#LuetziBleibt - Verständnisfrage

Im Augenblick versammeln sich ja weite Teile der Bevölkerung links von der FDP (also knapp rechts der Mitte) rund um den Weiler Lützerath der Stadt Erkelenz im Westen von NRW, der im Rahmen des Fortschreitens des Tagebaus Garzweiler in Richtung Südwesten abgebaggert werden soll. Die meisten versammeln sich in den Medien und teilen der Welt ihren Standpunkt via Social Media mit, ein paar weitere sind vor Ort und wollen RWE und die Polizei daran hindern, den Ort abzubaggern bzw. zu räumen.

Nun verwirren mich manche Aussagen. Dass viele dagegen sind, die Kohle unter dem Ort zu verbrennen, kann ich verstehen und ich teile diesen Standpunkt - nicht zuletzt, weil die Kohle im Tagebau mehr als ausreichend ist, auch ohne die Kohle unter Lützerath. Was mich hingegen verwirrt, sind Aussagen wie „Lützi bleibt“, „das Dorf soll nicht sterben“ oder „Lützerath muss gerettet werden“ usw. Aussagen, die klar darauf hinauslaufen, dass das Dorf erhalten werden soll und die Bewohner dort (wieder) wohnen sollen, Was mich daran verwirrt ist der Umstand, dass dort kein Einwohner mehr lebt, dass die Häuser schon lange RWE gehören und selbst, wenn der Tagebogen nun einen Bogen um die Gemeinde schlägt, niemand in diese Geister"stadt" zurückkehren wird, die zum einen so nah am Tagebau liegt, dass die Statik des ganzen Dorfes (bzw. dessen Untergrunds) in Frage steht und zum anderen vom Straßenverkehrsnetz praktisch völlig abgeschnitten sein würde, wenn man von ein paar Feldwegen bzw. ggfs. der Straße nach Keyenberg (was aber auch weitgehend ausgestorben ist, weil die meisten weggezogen waren, bevor beschlossen wurde, dass das Dorf doch bleibt) absieht.

Die Frage nun: übersehe ich etwas oder haben die Menschen, die dort für den Erhalt eines toten Dorfes kämpfen, schlichtweg noch nicht verstanden, dass das Dorf tot ist und tot bleiben wird? Ich hatte in den letzten Tagen Kontakt zu einigen dieser Leute und hatte nicht den Eindruck, dass sie den Erhalt des Dorfes nur für’s Marketing auf ihre Schilder schreiben, sondern dass die wirklich glauben, dass die mit ihrer Aktion im besten Fall den Fortbestand des Weilers erreichen können.

Und nein: ich will nicht über den Sinn des Tagebaus diskutieren. Und nein: mir muss keiner erklären, wie so ein Tagebau aussieht und wie doof es ist, seine Heimat zu verlieren. Ich wohne seit fast zehn Jahren unmittelbar am Tagebau bzw. an den zwischenzeitlich rekultivierten Flächen.

Gruß
C.

Ja ,so wird es sein !

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Ja genau - die die da ‚kämpfen’ und sich empören sind Spiegelfechter :woman_shrugging:

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Hallo,

Ich kann mir vorstellen (nein, ich kenne keinen der Beteiligten persönlich, daher kann ich nur mutmaßen), dass es diesen Menschen gar nicht um das Dorf als Struktur geht, oder um die Menschen, die dort einstmals lebten. Es scheint mir darum zu gehen, Widerstand zu zeigen, gegen die Mentalität, alles letzten Endes den „Märkten“, dem Wohlergehen von Unternehmen, den Gewinnen von Aktionären unterzuordnen.

Beim Hambacher Forst war die diesbezügliche Argumentation etwas deutlicher - auch wenn es da viel Scheinargumente rund um die zum Teil jahrhundertealte Bäume gab.

Letzten Endes leben diese Menschen ihre Ideologie aus - die Utopie einer Gesellschaft, die das Wohl vieler gegen das Wohl weniger (aus ihrer Sicht) deutlich sachlicher abwiegt und (aus ihrer Sicht) deutlich häufiger kluge Entscheidungen gegen das Kapital, für die Gesellschaft, für das Habitat, in dem wir leben, trifft.

Grüße
Pierre

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Unterm Strich ist es so, dass die meisten, die dort protestieren schlicht nicht darüber nachgedacht haben, was sie da tun.

Schlimmer noch: Viele betiteln das als „Klimaproteste“ oder gar als „Verteidigung des 1,5°“-Ziels. Das ist freilich großer Blödsinn. RWE wird auch in den nächsten Jahren Kohle verbrennen und diese Kohle vorher fördern.

Wenn sie das nicht unter Lützerath können, dann muss die Kohle woanders gewonnen werden und das ist natürlich mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden - sowohl was Kosten als auch CO2-Emissionen angeht - und das ist so ziemlich das Einzige, was die Proteste bestenfalls bewirken können.

PS: Wer glaubt, dass „die Kohle im restlichen Tagebau mehr als ausreichend ist“, sollte sich mal fragen, warum RWE das Dorf überhaupt abbaggern will.

Es gibt quasi ein Kohleabbaubudget bis zum Ende des Tagebaus, der sich am Bedarf der Kraftwerke hier orientiert. Dieses Budget kann auch ohne die Kohle unter „Lützi“ erreicht werden. Tatsächlich geht es RWE beim Abbagern des Hügels, auf dem das Dorf steht, wohl um die Deckschicht über der Braunkohle, die zur Stabilisierung der Grube benötigt wird.

(…)

Diese Ziele kann ich vertreten und auch, wenn man dafür mit unorthodoxen Methoden kämpft. Natürlich ist das C02-Thema auch Bestandteil der Proteste. Aber tatsächlich - und wie gesagt: die Unterhaltungen führte ich - treten die Protestler zum großen Teil mit dem zusätzlichen Ansatz bzw. Ziel auf, das Dorf zu erhalten oder wiederzubeleben bzw. für die Einwohner zu retten.

Aber genau das geben eben viele vor. Etliche, die dort protestieren, kommen aus der Gegend und auch aus Dörfern, die nach den neuen Beschlüssen verschont bleiben - insbesondere Kuckum und Keyenberg. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn die Leute noch einen persönlichen Bezug zu der Sache haben und das Bedürfnis haben, für die Rechte und die Heimat anderer zu kämpfen und zu demonstrieren.

Nur ist der Zug halt abgefahren: das Gelände gehört RWE und die früheren Bewohner (und da muss man auch die Kirche im Dorf lassen: dort wohnten zuletzt 8 Einwohner (Sommer 2022). Heute wohnen in den verlassenen Gebäuden rd. 150 „Aktivisten“; der letzte Einwohner zog vor ein paar Wochen weg) sind fortgezogen und haben sich mit den Entschädigungen ein neues Zuhause aufgebaut. So nett es da früher gewesen sein mag (ich kenne nur Keyenberg; nach Lützerath hat es mich nie verschlagen): es ist halt eine Geisterstadt ohne Perspektive, ohne Zukunft, ohne Anbindung an die Außenwelt.

Und dennoch läuft ein Teil der Aktionen unter dem Slogan „Lützerath lebt“ (es gibt auch eine gleichnamige Internetseite). Das ist es halt, was mir nicht in den Kopf will bzw. wo ich die ganze Zeit überlege, ob ich etwas übersehe. Wenn sich von Marketinggründen leiten ließe: schön und gut, aber zumindest mir gegenüber haben die das so vertreten, dass es ihnen um den Erhalt des Dorfes ginge.

Gruß
C.

Wenn da nicht die erste Tabelle mit den Kraftwerken wäre, wäre der Artikel richtig gut. Ich hatte beim Volksverpetzer bereits vor einem knappen Jahr angefragt, ob es denn nicht besser wäre, den CO2 ins Verhältnis zur Leistung zu setzen, bekam aber keine Antwort.

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Exakt das Gleiche bei unserem Tagebau. Hier guter Lehmboden der zur Rekultivierung gebraucht wurde. Die Kohleschicht darunter war vergleichsweise dünn.
Der Kneipenwirt hatte täglich die Bohrmannschaften zu Gast und wusste daher relativ gut Bescheid, wie es um den Boden und die Kohleschicht unter dem Dorf aussieht.

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Das klingt doch nach einer idealen Kulisse für einen neuen „Silent Hill“ - Film.
Oder gleich ein Themenpark?
grübel

Wie ich schon andeutete: der Haupttreiber dieser Aktivitäten sind aus meiner Sicht Ideologien. Und gefestigte Ideologien lassen sich von außen nicht erschüttern, egal wie unlogisch die Ideologien in ihrem Kern sind, so meine Erfahrung - dabei ist es egal, ob es sich um Esoterik, Reichsbürgertum, Religion, Glauben an Verschwörungen handelt oder andere Lebensmodelle, die mehr auf Glauben als auf Realismus aufbauen.

(Ganz frisch in den Nachrichten: Erstürmung des brasilianischen Parlaments durch „Bolsonaro-Anhänger“. Andere Mittel, anderes Vorhaben, selbe Grundlage.)

Und je älter ich werde, umso wichtiger scheint mir Hanlon’s Razor als Erklärungsmodell für menschliches Handeln zu sein.

Den Sinn und Zweck ganz vieler Protestmaßnahmen verstehe ich zunehmend nicht mehr. Ich will vielen Beteiligten gar nicht abstreiten, dass sie sich Gedanken und Sorgen machen, aus einer empfundenen Ohnmacht und Verzweiflung einerseits und einer gesehenen Not zur Steigerung der Intensivität des Auftretens angesichts immer konkreterer Auswirkungen des Klimawandels andererseits zu agieren. Aber ich sehe auch einen zunehmenden Eventcharakter, eine eher aus einem gestörten ego stammende Risikobereitschaft und fehlendes Verständnis für Regeln, die gerade nicht nur „denen da oben“ zugute kommen, sondern die für ein geordnetes und friedliches Zusammenleben jeglicher komplexen Gesellschaft zwingend erforderlich sind, die sich nicht gerade auf der Ebene eines Naturvolks bewegt.

Insoweit scheint es vielen Beteiligten dann relativ egal zu sein, wo konkret sie für oder gegen was protestieren, und wie sinnvoll ein solcher Protest im konkreten Fall (noch) sein kann. Da scheint es dann eher einen Blick in den Kalender zu geben, wo man das nächste Wochenende oder auch gleich die nächsten Wochen mit Gleichgesinnten „was machen“ kann, bei dem man sich dann mal wieder der „bösen Staatsmacht“ und den „bösen Konzernen“ irgendwie entgegen stellen kann.

Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich zuletzt im rheinischen Tagebau-Revier war. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, durch welche aufgelassenen Siedlungen ich dabei genau gefahren bin, aber ich gebe Dir vollkommen Recht: Wenn man auf einem toten Pferd sitzt, sollte man absteigen. Kurz vor dem Abbaggern will da angesichts der Situation vor Ort niemand mehr leben. Die persönliche Betroffenheit von Menschen, die die ggf. seit Generationen angestammte Heimat der Familie aufgeben sollen, kann ich einerseits gut nachvollziehen. Andererseits hat die RWE immer recht anständig entschädigt und im Zweifelsfall haben eben Gerichte entschieden. Da ich am Rande auch mit Entschädigungen für die Inanspruchnahme von privaten Flächen zu tun habe, ist mir aber auch sehr wohl bekannt, dass nicht so ganz wenige Betroffene schlicht und ergreifend versuchen, für sich durch möglichst weitgehenden Protest mehr raus zu holen, als aus den hierfür geltenden Regularien so für alle Betroffenen eigentlich einheitlich geregelt ist. D.h. die Motivation Betroffener vor Ort ist im Einzelfall durchaus zu hinterfragen, wenn die Nachbarn schon lange ihre sanierungsbedürftige Altimmobilie gegen den Neubau an anderer Stelle getauscht haben.

Insoweit lohnt es sich vermutlich nicht wirklich die wahren Gründe für einen Protest zu einem Thema zu ergründen, das sich schon lange erledigt hat. Es ist halt einfach eine Gelegenheit „gemeinsam was zu machen“.

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Das erinnert mich an die Mitte/Ende der 80er stattfindenden Demo und Schulstreiks gegen die sog. Abi-Deform. Da waren und Unter- und MIttelstufler dabei, die - so ergaben es Stichproben meinerseits, keinen Dunst von den Regelungen hatten, gegen die sie demonstrierten/streikten. Es ging einfach darum, Unterricht zu verpassen und an einem „Event“ teilzunehmen.

Auch wenn die meisten Demonstranten rund um GW2 sicherlich ein hehres Ziel teilen, scheinen genauso wie damals nicht alle so richtig zu wissen, worum es geht bzw. worum es ihnen geht. Mag sein, dass es - wie bei den Klebenden - die schiere Verzweiflung die Triebfeder ist, aber das Ziel der Dorferhaltung ist halt völlig Banane.

Moin,

ich kann die Proteste sehr gut verstehen.

Der Weiler und dessen Bestand retten vermutlich weder das Klima noch die Wohnungskrise. Von daher okay, kann man munter plattmachen. Die ehemaligen Eigentümer haben ihre Kohle (no pun intended) bekommen, die Gerichte haben es für rechtens befunden, also „Go, Schaufelradbagger, go“. Kann man so sehen.

Man kann so ein paar mittlerweile aufgegebene Häuschen aber als ein Pars pro toto unserer menschlichen Kultur sehen (ja, „Symbolpolitik“) und darauf zeigen, wie der unzeitgemäße Raubbau an der Natur/Landschaft/Umwelt nicht nur das kaputt macht, was die nervigen Bäume-Umarmer lieben sondern auch das, was die menschliche Zivilisation hervorgebracht hat.

Ich finde es vollkommen abstrus: Bei Windkraftanlagen werden erstaunliche Abstände zu Wohngebieten gefordert, beim Tagebau offenbar auch - nur dass da eben das Wohngebiet weggebaggert wird.

Von daher lautet meine Forderung an alle bedingungslosen Wirtschaftsfreunde: Angesichts der Energiekrise: Setzt Euch konsequenterweise dafür ein, mehr alleinstehende Häuser und Höfe dem Erdboden gleich zumachen, damit dort Windkraftanlagen entstehen können. So viel Konsequenz darf man ja wohl erwarten.

Happy Bulldozing,

Sebastian

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Nicht alles, was hinkt ist auch ein sinnvoller Vergleich. Wenn ich jetzt in Lützenrath demonstrierte, dann gewiss nicht wegen schulfrei oder aufgrund allgemeiner Lebenslageweile.

Das Argument ist meilenweit unter Deinem Standard :slight_smile:

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Über all das kann man diskutieren, aber darum ging es mir ja nicht. Es ging mir darum, dass sowohl die Demonstranten als auch die Medien so tun als sei es ein realistisches Szenario, dass Lützerath wieder ein (über)lebendes Dorf ist oder wird und das wiederum finde ich bestenfalls unrealistisch, aber eigentlich ist das sogar bei realistischer Betrachtung unrealistisch.

Wie gesagt: es geht nicht darum, was richtig, vernünftig oder am schönsten wäre, sondern darum, was die Aktivisten als realistisches Szenario bzw. als Ziel in den Raum stellen. Entweder als Ergebnis ihrer Leichtgläubigkeit oder einer Utopie, der sie nachhängen oder eben als bewusste Täuschung der Öffentlichkeit, um Sympathien zu erzeugen.

Es ist mir unklar, was Du mir oder uns mit diesem Absatz sagen willst.

Darf ich daran erinnern, dass es in meinem Text ein paar durchaus relevante Passagen gab, die Du möglicherweise versehentlich ausgelassen hast:

Wie gesagt: wer damit argumentiert oder Stimmung macht, dass das Dorf als Wohnort erhalten bleibt oder wiederaufersteht, ist entweder unabsichtlich völlig auf dem falschen Dampfer oder lügt und ich finde, dass man das bei aller berechtigten Kritik am Braunkohleabbau auch mal sagen.

Nicht vergessen:

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Kleine Korrektur. :point_up_2: