der Karwoche auf einer
griech. Insel erlebten wir, dass jeweils nachmittags in der
örtl. Kirche Lesungen abgehalten

Es finden in der Karwoche verschiedene Gottesdienste statt: am Montag, Dienstag und Mittwoch der Nymphios-Orthros* (Matutin, Morgenlob, fast immer am Vortag abgehalten) und die in die Vesper integrierte Gregorios-Liturgie (L. der Vorgeweihten Gaben), am Gründonnerstag am Vorabend der Nymphios-Orthros, dann die Vesper mit der Liturgie nach Basileios, später (oder am Karfreitag) der Orthros mit der Passionsgeschichte in zwölf Lesungen, am Karfreitag die Vesper mit der Feier der Grablegung (eine Prozession mit dem Leichnam Christi bestickte „Grabtuch“, das dann in das symbolische Grab Christi gelegt wird; auf dem Grabtuch liegt dort dann das Evangelienbuch als Wort/Logos Gottes und wird mit Kuss und Proskynesis/Fußfall verehrt).

* benannt nach einem mystischen Gesang, in dem die Kirche und die Seele den Bräutigam erwarten: „Siehe, der Bräutigam kommt inmitten der Nacht. Selig der Knecht, welchen er wachend findet …“

Am Montag liest man im Orthros Mt. 21,18-43, in der Gregoriosliturgie Mt.24,3-35,
am Dienstag Mt. 22,15-23,39 und Mt. 24,36-26,2,
am Mittwoch Joh. 12,17-50 und Mt. 26,6-16
am Gründonnerstag im Orthros Lk. 22,1-39, in der Basileiosliturgie Mt. 26,1-20; Joh. 13,3-17; Mt. 26,21-39; Lk. 22,43-35; Mt. 26,40-27,2
am Karfreitag Joh. 13,31-18,1; Joh. 18,1-28; Mt. 26,57-75; Joh. 18,28-19,16; Mt. 27,3-32; Mk. 16-32; Mt. 27-54; Lk. 23,32-49; Joh. 19,25-37; Mk. 15,43-47; Joh. 19,38-42; Mt. 27,62-65.

Dazwischen werden Psalmen, Antiphonen und Hymnen gesungen, so dass das alles mehrere Stunden lang dauert.
Hier nur angedeutet: Aus den Evangelien der Tage Montag bis Mittwoch kann man die thematischen Schwerpunkte dieser Feiern erkennen.
Zusätzlich: Eine durch die Verschränkung mit dem Alten Testament hergestellte sozusagen heilsgeschichtliche Perspektive erkennt man daran, dass in den hier nicht genannten Lesungen aus dem Alten Testament vom Beginn der Fastenzeit an kontinuierlich die Genesis (Erschaffung, Sündenfall, Fastenzeit also als Bußzeit) gelesen und heraufgeführt wird bis zum Exodus, so dass das Osternacht als „Neues Pascha“ gefeiert wird.

Freundlichen Gruß!
H.