Luther und der HERR

Hallo,

so viel ich weiß, hat Luther in seiner Übersetzung des Alten Testaments dort wo im hebräischen Text eine bestimmte Bezeichnung stand, die die gläubigen Juden selbst nicht in den Mund nehmen sollen oder wollen oder dürfen, „HERR“ oder „der HERR“ geschrieben. Hat Luther damit etwas Hierarchisches in die Religion gebracht (ganz oben der Bibelgott und unten die dienenden oder anbetenden Menschen) oder lässt sich diese Hierarchie bereits in den hebräischen Urtexten finden? Was meinen die Sprachkundigen?

Freundliche Grüße

myrtillus

die „bestimmte bezeichnung“, die du erwähnst, ist JHWH, der gottesname, welcher beim lesen durch ADONAI ersetzt wird. adon heißt tatsächlich „herr“; adonai eigentlich „meine herren“. also keine erfindung luthers.

anmerkung:

wenn „gott“, der schöpfer des universums, ein unsterblicher, ewiger, auf der gleichen ebene wie ein mensch stünde, wäre das ein widerspruch in sich, meinst du nicht auch?

von daher verstehe ich die frage nicht.

Hallo,

danke, das trägt schon mal zur Klärung bei. Allerdings klingt „meine Herren“ in meiner Wahrnehmung nicht so streng hierarchisch wie Luthers „HERR“, sondern geht schon fast ein wenig in die Richtung unseres jovial-umgangssprachlichen „meine Herrn“. :wink:

ich persönlich glaube nicht, dass das Universum „geschöpft“ wurde, aber die Autoren der Bibel hatten vermutlich einen anderen Glaubenshintergrund.

dann will ich sie noch mal anders formulieren: Ist in den theistischen Religionen Hierarchie von vornherein angelegt und möglicherweise ein wesentliches Element?

FG myrtillus

[/quote]

Hallo,

Deine Assoziation stimmt aber fürs Hebräische nicht. Gott ist im gesamten Alten Testament eine sehr lebendige Persönlichkeit (Lesetip: Jack Miles, Gott- Eine Biographie). Selbstverständlich begegnen ihm die Menschen mit Ehrfurcht, und „mein Herr“ ist die Anerkennung seiner Herrschaft.
Das schließt aber nicht aus, dass Menschen Gott auch mal ziemlich selbstbewusst gegenübertreten können - z.B. Abraham, der Gott hartnäckig herunterhandelt, als es um Sodom geht (1 Mose 18,16ff) und die gelinde Erpressung in manchen Psalmen (Ps 6,6,; Ps 30,10; Ps 88): Hilf mir, denn wenn ich tot bin, hast Du nichts davon - dann kann ich Dich nicht mehr loben.

Aber die zugrundeliegende Gottesvorstellung ist nicht die eines guten Kumpels, sondern die einer größeren Macht - wohlwollend, solidarisch, wütend, leidenschaftlich liebend, enttäuscht von seinem Volk und vieles mehr.

In Ex 3 wird der Gottesname ja hergeleitet vom Verb HJH und wiedergegeben mit der Zusage „Ich werde (da) sein“. (Auch hier übrigens ein Mose, der nicht sofort tut, was Gott von ihm will, sondern ziemlich lange herum argumentiert, warum er das ja gar nicht tun kann, bis Gott in Ex 4,14 schließlich sauer wird.)

Es war aber nicht Luther, sondern schon das ganz alte Judentum, das in der Überarbeitung der Texte die verschiedenen Traditionslinien und die verschiedenen Gottesanreden zusammenbrachte.

Und auch in Ex 3 ist Gott ja als Macht vorgestellt, die man z.B. nicht ansehen kann/darf (Ex 3,6), die größer ist als man selbst und selbst als der Pharao und gerade deswegen helfen kann. Und gerade mal eben den Mose beanspruchen kann, dessen Lebensplanung ein ruhiges Hirtendasein vorsah und nicht sich mit dem Pharao anzulegen, in dessen Land ihm auch noch die Strafe für einen Totschlag drohte.

Viele Grüße,

Jule

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Servus,

ist schlicht der Plural, der in Gen 18, einem der seltenen Fälle (wenn nicht dem einzigen) beschrieben wird, wo sich Gott einem Menschen persönlich zeigte: Als Gott bei Abraham zu Besuch kam, ohne besonderen Anlass und eigentlich nur, um ihm zu erzählen, dass Sarah in fortgeschrittenem Alter noch einmal Mutter werden würde, war er zu dritt.

Schöne Grüße

MM

Hi,

erstmal vielen Dank für die wortreiche Antwort.

Darum habe ich meine Anfrage ja an die Sprachkundigen gerichtet …

leider nicht selbstbewusst genug. Denn als es wirklich gegolten hätte, als von ihm verlangt wurde, den eigenen Sohn als Opfer darzubringen, hat er „Kadavergehorsam“ über die Liebe gestellt. Wäre es nicht eine natürliche Reaktion des menschlichen Herzens, einen solchen Befehl zu verweigern, auch wenn er ganz von oben kommt?

(Meine Hauptfrage ist aber wie gesagt durch dich und deinen Vorredner beantwortet)

Freundliche Grüße

myrtillus

Hallo,

ich habe schon vorher beim Begriff „Hierarchie“ gestutzt, weil er mir nicht wirklich passend schien. Hier wird mir mein Stutzen nochmal verständlicher.

Selbstverständlich wäre es eine natürliche Reaktion des menschlichen Herzens gewesen, den Sohn nicht zu opfern - genau daraus erhält die Geschichte ja ihre Dramatik. Du darfst aber das Ende nicht unterschlagen: Isaak wird ja nicht geopfert! Die Geschichte hat als Aussage: „Bei uns gibt es keine Menschenopfer! Nicht, weil wir das nicht könnten oder Gott uns das nicht wert wäre, sondern weil unser Gott das nicht will!“ Das würde nicht funktionieren, wenn Abraham gleich sagen würde: Nee, Gott, das mach ich nicht, mein Sohn ist mir wichtiger.

DAS ist meines Erachtens die wichtigste Pointe der Geschichte. Abrahams absolute Hingabe ist auch wichtig, aber meiner Meinung nach nicht die Hauptaussage, auch wenn das schon sehr früh so verstanden wurde.

Nach biblischem Verständnis ist da noch mal etwas anderes im Spiel als Kadavergehorsam. Unter „Hierarchie“ und „Gehorsam“ verstehe ich: Da ist einer, der aus irgendwelchen äußeren Gründen die Befugnis hat, zu sagen, was ich gefälligst zu tun habe. Um mich geht es dabei nicht.

Biblisch ist Gott derjenige, aus dem unser ganzes Leben kommt. Ich habe oben „Hingabe“ geschrieben, das trifft, glaube ich, besser das Verständnis des AT. Weil das eine emotionale Bewegung ist, die Gott über alles anerkennt, weil er ja nun mal die Quelle von allem ist.

Das ändert nichts daran, dass ich es für abwegig und gefährlich halte, wenn jemand im Namen der Hingabe an Gott Menschen (und erst recht das eigene Kind) opfern will. Aber dass das nicht sein soll, da sind wir uns ja mit der Geschichte aus Gen 22 einig.

Und ja, Gott ist im AT durchaus auch eifersüchtig und cholerisch geschildert. Und hinterher tut’s ihm dann wieder leid. Mir sind diese dynamischen Geschichten wichtig. Aber man muss sie als solche lesen und nicht als zeitlose wortwörtlichen Wahrheiten. Sie sagen meinem Glauben nach etwas Wahres. Aber Mythen, Geschichten, Erzählungen tun das auf andere Weise als Gebrauchsanweisungen.

Und Dein Befremden ist mir tausendmal lieber als ein pseudofrommes „So muss das aber sein!“

Viele Grüße,

Jule

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Hallo MM.

Nein, es handelt sich hier um eine Form von pluralis majestatis welche wir auch im Deutschen kennen/kannten.

Die Geschichte gibt eigentlich nicht her, dass es sich hierbei selbst um G’tt handelte. Nirgends wird berichtet, dass G’tt in einer körperlichen Form je auf der Erde anwesend war und auch im Christentum bedurfte es hierzu Jesus.

Gruss,
Eli