Luther der film

Hi,
für mich ist ein politischer oder religiöser Extremist nicht primär jemand, der gegen andere gewaltsam vorgeht, sondern jemand, der seine Ansichten (oder die seiner Gruppe/Religion) über alles andere stellt.

Das Dogma, das eigene Volk sei gegenüber anderen „auserwählt“, ist, wie Du selbst sagst, auch eine solche Extremposition, da sie alle Nichtjuden als „nicht auserwählt“ gegenüberstellt. Die Frage ist nur, was jemand daraus macht, Idioten, die es als Rechtfertigung für Gewalt nehmen, wird es immer geben.

Die Äußerungen Luthers waren zu dessen Lebenszeit aus moralischer Sicht für die Mehrzahl der Christen völlig in Ordnung. Heute haben wir andere Moralvorstellungen.
In unserem täglichen Leben spielt die herrschende Moral wohl eine wichtigere Rolle als übergeordnete ethische Überlegungen.

Genausogut könnten wir anführe, viele der Philosophen im antiken Griechenland seien Pädophile gewesen (da bestimmte Beziehungnen zwischen Knaben und älteren Männern als normal, wenn nicht gar vorteilhaft galten). Ich finde es deshalb fragwürdig, Deine Zitate (zumal sie im Film gar nicht vorkommen), als einzigen Beurteilungsmaßstab an Luther anzulegen.

Ich persönlich finde, dass der Film zu sehr ein Holywoodfilm ist, um eine kritische Auseinandersetzung mit Luther zu leisten. Die Dramatik, die emotionale Wirksamkeit steht vor der Historizität eindeutig im Vordergrund. Und z.B. ein orthodoxer Jude hätte bestimmt einen ganz anderen Film über Luther gemacht - und mit gleichem Recht dessen historische Authentizität behauptet.

Gruss Andreas

mehr als schwarz und weiß
Hallo Elke,

ich finde es schon ziemlich „unfair“ eine historische Person nach unseren heutigen Wissensstand zu verurteilen. Alles in allem ist die Sache wie immer etwas dfferenzierter zu betrachten - der junge Luther hat über Juden andere Dinge gesagt als der alte Luther. Der alte Luther war von Resignation und Verbitterung geprägt - er hatte sich erhofft, dass die Juden, wenn sie sehen, dass das „reine Evangelium“ endlich als Lehre gelebt werde kann, frei von katholischem Aberlauben, verstehen würden. Ihre „Verstockung“ hat dann zu diesen bösen Kommentaren verleitet. (Die damit nicht entschuldigt, aber erklärt sind und so aus dem Zusammenhang gerissen sowieso völlig unbrauchbar)Ob man das gut findet oder nicht, Luther hoffte auf _eine_ Kirche, eine Kirchenspaltung war nicht sein Ziel, seine Vision ging nicht in Erfüllung - da kann man schon mal etwas gefrustet sein:wink:. Ihn mit Göbbels auf eine Stufe zu stellen ist nicht nur „unfair“, sondern komplett unhistorisch.

Zitat:::

Der frühe Luther fand durchaus freundliche Worte für die Juden, denen er zugute hielt, dass der Messias aus ihrem Geschlecht stammte. So lautete auch der programmatische Titel einer Schrift: „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523). Er setzte sich dafür ein, die Juden im Sinne christlicher Nächstenliebe zu behandeln, sie auch gesellschaftlich zu integrieren, ihnen endlich freien Zugang zu den Handwerken zu gewähren, der ihnen im Mittelalter per päpstlicher Verordnung (4. Laterankonzil, 1215) verweigert wurde. Ganz selbstlos war diese Nächstenliebe freilich nicht: Sie sollte dazu beitragen, dass die Juden sich für die christliche Botschaft öffneten und von ihrem „Unglauben“ und ihrer „Halsstarrigkeit“ ablassen. Große Hoffnungen setzte Luther auf seine gerade erschienene Übersetzung des Neuen Testaments, wo die Juden nun endlich nachlesen konnten, dass Jesus der von den Profeten verheißene Messias ist.

Zitat Ende:::

aus:http://www.christen-und-juden.de/html/luther.htm

Ein bisschen was zum Kontext
http://www.luther.de/kontext/juden.html

Luther hat die Bibel übersetzt und den Menschen die Möglichkeit gegeben, sich selbst ein Bild zu machen. Luther hat das Gewissen über den bigotten Abverkauf von Sünden gestellt. Mag sein, dass das den meisten heute schon viel zu alltäglich und normal ist, um zu sehen, welche Leistng da dahinter steckt - Luther auf seinen Antijudaismus zu verkürzen verkennt komplett seine historische Leistung. Deshalb muss man nicht alles gut finden, was er gesagt hat, aber auch nicht alles verdammen, weil es einem in die eigene political correctness des 21. Jahrhunderts nicht passt.

grüße,

barbara

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nun zur eigentliuchen frage. ich habe oben genannten film
angeschaut. zuerst dachte ich der wird bestimmt super öde.
falsch gedacht. der film hat mich stellenweise sehr bewegt und
nachdenklich gemacht.

Ich habe den Film NICHT gesehen. Das zum ersten.

Aber Luther war ganz sicher nicht der schöne Mann, als der er den Plakaten nach gelten soll. Er war eher bodenständig, recht deftig im Ausdruck und soll Katharina von Bora nur aus einer Mischung von Verantwortung und Nachgeben wegen ständiger Sticheleien seiner Freunde geheiratet haben. Allerdings soll die Ehe dann recht gut gewesen sein.

Zu den judenfeindlichen Äußerungen Luthers muß man diese aber ganz sicher zum einen in die Zeit einordnen, in der sie geäußert wurden, zum anderen in die konkrete theologische Auseinandersetzung in der sich Luther befand, natürlich war er auf seine Art ein Eiferer und sowas hat zumeist zwei Seiten. Luther war wohl vor allem enttäuscht, daß sich die Juden nicht seiner Sicht auf die Dinge anschlossen.

Aber am besten machst Du Idr selbst ein Bild, es gibt ausreichend Seiten über Luther, in denen Du lesen kannst, was die Welt über weiß. :wink:

Gruß Maid

Hallo Barbara,
ich stimme dir zu. Ausser das mit der ‚political correctness‘,
mit diesem Argument wird heutzutage jedes Argument totgeschlagen,
im Sinne von: nur weil du ‚political correct‘ sein willst…
Nur war mir Andreas’ Rundumverteidigung auch suspekt - denn die
zitierten Aussagen Luthers kann man in ihren Kontext stellen,
man kann sie geschichtlich erklaeren, aber man kann sie nicht
ignorieren oder verzeihen.

Gruesse, Elke

einige wenige Details zur Historizität
Hallo Markus,

ich fand den Film nicht schlecht, und Deine Frage zeigt, dass er zum tieferen Nachdenken anregt.

Unmittelbar nach dem Film habe ich mich mit einigen Freunden unterhalten und wir haben die Unstimmigkeiten aufgezählt. Es war eine ganze Menge; mir fällt nur noch wenig ein:

  • eine Versammlung grummelt oder murrt nicht, wenn der Kaiser anwesend ist.
  • der ThesenANSCHLAG fand nicht statt.
  • die theologische Auseinandersetzung über den Ablass wurde falsch dargestellt

Tja, mehr weiß ich nicht mehr. Erkläre doch noch mal, was Dich bewegt hat.

Andreas

vorab: ich bin kein frommer mensch, in keinster weise
bibelfest. ich weiss wer luther war und weiss vonm seinen 95
thesen. ich bin nicht mehr in der kirche.

nun zur eigentliuchen frage. ich habe oben genannten film
angeschaut. zuerst dachte ich der wird bestimmt super öde.
falsch gedacht. der film hat mich stellenweise sehr bewegt und
nachdenklich gemacht.

wer von euch sah ebenfalls diesen film und kann mir sagen wie
nah an der realität er ist.

danke

markus

Ihn mit Göbbels
auf eine Stufe zu stellen ist nicht nur „unfair“, sondern
komplett unhistorisch.

Hallo Barbara,
Luther mit Goebbels oder Streicher auf eine Stufe zu stellen, finde ich absolut angebracht. Auch Goebbels hat sich auf Volksverhetzung beschränkt und sich nicht selbst die Hände mit Blut besudelt.

Wie lange muss Deiner Ansicht nach jemand tot sein, dass er Anspruch darauf hat, dass solche Äußerungen „etwas differenzierter zu betrachten“ sind? Wann dürfen wir anfangen, die antisemitischen Tiraden Hitlers und Konsorten „etwas differenzierter zu betrachten“?

Das Argument „aus dem Zusammenhang gerissen“ mag greifen, wenn dadurch die Aussage eines Zitates in ihrem Sinn entstellt wird. Das ist bei den hier vorgebrachten Zitaten durchaus nicht der Fall. Der „Zusammenhang“ den Du herstellst, entschuldigt nicht - da hast Du recht - aber er „erklärt“ auch nicht. Nicht in dem Sinne, dass er diese Ausbrüche des Hasses bei einem „Gottesmann“ in irgendeiner Weise nachvollziehbar macht.

Was bleibt, ist ein unübersehbares charakterliches Defizit. Da hilft keine Apologetik.

Freundliche Grüße,
Ralf

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ist eine alte Tugend, die versucht, sein Gegenüber mit Argumenten zu überzeugen…

Hallo,

Luther mit Goebbels oder Streicher auf eine Stufe zu stellen,
finde ich absolut angebracht. Auch Goebbels hat sich auf
Volksverhetzung beschränkt und sich nicht selbst die Hände mit
Blut besudelt.
Wie lange muss Deiner Ansicht nach jemand tot sein, dass er
Anspruch darauf hat, dass solche Äußerungen „etwas
differenzierter zu betrachten“ sind? Wann dürfen wir anfangen,
die antisemitischen Tiraden Hitlers und Konsorten „etwas
differenzierter zu betrachten“?

Es geht kaum darum, wie lange jemand tot ist, sondern darum, in welchem Kontext er gelebt hat.
Zunächst vorweg, nur zur Klärung: Antisemitismus ist rassistisch, Antijudaismus ist religiös. Jedem hier sollte klar sein, daß es zwischen dem christlichen, sehr alten Antijudaisums und dem Antisemitismus der Neuzeit eine direkte Verbindung gibt.
Na denn, nehmen wir mal denjenigen heraus, den unwissenden Menschen gerne als Antisemiten bezeichnen: den Evangelisten Johannes. Wer Johannes liest und die Geschichte der Menschheit bis heute kennt, wird sagen, das er ein Antisemit ist. Das ist trotzdem falsch. Johannes schreibt in einer Situation, in der er einer verfolgten und ausgegrenzten Minderheit angehört. Er hatte sicherlich nicht vor, um das Jahr 100 etwas zu schreiben, was man noch Jahrhunderte später als Entschuldigung für Massenmord benutzt. Können wir also Johannes vorwerfen, daß man dies getan hat, oder sind nicht die verantwortlich, die seine Schriften mißbraucht haben?

Das Argument „aus dem Zusammenhang gerissen“ mag greifen, wenn
dadurch die Aussage eines Zitates in ihrem Sinn entstellt
wird. Das ist bei den hier vorgebrachten Zitaten durchaus
nicht der Fall. Der „Zusammenhang“ den Du herstellst,
entschuldigt nicht - da hast Du recht - aber er „erklärt“ auch
nicht. Nicht in dem Sinne, dass er diese Ausbrüche des Hasses
bei einem „Gottesmann“ in irgendeiner Weise nachvollziehbar
macht.

Die Frage ist aber doch wohl, wessen Luther schuldig ist? Doch bitte nicht des Holocaust. Er ist zunächst „schuldig“ religiöser Intoleranz (mit den „Papisten“ ist er verbal auch nicht besser umgegangen). Dazu ist - und damit unterscheidet er sich WESENTLICH von all den Theologen, die sich Hitler angedient haben - festzustellen, daß es zu seiner Zeit den Gedanken religiöser Toleranz nicht gab. Er ist auch von selbst nicht drauf gekommen, ok. Es sei hier darauf hingewiesen, daß der große Humanist Erasmus so wie die anderen Humanisten seiner Zeit auch ebenfalls extrem judenfeindliche und haßerfüllte Äußerungen machten (so lobte er in einem Brief an Richard Bartholinus vom 10.03.1517, daß Frankreich „judenrein“ sei, es außerdem auch keine böhmische Schismatiker u.ä. gebe). Es waren eher die konservativen Fürsten jener Zeit, die Juden eine gewisse Rechtssicherheit garantierten (und das das nun auch nicht christliche Motive waren, kann man sich ja denken). Eine „politische“ Welle der antijüdischen Politik ergab sich zur Zeit Luthers, als es hieß, Juden würden in Böhmen Mission betreiben (die Historizität ist bis heute umstritten).
Luther ist also vorzuwerfen, daß er nicht auf eine Idee kam, auf die auch sonst keiner kam.
Ihm Antisemitismus vorzuwerfen, geht aber am Kern vorbei und entschuldigt zu leicht diejenigen, die religiöses mit nicht religiösem vermischt haben. Die Religion mißbraucht haben.

Was bleibt, ist ein unübersehbares charakterliches Defizit.

Luthers „charakterliches Defizit“ bestand darin, daß er es den Juden übel nahm, seine jahrelange Fürsprache für sie nicht zum Anlaß genommen zu haben, Christen zu werden. Darüber beklagt er sich immer wieder, daß sich niemand so sehr für sie eingesetzt hätte wie er. Und warum hat er es getan. Eben nicht, weil er religiös tolerant war, sondern weil er meinte, daß man sie missionieren sollte. Im Kontext seiner Zeit kann ihm kein Mensch ernsthaft übel nehmen, daß er missionieren wollte, aber was man ihm übel nehmen kann, ist seine verletzte Eitelkeit, die ihn, als er erfährt, die Juden missionierten in Böhmen (s.o., dies ist die Schrift, aus der der Threadgeber zitiert hat), zu derartigen Haßtiraden veranlaßt.
Diese Äußerungen sind selbstverständlich abzulehnen. Und dennoch ist Luther nicht auf einer Stufe mit Goebbels zu stellen. Sein „Lebensziel“ war nicht die Vernichtung der Juden, er hat sie nicht auf Volksversammlungen propagiert, er hat nicht unser Wissen und unsere historische Erfahrung gehabt und wollten wir ihn so beurteilen wie Goebbels, müßten wir fragen, was er in 1938 gesagt hätte, nicht 1540.
Und erfreulicher Weise hat Luther die kleine Weisheit besessen, nachfolgenden Generationen mit auf dem Weg zu geben, daß nicht die Tradition entscheidend ist, also auch nicht, was er gesagt hat, sondern „was Christum treibet“.

Grüße,
Taju

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Hallo Andreas,

  • der ThesenANSCHLAG fand nicht statt.

als das im Trailer lief war für mich (vielleicht leider) schon klar, dass ich den nicht sehen will. Warum zementiert so ein Film sowas auch noch?

Gruß
achim

P.S.: Das mit dem Ei in einem Kolumbus Film ist m.E. als klamauk o.k., ein Anschlag an die Tür aber verfälsch den Kern des Films doch beachtlich. (Falls es im Film nicht irgendwie revidiert wird, z.B. dass er das nur vorhatte oder träumte…)

Hallo Andreas,

fast geärgert habe ich mich über die Darstellung Melanchtons - bzw. Nicht-Darstellung. Er war 1530 die Schlüsselfigur (und damit endetet ja der Film), verfasste die confessio augustana, setzte Luther den Flo insohr, die Bibel zu übersetzen uswusf…:smile:, war seit seiner Witttenberger Zeit ein treuer Weggefährte und Freund und ist historisch ene wichtige Figur. Schade, dass der so unter den Tisch fiel.

Aber so darf man an solche Filme nicht rangehen, ich habe ihn als gutes Unterhaltungskino betrachtet - mehr nicht!

(und fand es deshalb sehr fein, dass Luthers Rolle nicht nach Ähnlichkeit gecastet wurde:wink:)…spielt Joseph Fiennes eigentlich auch ollen, die nach dem 17. Jahrhundert liegen? (ich kenne bisher Shakespeare in Love, Elisabeth und diesen hier…aber das ist jetzt sehr offtopic…)

grüßle,

barbara

Hallo Barbara et al.,

aus einem Interview mit Peter Ustinov zur Begegnung Friedrich der Weise / Luther:

„Ich habe die Theologen gefragt: Warum glauben Sie nicht, dass sich die beiden begegnet sind? Und sie: Das steht nirgends, dass sie sich getroffen haben. Da habe ich erwidert: Halten Sie es denn für möglich, dass ich eine Beziehung zu Doktor Hans Küng in Tübingen habe? Und die Theologen: Nein, ist doch eine ganz andere Welt. Und ich sage: Ich war Präsident eines UNESCO-Treffens in Valencia, und er war ein Delegat. Und wir haben uns lange gestritten und sind Freunde geworden. Das war auch nirgends zu lesen. Heißt das, dass wir uns deshalb nicht getroffen haben?“ (Chrismon, 10/2003)

Viele Grüße
;-Diana

Hi Markus,

Du hast ja schon eine ganze Reihe guter Antworten bekommen
ich möchte nur eine Ergänzung vornehmen.

wer von euch sah ebenfalls diesen film und kann mir sagen wie
nah an der realität er ist.

Der (bisher ungenannte) Hauptkritikpunkt, den ich vorbringen
möchte, bezieht sich auf die Darstellung von Friedrich v.
Sachsen, den Kaiser Maximilian und die Machtverhältnisse
und Interessen gegen Rom.

So ist die Besetzung Friedrichs durch Ustinov imho
die denkbar schlechteste Besetzung. Nach allem, was
wir von ihm (Friedrich) wissen, wäre wahrscheinlich der
inzwischen ausreichend gealterte Arnold Schwarzenegger eine
weitaus bessere (wenn auch nicht optimale) Besetztung (kein Witz).
Über einen „Fürsten“ wie Ustinov hätte man sich damals totgelacht.

Auch die Verwendung Luthers als Spielball im politischen Kampf
gegen Rom kam imho nicht mit wünschenswerter Deutlichkeit heraus.

Das soll erstmal reichen …

Euer CMБ

Hallo Taju

Es geht kaum darum, wie lange jemand tot ist, sondern darum, in
welchem Kontext er gelebt hat.

Hat nicht auch Goebbels in einem anderen Kontext gelebt als wir? Oder Gobineau? Oder Marr? Quod licet Jovi …

… aber genau darum geht es letzten Endes nicht. Es geht um Antisemitismus und Rassismus hier und heute und es geht darum, die Wurzeln dieser sozialen Krankheit zu sehen. Ein Einordnen in den historischen Kontext trägt sicherlich bis zu einem gewissen Grad zum Verständnis solcher Phänomene bei. Nicht aber, wenn dieses ‚Einordnen‘ auf ein Relativieren, Historisieren und damit letzlich auf Verharmlosen hinausläuft. Dann haben wir nur noch apologetische Augenwischerei. Und genau das lese ich hier aus diversen Postings heraus – auch wenn dabei beteuert wird, es ginge nicht darum, die ‚Lichtgestalt‘ Luther zu entschuldigen (um was zum Teufel geht es denn sonst).

Was bei diesem ganzen Relativieren aus den Augen verloren wird, ist die historische Rolle, die Luthers Antisemitismus gespielt hat. Und das ist das einzig Interessante. Nicht, ob er Auschwitz befürwortet hätte (was eine müßige und rein spekulative Diskussion wäre) – sondern ob er zu Auschwitz beigetragen hat. Also durchaus eine Einordnung in den historischen Kontext – aber nicht nur horizontal, in den zeitgenössischen Kontext, sondern vertikal, in die historische Entwicklungslinie. Wollten wir uns auf Ersteres beschränken, dann wäre das keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit Geschichte mehr, sondern nur das Erzählen alter Geschichten mit nicht mehr Relevanz als sie die z.Z. so beliebten „historischen“ Romane und Filmchen haben.

Zunächst vorweg, nur zur Klärung: Antisemitismus ist rassistisch,
Antijudaismus ist religiös. Jedem hier sollte klar sein, daß es zwischen
dem christlichen, sehr alten Antijudaisums und dem Antisemitismus
der Neuzeit eine direkte Verbindung gibt.

Und genau hier ist einer der Punkte, bei denen Luther eine bedeutende Schlüsselrolle in der Geschichte des modernen Antisemitismus spielt. Nicht nur, dass er persönlich mit dafür verantwortlich war, dass die von ihm reformierte Religion aus dem Fundus der alten den Antijudaismus übernahm – er ist einer der Ersten, bei denen sich der Wandel vom religiös inspirierten Antijudaismus hin zum modernen rassistischen Antisemitismus als Paradigmenwechsel andeutet; wo der „Makel“ jüdischer Abstammung nicht mehr durch die christliche Taufe „heilbar“ ist:

„Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.“
(Tischreden, Nr. 1795)

Nicht umsonst sagt Hitler 1923:
„Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen.“
(Dietrich Eckart, Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir, München 1924, S.34)

Wer Johannes liest und die Geschichte der Menschheit bis heute kennt,
wird sagen, das er ein Antisemit ist. Das ist trotzdem falsch … Können
wir also Johannes vorwerfen, daß man dies getan hat, oder sind nicht die
verantwortlich, die seine Schriften mißbraucht haben?

Wenn jemand eindeutig in die antisemitische Tradition einzuordnen ist, wenn sich Antisemiten auf ihn als Autorität berufen, dann habe ich keine Bedenken, ihn auch einen Antisemiten zu nennen. Wie eben im Falle Luthers und seiner modernen Nachfolger - um etwa die ‚Alldeutschen‘ Franz Stein und Karl Hermann Wolf oder Georg Schönerer, den Leiter der Gustav-Adolf-Vereine, zu nennen, die ihrerseits starken Einfluss auf Hitlers Antisemitismus hatten. Dies ist die direkte historische Verbindungslinie, der ‚vertikale Kontext‘, von dem ich gesprochen habe – von Luther zu Hitler (Empfohlene Literatur: Brigitte Hamann, Hitlers Wien - Lehrjahre eines Diktators, Piper Verlag München 1996).

BTW (Hitler in Wien) - da fällt mir Barbaras Bemerkung ein:

der junge Luther hat über Juden andere Dinge gesagt als der alte Luther

Auch der junge Hitler hat über Juden andere Dinge gesagt als der alte. Schwacher Trost, irgendwie macht’s das nicht besser …

Und dann gab es ja auch später nicht nur die ‚Bekennende Kirche‘ - auch wenn man heute auf Grund des publizistischen Lärms glauben könnte, Bekennende Kirche und Evangelische Kirche seien im Nationalsozialismus Synonyme gewesen. Es gab in den evangelischen Kirchen vor allem die ‚Deutschen Christen‘ und den Reichsbischof Ludwig Müller, es gab die ‚Reichsbewegung Deutschland‘ bzw. (ab 1938) die ‚Lutherdeutschen‘. Auch die konnten sich mit vollem Recht auf Luther berufen und haben dies auch getan.

Wenn Luther schreibt (natürlich alles aus dem Zusammenhang gerissene Zitate):

Man soll ihre „Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecken“, „daß man ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre … Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun“, "daß man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe ", „nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold“, „daß man den jungen und starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen“, „Summa: … daß ihr und wir alle der … teuflischen Last der Juden entladen werden“

– kann man dann wirklich noch ernsthaft fragen:

sind nicht die
verantwortlich, die seine Schriften mißbraucht haben?

Ist das, was Luther da fordert, nicht genau das, was in der Reichspogromnacht (vielleicht nicht ganz zufällig am Vorabend von Luthers Geburtstag) und in den KZ’s (nicht das Vergasen, aber doch die ‚Vernichtung durch Arbeit‘) geschah? Kann man da wirklich von Missbrauch reden und Luthers Aussagen damit verharmlosen, er habe eben nicht gewusst, dass man seine Vorschläge eines Tages in die Wirklichkeit umsetzen könnte – er habe ja nur geredet und geschrieben? Ich zumindest habe keine Bedenken, Luther einen antisemitischen Schreibtischtäter übelster Art zu nennen.

Sicher gibt es neben dem Antisemiten Luther auch den genialen Übersetzer Luther und den Theologen Luther – ich will den Mann und sein Wirken gar nicht auf diesen einen Punkt reduzieren und ihn kleinreden. Aber es ist nur allzu bedenklich, wenn in Machwerken wie dem Luther-Film anscheinend solche Züge (wie vermutlich auch die widerlich opportunistische Haltung zum Bauernkrieg) zugunsten kritikloser Heldenverehrung ausgeklammert und verschwiegen werden. Wenn wir den Antisemitismus – und das heisst nicht nur seine psychologischen, sondern auch seine historischen Wurzeln – nicht schonungslos offenlegen, riskieren wir eine Wiederholung der Geschichte.

Und – schließlich geht es in diesem Brett um Ethik und ich hatte Luther charakterliche Defizite vorgeworfen – wenn wir nicht erkennen, dass all unser Handeln, unser Denken, Reden und Schreiben, Konsequenzen hat, für die wir verantwortlich sind, wird diese Welt nie ein besserer Ort zum Leben werden. Diese ethische Lehre könnte man aus einer nicht allzu einäugigen Biographie Luthers ziehen. Der Fernsehfilm dagegen war wohl nur seichte Abendunterhaltung - und Rudolf hatte völlig recht, darauf hinzuweisen, wie sehr man das Bild Luthers dort geschönt hat. Gerade, weil nach der historischen Glaubwürdigkeit des Filmes gefragt war.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Barbara,

spielt Joseph Fiennes
eigentlich auch ollen, die nach dem 17. Jahrhundert liegen?

schau mal hier :wink:
http://german.imdb.com/name/nm0001212/

Gruss Harald

Hallo Ralf,
ich weiß nicht, ob Du wirklich gelesen hast, was ich geschrieben habe. Jedenfalls habe ich nicht auf die Bekennende Kirche hingewiesen, um irgenwie irgendwas oder -jemand zu entschuldigen. Gerade im Gegenteil habe ich auf die Theologen der 30er Jahre hingewiesen, die zu gerne einen theologischen Überbau für die nationalsozialistische gegeben habe. Sorry, aber ich kann nicht anders, als - gerade angesichts dessen, was sie hätten wissen müssen (und es geht da nicht um Ausschwitz, sondern um ihr theologisches Wissen) - Ihnen „persönliche Mitschuld“ zuzuschreiben, was ich kaum bei jemandem kann, der 400 Jahre zuvor gelebt hat.

Hat nicht auch Goebbels in einem anderen Kontext gelebt als
wir? Oder Gobineau? Oder Marr? Quod licet Jovi …

Der Bezugspunkt des Kontexts ist: Trägt jemand für Ereignisse die Schuld bzw. unmittelbare Verantwortung. Kann man jemanden persönlich vorwerfen, so zu denken, wie es zu seiner Zeit „normal“ ist? Ich nehme mal an, die meisten hier würden immer für die Staatsform Demokratie plädieren oder ganz diffus für Humanismus, auf dessen - in Deinem Sprachgebrauch - „antisemitische“ Begründer ich im letzten Posting hingewiesen habe. Sind wir dann auch für alle Verbrechen verantwortlich, die im Namen der Demokratie- und Humanismusüberzeugten in einigen Jahrhunderten begangen werden?
d

genau das lese ich hier aus diversen Postings heraus –
auch wenn dabei beteuert wird, es ginge nicht darum, die
‚Lichtgestalt‘ Luther zu entschuldigen (um was zum Teufel geht
es denn sonst).

Es geht um Sachlichkeit. Was Du tust, ist eigentlich nachfolgende Generationen zu entschuldigen. Antisemitismus eine „soziale Krankheit“? Und Luther hat die Welt nach ihm „angesteckt“? Was mit solchen Äußerungen getan wird, ist die historische Entwicklung des Antisemitismus zu verschleiern, als hätte diese böse Krankheit nicht anders gekonnt, als irgendwann zu ihrer Krisis zu kommen. Blieb den Deutschen dann nichts anderes übrig? Wie einfach wäre es, wenn Luther an allem Schuld wäre… d.h. wir erlauben Luther zwar keinen historischen Kontext, aber den nachfolgenden Generationen eine überzeitliche Schuldverstrickung, ohne uns zu fragen, warum denn doch jemand auf die Idee gekommen ist, daß - um im kirchlichen KOntext zu bleiben - nur gregorianisch singen darf, wer für die Juden schreit (das war die Lichtgestalt Bonhoeffer, dessen Frauenbild zur Weglaufen ist).

Was bei diesem ganzen Relativieren aus den Augen verloren
wird, ist die historische Rolle, die Luthers Antisemitismus
gespielt hat. Und das ist das einzig Interessante. Nicht, ob
er Auschwitz befürwortet hätte (was eine müßige und rein
spekulative Diskussion wäre) – sondern ob er zu
Auschwitz beigetragen hat. Also durchaus eine Einordnung in
den historischen Kontext – aber nicht nur horizontal, in
den zeitgenössischen Kontext, sondern vertikal, in die
historische Entwicklungslinie. Wollten wir uns auf Ersteres
beschränken, dann wäre das keine ernstzunehmende
Auseinandersetzung mit Geschichte mehr, sondern nur das
Erzählen alter Geschichten mit nicht mehr Relevanz als sie die
z.Z. so beliebten „historischen“ Romane und Filmchen haben.

Es mag sein, daß Dich nur interessiert, welche Wirkungsgeschichte Luthers Äußerungen haben. Andere interessiert, wie seine Äußerungen im Rahmen seiner Zeit zu interpretieren ist. Da Du von „persönlicher Schuld“ sprichst, kann systematisch historisches Denken nur kontextuell fragen. Auch Barbara hat ebensowenig wie ich die Wirkungsgeschichte bestritten geschweige denn relativiert. Ich denke, wir haben beide deutlich gemacht, daß es uns um die Person, nicht um ihre Wirkungsgeschichte ging.

Und genau hier ist einer der Punkte, bei denen Luther eine
bedeutende Schlüsselrolle in der Geschichte des modernen
Antisemitismus spielt. Nicht nur, dass er persönlich mit dafür
verantwortlich war, dass die von ihm reformierte Religion aus
dem Fundus der alten den Antijudaismus übernahm – er ist
einer der Ersten, bei denen sich der Wandel vom religiös
inspirierten Antijudaismus hin zum modernen rassistischen
Antisemitismus als Paradigmenwechsel andeutet; wo der „Makel“
jüdischer Abstammung nicht mehr durch die christliche Taufe
„heilbar“ ist:

Ein Paradigmentwechsel setzt voraus, das es ein Paradigma gibt, oder das es geschaffen worden ist.

„Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke
führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinabstoßen und
sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.“

(Tischreden, Nr. 1795)

Rassismus ist ein Kind der Moderne. Ich weiß, meine Beteuerungen nützen nichts, es sei trotzdem gesagt, daß ich Verfolgung anderer aus religiösen Gründen für ebenso verwerflich halte wie aus irgendwelchen anderen.
Die Unterscheidung zwischen Semiten und Ariern kam um 1860 in der Sprachwissenschaft auf und wurde von allen Wissenschaften quasi als „Dogma“ angenommen. Aus dieser Unterscheidung wurden Mentalitätsunterschiede angenommen und schließlich auch biologisch-vermeßbare. Warum das wichtig ist?
Nun, hätten sich die Christen, zumindest die „Elite“ unter ihnen, die unter Berufung auf Luther der Naziideologie gefolgt sind, ihren Luther wirklich durchgelesen, wäre ihnen aufgefallen, daß sie sich eigentlich nicht auf ihn berufen können.
Zum anderen spielt beim modernen Antisemitismus nicht nur der christliche Antijudaismus eine gewichtige Rolle, sondern auch die moderne „Naturwissenschaft“. Die ganze Rassenlehre ist kaum eine Sache der Religion, sondern hat ihre Wurzeln in Anatomie und Biologie, Wissenschaften, die so erst möglich waren, nach der intellektuellen Abkoppelung von der Theologie. Das bedeutet aber doch auch, daß wir dann mehr als einen Herd für eine „Krankheit“ haben und um alle Herden sehen zu können, sollte man meiner Meinung nach nicht mit allen emotionalen Haß aus „Lichtgestalten“ „Dämonen“ machen. Das verschließt den Blick. Zu oft wird „Antisemitismus“ als religiös und damit irrational verstanden, was gefährlich ist, denn damit ist einem „Glaube“ an die ratio Tür und Tor geöffnet, die genauso antisemitische und rassistische Denkweisen kennt und rational (sic!) begründet hat.

Ist das, was Luther da fordert, nicht genau das, was in der
Reichspogromnacht (vielleicht nicht ganz zufällig am Vorabend
von Luthers Geburtstag) und in den KZ’s (nicht das
Vergasen, aber doch die ‚Vernichtung durch Arbeit‘) geschah?
Kann man da wirklich von Missbrauch reden und Luthers
Aussagen damit verharmlosen, er habe eben nicht gewusst, dass
man seine Vorschläge eines Tages in die Wirklichkeit umsetzen
könnte – er habe ja nur geredet und geschrieben? Ich
zumindest habe keine Bedenken, Luther einen antisemitischen
Schreibtischtäter übelster Art zu nennen.

Viel schlimmer: Luthers Äußerungen „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) liest sich wie die Tischvorlage der Wannseekonferenz. Ebensolche findest Du unter seinen Zeitgenossen (Erasmus, Pfefferkorn). Das macht die Sache nicht besser. Und dennoch hat sich niemand zu Recht auf ihn berufen, der 400 Jahre später Juden, Sinti, Roma und andere ermordete.

Und – schließlich geht es in diesem Brett um Ethik und
ich hatte Luther charakterliche Defizite vorgeworfen –
wenn wir nicht erkennen, dass all unser Handeln, unser Denken,
Reden und Schreiben, Konsequenzen hat, für die wir
verantwortlich sind, wird diese Welt nie ein besserer
Ort zum Leben werden. Diese ethische Lehre könnte man aus
einer nicht allzu einäugigen Biographie Luthers ziehen. Der
Fernsehfilm dagegen war wohl nur seichte Abendunterhaltung -
und Rudolf hatte völlig recht, darauf hinzuweisen, wie sehr
man das Bild Luthers dort geschönt hat. Gerade, weil nach der
historischen Glaubwürdigkeit des Filmes gefragt war.

Sicherlich habe ich charakterliche Defizite, soweit heute feststellbar, nicht bestritten, nur woanders gesehen. Und Du hast völlig recht, daß das Beispiel Luthers lehrt, wie verantwortungsvoll man mit seinen Worten umgehen soll (man bedenke diese Diskussion und welch geringen Stellenwert das Thema „Juden“ im Gesamtwerk Luthers überhaupt hat). Aber sollten wir nun glauben, daß keines unserer Worte mal als Begründung für ein Verbrechen herhalten kann, dann sind wir auf dem Holzweg. Es war übrigend Luther selbst, zu dessen wirklich originellen Gedanken es zählt, daß der Mensch immer in Schuldverstrickung lebt. Seiner eigenen Theologie nach dürfte er der letzte sein, der seine Schuldverstrickung aufgrund seiner Wirkungsgeschichte leugnet. Aber vielleicht erschrickt ja auch der Mann in Wittenberg, allein weil er kaum ahnen konnte, daß man ihn für zitierungswürdig hält…

Grüße,
Taju

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vielen dank
hallo

dank an euch alle für die vielen antworten und hinweise.

markus

hallo

Auch wenn Luther als Person im Film etwas beschönigt wurde (er wart in Wirklichkeit ja auch nur ein mensch) so ist doch sein Anliegen, die Situation etc völlig echt. Luher hat in diesem Sinne die christenheit zumindest die die es wollen wieder zur echten Wurzel, Jesus und Gottes Wort die Bibel, geführt.

Gruss
Beat

Hallo Taju,
keine Sorge, ich gebe mir schon Mühe, Postings die ich beantworte, auch genau zu lesen :wink:

Jedenfalls habe ich nicht auf die Bekennende Kirche hingewiesen, um
irgenwie irgendwas oder -jemand zu entschuldigen. Gerade im Gegenteil
habe ich auf die Theologen der 30er Jahre hingewiesen, die zu gerne einen
theologischen Überbau für die nationalsozialistische gegeben habe.

Nun, da wollte ich Dir auch nichts unterstellen. Ich habe die ‚Deutschen Christen‘ u.a. in die Diskussion eingebracht um zu belegen, dass Luther nicht nur prägend für Hitlers persönlichen Antisemitismus war, sondern dass das evangelische Christentum in Deutschland insgesamt stark antisemitisch geprägt war. Sicher ist dafür nicht Luther alleine verantwortlich, aber er gab als höchste Autorität dem Antisemitismus der ‚Deutschen Christen‘, der ‚Lutherchristen‘, der ‚Gustav-Adolf-Vereine‘ usw. seine Legitimation und höhere Weihe. Es ist mir schon klar, dass Dir das bewusst ist – in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings scheint mir ‚EKD im dritten Reich‘ weitgehend auf die ‚Bekennende Kirche‘ reduziert, was eine arge Verzerrung der tatsächlichen Verhältnisse ist. Ich habe also für das un- oder fehlinformierte Publikum gesprochen, das die EKD womöglich für eine Art antifaschistische Widerstandsbewegung hält - nicht für Dich speziell.

Der Bezugspunkt des Kontexts ist: Trägt jemand für Ereignisse die Schuld
bzw. unmittelbare Verantwortung.

Was heisst „unmittelbare Verantwortung“? Unmittelbar verantwortlich ist der KZ-Scherge, der den Gashahn aufdreht, der den Genickschuss aufsetzt, der den Häftling totprügelt. Wie sieht es mit der Verantwortlichkeit von „Bruder Eichmann“ aus, mit Hitlers Verantwortlichkeit, überhaupt mit der Verantwortlichkeit derjenigen, die sich nicht selbst die Hände schmutzig bzw. blutig gemacht haben? Muss man nicht hier schon strenggenommen von einer „mittelbaren Verantwortung“ reden? Und wie sieht es mit den Begründern des rassistischen Antisemitismus aus (ich hatte beispielhaft Gobineau und Marr genannt)? Hier aber doch sicher *nur* mittelbare Verantwortung – oder muss man sie sogar schon gänzlich freisprechen? Schließlich war – kontextbedingt – auch zu ihrer Zeit der Antisemitismus gesellschaftlich durchaus respektabel. Wo war er das vor 1933 nicht?

Nein, natürlich ist Luther nicht unmittelbar für den Holocaust verantwortlich. Die Frage ist, wie weit er mittelbar dafür verantwortlich ist.

Kann man jemanden persönlich vorwerfen, so zu denken, wie es zu seiner
Zeit „normal“ ist?

Ich möchte nun keine philosophische Grundsatzdiskussion über Willensfreiheit beginnen – daher gebe ich hier also unbegründet meiner Meinung Ausdruck, dass es immer eine Freiheit zum Guten wie zum Schlechten gibt. Du und Barbara, Ihr suggeriert, Luther hätte sich auf Grund der Zeitumstände, des historischen Kontextes, gar nicht anders als antisemitisch äußern können. Andererseits widerlegt Ihr Euch selbst, indem ihr auf die Haltung des frühen Luther gegenüber den Juden hinweist. Wie ist das zu verstehen? Konnte sich der frühe Luther nun wiederum aufgrund des anderen, des früheren historischen Kontextes nur judenfreundlich äußern? Läuft das auf Luthers eigene These vom „geknechteten Willen“ (servo arbitrio) hinaus? Dann allerdings kann man gleich die ganze Menschheitsgeschichte als nebulöses Verhängnis deklarieren.

Der geifernde Judenhass des alten Luther jedenfalls ist selbst für die Maßstäbe seiner Zeit nicht „normal“. Nur nebenbei - es waren ja auch beileibe nicht alle Humanisten auch Judenfeinde, auch Grotius und Thomasius ein halbes Jahrhundert nach Luther sind nicht einfach vom Himmel gefallen. Was ist z.B. mit Johannes Reuchlin?

Es geht um Sachlichkeit. Was Du tust, ist eigentlich nachfolgende
Generationen zu entschuldigen.

Wie kommst Du denn auf diese abstruse Idee? Zunächst einmal – es geht mir absolut nicht um „Schuld“. Der Begriff Schuld hat seinen Platz im kaufmännischen Bereich und meinetwegen in einer jüdisch-christlich geprägten Ethik. Mit letzterer habe ich nichts am Hut. Ich ziehe es vor, von Verantwortlichkeiten zu sprechen – von Ursachen und Wirkungen. Wenn ich einer bestimmten Wirkung eine Ursache zuordne, hat das absolut nichts mit „entschuldigen“ zu tun. Dass Einstein die Relativitätstheorie entwickelt hat, entschuldigt nicht den Abwurf von „Little Boy“ auf Hiroshima – auch wenn beides in einer kausalen Verbindung miteinander steht.

Antisemitismus eine „soziale Krankheit“? Und Luther hat die Welt nach
ihm „angesteckt“? Was mit solchen Äußerungen getan wird, ist die
historische Entwicklung des Antisemitismus zu verschleiern, als hätte diese
böse Krankheit nicht anders gekonnt, als irgendwann zu ihrer Krisis zu
kommen. Wie einfach wäre es, wenn Luther an allem Schuld wäre… d.h. wir
erlauben Luther zwar keinen historischen Kontext, aber den nachfolgenden
Generationen eine überzeitliche Schuldverstrickung

Da überstrapazierst Du die Metapher von der sozialen Krankheit aber reichlich. Das gleitet ins Unsachliche ab. Weil ich Luthers Judenhass als eine der Wurzeln des nationalsozialistischen Antisemitismus denunziere, verschleiere ich die die historische Entwicklung des Antisemitismus? Das müsstest Du aber mal näher erläutern.

Im übrigen wirst Du aus keinem meiner Postings – weder in diesem noch in anderen Threads zu den Themen Rassismus und Antisemitismus - herauslesen können, dass ich den modernen Antisemitismus monokausal (etwa durch Zurückführung auf Luther) erkläre. Es hätte den modernen Antisemitismus natürlich auch ohne Luther gegeben (auf den russischen Antisemitismus hat er z.B. keinen Einfluss gehabt). Aber ohne Luther wäre der Antisemitismus des dritten Reichs ein anderer gewesen. Es ist müßig, zu spekulieren, ob er mehr oder weniger blutrünstig gewesen wäre, ob er in der Bevölkerung (zumal der evangelischen) mehr oder weniger Unterstützung gefunden hätte – Fakt ist, dass man Luther aus der Geschichte des Antisemitismus nicht herauskomplimentieren kann, ohne ein wesentliches Element zu unterschlagen.

Es mag sein, daß Dich nur interessiert, welche Wirkungsgeschichte Luthers
Äußerungen haben. Andere interessiert, wie seine Äußerungen im Rahmen
seiner Zeit zu interpretieren ist.

Mich interessiert beides. Sich lediglich auf Letzteres zu beschränken, hat allenfalls Relevanz als persönliches Steckenpferd. Ich hatte es schon gesagt – das wären Geschichtchen, keine Geschichte.

Da Du von „persönlicher Schuld“ sprichst, kann systematisch historisches
Denken nur kontextuell fragen.

Ich habe nirgendwo von „persönlicher Schuld“ gesprochen – auch wenn Du es wie ein Zitat in Anführungszeichen setzt. Ich habe von charakterlichen Defiziten einerseits und von Verantwortlichkeiten andererseits gesprochen. Um es nochmals eindeutig klarzustellen: mit ‚verantwortlich‘ meine ich wirkende Ursache sein. Ob Luther mit seinen Äußerungen gegen die Gebote oder gegen den Geist seiner Religion gehandelt und zum Schuldner seines Gottes geworden ist, interessiert mich weniger. Ich denke allerdings schon, dass man es so sehen kann – zeitgenössischer Kontext hin oder her.

Auch Barbara hat ebensowenig wie ich die
Wirkungsgeschichte bestritten geschweige denn relativiert. Ich denke, wir
haben beide deutlich gemacht, daß es uns um die Person, nicht um ihre
Wirkungsgeschichte ging.

Zugestanden - allerdings scheint mir eine solche Reduktion in Anbetracht des ernsten Themas zu kurz gegriffen - s.o. Genau aus diesem Grund habe ich nach Barbaras Posting in die Debatte eingegriffen.

Ein Paradigmentwechsel setzt voraus, das es ein Paradigma gibt, oder das
es geschaffen worden ist. …
Rassismus ist ein Kind der Moderne.

Und Antijudaismus ein Kind der Antike und des Christentums. Der Antijudaismus ist der alte ehrwürdige Vater und der Rassismus die junge moderne Mutter des Antisemitismus. Geschenkt. Den Paradigmenwechsel sehe ich schon bei Luther sich anbahnen, weil er die Juden als unheilbar verstockt ansieht – da sie nicht missioniert werden können, sollen und dürfen sie vernichtet werden. Dass das entscheidend Neue bei ihm die „Unheilbarkeit“ des Judentums ist, hatte ich ja bereits gesagt. Das ist das Bindeglied zwischen der Auffassung vom Juden als einem Menschen mit der falschen Religion zur Auffassung vom Juden als einem auszurottenden Schädling, als Untermenschen.

Ich weiß, meine Beteuerungen nützen nichts, es sei trotzdem gesagt, daß
ich Verfolgung anderer aus religiösen Gründen für ebenso verwerflich halte wie
aus irgendwelchen anderen.

Würde mir nicht im Traum einfallen, Dir einfach wegen einer anderen Wertung der historischen Rolle Luthers militante Intoleranz vorzuwerfen …

Nun, hätten sich die Christen, zumindest die „Elite“ unter ihnen, die unter
Berufung auf Luther der Naziideologie gefolgt sind, ihren Luther wirklich
durchgelesen, wäre ihnen aufgefallen, daß sie sich eigentlich nicht auf ihn
berufen können.

Wenn Du es sagst …

nicht mit allen emotionalen Haß aus „Lichtgestalten“ „Dämonen“ machen.
Das verschließt den Blick.

Ich frage mich ernsthaft, warum einem bei kritischen Äußerungen gegenüber Christentum / Kirche / christlichen Leitfiguren immer gleich Hassgefühle unterstellt werden. Ob das eine tieferliegende psychologische Ursache hat? Aber das nur nebenbei. Ich wehre mich gegen eine Glorifizierung Luthers (wie sie z.B. durch den zur Diskussion stehenden Film betrieben wurde), weil sie den Blick auf die unheilvollen Aspekte seines Wirkens verstellt. Das heisst nicht automatisch, dass ich ihn dämonisiere.

Zu oft wird „Antisemitismus“ als religiös und damit irrational verstanden, was
gefährlich ist, denn damit ist einem „Glaube“ an die ratio Tür und Tor geöffnet,
die genauso antisemitische und rassistische Denkweisen kennt und rational
(sic!) begründet hat.

Die Vernunft, die ratio, ist kein einfach zu handhabendes Werkzeug und sie hat auch ihre Grenzen. Aber das, was sich als „rationale“ Begründung von rassistischen Ideologien geriert, ist nie mehr als bloße Scheinvernunft gewesen. Ich bin in der Tat der Überzeugung, dass Rassismus und Antisemitismus aus ihrer irrationalen Grundhaltung heraus sehr viel mehr mit Religion als mit Wissenschaft zu haben. Man könnte sie mit einem gewissen Recht als „Religion des Bösen“ und ihre pseudowissenschaftlichen Begründungen als eine „Theologie des Bösen“ bezeichen. Keine schmeichelhafte Nachbarschaft, aber auch kein Verdammungsurteil für die Religion.

man bedenke … welch geringen Stellenwert das Thema „Juden“ im Gesamtwerk
Luthers überhaupt hat

Nun, das mit dem Stellenwert ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Ein evangelischer Christ wird den Stellenwert sicher anders ansetzen als ein Atheist, den am „Gesamtwerk Luthers“ eher die politischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen interessieren als theologische Spekulationen. Und ein Jude wird mit Sicherheit – und zu recht – wieder eine andere Auffassung davon haben, welchen Stellenwert dieses Thema hat.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Ralf,

keine Sorge, ich gebe mir schon Mühe, Postings die ich
beantworte, auch genau zu lesen :wink:

Beruhigens:wink:

Ich möchte nun keine philosophische Grundsatzdiskussion über
Willensfreiheit beginnen – daher gebe ich hier also
unbegründet meiner Meinung Ausdruck, dass es immer eine
Freiheit zum Guten wie zum Schlechten gibt. Du und Barbara,
Ihr suggeriert, Luther hätte sich auf Grund der Zeitumstände,
des historischen Kontextes, gar nicht anders als antisemitisch
äußern können. Andererseits widerlegt Ihr Euch selbst,
indem ihr auf die Haltung des frühen Luther gegenüber den
Juden hinweist. Wie ist das zu verstehen? Konnte sich der
frühe Luther nun wiederum aufgrund des anderen, des früheren
historischen Kontextes nur judenfreundlich äußern? Läuft das
auf Luthers eigene These vom „geknechteten Willen“ (servo
arbitrio) hinaus? Dann allerdings kann man gleich die ganze
Menschheitsgeschichte als nebulöses Verhängnis deklarieren.

Nun, wogegen wir uns wohl wehren ist, daß man - und vielleicht bist Du da unbegründet mit hinein geraten - doch oft bei Diskussionen den Eindruck hat, daß es ohne Luther den Holocaust gar nicht erst gegeben hätte. „Was-wäre-wenn-Geschichte“ widerstrebt grundsetzlich meinem Ego als Kirchenhistorikerin, aber ich bezweifle das.
Luthers These vom servo arbitrio bezieht sich übrigens darauf, daß der Mensch keinen freien Willen vor Gott hat (es geht hier um die Frage nach dem Heil), er hat aber einen freien Willen gegenüber seinen Mitmenschen. Ich habe auch schon darauf hingewiesen, daß die Rolle, die Luthers Äußerungen bei der späteren Begründung zum Massenmord, theologisch eine gute Illustration sind für die Frage nach der Schuldverstrickung des Menschen. Tatsächlich denke ich, daß jeder gut lutherisch denkende Theologe gerade an seiner „Identifikationsfigur“ das „Verhängnis“ illustrieren kann. THeologie, soweit sie Dogmatik ist, denkt überzeitlich bzw. in einem dreidimensionalen Raum.
Zu Deiner Kritik an der EKD: ICh habe das nie so gesehen, daß sie sich allein auf die BK beruft, vielleicht liegt es auch daran, daß ich selbst zu sehr „drin“ bin. Zumindest sei versichert, daß jeder Theologiestudent, der bei mir gelernt hat, weiß, daß es sich bei den Mitgliedern der BK um eine Minderheit handelte. Und den ging es auch nicht unbedingt um die Juden, sondern eher darum, daß die „Deutschen Christen“ eine Perversion eines protestantischen Christentum darstellten, theologisch und „politisch“. Auch Bonhoeffer hat sich zunächst schlicht für die Situation der Juden nicht interessiert… (auch da wird es sehr gerne anders dargestellt…).

– Fakt ist, dass man Luther aus der Geschichte des
Antisemitismus nicht herauskomplimentieren kann, ohne ein
wesentliches Element zu unterschlagen.

Dazu kein Widerspruch. Mein Ansatz leigt aber bei denen, die Luther erneut benutzt haben und damit in der Theologiegeschichte. Ich halte es für eine gute Tradition des Luthertums, ihren Luther eigentlich nie zu ernst genommen zu haben. Du wirst schon in der sogenannten „altlutherischen Orthodoxie“ nicht die Tradition finden, daß irgendetwas, nur weil Luther es sagt, richtig ist. Gerade mit der historisch-kritischen Exegese Ende des 19.Jh. setzt einerseits ein neues Interesse an Luther an, andereseits auch eine intensive Lutherkritik. Daß eben etwas, weil es alt ist, auch wahr ist, halte ich für eine nicht nur theologiegeschichtliche Leistung (also Wirkung) Luthers selbst. Nun findest Du im Dritten Reich Theologen, die sich in Sorge um Erhalt ihres Lehrstuhls, ihres Gehalts und wohl auch ihrer Relevanz im Staate (das Programm der Nazis war ausgesprochen kirchenfeindlich), die nun plötzlich Beweise führen, der Vater Jesu sei ein römischer Soldat (= Arier) gewesen, er also kein Jude u.ä. und ihre Perversion ihres eigenes Wissen mit einem „Luther hat gesagt, daß…“ legitimieren. Wenn Du deren WErke aus den 20er Jahren liest, dann erkennt man, daß sie es besser wußten. Die Deutschen Christen wiederum wurden wesentlich von einem großen Teil der theologischen Elite getragen und hätten nicht einen derart großen Erfolg gehabt, wären sie nicht dabei gewesen. Sie haben aber im Umgang mit Luther ebenfalls einen Paradigmenwechsel vorgenommen.

Ich habe nirgendwo von „persönlicher Schuld“ gesprochen
– auch wenn Du es wie ein Zitat in Anführungszeichen
setzt. Ich habe von charakterlichen Defiziten einerseits und
von Verantwortlichkeiten andererseits gesprochen. Um es
nochmals eindeutig klarzustellen: mit ‚verantwortlich‘ meine
ich wirkende Ursache sein. Ob Luther mit seinen Äußerungen
gegen die Gebote oder gegen den Geist seiner Religion
gehandelt und zum Schuldner seines Gottes geworden ist,
interessiert mich weniger. Ich denke allerdings schon, dass
man es so sehen kann – zeitgenössischer Kontext hin oder
her.

Wenn Du jedoch auf die große Wirkung, die er auf seine Anhänger hat, verweist, ist es ja vielleicht doch wichtig, gerade diesen seine Fehlbarkeit mit seiner eigenen Theologie vorzuführen…:wink:

Und Antijudaismus ein Kind der Antike und des Christentums.
Der Antijudaismus ist der alte ehrwürdige Vater und der
Rassismus die junge moderne Mutter des Antisemitismus.
Geschenkt. Den Paradigmenwechsel sehe ich schon bei Luther
sich anbahnen, weil er die Juden als unheilbar verstockt
ansieht – da sie nicht missioniert werden können, sollen
und dürfen sie vernichtet werden. Dass das entscheidend Neue
bei ihm die „Unheilbarkeit“ des Judentums ist, hatte ich ja
bereits gesagt. Das ist das Bindeglied zwischen der Auffassung
vom Juden als einem Menschen mit der falschen Religion zur
Auffassung vom Juden als einem auszurottenden Schädling, als
Untermenschen.

Die Juden werden schon im Neuen Testament als verstockt angesehen, dort unter Berufung auf das Alte. Und auch hinsichtlich des antiken Antijudaismus würde ich unterscheiden, denn dort geht es lediglich um einen Streit der „Meinungen“, vgl. damit, hier würde nun ein CDUler mit einem SPDler diskutieren. Da kann nun kein römischer Schreiberling, wie Plinius, was dafür, der die Juden sonderbar findet, wenn daraus nachher Mordphantasien erwachsen.

Ich frage mich ernsthaft, warum einem bei kritischen
Äußerungen gegenüber Christentum / Kirche / christlichen
Leitfiguren immer gleich Hassgefühle unterstellt werden. Ob
das eine tieferliegende psychologische Ursache hat? Aber das
nur nebenbei. Ich wehre mich gegen eine Glorifizierung Luthers
(wie sie z.B. durch den zur Diskussion stehenden Film
betrieben wurde), weil sie den Blick auf die unheilvollen
Aspekte seines Wirkens verstellt. Das heisst nicht
automatisch, dass ich ihn dämonisiere.

Deine erste Bemerkung ist nicht wirklich fair. Die psychologische Ursache ist vielleicht, daß es meiner Erfahrung nach auf keinem Gebiet soviel Urteilsfreudigkeit ohne Wissen gibt, wie wenn es um Kirche und Christentum geht. Man lese dazu die letzte Zeit, in der zunächst irgendein Mensch in der christlichen Gnosis die Wurzel für heutige Selbstmordattentate sieht (witzig dabei ist, daß er einer sehr einseitigen und falschen Darstellung eines Kirchenvaters erliegt, die Einzug in etwas sehr alte Lehrbücher (um 1900) gehalten hatte) oder aber ein andere Schreiberling, der in der Tatsache, daß die Christen das Kreuz Jesu als Symbol haben, sieht, daß es sich hier um eine Art sadomasochistische Religion handelt, die wiederum offensichtlich an allem Übel dieser Welt die Verantwortung trägt. Ob das schon pathologisch ist, weiß ich nicht, es nervt einfach…:wink:

Die Vernunft, die ratio, ist kein einfach zu handhabendes
Werkzeug und sie hat auch ihre Grenzen. Aber das, was sich als
„rationale“ Begründung von rassistischen Ideologien geriert,
ist nie mehr als bloße Scheinvernunft gewesen. Ich bin in der
Tat der Überzeugung, dass Rassismus und Antisemitismus aus
ihrer irrationalen Grundhaltung heraus sehr viel mehr mit
Religion als mit Wissenschaft zu haben. Man könnte sie mit
einem gewissen Recht als „Religion des Bösen“ und ihre
pseudowissenschaftlichen Begründungen als eine „Theologie des
Bösen“ bezeichen. Keine schmeichelhafte Nachbarschaft, aber
auch kein Verdammungsurteil für die Religion.

Womit wir bei der Frage sind, ob Wissenschaft nicht immer eine Religion ist, d.h. etwas, an dessen Plausibilität geglaubt wird. Spätestens dann, wenn es um Handlungsoptionen geht. Jedenfalls macht mir nichts mehr Angst als Menschen, die keinen Zweifel an der ratio haben (neben denen, die Keinen Zweifel an ihrem Glauben haben)

Nun, das mit dem Stellenwert ist eine sehr subjektive
Angelegenheit. Ein evangelischer Christ wird den Stellenwert
sicher anders ansetzen als ein Atheist, den am „Gesamtwerk
Luthers“ eher die politischen, sozialen und kulturellen
Auswirkungen interessieren als theologische Spekulationen. Und
ein Jude wird mit Sicherheit – und zu recht –
wieder eine andere Auffassung davon haben, welchen Stellenwert
dieses Thema hat.

Ich habe von dem Stellenwert innerhalb des Gesamtwerkes gesprochen, er interessiert sich nun mal herzlich wenig für die Juden, was angesichts ihrer zunehmenden Entrechtung zu seiner Zeit auch nicht besser ist. ALso auch hier bitte fair bleiben.

Grüße,
Taju

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Danke …
… für den interessanten Gedankenaustausch.

Freundliche Grüße,
Ralf

Ralf kann ich mich …
…mit dem Danke nur anschließen. Ich habe fleißig weiter mitgelesen und sehe solche Diskussionen wie die eure als Höhepunkte bei werweisswas an:smile:.

beste Grüße,

barbara