LTWen in Hessen und Bayern

Hallo,

bzgl. Bayern wird gerne die These vertreten, dass die CSU deswegen in Umfragen abgesackt ist, weil sie versuche Themenfelder der AfD zu übernehmen und dann „das Original“ gewählt werden. Der zweite Erklärbäransatz ist, dass dies die Quittung der Wähler sei, weil die CSU in der Union zur Kanzlerin tlw. abweichende Ansichten vertrete. https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/bayern.htm

Warum ist dann auch die SPD so massiv abgesackt?

Und warum kommt niemand (oder kaum jemand?) auf die Idee, die gleichen Argumente bzgl. der LTW in Hessen vorzutragen, wo die AfD und die Linkspartei als auch die Grünen weitgehend im gleichen Umfang zulegen wie sie es in Bayern tun? Wieso sacken hier CDU und SPD in Relation gleichermaßen ab? https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/hessen.htm

Oder sind die Erklärmodelle schlicht Bullshit? Ist es möglicherweise eine Gemengelage aus Unzufriedenheit mit der Bundespolitik der (Pseudo)GroKo, der Lagerverfestigung bzgl. der Themenbereiche Flüchtlinge und/oder Migration und einer gewissen Sattheit gegenüber überdominanten Altparteien (besonders Bayern, aber auch die noch im Selbstbild gefühlten Volksparteien in Hessen)?

Gruß
vdmaster

Das könnte natürlich sein.

Der Versuch der CSU, bei Migrations- und Sicherheitspolitik gegenzusteuern, wird wohl von großen Teilen des Wahlvolks als halbherzig wahrgenommen. Um hier das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen, benötigt es wohl mehr Zeit und tatsächliche Durchsetzung, nicht nur symbolische Maßnahmen an der Grenze zu Österreich. Verbunden ist das mit Gezänk und Gestreit innerhalb der Union und der Koalition, das stößt die Wähler erfahrungsgemäß ab (obwohl das natürlich unsinnig ist, denn schädlich ist ja eher zu viel Harmonie, aber der Wähler ist nun mal wie er ist).

Die Versuche der SPD, so zu tun als wären sie eine rabiate Oppositionspartei, gleichzeitig aber in der Koalition zu verbleiben, wird wohl von großen Teilen des Wahlvolks als befremdlich angesehen. Die SPD hat zudem noch keine Inhalte gefunden, die ihre angestammte Wählerschaft wieder versöhnen, denn einfach nur mehr von allem zu versprechen (Rente, Wohnungen, Gerechtigkeit, Kitas, Lohn in der Pflege) unterscheidet sie nicht von der Linkspartei oder von den Grünen, mit der Ausnahme, dass die SPD sich fragen lassen muss, was denn an den Verhältnissen so absolut untragbar und grauenhaft sein soll, die sie in jahrelanger Regierungsverantwortung selbst geschaffen hat.

Somit werden die beiden (ehemaligen) Volksparteien abgestraft. Teilweise wandern die Wähler zu den Schmuddelkindern am Rand des Spektrums (AfD, Linke), in großen Teilen zu den bürgerlichen Alternativen, also zu den Grünen oder in Teilen zur FDP bzw. in Bayern auch zu den Freien Wählern.

Ich erwarte, dass die Erosion der Volksparteien weiter geht, dass es sich für de Union bitter rächt, dass sie unter Merkel über lange Jahre ausschließlich auf die Wähler der Mitte gezielt hat und die konservativen Wähler ebenso wie den Mittelstand vernachlässigt hat. Die verlorenen Wähler sind nicht einfach zurückzugewinnen. Die SPD bräuchte grundlegend neue Ideen und dazu neues Personal, um als modern wahrgenommen zu werden, um Ausstrahlung auf die Wähler zu erlangen, die heute eher bei Union und Grünen sind. Dass so etwas geht, hat man bei Macron in Frankreich gesehen, aber das erfordert gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Ideen und Konzepte.

Also sollten wir uns darauf einstellen, dass es noch ein paar Jahre dauern wird, bis sich der Abwärtstrend umkehrt.

Das ist ein Aspekt, der IMHO auf Landesebene sehr wichtig ist, aber auch auf Bundesebene von den Grünen hervorgehoben wird. Die FW kann ich leider gar nicht einschätzen, die FDP ist ohnehin „bürgerlich“, was ich eher als mittig umschreiben würde.

Bei den Grünen gibt es jeweils ca. ein Drittel Radikale (Fundis), ein Drittel Unentschiedene und ein Drittel Mittig(er)e (Realos=haben den Faden zu den Realitäten noch nicht verloren). Der Landesverband von BaWü hat ein Übergewicht bei den Realos, wäre ansonsten sicher nicht grösste Partei im Ländle. Den kürzlichen Ausführungen von @anon56793850 folgend, würde ich die Grünen in Bayern ebenfalls eher in dieser Ecke einstufen. Selbst in Hessen bestehen sie nicht überwiegend aus Fundis (wie bspw. in NRW oder Berlin). Das machte eine Regierung zusammen mit der CDU überhaupt erst möglich. Selbst auf Bundesebene haben sie mit der Wahl von Habeck und Baerbock sich zumindest den Anschein gegeben, mehr Realo zu sein. Das ist allerdings gelungene, taktische Maskerade. Die letzten Wahleskapaden mit hervorgehobenen Fundipositionen und -figuren sind nur gründlich genug gescheitert, weswegen sie im Hintergrund verbleiben.

Der sich allerdings mittlerweile im freien Fall befindet.

Gruß
vdmaster

So geht es halt Heilsbringern manchmal, wenn sie vergessen, das versprochene Heil auch tatsächlich zu bringen.

Hi!

Man sollte den Faktor nicht unterschätzen, dass es nicht wenige Wähler gibt, die Landes- und Bundesebene nicht unterscheiden.

Die sehen halt dem Murks, den die Groko seit Jahresbeginn verzapft, in dem sie eigentlich genau nichts verzapft, sondern nur interne Streitereien öffentlich austrägt …

VG
Guido

Nur zur CSU in Bayern:
Ja, es ist ein Gemengenlage der Ursachen.
Ja, es hat viel mit Bundespolitik zu tun.
Nein, ich erkenne keine generelle „Sattheit“ an der CSU.
Ja, die CSU hat viele Fehler gemacht: der als abstoßend empfundene Machtkampf Seehofer/Söder, der jahrelange Kampf Söders gegen Ilse Aigner, der Söders Image tief gezeichnet hat, die polarisierende Figur Söder selbst, das ewige Hin und Her Seehofers, der Schlingerkurs der CSU gegen und mit Merkel, das seltsame Wirken Seehofers als Bundesinnenminister usw.
Nein, es geht nicht nur um Fehler der CSU, sondern v.a. den Umstand, dass ihr mit dem Migrations-Asyl-Flüchlingskrise-Thema ein alles überbordenes bundespolitische Thema auferlegt wurde, das ihr unweigerlich Stimmen kostet, egal wie sie sich positioniert,

Gruß
F.

P.S.: Freie Wähler sind von den politischen Positionen weitgehend deckungsgleich mit der CSU. Die sind halt das Sammelbecken für die Politiker, die in der CSU nichts werden konnten und für die Wähler, die von der CSU als „Filz“ abgestoßen sind, aber sonst schon CSU wählen würden. Deshalb sind die so spezifische bayerisch wie die CSU selbst. Dazu kommt eine gewisse kommunalpolitische Stärke der FW-Gruppen.